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Der Tanne ganze Herrlichkeit

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10.11.2003
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Der Tanne ganze Herrlichkeit

Es war einmal eine Tanne, die sich schon von klein auf für etwas Besonderes hielt. Sie hätte mehr Blätter als die gleichaltrigen Bäumchen um sie herum, behauptete sie einfach. Natürlich gab es Protest von allen Seiten, besonders von ihren Schwestern. Aber das nützte nichts. Nur als sie von der Mutter zur Ordnung gerufen wurde, gab sie klein bei. Doch nicht für lange, schon am nächsten Morgen war alles wieder wie zuvor. Allerdings hatte sie jetzt eine Begründung: Weil sie mehr Äste hätte, sagte sie, mußte sie notgedrungen auch mehr Blätter haben – ist doch logisch.

Dem konnte man nicht widersprechen: Sie hatte wirklich einen Ast mehr. Der war zwar kümmerlich und daher kaum der Rede wert, aber er war da und hatte auch Blätter. Tja, da schauten die anderen etwas betreten und sagten erstmal gar nichts, auf die Idee, alle Blätter durchzuzählen, kam niemand. Nur die Schwestern beschwerten sich wieder bei Mama, warum sie einen Ast weniger hätten. Die aber sagte, viele Äste und Blätter wären nicht alles, es kommt auch darauf an, ob eine Tanne hoch und gerade gewachsen ist und ob die Äste an ihr regelmäßig angeordnet sind – das sei Schönheit.

Das befriedigte die Schwestern, denn sie glaubten Mama aufs Wort. Sie war ja so alt und groß! Und schön! Ja, ihre Mutter war hoch und gerade gewachsen und hatte rundum Äste, mit vielen, vielen blaugrünen Blättern, die manchmal nachts, wenn der Mond schien, im Wind silbern glänzten. Und jetzt, da sie wußten vorauf es bei einer Tanne ankommt, wollten alle so werden wie ihre Mutter.

Jedes Bäumchen legte sich ins Zeug und versuchte so schnell wie möglich zu wachsen. Manches vergaß dabei genügend Äste zu bilden und wuchs nur in die Höhe. Das bekam ihnen nicht gut, einer der herbstlichen Stürme knickte sie gnadenlos um, ihre zerfetzten und nur noch als Stümpfe existierenden Stämme zeugten noch Jahre danach von Erlittenem.

Andere machten es gerade umgekehrt, bildeten viele schöne regelmäßige Äste und vergaßen fast das Wachsen in die Höhe. Auch die mußten ihren Leichtsinn teuer bezahlen: Als die Nächte länger wurden und der erste Schnee fiel, wurden sie von Spaziergängern abgesägt und mitgenommen.

Jedes Jahr wiederholte sich das, nur unsere Tanne, also die mit einem Ast mehr, sie widerstand den Stürmen, und sie nahm auch niemand mit. Obwohl sie sonst schöne, lange Äste trug, aber der eine Ast ganz unten, der störte wohl. Mehr als einmal stand schon ein Spaziergänger mit Axt oder Säge vor ihr, doch jedesmal wählte er ein anderes Bäumchen. Meistens mußte eine ihrer Schwestern daran glauben, auch viele der Cousinen, die nah an der Forststraße wohnten, wurden gerne mitgenommen.

So wuchs unsere Tanne unbehelligt und zufrieden lange Jahre. Sie wuchs schneller als andere, denn sie hatte ja von Anfang an mehr Blätter, die sie besser atmen und mehr Sonne genießen ließen. Aber der Umstand, daß es um sie herum bald kaum noch Bäume gab, die sich mit ihr messen konnten, trug dazu bei, daß sie ihren Anspruch, etwas Besonderes zu sein, nicht etwa ablegte, sondern sogar verstärkte.

Immer, wenn wieder eine Tanne vom Sturm umgelegt oder von einem Spaziergänger mitgenommen wurde, freute sie sich – eine Konkurrentin weniger. Selbst als ihre Mutter eines Winters unter der Schneelast zusammenbrach, fand sie daran nur das Positive: Sie hatte jetzt mehr Platz für sich.

Natürlich fanden die anderen das nicht in Ordnung, sprachen von Überheblichkeit. Aber das taten sie leider nicht offen, sie fürchteten sich zu sehr vor großer Tanne. Zu oft schon wurden vorlaute Tannen in dunklen und stürmischen Nächten von den Ästen der großen Tanne gepeinigt, nur wer klein beigab konnte darauf hoffen, in Ruhe gelassen zu werden.

Ja, sich ruhig verhalten und nicht auffallen, das wurde zur ersten Tannenpflicht, nur die etwas weiter stehenden und ebenfalls großen Bäume konnten es sich noch leisten, offen Kritik zu üben. Doch selbst die erreichte die Rache der großen Tanne, wenn auch mit Verzögerung: Sie wartete einfach auf einen günstigen Wind, dann öffnete sie ihre Zapfen und warf Samenschuppen in so großer Zahl ab, daß der Nachwuchs der Kritiker gar keine Chance mehr hatte, groß zu werden.

War es dann ein Wunder, daß es nur noch Jasager um sie herum gab? Weit und breit gab es bald keine andere Tanne, die ihr gefährlich werden könnte, es gab nur noch ihre eigenen Kinder oder nahen Verwandten - sie alle glichen sich, sowohl vom Aussehen als auch im Wesen.

Selbst die Spaziergänger, vor denen der ganze Tannenwald zitterte, merkten das nicht, irgendwann nahmen sie auch Bäumchen mit, die sie früher verschmähten – was blieb ihnen auch anderes übrig?

 

Hi Dion,

hattest du nicht letztens gerade beklagt, dass es zu viele Nein- und zu wenig Jasager gibt? ;)
Die Weihnachtstanne als Parabel. Und oft ist es eine Frage der Empfindung. Deine Tanne verliert ihren Glauben an sich nicht, obwohl doch die ganzen anderen Tannen der besonderen durch die Spaziergänger vorgezogen wurden. Das ist schon mal eine erstaunliche Charakterstärke.
Aber das hochmütige Sendungsbewusstsein ist die Schattenseite, führt zu Angst, zu Duckmäusertum und letztlich zur Konformität allen Seins, vielleicht besonders, aber sterbenslangweilig.
Da möchte man im Tannenwald doch die Generationskonflikte heraufbeschwören, die einsetzen sollten, wenn die Kinder deines Baums in die Pubertät kommen und anfangen die Mutter in Frage zu stellen.

Sie hätte mehr Blätter als die gleichaltrigen Bäumchen um sie herum
Blätter? ;)
Und jetzt, da sie wußten voran es bei einer Tanne ankommt
sollte wohl "worauf" heißen

Die Rede von Blättern irritiert mich die ganze Geschichte durch, ansonsten aber ein kurzweiliges Lesevergnügen, vielleicht etwas durchsichtig in der Agitproptradition der siebziger Jahre. ;)

Lieben Gruß, sim

 

Das mit den Nein- und Jasagern, sim, das kannst du nehmen wie du willst: Einmal sind die Neinsager die Guten, mal die anderen – ja nach Thema und eigenem Standpunkt.

Und das mit Blättern gefällt mir auch nicht, aber was hätte ich sonst schreiben sollen? Es sind eben nadelförmigen Blätter, aber das wissen die Tannen eh, und zu sagen Tannennadeln, wär’s auch doppelt gemoppelt. Und außerdem sind sie stolz, immergrüne Blätter zu haben. Echt!

sim schrieb:
Deine Tanne verliert ihren Glauben an sich nicht, obwohl doch die ganzen anderen Tannen der besonderen durch die Spaziergänger vorgezogen wurden. Das ist schon mal eine erstaunliche Charakterstärke.
Die Tannen fürchten sich vor Spaziergängern, wenn du das anders verstanden hast, dann ist beim mir was schief gelaufen oder du betrachtest die Geschichte aus rein menschlicher Perspektive, d.h. der Tannenwald ist dir nur als Lieferant für Weihnachtsbäume präsent.

Der Sinne einer Tanne besteht nicht darin, Menschen zu gefallen!

sim schrieb:
Da möchte man im Tannenwald doch die Generationskonflikte heraufbeschwören, die einsetzen sollten, wenn die Kinder deines Baums in die Pubertät kommen und anfangen die Mutter in Frage zu stellen.
Die Möglichkeiten einer Tanne, auf ihre Umgebung Einfluß zu nehmen, sind begrenzt - wurde ihr Same vom Wind weiter getragen als ihr Schatten reicht, kann sie nichts mehr viel tun – ist bei uns Menschen nicht anders.

Dank fürs Lesen und Kommentieren.

Dion

 

Hallo Dion,
Deine Tanne, folgt nur ihrer genetisch bedingten Reproduktion. Der größte Nadelbaum der Welt, der Mammutbaum, wächst zum Beispiel nur aus Samen, der durch Eichhörnchen verteilt wird. Doch damit die Samen sprießen, muss erst ein Feuer die Vegetation vernichten. Wenn dann alles Schutt und Asche liegt, haben die anderen Pflanzen keine Chance. Es gibt nur noch den Mammutbaum.
Der Sinn des Ganzen ist also nur den Fortbestand der eigenen Art zu sichern.
Es gibt einen Mammutbaum in Amerika, der wird als National Tree verehrt. Es ist also erst der Mensch, der aus dem Baum etwas Besonderes macht. Nicht der Baum selbst macht aus sich etwas Besonderes, wie die Tanne in deiner Geschichte. Auch der Weihnachtsbaum hat seine Bedeutung erst durch den Menschen erfahren. Die Herrlichkeit einer Tanne ist relativ zu sehen.
So entstehen die vielen herrlichen Tannenbäume aus Monokulturen, weil der Mensch bestimmt, was herrlich ist.
Fazit: Der Mensch hat die Wahl, der Baum nicht.

LG
Goldene Dame

 

Goldene Dame schrieb:
Deine Tanne, folgt nur ihrer genetisch bedingten Reproduktion.
Ja, sie verhält sich da nicht anders als ein Mensch.

Goldene Dame schrieb:
Der Sinn des Ganzen ist also nur den Fortbestand der eigenen Art zu sichern.
Ja, so wie bei Menschen.

Goldene Dame schrieb:
Es gibt einen Mammutbaum in Amerika, der wird als National Tree verehrt. Es ist also erst der Mensch, der aus dem Baum etwas Besonderes macht. Nicht der Baum selbst macht aus sich etwas Besonderes, wie die Tanne in deiner Geschichte. Auch der Weihnachtsbaum hat seine Bedeutung erst durch den Menschen erfahren.
Schon möglich und auch wahrscheinlich. Aber auch meine Version ist sinnvoll und kann nicht widerlegt werden. Ich weiß schon, du denkst in deiner Überheblichkeit, wir Menschen allein sind intelligent und können reflektieren. Aber bisher hat noch niemand bewiesen, daß Tannen das nicht können, will sagen, vielleicht haben sie uns dazu gebracht, sie schön zu finden, damit wir für sie sorgen und nicht aussterben lassen. :D

Goldene Dame schrieb:
Die Herrlichkeit einer Tanne ist relativ zu sehen.
:thumbsup: In der Tat, diese Geschichte würde auch in die Einsteinrubrik passen, schon wegen der Relativität von Ja- und Neinsagern, und der Frage, was Schönheit ist.

Goldene Dame schrieb:
So entstehen die vielen herrlichen Tannenbäume aus Monokulturen, weil der Mensch bestimmt, was herrlich ist.
Wie gesagt, es könnte auch umgekehrt sein – die Tannen könnten es darauf abgesehen haben, uns zu gefallen. :)

Goldene Dame schrieb:
Der Mensch hat die Wahl, der Baum nicht.
Man könnte meinen, du hast diese Geschichte nicht gelesen. :D Oder ich konnte dich nicht überzeugen - das wäre schlimm für mich. :bonk:

Danke fürs Lesen und Kommentieren.

Dion

 

Hallo Dion,


deine Parabel ist schön erzählt und geht auch auf die verschiedensten Aspekte (bzw. Standorte) des (Tannen-) Lebens ein.
Positiv überrascht hat mich das `umgekehrte hässliche Entlein Motiv´:

Die Tanne „die sich schon von klein auf für etwas Besonderes hielt“ bekommt nicht wegen ihres Anspruchs eins auf den Wipfel, sondern die anderen Tannen, die sich an ihr orientieren.

„Der war zwar kümmerlich und daher kaum der Rede wert, aber er war da und hatte auch Blätter“

- Manchmal sind die Kleinigkeiten gar keine…

„nur wer klein begab konnte darauf“ - beigab.

Mich stören die ganzzeiligen Absätze ein wenig, es wird ja nicht jedes Mal eine völlig neue Szenerie geschildert.

Eine nette Unterhaltungsgeschichte mit bedenkenswerten Hinweisen.

L G,

tschüß… Woltochinon

 

Woltochinon schrieb:
Positiv überrascht hat mich das `umgekehrte hässliche Entlein Motiv
Ja, Woltochinon, es ist ziemlich egal, warum und wieso jemand zu Macht gekommen ist, viel wichtiger ist die Reaktion der Umgebung darauf.

Woltochinon schrieb:
Mich stören die ganzzeiligen Absätze ein wenig, es wird ja nicht jedes Mal eine völlig neue Szenerie geschildert.
Ich finde sie auch nicht optimal, dennoch lasse ich sie stehen – der besseren Lesbarkeit wegen.

Woltochinon schrieb:
Eine nette Unterhaltungsgeschichte mit bedenkenswerten Hinweisen.
Danke fürs lesen und kommentieren.

Dion

 

Dion schrieb:
Oder ich konnte dich nicht überzeugen - das wäre schlimm für mich.
Goldene Dame schrieb:
Dieses Fazit ist zutreffend.

Zur Erklärung warum die Geschichte mich nicht überzeugen kann.
Es gibt sicherlich die Ja- und Nein-Sager, die ihr Fähnchen in den Wind halten, aber es gibt sie nicht ausschließlich wie in deiner Parabel. Ich denke grundsätzlich, dass man immer eine Wahl hat. Ich gebe dir natürlich Recht, wenn du aussagst, es ist leichter sich anzupassen. Aber ich glaube nicht, dass es automatisch ein erfülltes Leben mit sich bringt.

Schöne Weihnachten
Goldene Dame

 

Goldene Dame schrieb:
Es gibt sicherlich die Ja- und Nein-Sager, die ihr Fähnchen in den Wind halten, aber es gibt sie nicht ausschließlich wie in deiner Parabel.
Ich dachte, ich hätte mit dem Satz
Dion schrieb:
War es dann ein Wunder, daß es nur noch Jasager um sie herum gab?
diese Ausschließlichkeit relativiert, aber vielleicht ist das zu schwach formuliert. Was ich sagen wollte: in einem Umfeld, in dem Widerspruch nur um den Preis des eigenen Niedergangs möglich ist, muß man halt die Klappe halten.

Goldene Dame schrieb:
Ich denke grundsätzlich, dass man immer eine Wahl hat. Ich gebe dir natürlich Recht, wenn du aussagst, es ist leichter sich anzupassen. Aber ich glaube nicht, dass es automatisch ein erfülltes Leben mit sich bringt.
Es kommt darauf an, was man als erfülltes Leben ansieht – es gab und gibt Sklaven, die ihr verhältnismäßig sorgloses Dasein als angenehm empfanden bzw. empfinden. Das ist deren legitimes Recht und ich will das nicht werten. Die Welt ändert sich, heute ist das Nonplusultra, morgen was anderes, womöglich das genaue Gegenteil - wer will schon heute wissen, was morgen als gut oder böse gelten wird?

Übrigens: Wir haben auch nicht protestiert, als plötzlich Tannen mit einem Zweig mehr zu haben waren. Heute ist das normal – es gibt nur noch solche. Oder so gut wie, denn die auf sogenannten Alternativmärkten angebotenen Tannen spielen keine Rolle mehr – sie sind einfach zu teuer! :D

Eine schöne und friedliche Weihnacht wünscht dir

Dion

 

Dion schrieb:
Was ich sagen wollte: in einem Umfeld, in dem Widerspruch nur um den Preis des eigenen Niedergangs möglich ist, muß man halt die Klappe halten.

Ach Herrje, der eigene Niedergang ist doch auch relativ zu sehen. Es kommt doch darauf an, in welche Abhängigkeit sich das Individum beim Abwägen seiner Entscheidungen begibt. Auch hier hat das Individuum die Wahl, sich von der Wertigkeit der anderen abhängig zu machen oder nicht.

Goldene Dame

 

Goldene Dame schrieb:
Es kommt doch darauf an, in welche Abhängigkeit sich das Individum beim Abwägen seiner Entscheidungen begibt. Auch hier hat das Individuum die Wahl, sich von der Wertigkeit der anderen abhängig zu machen oder nicht.
Mir scheint, Goldene Dame, du bist Vertreterin der These, jeder ist des eigenen Glückes Schmidt. Bisher habe ich angenommen, du denkst mehr in Richtung Schicksal, auch die Sternedeutung scheint dir nicht fremd zu sein. Oder irre ich mich?

Egal, ich vertrete nach wie vor die These, daß unabhängig in seiner Entscheidungen nur sein kann, wer nicht gleich um seine Existenz fürchten muß, wenn dabei etwas schief geht. Derjenige, der sich darum nicht kümmert ist schlicht ein Idiot, was natürlich nicht ausschließt, daß er trotzdem als Held gefeiert wird, wenn sich seine Sache später und für eine gewisse Zeit als gut herausstellt - ich sage nur: Süß ist es für sein Vaterland zu sterben.

Dion

 

Mir scheint, Goldene Dame, du bist Vertreterin der These, jeder ist des eigenen Glückes Schmidt. Bisher habe ich angenommen, du denkst mehr in Richtung Schicksal, auch die Sternedeutung scheint dir nicht fremd zu sein. Oder irre ich mich?

Lieber Dion, Schubkästen eignen sich nicht dazu Menschen zu kategorisieren. Du bist der bist und ich will auch niemanden missionieren. Der Mensch, oder die Tanne, die meint sich aus Zwängen und Fremdbestimmung heraus fortentwickeln (zu müssen), gestehe ich diese Ansicht zu.

Schöne Weihnacht
Goldene Dame

 

Goldene Dame schrieb:
Schubkästen eignen sich nicht dazu Menschen zu kategorisieren.
Bin völlig deiner Meinung, Goldene Dame, doch wir brauchen ein Hilfsmittel wie dieses, um mit der Umgebung zurechtzukommen. Und ich habe dich jetzt nicht in eine andere Schublade geschoben, sondern lediglich mein Bild von dir ergänzt - es glänzt immer noch golden.

Goldene Dame schrieb:
Der Mensch, oder die Tanne, die meint sich aus Zwängen und Fremdbestimmung heraus fortentwickeln (zu müssen), gestehe ich diese Ansicht zu.
Ich auch, Goldene Dame - es ist nie zu spät.

Dion

 

Außer der Hochzeit von Nazareth hatte ich bisher nichts von dir gelesen. Das habe ich nun nachgeholt, in erster Linie, um mal zu sehen, wie gekonnt du die Dialog-Geschichten hinkriegst.
Dialoge zu schreiben ist schwierig, Are-Efen, doch sie beleben die Geschichten zweifelsohne. Wenn eine Geschichte nicht so funktioniert wie man es gerne hätte, dann ist der erste Gedanke: fehlende Dialoge. Oder es wurde zu viel erzählt und zu wenig gezeigt, so dass der Leser nur die Wahl hat: friss oder stirb.

Bei dieser Geschichte ist klar: Sprechende Tannen wären mir zu menschlich – sie verhalten sich schon jetzt - ohne Sprache - wie Menschen. Doch das ist gewollt, immerhin sollte das ja eine Parabel sein. :)


Bei dieser Geschichte hier sind noch einige kleine Schreibfehler drin und auch die Argumentation ist nicht durchgehend stimmig - im Gegensatz zu den anderen gelesenen.
Wann ist eine Geschichte schon vollkommen? Es gibt wahrscheinlich immer etwas zu verbessern, man muss nur wissen, was.


Mir ist so etwas vollkommen recht, denn da fange ich an, mich zu fragen, was da eigentlich nicht stimmt oder anders sein müsste, und an diesen Schwachpunkten dringt man ein.
So arbeite ich nicht. Wenn ich eine Geschichte veröffentliche, dann ist sie mMn fertig, d.h. so wie sie sein soll. Deswegen habe ich auch meine Schwierigkeiten, Geschichten von mir aus zu verbessern – man muss mich schon genau auf Fehler und Ungereimtheiten hinweisen.

Manchmal, wie z.B. bei meiner letzten Geschichte, sehe ich zwar ein, dass sie nicht gut ist, aber habe den Willen nicht, sie umzuarbeiten. Dann liegt sie da und harrt der Veränderungen, und jedes Mal, wenn ich sie zufällig sehe, habe ich schlechtes Gewissen meinen Lesern und Kritikern gegenüber, denen ich ja in gewisser Weise verpflichtet bin – immerhin habe ich etwas versprochen und noch nicht eingelöst.


In der Diskussion haben mich im Beitrag # 10 deine Ausführungen zum erfüllten Leben angesprochen.
Das freut mich und zeigt, dass Dialoge zwischen Autoren und Kritikern auch außerhalb des rein Literarischen lohnend sein können.

Ich danke dir fürs Lesen und die Mühe des Kommentierens.

Dion

 

Zur Geschichte selbst lässt sich mit Hilfe 'der Kirche von Wildenwart' schon mal beobachten, dass der Tanne mit ihrer zivilisatorisch geprägten Anpassung und Verhaltensweise das Wilde völlig abgeht.
Ja, Are-Efen, das ist wahr, denn hier hat die Tanne ja eine „menschliche“ Funktion. Aber auch sonst sind die Tannen nicht dafür bekannt, wild – im Sinn von wild als unbotmäßig - zu sein.

Klar ist mir allerdings, dass gerade der Absatz Er mochte schon immer ihren Duft aufzeigt, dass die Tanne in der Geschichte dessen völlig beraubt ist.
Gerade der macht ja ihre Herrlichkeit aus.
Die Tannen werden ihres Aussehens wegen gekauft, weniger ihres Duftes. Es ist ihr gerader Wuchs und die regelmäßige Anordnung ihrer Zweige samt der Farbe, Form (nicht stechend!) und Dichte ihrer Nadeln, die sie gegenüber anderen Bäumen herausragen lassen. Außerdem gibt es ja dieses Lied „O Tannenbaum …“ – stell dir vor, man müsste „O Fichtenbaum …“ singen. Einfach ordinär so was, oder? :D

Herrlichkeit ist immer etwas alle idealen Bedingungen Umfassendes.
Nicht alle, es reichen wenige idealen Bedingung - wie bei der Tanne eben.

Herrlichkeit wird gewöhnlich mit Glanz und Gloria gleichgesetzt und zuweilen mit simpler Schönheit übersetzt. Manchmal ist Herrlichkeit auch etwas Imaginäres: Die Priester konnten das Haus des Herrn nicht betreten, da die Herrlichkeit des Herrn es erfüllte. – Bibel, 2.Chronik 7
Da kannst du für dich Passendes aussuchen.

Ein paar Worte zum Standort wären ebenfalls ein wichtiges Indiz.
Der eine Zweig mehr könnte durch eine spezifische Sonneneinstrahlung entstanden sein - diese 'Sonderbehandlung' wiederum Auslöser des Weiteren.
Oder aber, gerade diese eine Tanne hat den besten Blick auf die Stadt, beobachtet viel und richtet sich danach aus.
Nein. Es ist völlig unwichtig, warum die Tanne den einen Zweig mehr hatte, entscheidend ist, dass sie sich darauf etwas einbildete und die anderen Tannen beeindrucken konnte. Genauso gut konnte sie sich des überzähligen Zweigs auch schämen.

Es gibt Menschen, die nicht auffallen wollen und sich deswegen nur in der Menge der Gleichen wohlfüllen, und eben andere, die um keinen Preis der Welt anderen gleichen wollen – obwohl man im ersten Moment vielleicht denkt, die Modeindustrie würde Individualität fördern, bedient sie in Wahrheit beide Typen, denn die vom Typ 1 sind einfach die mehreren.

Wenn man so will, kreierte diese Tanne die Mode des einen Zweiges mehr – bis alle Tannen ihn hatten.

Ich merke, Are-Efen, du bist gründlich und beschäftigst dich lange mit einer Geschichte. Ich danke dir dafür wie auch für die Rechtsschreibkorrekturen.

Dion

 

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