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Der Tag, an dem ich wieder Raucher wurde
Ein besonders großes Stück Zigarettenasche kippte von seinem Glimmstengel ab und brannte sich in unseren schönen hellblauen Teppich im Wohnzimmer. "Noch ein Brandfleck, der mich für immer und ewig an diesen schrecklichen Tag erinnern wird", stöhnte ich innerlich. In der Tat, es war nicht der erste Brandfleck, den unserer Gast schon produziert hat. Ich versuchte es zu ignorieren, obwohl ich wusste, dass er dies mit voller Absicht tat. "Wollen sie einen Aschenbecher?", fragte meine Frau nun endlich, die wohl kurz vorm Nervenzusammenbruch war. Diesen Umstand konnte sie Gott sei Dank vor unserem Gast verbergen. Doch ich wusste es - ich kannte sie ja viel zu gut. Ich schwieg und dankte ihr dafür - ich war ihr noch was schuldig. Eigentlich weis ich nicht wovor ich mehr Angst hatte: Entweder er blieb und machte mir das Leben weiter zur Hölle oder er ging und meine Frau würde das übernehmen. Eines stand jedoch fest: Es war schrecklich. Es ist schrecklich. Und Besserung war nicht in Sicht.
"Ja, das wäre nett!" Ich weis nicht wie man etwas so trocken sagen kann und dabei über beide Backen grinsen kann. Überhaupt war er ein Rätsel. Aber ehrlich gesagt liegt mir nicht viel daran es zu lösen. Es ist vorerst genug ihn unausstehlich zu finden. Er aschte noch einmal auf den Teppich, lehnte sich zurück -der Stuhl knirschte ohrenbetäubend- und griff nach einem kleinen Löffel um mit einem angewiederten Gesichtsausdruck in dem Dessert herumzustochern, was meine Frau für heute Abend zubereitet hatte. In der Küche klapperte und klirrte es - ob meine Frau wusste, dass wir gar keinen Aschenbecher haben? Er zog noch einmal genüsslich an seiner Zigarette -die Glut näherte sich unaufhaltsam dem bräunlichen Filterpapier- und bließ den blauen Dunst mit einem verächtlichen Seufzen mehr als eindeutig in meine Richtung. Ich muste husten. "Wollen sie auch eine?", fragte er. "Nein, danke ich rauche nicht mehr..." Als ob er mich nicht gehört hätte hielt er mir die offene Schachtel hin und sah mich an: "Bitte!". "Danke", ich konnte ihm ja schließlich nicht wiedersprechen. Zu allem Überfluss hielt er mir auch noch das Feuerzeug hin. "Ich werde also nicht darum herum kommen.", dachte ich bei mir; ich hatte mir eigentlich noch eine Galgenfrist erhofft. Ich hielt meine Zigarette ans Feuer und zog so, wie ich es mal gewohnt war. Ich versuchte mir nichts anmerken zulassen, denn das wäre nur noch ein weiterer Triumph für ihn. Er grinzte mir entgegen, seine vergoldeten Eckzähne blitzen mir penetrant zu. In mir zog sich alles zusammen. Ich wusste nicht, ob das von der Zigarette her rührte oder von dem Gedanken, wie er seine goldenen Hauer in mein Fleisch rammen würde. Auf jeden Fall war mir mit einem Schlag schlecht. Ich muste husten. Er würgte ein krächzendes, röchelndes Geräusch heraus, was im entferntesten an ein Lachen erinnerte. Noch während er dies tat, drückte er seine Kippe auf dem Dessert aus. Ein zischen ging durch den Raum; ich wusste allerdings nicht ob man die Zigarette oder meine Frau dafür verantwortlich machen musste, die übrigens gerade eine Untertasse vor unseren Gast stellte. Sie griff das Schälchen mit dem Dessert und verließ rückwärts gehend, damit sie mir solange wie möglich ihre tödlichen Blicke zuwerfen konnte, den Raum. Jetzt bekam ich auch noch Kopfschmerzen. Er schob mir den Aschenbecher über den Tisch und präsentierte mir dabei ganz unbewusst seinen massivgoldenen Ehering aus dessen Fassung mir ein klarer Dimant zubinzelte. "Entzückende Frau haben sie da..." Ich tat so als hätte ich es nicht gehört und versuchte krampfhaft möglichst entspannt zu wirken, während ich rauchte. Den Rauch schob ich in Richtung Zimmerdecke, wo er durch einen Deckenventilator, der langsam vor sich hin rotierte, in alle Richtungen verteilt wurde. Ich sah den Rauchwölkchen noch ein Stück hinterher, denn die blickten wenigstens nicht zurück im Gegensatz zu unserem Gast.
"Schatz?!... kommst du mal kurz?", schallte es aus der Küche. "Rettung!", schrie ich innerlich. Ich legte meine Zigarette auf der Untertasse ab und schob sie in die Mitte des Tisches. Langsam und vorsichtig, denn ich wollte auf keinen Fall irgendein Geräusch provozieren, erhob ich mich von meinem Platz und ging bedacht rückwärts richtung Tür. Ich blickte ihm auf die kleine, aber breite Nase, die nur wenig zwischen seinen gefährlichen Augen herausragte. Ich glaubte dies sei die beste Art seine Blicke zu meiden ohne repektlos zu erscheinen. Aber es half nicht. Er schaffte es -wiedereinmal- mich mit seinen Raubtieraugen festzunageln. Ein Schauer lief mir über den Rücken, wieder kam mir der Gedanke an seine goldenen Hauer - ekelhaft. Endlich wandte er sich ab, verschränkte die Arme über seinem gewaltigen Bauch und zerteilte mit seinen Blicken die Rauchschwaden, die über den Tisch trieben. Dies war die perfekte Gelegenheit. Ich schlüpfte durch die Tür in die Küche, wo bereits meine Frau mit Flamen in den Augen auf mich wartete. "Was ist Schatz?", versuchte ich mit der beruhigensten Stimme zu fragen. "Was los ist?", raunte sie mir zu. "Du fragst was los ist, ist das dein Ernst?!". "Schatz, bitte sei leise!", flehte ich sie an. "Also", stellte sie mich vor die Wahl, "entweder er geht oder ich gehe!" "Aber Schatz...", langsam verzweifelte ich. "Nichts aber, ich halte es keine Sekunde länger mit diesem Ar..." Ich sprang zu ihr herüber und presste ihr die Hand auf den Mund: "Bist du denn wahnsinnig?!, Ahh!" Sie biss mir in die Hand. "So, jetzt reichts... Dein Frühstück!", sie knallte das mit dem Zigarettenstummel garnierte Dessert auf die Theke. "Ich bin bei meiner Mutter!", brüllte sie, machte auf dem Absatz kehrt und verschwand durch die Hintertür noch ehe ich was sagen konnte. Ich hielt mir die Hand - sie blutete. Das Blut tropfte auf den Boden, während ich wie ein wahnsinniger in den Schubladen nach Verbandsmaterial suchte. Es war zwecklos. Ich wickelte mir ein Geschirrtuch um die Hand und ließ sie in der Tasche verschwinden. Ich zog mir einen Hocker heran und setzte mich. Mit zitternder Hand griff ich nach der Kaffekanne und stürzte den kalten Kaffee hinunter... Jetzt ging es mir es richtig dreckig und der Gedanke wieder in die Höhle des Löwen zurückkehren zu müssen munterte mich nicht im geringsten auf. Dies war einer der Momente im Leben, wo man sich wünscht auf der Stelle tot umzufallen, aber der Tod ließ auf sich warten und das Leiden sollte kein Ende nehmen.
Ich verharrte und lauschte dem Ticken der Uhr, die über der Tür hing. Jeder Schlag des Zeigers wurde lauter und hallte in meinem Kopf nach, so dass ich kurze Zeit ersthaft glaubte die Uhr würde zum jüngsten Gericht rufen. Das war eigentlich nicht wirklich weit hergeholt, angesichts der Dinge die mich hinter der Tür erwarteten; dem Ding - Ihm. Ich hätte schreien können, aber ich musste mich zusammenreisen. Ich stand auf, zupfte mir die Kleidung zurecht und ging auf die Tür zu. Langsam schob ich die Klinke nach unten, das Schloss knirschte, die Schnarniere quietschten - ich ging geradewegs in die Hölle.
Ich öffnete sie nun vollends und dumpfer Rauchgeruch zog sich mir in die Nase. Es war plötzlich ruhig. Er saß genauso da, als ich den Raum verlassen hatte. Er machte keine Anstalten mich auch nur zu bemerken. Ich schlich über den Teppich und ließ mich in den Stuhl fallen, aber nahm schnell wieder Haltung an. Die Zigaretten lagen noch auf dem Tisch. "Ist ein guter Tag wieder damit anzufangen", dachte ich mir. Langsam tastete ich mich zu der Schachtel vor. Auf Wiederworte von ihm wartend, verharrte ich kurz vor dem Päckchen - Nichts. Ich fischte mir eine Zigarette heraus, zog mir das Feuerzeug heran und hielt die Flamme an den Tabak. Der Rauch schob sich durch meine Lungen - ich fühlte mich mit einem Schlag total entspannt. Ja, man könnte sagen, ich genoss sie auf einmal regelrecht. Triumphierend blickte ich zu ihm herüber. Seine Blicke ruhten auf seinen Händen - er nahm absolut keine Notiz von mir. "Recht unüblich für ihn...", dachte ich mir. Es war ruhig, absolut ruhig - totenstill. In der Tat, er machte keinen Mucks mehr. Kein Röcheln, kein Schnaufen, kein Rascheln, kein Wort - nichts - Garnichts. "Um zum Thema zurückzukommen...", fing ich an zu plaudern. Keine Antwort. Ich konnte es nicht glauben. Ich begann mich zu räuspern, zu husten, zu niesen - es half nichts: Er blieb still. Ich ließ die Zigarette fallen - noch ein Brandfleck -, und starrte ihn ungläubig an. Mir wurde kalt. Ich zwang mich zum aufstehen und ging ganz vorsichtig zu ihm herüber und lauschte. Es war unheimlich. Ich griff nach seinem Handgelenk um festzustellen, was ich schon längst wusste - er war zu dick, da kann man keinen Puls fühlen, oder? Ich versuchte ihn ein bisschen anzustoßen - keine Reaktion. Er war tot.
Es war einfach unfassbar: Ich war 5 Minuten in der Küche und nun war er tot? Ich musste einen Krankenwagen rufen, ich rannte in die Küche und wählte 112 - den Notruf. Man sagte mir ich solle ruhig bleiben und die erforderlichen Maßnahmen treffen, sie seinen sofort da. Ich wusste, dass sie mindestens 20 Minuten brauchen würden und "erforderliche Maßnahmen?". Mein Kopf war leer. Ich saß nur in der Küche und tat - nichts.
Eines der wenigen Dinge, die ich an meiner Frau hasste, war ihre Liebe zu prachtvoller Spitze und den aufwändigsten Stoffen. Aber, ich akzeptierte es und nahm es Zähneknirschend hin. So ertrug ich auch die riesigen aufgebauschten mit reichlich Dekoration versehenen Vorhänge in unserem Wohnzimmer. Ich habe eigentlich gelernt sie zu ignorieren und komplett aus meinem Kopf zu verbannen. Nur heute war der Tag, wo ich alles bereuen sollte, wo die Vorhänge in meine Welt zurückkehren und mich für alles bestrafen sollten was ich heute meiner Frau angetan habe.
Ich saß in der Küche und versuchte wieder klar zu denken, was im Sinne unmöglich war. Was um mich herum passierte nahm ich nicht wirklich wahr. Ich hörte nicht das Ticken der Uhr, das dröhnen des Kühlschranks, das Rauschen des Windes der am Fenster vorbeiflog unf vorallem nicht den Krach aus dem Esszimmer. Ich hörte garnichts, aber ich roch. Ich roch den weißen beißenden Qualm, der sich nur schüchtern unter dem Türspalt hindurchzwengte. Ich ließ mich einnebeln. Bis ich auf einmal merkte, was hier eigentlich vor sich ging. Die Geräusche kehrten zurück: Das Knistern, Knirschen, Krachen, Zischen, Brüllen... Ich sprang auf, aber verstand noch nicht wirklich was geschah. Auf einmal sprang die Tür auf, ein Wesen stürmte herein, packte mich und zog mich heraus. Ich wusste nicht was geschah. Ich sah nur Rauch, Feuer, es war heiß - Ich begriff: Ich bin in der Hölle angekommen. Auf einmal fraß sich kalte Luft in meine Lungen, mein Verstand kam wieder. Ich blickte mich um. Rhythmisch wurde ich blau geblendet, Leute rannten hin und her und Feuer. Mein Haus brannte! Ich konnte nichts mehr retten, alles war dahin... Ein Arzt untersuchte mich kurz, ich bemerkte ihn garnicht. Über meine Schulter schrie er: "Er ist ok!, sie können ihn mitnehmen!" Hände klammerten sich um Arme und zogen mich fort. Der Lärm um mich herum betäubte mich. Auf einmal erklang ein dumpfer Hall, das zuklappen einer Autotür.
Ja, das war mein Abend. Die Zigarette, die ich fallen ließ entzündete die Vorhänge im Esszimmer. Ich saß in der Küche, geschockt. Mein Chef, der sich zu einem "Geschäftsessen" eingeladen hatte, verbrannte. Ich wurde wegen Mordes angeklagt, aber da man festgestellt hat, dass ich unter einer psyshischen Störung leiden muss, da ich mich zusammen mit meinem Chef umbringen wollte, erwartete mich eine relativ milde Strafe. Ich wurde in eine Nervenheilanstalt eingeliefert. Wenigstens kann man hier rauchen...