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Der Tag als Mama fortging
November 2000, Goslar, Grundausbildung
Es war ein bitterkalter Herbsttag. Wir standen geschlossen zum täglichen Appell vor dem Unterkunftsgebäude. Das Bürofenster von Kompaniefeldwebel Schmidt stand wie immer offen. Man hörte den Vater der Kompanie wie er damit beschäftigt war seinen morgendlichen Witz kundzutun. Er hatte wirklich viel Humor und allen von uns war klar, dass das genau sein Ding war. Die letzte Silbe war kaum erklungen, da ging schon ein Schmunzeln durch die Reihen. Uns allen standen noch die Strapazen der 48 Stunden Übung ins Gesicht geschrieben. Keine 2 Minuten später stand Feldwebel Eichler zum morgendlichen Appell vor uns. Wieder einmal viel zu spät und völlig am Hecheln rief er:
"Achtung !! Zur Meldung an den Kompaniefeldwebel, die Augen links!"
Da stand er auch schon. 2,10m groß, ein Kreuz wie eine deutsche Eiche. Hände wie Bratpfannen und Beine wie ein Bahnradweltmeister.
"Moin Kameraden, wie ich sehe ist mein Trupp vollzählig angetreten."
Stabsunteroffizier Sönnichsen, konnte natürlich wie jeden Tag nicht stillstehen, geschweige denn seinen Blick auch nur für 5 Minuten nach vorne richten. Da ertönten auch schon die mahnenden Worte von Oberstabsfeldwebel Schmidt:
"Stabsunteroffizier Sönnichsen, auch wenn der ganze Himmel voller Muschis hängt, die Augen bleiben geradeaus !"
Im gleichen Atemzug ging die Tür zum Unterkunftsgebäude auf und kein geringerer als unser Kompaniechef Major Hatzenbühler stand vor der Truppe.
"Erster Zug des Ausbildungstrupps hört auf mein Kommando, stehen Sie bequem !"
"Stabsunteroffizier Sikslakud in mein Büro wegtreten.. "
Auf dem Weg in das Büro von Major Hatzenbühler, sagte er zu mir das in seinem Büro jemand am Telefon für mich warten würde. Völlig irritiert sausten tausend Gedanken wie Lichtblitze durch meinen Kopf. Der kurze Weg durch den Eingangsbereich und das dahinter befindliche Empfangsbüro des Majors schien kein Ende zu nehmen. Nehmen Sie Platz Stabsunteroffizier Sikslakud. Ich nahm meine Mütze erst jetzt ab, obwohl dies schon beim Betreten eines Gebäudes die erste Aktion eines jeden Soldaten war. Der Major reichte mir den Hörer herüber. Ich drückte den Hörer fest an mein Ohr.
"Stabsunteroffizier Sikslakud am Telefon, mit wem spreche ich ?"
Sekunden der Stille..., ich bin es Deine Schwester. Du Netsrak, Mama ist heute früh um drei Uhr eingeschlafen.
Sie war krank. Sehr krank sogar. Man hatte bei Ihr einen inoperablen Gehirntumor festgestellt. Und nun nach monatelangem Kampf hatte diese Bestie von Krankheit gewonnen. Meine Hand fing aus dem Nichts heraus an zu zittern. Ich konnte nichts dagegen unternehmen. In meinem Hals saß plötzlich ein Kloß in Billardkugelgröße. Mir liefen die ersten Tränen über die Wangen und das letzte was ich noch vom Telefonat mit meiner Schwester im Büro des Majors weiß, waren Ihre letzten Worte.
"Netsrak, komm nach Hause. Es ist alles geklärt. Bleib ruhig und pass auf Dich auf. Hab Dich lieb, Sister."