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Der Syrien-Konflikt Teil eins: Die Grenze
Der Syrien-Konflikt
Die Grenze
Wir schreiben den 18. Dezember 2010. Der erste Tag der NATO-Operation Burning Horizon.
23.59 Uhr.
Wilson sah auf das Bild seiner Frau Jessica. Sie war eine der schönsten, die er je kennen gelernt hatte. Sie hatte langes, goldbraunes Haar und warme, blaue Augen. Auf dem Bild lachte sie und schien alle anderen zu verdrängen. Man achtete nur auf sie! Sie strahlte eine sinnliche und doch ruhige Aura aus, von ihrem Luxuskörper mal abgesehen. Er riss sich von dem Bild los und sah auf das Datum. 2. Januar 2005. Waren sie schon so lange zusammen? Es kam ihm immer wie wenige Tage vor. Obwohl sie ein Kind hatten, dass inzwischen. . . vier Jahre alt war. Wilson fragte sich, warum er eben gezögert hatte. Er war so oft von Zuhause weg, dass er kaum für sie da war. Das war schrecklich, besonders für ihn. Er drückte das Bild an seine dschungelfarbene Kevlartarnweste.
„Ach, Jess“
„Ihre Frau?“
Wilson sah auf. Er saß in einem Humvee, der über eine holprige, sandige Straße raste. Die Person, die ihn angesprochen hatte, war Private Michael Picoli, der immer wieder konzentriert auf die Straße sah, jedoch die meiste Zeit nur ins enge Führerhaus stierte, als wolle er beweisen, dass er blind fahren konnte.
„Ja, Picoli. Das ist Jessica“ Wilson hielt dem Private das Foto hin.
Der sah drauf. „Nett“, entwich es ihm.
„Bitte, was?“ Wilson dachte, er hätte sich verhört.
„Ich sagte: 'nett'“
Für Wilson klang es, als wäre Picoli einer der Aufreißer, die nach dem James Bond-Prinzip vorgingen: Anlabern, rein ins Bett, eine schnelle Nummer, abhauen.- Mit einem Mal war ihm der Private nicht mehr so sympathisch.
„Ich habe eine Freundin. Sie ist schwanger“, erklärte der Private. „Und wenn ich mir nur vorstelle, dass eine Frau schöner ist als sie, dann habe ich dass Gefühl, ich hätte sie betrogen. Deswegen rede ich mir ein, dass andere Frauen nicht so schön sind, wie sie es ist.“
„Und?“, hakte Wilson nach
„Es wirkt!“
Beide lachten kurz, dann kam Wilson zu einem ernsten Thema zurück. „Was denken sie von diesem Krieg?“
„Offiziell ist es ja ein Konflikt“, berichtigte Picoli. „Ich habe Angst. Erlaubnis, offen zu sprechen, Sir?“
„Erteilt“, bewilligte Wilson den Wunsch des Private, offen sprechen zu dürfen.
„Es ist alles Scheiße, was wir hier verzapfen, Sir.“
Wilson hob eine Augenbraue. Das war neu! „Wieso das?“
„Nun, diese gesamte NATO-Operation. Ich habe das Gefühl, als würde daraus genau so ein Debakel, wie wir es im Irak erlebten.“
Seit dem Angriff auf den Irak 2004 waren viele Soldaten und Zivilisten gestorben. Viele Anschläge, aber auch der Aufstand in Faludscha 2006, der fast drei Wochen dauerte, oder der Angriff auf das Empire State Building 2008 hatte ihren Tribut gefordert.
„Wir haben es im Irak mit organisierten Terrorverbänden zu tun“, gab Wilson zu bedenken.
„Und hier ist es eine organisierte Armee!“, warf Picoli zurück.
Wilson sah ein, dass der Private recht hatte.
Sie hatten auch keine Chance, ihr Gepräch fortzuführen, da sie in diesem Moment von einer Militärpatrouillie angehalten wurden. Picoli und Wilson gaben ihre ID-Cards an den Militärpolizisten weiter. Der zog die Karten durch den Scanner, reichte sie zurück und salutierte.
Wilson und Picoli taten es ihm gleich. Dann gab Picoli Gas und steuerte den Wagen durch ein Wüstencamp, in dem etwa 2000 Mann des zweiten Infanterieregiments der siebten Panzerdivision hausten. Mehrere Bradley-Schützenpanzer, in Militärsprache auch als Infanterieunterstüzungspanzer oder bewaffneter Infanterietransporter bekannt, säumten den engen Weg, den sie nun entlang fuhren.
Picoli lenkte den Wagen auf einen freien Platz vor dem Kommandozelt, wo sie hielten und Wilson ausstieg. „Nicht wegfahren“, ermahnte er den Private.
Der grinste. „Kann ich nicht, bin ja jetzt ihnen unterstellt!“
Wilson tappte mit der flachen Hand gegen das Verdeck und ging zum Zelt, das er dann betrat. Dort stand Major Belushi mit sieben anderen Offizieren. Alle wandten sich ihm zu.
„Lieutenant, da sind sie ja!“, gab Belushi von sich.
„Sir“, Wilson salutierte.
Belushi winkte ihn heran. Als er zum Tisch trat, auf dem eine große Karte der Grenze zwischen Irak und Syrien war, konnte er erkennen, dass sich dort zwei Amerikaner, ein Brite, ein Franzose, ein Deutscher, ein Russe und ein Italiener befanden, die mit Belushi über der Karte brüteten.
„Lieutenant Wilson ist die Person, die wir benötigen. Er hat die nötige Erfahrung und ist verwegen genug, dieses Unternehmen durchzuziehen.“
Die Offiziere sahen ihn abschätzend an. „Hm, ich hoffe, sie sind so gut, wie Belushi sagt.“, sprach ihn der Italiener an.
„So eine Operation ist schwer.“, ergänzte der Deutsche. „Es kann viel schiefgehen.“
„Ich habe volles Vertrauen in sie“, sagte der Brite.
„Wenn sie erlauben, meine Herren.“, würgte Wilson alles, was noch gekommen wäre, ab. „Ich wüsste erstmal gerne, worum es geht“
„Sie übernehmen ein neues Kommando. Ihnen wird die Alpha-Kompanie unterstellt. Außerdem werden ihnen noch Truppen unserer NATO-Partner unterstellt.“
„Ein ungewöhnliches Team“, meinte Wilson unbesonnen.
„Ein ungewöhnlicher Auftrag“, kam es zurück. „Unsere Truppen kämpfen immer noch hier im Irak gegen die Syren. Da die aber, wenn wir sie schlagen, zurückfluten, gibt uns das die Gelegenheit, ihnen wortwörtlich den Hahn abzudrehen. Und zwar hier“, Belushi knallte die Faust auf eine Stelle auf der Karte.
„Eine kleine Stadt?“ Wilson war überrascht.
„Nicht nur eine kleine Stadt. Dort sind: Ein Nachschublager, ein Flugplatz, auf dem selbst große Militärmaschinen landen können und die Hauptmarschroute des Feindes.“
Wilson nickte. „Hmm. Eigentlich würde mich das begeistern. Aber warum schicken wir keine große Kampfeinheit?“
„Die sind alle im Einsatz. Wir sind das einzige Regiment in Reichweite und verfügen über keinen Kampfpanzer. Daher müssen Bradleys und Infanterie reichen.“
„Verstehe. Wie sieht es mit Unterstützung und Nachschub aus?“
„Kommt nach, sobald sie den Flughafen haben.“
Wilson nickte. Okay, dachte er. Ich mach's.
Dass er das Letzte ausgesprochen hatte, fiel ihm auf, als sich die Mienen der anderen aufhellten.
„Sehr schön!“, Belushi nickte ihm anerkennend zu. „Ihre Einheit befindet sich einen Kilometer nördlich.“
Wilson salutierte und verließ das Zelt.
Vor dem Humvee stand Picoli und rauchte eine Zigarette. Als er Wilson sah, straffte er sich. „Taxidienst. Wo wollen sie hin?“
„Alpha-Kompanie. Seit wann rauchen sie?“
„Seit zwei Jahren.“, kam die Antwort, als die beiden einstiegen.
Nachdem Picoli den Motor angelassen hatte, folgte eine kurze Fahrt zu den wartenden Soldaten der Alpha-Kompanie.
„Was is nu, Chef?“, fragte Picoli betont zwanglos.
„Hm, ich habe das Kommando über die Alpha-Kompanie und andere Einheiten.“
„Also ich bin dabei, wenn sie wollen.“
„Ja, Picoli, das wäre gut.“
Picoli lenkte den Wagen an einer Gruppe Bradleys vorbei, vor denen Soldaten standen und diskutierten.
„Halten sie“, befahl Wilson. Nachdem Picoli gebremst hatte, stieg er aus und ging zu den Soldaten.
Picoli sah zu, wie er einen kurzen Wortwechsel führte. Ihm persönlich gefiel der Lieutenant gut. Er war nett und wusste genau, was er mit seinen Männern machen konnte, und was nicht. Als Wilson zurückkam, hatte Picoli Zeit, ihn zu mustern. Er trug, wie alle, diesen typischen amerikanischen Wüstentarnanzug. Den hellbraun-sandfarbenen-weißen Grundton mit den verschiedenen Rot- und Brautönen. Darüber trug er eine wald- beziehungsweise dschungelfarbene Tarnweste. Auf seinem Helm trug er die schwarze, obligatorische Windschutzbrille, die im Notfall seine blauen Augen verdecken sollte, wenn wieder einer dieser Sandstürme ins Haus stand.
Er sah halt wie ein typischer, perfekter amerikanischer Soldat aus. Allerding hatte er den M4 Karabiner im Wagen gelassen. Das störte das Erscheinungsbild.
Wilson sah kurz zu Picoli, dann wandte er sich zurück und rief: „Drei Minuten!“
Picoli beobachtete die Männer, die sich nun zerstreuten, während die Bradleys ihre Panzermotoren anließen. Das knallende Geräusch hörte sich wie eine Reihe von Donnern an, die zu einem Stakkato wurden. Dann liefen die Motoren rund, das Geräusch wurde leiser und die Infanterie stieg in oder auf die Panzerfahrzeuge. Im Rückspiegel konnte Picoli sehen, dass Lkws ihren Platz einahmen.
Wilson riß die Tür des Wagens auf, stieg ein und knallte die Tür zu, um gleich darauf das Fenster herunterzukurbeln. Er hob die Hand, legte Zeige- und Mittelfinger aneinander und stieß sie zweimal nach vorne. „Fahren sie los. Nicht zu schnell.“
Picoli erhöhte die Geschwindigkeit und der Verband setzte sich in Bewegung.
Natürlich war es keine atemberauschende Geschwindigkeit, die sie an den Tag legten, aber sie kamen voran. Da es Nacht war, mussten sie nicht besonders schnell fahren. Das konnten sie auch nicht, da sie sonst zu starke Motorgeräusche verursacht hätten, und das wollte keiner riskieren.
Wilson saß neben Picoli, und plötzlich fiel ihm ein, dass sein Großvater 1944 über der Normandie abgesprungen war, und somit zur Invasion in Europa beigetragen hatte. Dass er, Jeffrey Wilson, ebenfalls zu einer Invasion beitrug, die die Welt verändern würde, machte ihn stolz, aber es besorgte ihn auch, denn wenn er sich einen Fehler erlaubte, würde die gesamte Operation schieflaufen. Das wollte er vermeiden.
Er kramte das Bild von Jessica aus seiner Brusttasche und begann, es im fahlen Mondlicht zu mustern.
Nach wenigen Sekunden schlief er ein.
Fast eine Stunde später passierte der Verband die Grenze nach Syrien. Zwei zerstörte Wärterhäuschen wiesen darauf hin. Picoli sah zu Wilson, der wieder aufgewacht war. „Alles klar, Chef?“
„Ja, Picoli“, gähnte der Angesprochene und sah sich um. „Wo sind wir?“
„Wir haben gerade die Grenze passiert und erreichen in sechs Stunden den Halafipass.“
„Gut“
Wilson nickte und sah in die Dunkelheit hinaus. Er war sich nicht sicher, aber er hatte so ein Gefühl, als ob er nicht zurückkommen würde.
Der Verband passierte die Grenze und verschwand allmählich in der Nacht.
Ende