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Der Straßenbahnschaffner

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18.01.2004
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Der Straßenbahnschaffner

Der Straßenbahnschaffner:

Der Straßenbahnschaffner:

Ich bin Straßenbahnschaffner, fahre die Linie 1 durch die Stadt und Abends, wenn meine Bahn im Schuppen steht, gehe ich noch einmal mit der Taschenlampe durch die Waggons. Nachschauen ob alles in Ordnung ist.

Heute ist der 24. September. Ich lasse den Lichtkegel meiner Taschenlampe über die orangenen Sitzschalen gleiten.

Ich bin 19 Jahre alt, mittelgroß, mittelblond und mittelmäßig gutaussehend. Ganz durchschnittlich, denke ich, gar nicht so übel. Ein durchschnittlicher Straßenbahnschaffner eben.

22 Uhr, der letzte Waggon. Sie sitzt da und weint. Ich setze mich zu ihr, lege meinen Arm um sie und frage was los ist. Sie antwortet nicht. Dann reiche ich ihr mein Taschentuch, frage, ob ich sie nach Hause bringen soll. Keine Antwort.

Ich nehme sie mit in meine Wohnung, überlasse ihr mein Bett. Schlafe auf der Couch.

Ich bin Straßenbahnschaffner und fahre die Linie 1 durch die Stadt.
Ich bin zufrieden mit meiner Arbeit, und Abends, wenn ich nach Hause komme, sehe ich meistens noch eine Weile fern.

Heute ist der 25. September. Ich komme nach Hause und schalte den Fernseher an. Was gestern geschehen ist, habe ich schon längst wieder vergessen.

Ich bin Straßenbahnschaffner und fahre die Linie 1 durch die Stadt.
Jeden Morgen auf dem Weg zur Arbeit schaue ich mir die Angebote im Schaufenster des Reisebüros an. Dann gehe ich weiter.

Heute ist der 26. September. Ich lese: 3 Wochen Australien, nur 1.999 DM. Schon immer wollte ich nach Australien, aber es wird wohl für immer ein Traum bleiben.

Ich bin Straßenbahnschaffner und fahre die Linie 1 durch die Stadt.
Freitags habe ich meinen freien Tag. Morgens gehe ich dann immer zum Kiosk an der Ecke und kaufe mir eine Zeitung.

Heute ist der 27. September und auf der Titelseite steht in großen schwarzen Buchstaben: Selbstmord: Unbekannte wirft sich vor eine Straßenbahn. Darunter ihr Bild. Erkenne sie wieder.

Ich gehe nach Hause, nehme ein weißes Papier und schreibe darauf: Ich kündige! Stecke es in einen Umschlag und schicke es ab. Dann gehe ich ins Reisebüro und buche einen Flug nach Australien. Der Fernseher bleibt heute aus.

DL 1998

 
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Hallo,
ich muss dir leider sagen, dass mir deine Geschichte von der Umsetzung her überhaupt nicht gefallen hat. Für mich wirkt sie hingeschludert, nicht durchdacht einfallslos. Die Grundidee ist ja an sich gar nicht so schlecht, aber man muss solch eine Idee auch umsetzen.
Die Wiederholungen wirken in dieser Geschichte eher wie Platzschinderei, damit die Geschichte nicht zu kurz wird. Ein Tipp: Schreibe lieber eine kurze Geschichte, wenn dir keine lange einfällt.
Weiter muss ich feststellen, dass man zu dem Schaffner keine Beziehung aufbauen kann, er wirkt nicht wie ein Mensch, mit dem man in Verbindung tritt. Die Details scheinen ohne weitere Bedeutung, und wenn man sich trotzdem Mühe gibt, eine Verbindung aufzubauen, ist man schon durch, bevor es ansatzweise funktioniert.

Du solltest dir auch noch einmal die Rechtschreibung angucken, die Bindestriche gehören alle nicht dahin.
Ausserdem lässt du ständig das Subjekt weg, was aber nur nach schlechten Stil aussieht und nichts vermittelt.

Tut mir Leid, dass mein Urteil so ausfallen musste, aber du solltest deine Geschichte mMn komplett überarbeiten.
Grüße
Arthuriel

 

Hallo,
Danke für den Hinweis mit den Trennungsstrichen. Habe das sofort verbessert. Ich hoffe, ich habe keinen übersehen.

Alles andere werde ich aber nicht ändern. Die Wiederholungen und die fehlende Subjekte sind von mir bewusst gewählte Stilmittel.
Ursprünglich war die Geschichte dreimal so lang und ich habe sie dann auf das, meiner Meinung nach, Nötigste gekürzt. Es sollte nur eine Momentaufnahme aus dem Leben eines jungen Mannes sein. Den Rest wolte ich der Fantasie des Lesers überlassen.

Natürlich ist Stil auch Geschmacksache. Wenn es Dir nicht gefällt ist das auch ok. Wäre ja langweilig, wenn wir alle auf das selbe stehen würden.

Nochmals Danke!
puregold

 

Mir ging beim Lesen direkt ein Lied durch den Kopf: Wir sind die Roboter, von Kraftwerk. Wie die Melodie wirkt Deine Geschichte: kalt, kraft- und emotionslos. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie so wirken soll - eine Kündigung, eine Reise und damit die Erfüllung eines Traumes, das sind doch keine Dinge, die man mal eben so macht, völlig eingebettet in den Alltag.

Dein Protagonist agiert mechanisch, irgendwie gedankenlos. Und so hinterlässt die Geschichte nichts bei mir. Außer Verstörung - aber aus den falschen Gründen.

 

Hallo,

Danke für Deinen Kommentar.
Deine Antwort erinnert mich wieder daran, warum ich eigentlich schreibe: Nicht um Antworten zu geben sondern um Fragen aufzuwerfen.
Ich will nicht, dass Du verstehst. Ich will, dass Du nachdenkst. Und das scheint mir ja gelungen zu sein.
Grüble also ruhig noch eine Weile darüber nach und wenn Du verstanden hast, gib mir Bescheid. Vielleicht werde ich dann auch verstehen, warum ich geschrieben habe, was ich geschrieben habe.

puregold

 

Hallo
Wenn du sagst, der Leser solle nachdenken, werde auch ich dies einmal tun. Die einzige Erklärung, die mir auf die Frage, warum du so emotions-, kraftlos und unberührend geschrieben hast, einfällt, ist dass du Anhänger eines totalen Nihilismus bist und damit die Einstellung vertritts, dass es im Grunde sowieso alles völlig egal ist.
Jedenfalls ist das die einzige Frage, die sich bei mir aufwirft, und die Antwort die logische.
Arthuriel

 

Hallo
ich habe deine geschichte und die dazu gegebenen Kommentare gelesen und hab mir gedacht, da muss ich mich mal einschalten.
Es gibt das tolle Sprichwort "Weniger ist mehr" und ich glaube, das trifft in deinem Fall voll zu. Schönheit liegt oft in den verborgenen Dingen, Sinn ergibt sich beim Schreiben und Lesen oft erst durch Vorstellungskraft und durch ergiebiges Nachdenken.
Ich denke, die Faszination, die von deiner Geschichte auf mich überspringt rührt daher, dass sie überhaupt nicht versucht, Gefühle zu übermitteln, wie das die meisten anderen tun, sondern einfach nur sozusagen berichtet. Jedoch finde ich, ist es genau diese Art von Stilform, die einem mehr vermittelt, als man auf den ersten Blick zu sehen glaubt. Es wird einem klar, wie leer das Leben dieses Schaffners doch ist und wie sehr er sich eigentlich doch nach etwas anderem sehnt (Reisebüro, etc...) und sich doch nicht so recht traut. Erst als er einen Anschub bekommt, der zwar aus etwas Negativem (Tod von Mädchen) hervorgeht, aber schließlich etwas Positives verursacht, wacht er auf und beschließt sein Leben zu ändern. Ich finde es hierbei als Leser nicht relevat, eigentlich fast nicht wissenswert, was für eine Art Mensch dieser Schaffner nun ist, was für Gefühlsmomente er durchlebt, weil ch merke, dass es dem Autor um etwas anderes geht.
Einer unser größten Nachkriegsschrifsteller, Wolfgang Borchert selbst hat sich sehr oft dieses Stilmittels bemächtigt und steht heute im Lehrplan jedes deutschen Gymnasiums.
Es ist sicherlich eine Geschmackssache, da hast du recht und ich würde mich auch nicht runtermachen lassen.
Picasso wurde auch für das verachtet, was er getan hat, aber nur, weil ihn keiner verstanden hat.
Ich finde deine Geschichte gut und hoffe, du machst weiter so.
Gruß b

 

Hallo Ben,

deine Antwort hat mich sehr ermutigt. Immerhin einer, der mich versteht. :-)
Viele lesen, denke ich, gerne Geschichten, in denen ihnen eine Fülle von informationen gegeben wird. das ist bequem, da muss man nicht nachdenken, seine Vorstellungskraft nicht bemühen. Aber dann kann man, meiner meinung nach, genau so gut fernsehen.
Ich schätze es sehr, dass Du Dir die Mühe gemacht hast, nochmal genauer hinzusehen um all die kleinen Hinweise zu finden, die der Vorstellungskraft helfen können, das Puzzle endgültig zusammenzusetzen. Du hast es verstanden. Großes Lob!
Vielen Dank für die super Ermutigung!

puregold

 

Natürlich kann man Gefühle oder Stimmungen auch dadurch vermitteln, indem man sie nicht beschreibt, sondern sie auf andere Art beim Leser erzeugt. Diese Art fehlt mir hier aber, weil es einfach eine Aneinanderreihung von Tätigkeiten ist, die mir nur tristen Alltag zeigen (eben durch die Art des Textes). Und genauso wirkt auch das Ende, das doch eigentlich die Erlösung aus dem Alltag darstellen soll (oder nicht?)

Ben: zu Dir ein paar kurze Worte:
a) wird puregold hier nicht verachtet, nur weil es keine überschwenglichen Kritiken gibt, also hinkt der Vergleich mit Picasso und
b) gib mir ein Beispiel, wo puregold hier "runtergemacht" wird.

 

Hallo Puregold,

erstmal herzlich willkommen bei KG.de

Wenn ich deine Geschichte lese, fallen mir zumächst die schlichten knapp aufeinander folgenden Sätze auf, die ein kleines Drama beschreiben.
Wenn dein Thema ist, wie ein schlichter Mann seine Gefühle beschreibt und wie er sie lebt, ist dir das gut gelungen.
Da ist kein Platz für irgendeinen Pathos, da ist nur die schlichte Aufeinanderfolge von Geschehnissen und Taten.
Dein Prot erscheint mir allerdings doch etwas übertrieben schlicht. Er tat mir leid in seiner restringierten Art mit Worten und Gefühlen umzugehen.
Allerdings erscheint mir gerade auf Grund seines Mittelmaßes, auf Grund seiner Schlichtheit unwahrscheinlich, dass er am nächsten Abend vergessen hat, dass er noch eine Nacht zuvor das Mädchen bei sich zu Gast hatte.
Ich habe erstmal in deinem Profil geschaut, ob du eventuell schon andere Geschichten hier hat, um zu sehen, wie du sonst so schreibst. So ist mir leider nicht klar, ob dieser Minimalismus Stil dieser Geschichte ist, oder ob er sich durch dein Oevre durchzieht. Wäre schön, zu wissen, ob du auch anders schreiben kannst.

Lieben Gruß, sim

 
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Hallo Sim,

ich habe vor, nächste Woche irgendwann noch eine zweite Geschichte zu posten. Ich weiß nur noch nicht genau welche. Vielleicht sollte ich ja mit Absicht eine ganz andersartige auswählen. Mal schauen. lasst Euch überraschen.

puregold

 

Hallo,
um noch mal auf das obengesagte zurückzukommen, natürlich kann es gut sein, eine Geschichte knapp zu formulieren, ohne überschwengliche Beschreibungen, um so die Phantasie des Lesers zu reizen. Genau das hat Borchert getan, wie oben schon erwähnt. Mir fehlt aber das gewisse Etwas in dieser Geschichte, dass mich dazu bewegt, weiter nachzudenken.

Und die Aussage, eine gut beschriebene Geschichte wäre wie Fernsehen und daher stumpfsinnig, also bitte. Dann müssten wir die Werke vieler großer Autoren mit RTL gleichsetzen, und ich kann mir nicht vorstellen, dass damit irgendwem geholfen wäre. Und wenn eine ausführliche Geschichte deine Phantasie nicht anregt, nun, dann entgeht dir was.
Nichts für ungut
Arthuriel

 

Hallo Arthuriel,

wie schon gesagt, das ist Geschmackssache.
Wenn Du die anderen Beiträge gelesen hast, wirst Du mit Sicherheit festgestellt haben, dass es da doch einige gibt, denen die Geschichte super gefallen hat. Ich finde es schade, dass sie Dir nicht gefallen hat, aber Geschmäcker sind nun mal verschieden.
Aber, vielleicht willst Du mir ja verraten, wie Deiner Meinung nach dieses gewisse etwas aussehen sollte. Dann könnte ich nämlich darüber nachdenken, diesen Tipp vielleicht in einer späteren geschichte zu verwenden. Ich bin immer offen für Tipps und Inspiration. Weniger offen bin ich dafür, immer auf dem selben rumzureiten ohne dabei vorwärts zu kommen. ich bin hier um von Euch allen zu lernen. Also lehre mich, wenn Du kannst. Wie sieht es aus, dieses "gewisse Etwas"?
Freue mich wirklich auf deine Antwort!

puregold

PS: An alle die das mit dem Mädchen angemerkt haben. Ihr habt recht. Es ist unlogisch, dass er ihren Besuch vergessen hat. Ich denke gerade darüber nach, wie ich das ändern könnte. irgendwelche Tipps?

 

Hallo Puregold,

er könnte am nächsten abend einen Zetttel von dem Mädchen finden auf dem sie sich für die Hilfe bedankt.

Lieben Gruß, sim

 

Hi
an Webmaster: Gut, ich hab mich etwas extrem ausgedrückt, tut mir leid. Ich denke, es ist aber klar geworden, was ich sagen wollte.
Gruss b

 

Hallo,
ich hätte zwei Vorschläge, was ich besser gefunden hätte, aber wie du richtig angemerkt hast, ist das Geschmacksache.

Zum einen das mit den Wiederholungen.
Ich fände es besser, wenn sich nur ein Satz wiederholen würde, statt zwei. Vieleicht könnte man sie auch zusammenfassen, dass wäre wohl auch ok.
(Falls einer nicht weiß, welche ich meine:

Ich bin Straßenbahnschaffner und fahre die Linie 1 durch die Stadt
und
Heute ist der 24. September
. Vielleicht könntest du soetwas wie
Heute ist der 24. Dezember und ich bin ein Straßenbahnschaffner, der die Linie 1 durch die Stadt fährt
daraus machen, als Beispiel.

Zum anderen gefällt mir die Abgehacktheit vieler Sätze nicht, was ich auch schon einmal sagte. Ohne Details und allgemein zu schreiben heißt nicht, auf "schöne" Sätze zu verzichten.
Einige Beispiele für das:

Nachschauen ob alles in Ordnung ist.
Schlafe auf der Couch.
Erkenne sie wieder.
Vielleicht könntest du die Sätze zusammenfügen und dadurch mehr Gliedsätze schaffen.

An manchen Stellen hätte mich auch etwas mehr, wie soll ich sagen, Raffinesse in der Sprache gefreut.

22 Uhr, der letzte Waggon. Sie sitzt da und weint. Ich setze mich zu ihr, lege meinen Arm um sie und frage was los ist. Sie antwortet nicht. Dann reiche ich ihr mein Taschentuch, frage, ob ich sie nach Hause bringen soll. Keine Antwort.
An diesem Absatz, zum Beispiel, müsste sprachlich noch etwas mehr geschehen. Ich kann nicht genau sagen, was ich lesen möchte, dann hätte ich die Geschichte ja auch geschrieben. Für mich jedoch fehlt an dieser und anderen Stellen etwas.
Da Borchert in diesem Tread schon erwähnt wurde, werde ich versuchen, an einer seiner Geschichten, "Das Brot", es deutlich zu machen. Dort gibt es zum Beispiel die Kälte des Fussbodens. Dies mag nicht allzu wichig erscheinen, jedoch stellt soetwas eine Beziehung zum Leser her.

Aber all dies ist Geschmacksache und jeder sollte über seinen frei verfügen dürfen.
Arthuriel

 

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