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Der Staubteufel

Lee

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06.08.2015
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Der Staubteufel

An einer grünen Flussgabelung inmitten einer weiten Wüste steht eine Stadt, eine prächtige Handelsmetropole. Aus der Ferne blenden die goldenen Türme und Minarette die vielen fremden Gäste. Von Leben erfüllte Gärten und Gassen durchziehen ihr Inneres, wachsen hemmungslos und freudig.
Sie hat allem getrotzt, Betrug und Lügen durchschaut, hat sich durch falsche Erwartungen und zerschmetterte Hoffnungen nicht bezwingen lassen, sich keiner fremden Macht gebeugt. Sie hat sich ihre Schönheit bewahrt, doch wer sucht, findet in ihren Tiefen nie verheilte Narben.
Im Zentrum ihrer verworrenen Straßen, versteckt hinter hohen Mauern, liegt ein solches Geschwür. Ein vergessener Hinterhof, nicht größer, als das Innere einer alten Kapelle. Er ist alt und ausgetrocknet, keine Pflanzen wachsen hier. Nichts als Stein und Staub. Der Boden ist durch Unzufriedenheit und das Verlangen des Unterbewussten aufgerissen.

An diesem Platz treffen sich, sanft auf einer Brise die Stadt erkundend, zwei Meinungen.
Unsichtbar stoßen sie aufeinander und verhaken sich.
Sie versuchen sich wirbelnd loszureißen und scheitern. Sie drehen sich, versuchen den anderen zu übertreffen, sich durchzusetzten, aber ohne Erfolg. Gegenseitig füttern sie sich in ihrem Zorn, wirbeln das Erdreich um sich herum auf, sie fressen, was sie bekommen und versuchen so, ihren verzweifelten Kampf zu überwinden. Sie wachsen und steigen, werden gleichsam stärker und schneller in ihrer sinnlosen Rotation, bis sie untergehen, sich nicht mehr erkennen und als wütender Staubteufel auferstehen.
Mit wiegenden Hüften tanzt er seinen wilden Tanz, wirft sich gegen die schon bröckelnden Mauern, versucht zu entkommen, verleibt sich Steine ein und schleudert sie gegen sein Gefängnis, bis eine Schwachstelle dem neu erwachten Zorn erliegt und den Weg freigibt.
Der Teufel lacht und springt einfüßig durch die Bresche.

Er durchwandert die Stadt, stößt auf den Markt, frisst grinsend die Stände, erschlägt die Händler mit den eigenen Kürbissen, stiehlt den Müttern ihre Kinder und schleudert sie in unentdeckte Brunnen und rattenverseuchte Schächte.
Er lässt die Gotteshäuser über Priestern und Gläubigen einstürzen und verteilt ihre Schätze in den Armenvierteln, wo sie einen von Habgier getriebenen Krieg unter ehemaligen Freunden entflammen lassen.
Er sammelt den Schmutz und die Krankheit aus den Gräben und dem Untergrund des Stolzes. Schadenfroh bemalt er Gärten und Villen mit der fauligen Farbe des Verfalls.
Er wütet unaufhaltsam und nachdem jede Straße, jeder Platz seinen Anteil am Zorn zu spüren bekommen hat, blickt der Staubteufel staunend auf sein Werk. Einen letzten Tanz bietet er seiner Stadt, dann wandert er in die Wüste und zerfällt zu nichts als Erinnerungen.

Die wenigen Überlebenden, verstört von der Macht dieser urplötzlichen Emotion, packen schweigend ihre letzten Habseligkeiten und verlassen die Stadt in zerstreuten Karawanen, ein jede einem unbekannten Ziel entgegen. Woher dieser wilde Untergang kam oder wer ihn heraufbeschworen hatte, kann niemand sagen.
Träume und Verbitterung sind alles, was sie zwischen den Ruinen zurücklassen.

 

Hallo Lee,

herzlich willkommen bei den Wortkriegern.

Die Geschichte liest sich flüssig. Markante Fehler sind mir nicht aufgefallen. Die Sprache ist auch bildhaft genug, um sich das Geschehen vorzustellen.

Träume und Verbitterung sind alles, was sie zwischen den Ruinen zurücklassen.
Bei mir bleiben Träume und Ratlosigkeit zurück.
Der Boden ist durch Unzufriedenheit und das Verlangen des Unterbewussten aufgerissen.
Dahinter steht eine Geschichte, die aber nicht erzählt wird. Es bleibt also eine gewisse Ratlosigkeit. Was ist dort Geschehen und hat dieses Ereignis etwas mit dem kommenden zu tun?
Verhaken sich die Meinungen, weil die alte Wunde sie gefangen nimmt? Überhaupt, weshalb Meinungen? So etwas wie Gerüchte? Meinungen der Menschen, der Parteien, der Priester?
Und dann die Verbitterung. Die interpretiere ich so, dass die Menschen über das Geschehen verbittert sind und mit ihrem Schicksal hadern. Aber warum fliehen sie denn? Der Staubteufel ist doch fort, einem Neuaufbau steht nichts im Wege. Oder? Wenn es mehrere Geschwüre in der Stadt gibt, wird es doch wohl auch immer wieder zu solchen Ausbrüchen kommen. War dieser Exzess so schwerwiegend, dass nichts mehr so ist, wie es mal war?

Ich habe den Eindruck, ein großer Teil der Geschichte fehlt. Aber das lässt sich ja ändern.

Liebe Grüße

Jobär

 

Liebe/r Lee,
zuerst ein Willkommen bei den Wortkriegern.
Mir gefällt dein wortgewaltiges Märchen, das du uns hier präsentierst. Eine Stadt wie aus ‚Tausend und eine Nacht’ entsteht vor meinen Augen. Sie liegt mitten in der Wüste, aber im Grünen, denn sie liegt an einer Flussgabelung. Im Märchen muss ich nicht danach fragen, wo genau diese Stadt liegt, ob es sie so geben kann.

Am Ende deiner Parabel benennst du, was in ihr eigentlich beschrieben wird:

(die) Macht dieser urplötzlichen Emotion

Dein Text lässt der Interpretation großen Spielraum. Ich kann jetzt nur meine Gedanken dazu formulieren. Konkret lässt er sich mMn auf den IS-Terror beziehen, allgemein aber auch auf den verbitterten Kampf unterschiedlicher Ideologien, aus dem dann etwas völlig Neues, etwas unkontrolliert Bedrohliches und Zerstörerisches entstehen kann. Emotionen regieren nun das Geschehen.

Sehr schön, wie du dieses Aufeinandertreffen der Meinungen beschreibst:

Unsichtbar stoßen sie aufeinander und verhaken sich.
Sie versuchen sich wirbelnd loszureißen und scheitern. Sie drehen sich, versuchen den anderen zu übertreffen, sich durchzusetzten, aber ohne Erfolg. Gegenseitig füttern sie sich in ihrem Zorn, wirbeln das Erdreich um sich herum auf, sie fressen, was sie bekommen und versuchen so ihren verzweifelten Kampf zu überwinden. Sie wachsen und steigen, werden gleichsam stärker und schneller in ihrer sinnlosen Rotation, bis sie untergehen, sich nicht mehr erkennen und als wütender Staubteufel auferstehen.

Entstanden ist etwas Neues, der Staubteufel, der tanzend wie ein Derwisch, alles vernichtet, aus Gutem sogar Böses macht:

Er lässt die Gotteshäuser über Priestern und Gläubigen einstürzen und verteilt ihre Schätze in den Armenvierteln, wo sie einen von Habgier getriebenen Krieg unter ehemaligen Freunden entflammen lassen.

Doch dein Text enthält auch einen Hoffnungsschimmer:

Einen letzten Tanz bietet er seiner Stadt, dann wandert er in die Wüste und zerfällt zu nichts als Erinnerungen.

Das sind meine Gedanken zu deinem Text. Möglicherweise geht meine Interpretation über das hinaus, was du erzählen möchtest. Ich bin gespannt auf deine Antwort.

Ein paar Kleinigkeiten zum Schluss:

versteckt hinter hohen Mauren

und versuchen so Komma ihren verzweifelten Kampf zu überwinden.

und den Weg freigiebt.

in zerstreuten Karavanen

Im Deutschen müssten wir wohl ‚Karawanen’ schreiben.

Lee, mir gefallen deine Bilder, mir gefällt deine Sprache.

Liebe Grüße
barnhelm

 
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Hola Lee,

willkommen und herzlichen Glückwunsch zum Einstiegstext!
Der hat mich beeindruckt – volle Kraft voraus!

In Deinem Profil schreibt Du:

... da ich selbst noch ein blutiger Anfänger bin.

Das, mein Lieber, kaufe ich Dir nicht ab. Bis jetzt gab’s nur ein Wunderkind – das war der kleine Mozart. Ich schreibe Dir Deines Schreibstils wegen, denn der hat für meine Begriffe alles, was es braucht für einen guten Text. Jawohl – alles.

Zum Inhalt Deiner Kurzgeschichte will ich nicht wild herumspekulieren, doch wenn es in Richtung Apokalypse geht, hast Du mit dieser geballten Ladung die rechten Maße.

Wäre nicht der Tag ‚Philosophisches’ treffender als ‚Romantik’? Und hier hakelt es:

Der Teufel lacht und springt einfüßig durch die Bresche.

Ich glaube, der Teufel hat zwei Füße, auch wenn der eine ein Pferdefuß ist.

Lee, großes Kompliment, diese gewaltige Geschichte kommt bei mir allerbestens an. Ich liege schon auf der Lauer, um mich auf Deine nächste KG zu stürzen.

José

 

Vielen Dank, für eure Meinungen und Ratschläge!

Ich habe beim schreiben meiner Geschichte weder an den IS, noch an eine Apokalypse (eventuell nah dran) gedacht, wobei mir beide Interpretationen sehr gefallen.
Es geht mir eher um das Ende einer langen Beziehung durch einen plötzlichen, fast grundlosen Streit. (Deshalb auch Romantik :-P)
Ich habe wohl ein wenig zu kryptisch geschrieben und werde sehen, wie ich meine Geschichte diesbezüglich verbessern kann. Ein kleiner Satz am Anfang hilft hier vielleicht.

Der Teufel hat zwei Füße, aber ein Staubteufel, also ein kleiner Tornado oder Wirbelsturm, nur einen.
Den Satz würde ich ungern anpassen, ich mag ihn. :)

Dein großes Lob bedeutet mir viel José! Es ist tatsächlich meine allererste Geschichte, ich habe nie zuvor geschrieben, aber lese sehr, sehr, sehr viel.

Die Rechtschreibfehler werde ich sofort korrigieren!

Liebe Grüße,
Lee

 

An sich bin ich überhaupt kein Freund solcher Texte, ich nenn sie jetzt mal symbolistisch, oder parabelhaft, egal, und wenn mich da nicht sofort irgendeine Assoziation daraus anspringt, hab ich dann auch selten Lust, großartig was rein zu interpretieren. Ich wäre also der typische Nichtleser für deine Geschichte, Lee, und trotzdem hat sie mir gefallen.
Warum? Weil ich ein ähnlich stilverliebter Schöngeist wie José bin, und mir tolle Sprache allemal mehr wert ist als der noch so raffinierteste Plot.
Ja, gut schreiben kannst du wirklich. Wenn du dir irgendwann auch noch eine gute Story einfallen lässt, hast du mit mir einen sicheren Leser, kannst dich drauf verlassen.


Drei Kleinigkeiten sind mir aufgefallen:

nie verheilte Narben
Das ist für mich ein klassisches Oxymoron. Ich würde nie verheilte Wunden schreiben.

erschlägt die Händler mit den eigenen Kürbissen,
eventuell: mit deren eigenen Kürbissen.

in zerstreuten Karawanen, ein[e] jede einem unbekannten Ziel entgegen.

Willkommen bei uns, Lee.

offshore

 
Zuletzt bearbeitet:

:(Hola Lee,
ich noch mal - denn die besten Blamagen bereitet man sich selbst!
Aber tatsächlich habe ich noch nie den Ausdruck Staubteufel für einen kleinen Tornado gehört. Peinlich, peinlich.

Der Teufel hat zwei Füße, aber ein Staubteufel, also ein kleiner Tornado oder Wirbelsturm, nur einen.
Den Satz würde ich ungern anpassen, ich mag ihn.

Um Gottes Willen! Lass den bloß stehen! Tut mir leid, Lee - da war ich beispiellos uninformiert.
Soll nicht wieder vorkommen:(.

José

 

Hallo Lee,

das sind tolle Bilder, die du benutzt. Und deine Sprache ist mitreißend und wortgewaltig.

Du schreibst, dass du an einen Streit in einer Beziehung gedacht hast. Ich hatte beim ersten Lesen eher Richtung Politik gedacht. Aber ob im Kleinen oder Großen, das Prinzip ist ja gleich.

Sie hat sich ihre Schönheit bewahrt, doch wer sucht, findet in ihren Tiefen nie verheilte Narben.

Sie wachsen und steigen, werden gleichsam stärker und schneller in ihrer sinnlosen Rotation, bis sie untergehen, sich nicht mehr erkennen und als wütender Staubteufel auferstehen.

Wie so alles außer Kontrolle gerät und nur noch zerstörerisch ist, wie du der Lust des Staubteufels das Leid der Menschen, ihre Fassungslosigkeit zugesellst, das gefällt mir sehr gut.

Der Boden ist durch Unzufriedenheit und das Verlangen des Unterbewussten aufgerissen.

Das "Unterbewusste" stört mich hier, das ist ein Fachausdruck, und passt nicht zu dem Rest der so poetisch ist.

Herzlich willkommen hier, Lee!

LG Chutney

 

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