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Der Staubteufel
An einer grünen Flussgabelung inmitten einer weiten Wüste steht eine Stadt, eine prächtige Handelsmetropole. Aus der Ferne blenden die goldenen Türme und Minarette die vielen fremden Gäste. Von Leben erfüllte Gärten und Gassen durchziehen ihr Inneres, wachsen hemmungslos und freudig.
Sie hat allem getrotzt, Betrug und Lügen durchschaut, hat sich durch falsche Erwartungen und zerschmetterte Hoffnungen nicht bezwingen lassen, sich keiner fremden Macht gebeugt. Sie hat sich ihre Schönheit bewahrt, doch wer sucht, findet in ihren Tiefen nie verheilte Narben.
Im Zentrum ihrer verworrenen Straßen, versteckt hinter hohen Mauern, liegt ein solches Geschwür. Ein vergessener Hinterhof, nicht größer, als das Innere einer alten Kapelle. Er ist alt und ausgetrocknet, keine Pflanzen wachsen hier. Nichts als Stein und Staub. Der Boden ist durch Unzufriedenheit und das Verlangen des Unterbewussten aufgerissen.
An diesem Platz treffen sich, sanft auf einer Brise die Stadt erkundend, zwei Meinungen.
Unsichtbar stoßen sie aufeinander und verhaken sich.
Sie versuchen sich wirbelnd loszureißen und scheitern. Sie drehen sich, versuchen den anderen zu übertreffen, sich durchzusetzten, aber ohne Erfolg. Gegenseitig füttern sie sich in ihrem Zorn, wirbeln das Erdreich um sich herum auf, sie fressen, was sie bekommen und versuchen so, ihren verzweifelten Kampf zu überwinden. Sie wachsen und steigen, werden gleichsam stärker und schneller in ihrer sinnlosen Rotation, bis sie untergehen, sich nicht mehr erkennen und als wütender Staubteufel auferstehen.
Mit wiegenden Hüften tanzt er seinen wilden Tanz, wirft sich gegen die schon bröckelnden Mauern, versucht zu entkommen, verleibt sich Steine ein und schleudert sie gegen sein Gefängnis, bis eine Schwachstelle dem neu erwachten Zorn erliegt und den Weg freigibt.
Der Teufel lacht und springt einfüßig durch die Bresche.
Er durchwandert die Stadt, stößt auf den Markt, frisst grinsend die Stände, erschlägt die Händler mit den eigenen Kürbissen, stiehlt den Müttern ihre Kinder und schleudert sie in unentdeckte Brunnen und rattenverseuchte Schächte.
Er lässt die Gotteshäuser über Priestern und Gläubigen einstürzen und verteilt ihre Schätze in den Armenvierteln, wo sie einen von Habgier getriebenen Krieg unter ehemaligen Freunden entflammen lassen.
Er sammelt den Schmutz und die Krankheit aus den Gräben und dem Untergrund des Stolzes. Schadenfroh bemalt er Gärten und Villen mit der fauligen Farbe des Verfalls.
Er wütet unaufhaltsam und nachdem jede Straße, jeder Platz seinen Anteil am Zorn zu spüren bekommen hat, blickt der Staubteufel staunend auf sein Werk. Einen letzten Tanz bietet er seiner Stadt, dann wandert er in die Wüste und zerfällt zu nichts als Erinnerungen.
Die wenigen Überlebenden, verstört von der Macht dieser urplötzlichen Emotion, packen schweigend ihre letzten Habseligkeiten und verlassen die Stadt in zerstreuten Karawanen, ein jede einem unbekannten Ziel entgegen. Woher dieser wilde Untergang kam oder wer ihn heraufbeschworen hatte, kann niemand sagen.
Träume und Verbitterung sind alles, was sie zwischen den Ruinen zurücklassen.