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Der Spiegel

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30.12.2015
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Der Spiegel

Ludovik Bresz war der Teufel. Jeder der ihn kannte, würde das vorbehaltlos bestätigen. Er war durch und durch böse, egoistisch, jähzornig, brutal, rücksichtslos und immer auf seinen Vorteil bedacht. Den Ausspruch “Leichen pflastern seinen Weg” konnte man im Zusammenhang mit ihm durchaus wörtlich nehmen. Sein Reichtum basierte zu einem großen Teil auf dem Leiden und dem Nachteil seiner unmittelbaren Umgebung. Nunmehr in den Fünzigern hatte er es durchaus zu etwas gebracht. Er nannte mehrere Ländereien sein Eigen, welche er zu Wucherkonditionen verpachtet hatte. Hier in der Gegend von Presbyte Leravika, gute zweihundert Kilometer von der Metropole entfernt, gab es nicht viel, mit dem die Landbevölkerung ihren Lebensunterhalt bestreiten konnte. Hier war selbst die Aussicht, einem Ungetüm wie Bresz das Land zu bestellen, eine Alternative, für die man noch dankbar sein musste.
Im Hause Bresz lebten einige Bedienstete, die täglich unter den Launen ihres Herrn zu leiden hatten. Es war schon des öfteren vorgekommen, dass eine der weiblichen Hauskräfte weinend und schreiend die Flucht ergriffen hatte, sei es, weil sie die unverhältnismäßige Bestrafung eines Fehlers zu erwarten hatte, sei es, weil sie nicht gewillt war, seinen unverschämten Zudringlichkeiten nachzugeben. Erst letzte Woche war ein junges Mädchen im Graben an der Landstraße nach Vleij von einem Bauern gefunden worden. Ihr Rücken war völlig geschunden, irgendjemand hatte sie halb totgeschlagen. Der Arzt, der sie untersuchte, kannte die Spuren, welche ihren Rücken entstellten.
“Er hat sie mit dem Ochsenziemer gezüchtigt, dieses Scheusal!” flüsterte er leise seinem Diener zu, der fassungslos das zerstörte Fleisch der Frau betrachtete. Erschüttert wandte dieser den Blick ab.
“Sie ist eine seiner Dienerinnen. Es sind die gleichen Spuren wie damals bei Janna.”
Der Arzt seufzte schwer. Erinnerungen stiegen in ihm hoch. Janna Derakovic war ein blutjunges Ding gewesen. Sie war bei Bresz angestellt, um in der Küche zu helfen. Eines Tages rutschte sie unglücklich aus und goss der Köchin die kochende Suppe über die Stiefel. Durch die Lappen, welche Sie an den Beinen trug, war der Fuß zwar davor geschützt ,völlig gekocht zu werden, jedoch musste die Köchin Ludmilla einige Tage behandelt werden, bis sie wieder arbeitsfähig war. Bresz war außer sich vor Wut. Er schmiss Ludmilla aus seinem Haus, weil sie ihm an diesem Abend kein Mahl zubereiten konnte und riet ihr, ihm nie mehr vor die Augen zu treten. Janna hingegen, die in Tränen aufgelöst vor ihm zusammenbrach, zog er an den Haaren nach draußen in die Kälte. Danach begann er unter wüsten Beschimpfungen wie von Sinnen auf sie ein zu prügeln.
Seine Raserei mäßigte sich erst, als ihre Schreie verstummten.
Achtlos ließ er sie liegen, ging ins Haus und schloss die Tür. Hinter der Scheune hatte ein Knecht das schreckliche Schauspiel mitangesehen und holte Hilfe. Er brachte den Arzt des Dorfes herbei, dem er schockiert das Drama schilderte. Der Arzt beugte sich fassungslos über das arme Ding und konnte nur noch mit stockender Stimme den Tod des Mädchens feststellen. Er schaute zur Tür, deren schwarzes massives Holz drohend vor ihm aufragte. “Ludovik Bresz, ich verfluche dich. Möge die Finsternis dich verschlucken und die Abgründe der Hölle dein Heim werden. Mögest du von nun an die Pein erleiden, welche du dieser armen Kreatur zugefügt hast!” Dann ging er wortlos fort.
Niemand wagte es, Ludovik Bresz für seine Tat zur Rechenschaft zu ziehen.
Im Hause Bresz gab es eine neue Attraktion. Auf einem seiner letzten Beutezüge hatte der Hausherr einen alten Spiegel ersteigert. Das Besondere an diesem Objekt war der Rahmen. Unzählige ineinander verschlungene Gestalten bevölkerten ihn. Angesichter von Dämonen und Unholden, die sich gegenseitig zu verschlucken schienen, deren Glieder miteinander verwoben waren. Eine Ansammlung der schrecklichsten Ausgeburten der Hölle, die den Anschein machten, als wollten sie jeden Moment den Rahmen sprengen und sich auf den Betrachter stürzen. Und erst das Glas! Nie zuvor hatte Ludovik ein so reines und klares Kristallglas erblickt. Er konnte stundenlang vor dem Spiegel stehen und sowohl sich selbst als auch den Spiegel als Kunstwerk betrachten, eine perfekte Symbiose von Geist und Gestalt. Er schien förmlich mit ihm verschmelzen zu wollen.
Auch jetzt wieder stand er vor dem Spiegel und gab sich seiner dämonischen Schönheit hin. Plötzlich fiel sein Blick auf eine Schliere, die offensichtlich erst durch die Art und Weise, wie das Mondlicht darauf schien, zur Sicht kam. Er schäumte augenblicklich vor Wut. Wieder einmal war seine Anweisung nicht korrekt befolgt worden. Er würde seine Dienerin schon lehren, wie man einen Spiegel putzt. Leider fiel diese Aufgabe in den Arbeitsbereich von Martha. Diese schlief nicht in seinem Hause, so dass er die Züchtigung erst am nächsten Morgen würde durchführen können. Wütend verließ er die Halle, um kurz darauf mit einem Lappen wiederzukommen. Fast zärtlich begann er, die verdreckte Stelle zu reinigen. Dieser Arbeit gab er sich einige Minuten hin. Dann trat er ein paar Schritte zurück und betrachtete sein Werk. Der Spiegel war wieder völlig sauber. Zufrieden steckte er das Tuch in seine Hosentasche, überprüfte noch einmal seine Arbeit und ging dann hinauf in sein Schlafgemach.
Er träumte sehr unruhig. Immer wieder wälzte er sich zwischen seinen Laken hin und her, bis er schließlich fahrig und verschwitzt erwachte. Wie spät mochte es sein? Sein Blick fiel auf den Vollmond, der in sein Fenster schien und das Zimmer in ein gespenstisches Zwielicht tauchte. Eine innere Unruhe erfasste ihn, noch völlig gefangen von dem verwirrenden Traum, welcher ihn bis eben noch bedrängt hatte. Die Ahnung von etwas Dunklem, das sich auf seinen Schultern niedergelassen hatte, wollte ihn nicht loslassen.
Ungehalten stapfte er in seinen Hauspantoffeln durchs Schlafzimmer. Irgendetwas lag ihm auf der Seele, ohne das er hätte sagen können, was. Er betrachtete den Mond, der seinen Blick gleichgültig erwiderte. Er lächelte böse. Die Vorfreude auf den morgigen Tag und die “Unterhaltung” mit seiner unfähigen Dienerin ließ seine Laune steigen. Wie weggeblasen war der Alpdruck, der soeben noch auf ihm gelastet hatte. Durst regte sich in seiner Kehle und er beschloss, sich ein Glas Wasser zu holen.
Der Weg zur Küche führte durch den Saal, in welchem der Spiegel hing. Er betrat den Saal und ging gedankenvoll in Richtung Küchentür. Es schien Regen zu geben, denn das fahle Licht des Mondes hatte sich mittlerweile verdunkelt, ein sicheres Zeichen, dass sich Wolken vor die weiße Scheibe gelegt hatten. Im Spiegelsaal war es mittlerweile stockdunkel. Er machte sich dennoch nicht die Mühe, ein Licht anzuzünden, er betrachtete das als völlig unnötige Geldverschwendung. Als er den Spiegel passierte, wurde es wieder heller im Saal. Offensichtlich hatten sich die Wolken verzogen. Er schaute zum Fenster und erblickte die gleiche Dunkelheit, die noch vor kurzem dort geherrscht hatte. Der Mond war nach wie vor nicht zu sehen. Er stutzte. Woher war der Lichtschein gekommen? Er machte auf dem Absatz kehrt und augenblicklich fiel sein Blick auf die Lichtquelle. Das Licht kam direkt aus dem Spiegel.
Neugierig trat Ludovik näher.
Das Licht chargierte, nahm zwischenzeitlich einen leicht blutroten Farbton an, um danach wieder gelblich-weiß zu werden.
Er trat näher und betrachtete das Schauspiel. Unschlüssig, was nun zu tun war, stand er vor dem Kristallglas, unfähig, seine Augen abzuwenden. Das Licht schien zu wabern, wie etwas Organisches, lebendig und pulsierend. Er schaute angestrengt in den Schein, konnte jedoch nichts erkennen. Er drehte sich um, um zu prüfen, ob das Licht nicht doch von irgendwo anders herkommen konnte. Aber da war nichts hinter ihm: die Strahlen kamen eindeutig aus dem Spiegel.
Die Fratzen, welchen den Umriss des Spiegels verunzierten, erschienen in diesem unwirklichen Schein noch schrecklicher, fast als wären sie lebendig. Er fixierte sie unschlüssig, aber sein Blick wanderte immer wieder zu der Lichtquelle.
Dann plötzlich wurde ihm kalt.
Er hatte das Gefühl, nicht mehr allein im Raum zu sein. Er drehte sich kurz um, sah aber niemanden.
Dafür schien das Licht im Spiegel an Intensität zuzunehmen. Er blickte wieder wie hypnotisiert hinein. Der Schweiß brach ihm aus. “Was geht hier vor?” sagte er mehr zu sich selbst. Wie in Trance bewegte sich seine Hand zur Oberfläche des Spiegels hin. Nur noch wenige Zentimeter trennten seine Fingerkuppen von der glatten Kälte des Kristalls.
Aber da war keine Kälte. Eine unnatürliche Hitze strahlte vom Glas aus. Er wollte seine Finger zurückziehen, aber er vermochte es nicht. Eine unsichtbare Macht schien die Kontrolle über seine Gliedmaßen übernommen zu haben. Wie fremdgesteuert strebten seine Finger der glatten Oberfläche zu...
...die überhaupt nicht glatt war. Seine Finger trafen auf keinerlei Widerstand und hilflos musste er mit ansehen, wie ein Teil seiner Hand in das nun flüssige Glas – oder was es nun auch immer sein mochte – eintauchte. Er quiekte wie ein Schwein. Mit der linken Hand versuchte er den Übergangsprozess umzukehren, in dem er die Hand zurückzog. Aber die Kraft von der anderen Seite des Spiegels war stärker. Unerbittlich wurde erst seine Hand, danach sein Arm und schließlich auch der Rest seines Körpers in den Spiegel gezogen. Verzweifelt kämpfte er gegen seinen Untergang, aber vergeblich. Das letzte was er sah, kurz bevor sein Kopf als letzter Körperteil auf die andere Seite gezogen wurde, waren die hell erleuchteten dämonischen Fratzen am Rand des Spiegels. Der Schrei erstarb auf seinen Lippen. Diesmal schienen sie tatsächlich zum Leben erweckt.
Ihr böses Lachen wirkte wie ein Willkommensgruss.
Am nächsten Tag wurde der Dorfarzt zu Svetlana gerufen, der neuen Köchin von Ludovik Bresz. Er hatte wildes Fieber an ihr diagnostiziert und ihr zur Beruhigung diverse Kräuter verschrieben. Aus diesen sollte ein Sud angedickt werden, deren Dämpfe sie dreimal täglich zu sich nehmen sollte, um die plötzlich auftretende Verwirrung zu lindern.
Sie hatte ihm so dermaßen wirres Zeug erzählt, dass er sich keinen Reim darauf machen konnte. Aber immerhin hatte sie bewirkt, dass seine Neugier geweckt worden war und nachdem er mit mehreren Leuten im Dorf geredet hatte und darüber informiert worden war, dass sämtliche Bedienstete des alten Teufels in Todesangst vom Hof geflüchtet waren, beschloss er, der Sache auf den Grund zu gehen. Er hatte den Dorfpfarrer als Unterstützung im Schlepptau, als die beiden gegen Mittag den Hof betraten. Keine Menschenseele war zu sehen. Auffällig war auch, dass die Tür zum Hauptgebäude sperrangelweit offen stand.
Mit einem mulmigen Gefühl betraten die beiden Männer das Haus. Sie suchten sämtliche Zimmer nach dem Hausherrn ab, jedoch ohne Erfolg. Der Spiegelsaal war der letzte Raum, den sie noch zu inspizieren hatten. Auch hier fand sich nichts Ungewöhnliches. Plötzlich jedoch erstarrte der Pfarrer. “Beim Allmächtigen!” Der Arzt folgte seinem Blick und auch ihm stockte der Atem. Beide starrten fassungslos auf den Spiegel. Das Kristall war vollkommen blind geworden. Niemals mehr würde der Spiegel wieder als solcher verwendet werden können. Aber das war es nicht, was die beiden Männer so erschüttert hatte. Es war etwas an der Umfassung des Spiegels. Eine weitere Fratze hatte sich am Rand gebildet, ein teuflisches Antlitz, dessen Körper von anderen Dämonen nieder gerungen wurde. Dieses abscheuliche Gesicht hatte eine geradezu unnatürliche Ähnlichkeit mit den bösen Gesichtszügen des Ludovik Bresz.
Die Männer bekreuzigten sich angstvoll und verließen fluchtartig den Hof. Mit keiner Menschenseele redeten sie über ihre schreckliche Entdeckung. Drei Tage nach ihrem Besuch auf dem Grundstück ging das Gebäude ohne jeglichen ersichtlichen Grund in Flammen auf. Noch heute gibt die verbrannte Erde Zeugnis ab über die absonderlichen Geschehnisse, die sich dort zugetragen haben.
Die Anwohner meiden diesen Ort bis heute. Ein Haus ist dort nie mehr errichtet worden.

 

Hola ueberbuecher,

in Deinem Profil lese ich:

Ich schreibe Kurzgeschichten und tue dies aus reiner Freude und Erbauung am Schreiben.
Dann lese ich Deinen Text – und tatsächlich – wer auf Deinem Niveau schreibt, kann Erbauung empfinden!
Richtig gut geschrieben. Und nur so ist es zu erklären, dass ich die erste Horrorgeschichte meines Lebens gelesen habe.

Ich schreibe Dir nicht, um zu meckern. Nur hier finde ich eine Unstimmigkeit:

Durch die Lappen, welche Sie an den Beinen trug, war der Fuß zwar davor geschützt ,völlig gekocht zu werden, ...
Von einem Schwall heißer Suppe wird kein Fuß völlig gekocht:).

Möge die Finsternis dich verschlucken und die Abgründe der Hölle dein Heim werden.
‚Möge’ ist Einzahl, die Abgründe sind Mehrzahl.

Das Licht chargierte, ...
... changierte?

Lieber ueberbuecher – das hast Du fein gemacht! Seit heute mag ich kultivierten Horror. Du schreibst fehlerfrei, es fließt und der Leser hat einen professionellen Text vor sich. Das finde ich schon beeindruckend. Als Leser komme ich auf meine Kosten, und als Kommentator brauche ich keine lange Mängelliste zu tippen.
Das kann gerne so weitergehen.

Schöne Grüße!

José

 

Hallo josefelipe,

vielen Dank für Dein Lob und noch mehr Dank für Deine kritischen Anmerkungen :) (ernsthaft!)
Ich habe manchmal den Eindruck, man kann einen Text 100-mal lesen und findet doch immer noch etwas Verbesserungswürdiges. Freut' mich sehr, dass Du Dich so gut unterhalten gefühlt hast!

Beste Grüße

Frank

 

“Er hat sie mit dem Ochsenziemer gezüchtigt, dieses Scheusal!” flüsterte er leise seinem Diener zu, der fassungslos das zerstörte Fleisch der Frau betrachtete. Erschüttert wandte dieser den Blick ab.
Wie viel spannender wäre die Geschichte, wenn sie damit angefangen hätte? Da hab ich Fragen. Du gibst mir am Anfang deiner Geschichten schon lauter Antworten, nach denen ich nicht frage.

Das ist ein klassisches Beispiel für den Lehrsatz "Show don't tell", sag mir nicht, was ich empfinden soll, sondern bring mich dazu, das zu empfinden.

Das ist aufwändiger, schwieriger, aber es lohnt sich, wenn es klappt.

 

Hallo ueberbuecher,

da hast du eine recht ordentliche, saubere Horrorgeschichte geschrieben! Deine Sprache ist flüssig, und der Spannungsbogen ist gut konstruiert. Die Idee mit dem Spiegel ist zwar nicht wirklich originell, aber insgesamt gut umgesetzt.

Wenn ich etwas zu kritisieren habe, dann erstens, dass der Einstieg für meine Begriffe etwas zu lang ist. Den ganzen ersten Absatz könntest du im Grunde ohne Verluste für die Geschichte streichen. Eigentlich könnte die Geschichte sogar bei "Der Arzt seufzte schwer" anfangen, denn erst da fängt die eigentliche Handlung an. Dass er reich, mächtig und sadistisch ist, versteht der Leser trotzdem, weil der Rausschmiss von Ludmilla und die Misshandlung von Janna das deutlich rüberbringen.

Zum anderen hat die Geschichte viel "tell" und wenig "show". Die eigentliche Horrorszene, als Bresz vom Spiegel verschluckt wird, sticht da positiv heraus, aber auch der Rest der Geschichte würde von mehr "show" profitieren.

Und dann würde ich vielleicht noch diesen Teil überdenken:

Er träumte sehr unruhig. Immer wieder wälzte er sich zwischen seinen Laken hin und her, bis er schließlich fahrig und verschwitzt erwachte. Wie spät mochte es sein? Sein Blick fiel auf den Vollmond, der in sein Fenster schien und das Zimmer in ein gespenstisches Zwielicht tauchte. Eine innere Unruhe erfasste ihn, noch völlig gefangen von dem verwirrenden Traum, welcher ihn bis eben noch bedrängt hatte. Die Ahnung von etwas Dunklem, das sich auf seinen Schultern niedergelassen hatte, wollte ihn nicht loslassen.
Ungehalten stapfte er in seinen Hauspantoffeln durchs Schlafzimmer. Irgendetwas lag ihm auf der Seele, ohne das er hätte sagen können, was. Er betrachtete den Mond, der seinen Blick gleichgültig erwiderte. Er lächelte böse. Die Vorfreude auf den morgigen Tag und die “Unterhaltung” mit seiner unfähigen Dienerin ließ seine Laune steigen. Wie weggeblasen war der Alpdruck, der soeben noch auf ihm gelastet hatte. Durst regte sich in seiner Kehle und er beschloss, sich ein Glas Wasser zu holen.
Die Szene wirkt m.E. stärker, wenn du das Fettgedruckte streichst. Das macht mir die Spannung kaputt und wirkt etwas unmotiviert. Lass ihn leiden! Seine Anspannung überträgt sich auf den Leser.

Aber das sind Kritikpunkte auf hohem Niveau. Gern gelesen.

Gruß
Hopper

 
Zuletzt bearbeitet:

Ich bin nicht unbedingt ein versierter oder gar begeisterter Leser des Horror-Genres, ueberbuecher, zumindest aber kann ich erkennen, dass ich es hier mit einer beinahe klassisch anmutenden Geschichte in der Tradition eines z.B. E. A. Poe zu tun habe. Die Sprache wirkt weitgehend stilsicher und souverän, auch wenn sie mir persönlich ein wenig zu überladen ist. Das zeigt sich unter anderem durch den etwas übertriebenen Gebrauch entbehrlicher Wörter, die hier sogar im Doppelpack auftreten:

… konnte man im Zusammenhang mit ihm durchaus wörtlich nehmen. Sein Reichtum basierte zu einem großen Teil auf dem Leiden und dem Nachteil seiner unmittelbaren Umgebung. Nunmehr in den Fün[f]zigern hatte er es durchaus zu etwas gebracht.
... oder solcher Redundanzen:

flüsterte er leise

Gleichzeitig ist mir die Erzählsprache für das beschriebene Sujet nicht kongruent genug. Wörter wie z.B. basieren, oder Alternative stechen mir da einfach als zu modern heraus, die passen für mein Gefühl nicht recht zum Stil und zum dargestellten Setting, das ich irgendwo ein, zwei Jahrhunderte vor unserer Zeit verorte.

Und apropos Zeit:
Ein wirkliches Problem hatte ich mit der Dramaturgie der Geschichte. Und das liegt eigentlich nur an ein paar wenigen Sätzen, die mir das Verständnis des Handlungsverlaufs ein bisschen schwer gemacht haben. Ich versuch dir das einmal zu erklären:

Erst letzte Woche war ein junges Mädchen im Graben an der Landstraße nach Vleij von einem Bauern gefunden worden.
Hier ist explizit von einem Geschehen die Rede, das eine Woche zurückliegt.

[…] Der Arzt, der sie untersuchte, kannte die Spuren, welche ihren Rücken entstellten.

[…] “Sie ist eine seiner Dienerinnen. Es sind die gleichen Spuren wie damals bei Janna.”
Der Arzt seufzte schwer.

Wir lesen hier offenbar eine Rückblende.

Erinnerungen stiegen in ihm hoch.
Und die Erinnerungen des Arztes stellen jetzt quasi eine Rückblende innerhalb der Rückblende dar:

Janna Derakovic war ein blutjunges Ding gewesen. Sie war bei Bresz angestellt, um in der Küche zu helfen. Eines Tages …

usw.

Das lese ich noch alles als die Gedanken des Arztes, deshalb haut mich dieser Satz dann ziemlich unvermittelt raus:

Er brachte den Arzt des Dorfes herbei, dem er schockiert das Drama schilderte. Der Arzt beugte sich …

usw.

ich weiß nicht ob man das als Perspektivfehler bezeichnen kann, mich jedenfalls hat es den ganzen Absatz noch einmal lesen lassen, weil ich dachte, ich hätte was übersehen. Und so was ist nie gut.
Erst hier endet die Rückblende:

Dann ging er wortlos fort.
Niemand wagte es, Ludovik Bresz für seine Tat zur Rechenschaft zu ziehen.
Im Hause Bresz gab es eine neue Attraktion.
Aber das hab ich erst nach dem nochmaligen Lesen der Geschichte gecheckt. Beim ersten Lesen war ich schon bei diesem Satz:

Leider fiel diese Aufgabe in den Arbeitsbereich von Martha. Diese schlief nicht in seinem Hause, so dass er die Züchtigung erst am nächsten Morgen würde durchführen können.
… und war immer noch der Meinung, ich lese die Rückblende. Martha, dachte ich, sei nun endlich das Mädchen aus dem Straßengraben, vom Geschichtenanfang. War sie aber nicht, sondern nur irgendeine weitere Figur.
Also das finde ich alles andere als glücklich gelöst. Es ist nämlich durch nichts ersichtlich, ab wann wir uns wieder in der quasi Gegenwart der Geschichte befinden. Weder durch einen eindeutigen Tempuswechsel, noch durch ein Merkmal in der Formatierung,
Mein Vorschlag:
Neben dem ersten Satz einer Rückblende in einer ansonsten im Präteritum erzählten Geschichte solltest du zumindest auch den letzten Satz im Plusquamperfekt schreiben und im besten Fall darunter eine Leerzeile folgen lassen, damit man als Leser nicht die Orientierung verliert. In diesem Fall also so:

Dann war er wortlos fortgegangen.
Niemand hatte es gewagt, Ludovik Bresz für seine Tat zur Rechenschaft zu ziehen.

[Leerzeile]
Im Hause Bresz gab es eine neue Attraktion.

Na ja, und nachdem ich da im Mittelteil echt Probleme hatte, zu erkennen, was wann spielt, stelle ich den ganzen Beginn der Geschichte in Frage. Warum ziehst du das Ding nicht chronologischer auf? Ist die junge Frau im Straßengraben wirklich notwendig, wenn es in Wahrheit doch das Schicksal der Janna ist, das den Arzt zu seinem Fluch anstiftet?

Hm.
Wie gesagt, stilistisch recht ordentlich, aufgrund der etwas verwirrenden Dramaturgie und des stellenweise etwas unbedachten Tempusgebrauchs für mich aber kein wirklich ungetrübtes Lesevergnügen. (Aber egal. Horrorkram brauch ich eh nicht unbedingt. :D)

Wie auch immer, willkommen hier, ueberbuecher.

offshore

 

Hi Quinn,

der Anfang - so wie Du ihn vorschlägst - entspricht eher einem modernen Textverständnis. Ich habe absichtlich von Anfang an die Karten "auf den Tisch gelegt", da ich in dieser Geschichte eine Atmosphäre kreieren wollte, wie sie in alten Gruselgeschichten (wie z. B. von Joseph Sheridan LeFanu) vorherrscht. Ich verstehe Deine Sicht der Dinge und natürlich hätte man das auch ganz anders aufziehen können, aber ich habe diesen Weg ganz bewusst eingeschlagen.

Beste Grüße

Frank

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo ueberbuecher,

die Länge für deinen Beitrag zum Topos "Verfluchter Spiegel" ist ganz gut gewählt. Da der Verlauf sehr geradlinig ist - Prot ist böse, kauft den Spiegel, kriegt sein Fett weg - könnte es fast noch ein bisschen kürzer. Aber das Tempo stimmt schon ziemlich, die Geschichte ist spannend und zieht den Leser rein. Guter erster Satz übrigens, der hat mich hierhergebracht.

Ein bisschen hatte ich Schwierigkeiten, den Inhalt historisch zuzuordnen. Leibeigenschaft, 18. Jahrhundert? Es läuft zwar unterm Strich immer auf Sklaverei raus, aber ich meine, deine Untergebenen aus einer miesen Laune heraus halbtot peitschen, das ging da schon nicht mehr so einfach.

Ich hab in deinem Komm gelesen, dass du den Stil so haben möchtest. Dann müsstest du aber nochmal auf Konsequenz flöhen. Beispiel: "Sie hatte ihm so dermaßen wirres Zeug erzählt".

Oder:

Er quiekte wie ein Schwein.

Das liest man denke ich eher bei David J. Schow als bei Nathaniel Hawthorne.


Auch Wortwiederholungen fallen bei einem lapidaren, modernen Stil weniger auf als hier. Such mal mit Strg+F nach "Rücken" und "Licht".


Er konnte stundenlang vor dem Spiegel stehen und sowohl sich selbst als auch den Spiegel als Kunstwerk betrachten, eine perfekte Symbiose von Geist und Gestalt.

Ich würde den Satz nach "betrachten" enden lassen, weil der Narzissmus des Prots an der Stelle mit so einem Understatement daherkommt, das ist sehr elegant. Alles danach verwässert das, weil es die Info unnötig auswalzt und wiederholt.


ohne das er hätte sagen können,

dass


Sud angedickt werden, deren

dessen, bezieht sich auf Sud, nicht auf die Kräuter. Oder zumindest verwirrt es, wenn du tatsächlich die Kräuter meinst, weil man das "deren" im ersten Moment automatisch auf den Sud bezieht. So ein Teil ist noch an einer anderen Stelle im Text, habe ich aber vergessen zu notieren.


Rahmen sprengen

Klingt ein bisschen unglücklich wegen der feststehenden Formulierung im Deutschen.


Apropos: Man sagt "über Leichen gehen". Leichen pflastern seinen Weg ist der deutsche Titel des Corbucci-Westerns Il grande silenzio.


Grüße
JC

 

Hallo ueberbuecher!

Dankeschön für die Veröffentlichung der Geschichte “der Spiegel“.

Während ich diese Geschichte gelesen habe, musste ich immer wieder an “Gespenster Geschichten“ und “Gespenster Krimi“ denken.
Dort hätte “der Spiegel“ perfekt hingehört.
Schöner “Old School“ Grusel, mit einer super Schreibweise gepaart und genau deshalb gefällt mir deine Geschichte.

Mein Fazit:
Eine perfekt erzählte Gruselgeschichte, die mich bis zum Schluss unterhalten hat.
Ich freue mich auf weitere Geschichten von dir.

Lg
MyStoryWorld

 

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