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Der Spiegel
Tagebucheintrag vom 3. November, 2009
Dieser Spiegel bringt mich noch um den Verstand, wenn ich den nicht bereits verloren habe. Seit mehreren Monaten plagen mich bereits schreckliche Horrorvisionen, nur durch das bloße Hineinblicken in den Wandspiegel meines Badezimmers. Menschen die mir von hinten mit Mord drohen, meinen toten und verwesten Körper, brutale Folter an mir und anderen. Diese sind nur einige der Schrecken mit denen ich bei einem Blick in diesen Einrichtungsgegenstand rechnen muss. Und dennoch blicke ich regelmäßig hinein, in der Hoffnung dass es früher oder später aufhört - zumindest war es anfangs so.
Der Spiegel hat mich mit diesen Aktionen herausgefordert, will wissen ob ich es durchhalte. Wenn ich aufgebe... Genau das will er doch. Aber diesen Triumph gönne ich ihm nicht. Ich werde mich an seine scheußlichen Darstellungen gewöhnen, Tag für Tag, und irgendwann wieder ein normales Leben führen.
Heute Abend hat er mir vorgeführt wie ich eine Frau töte, die mir nicht bekannt war. Seltsam, wo er mir doch normalerweise nur Personen aus meinem Umfeld präsentierte. Wird der Spiegel langsam kreativer oder werde ich verrückter?
Tagebucheintrag vom 6. November, 2009
Soeben hat die Polizei angerufen. Einer meiner Verwandten ist verstorben. Dies bekümmert mich nur bedingt, denn ich kannte ihn kaum. Doch der Spiegel. Der Spiegel kannte ihn trotzdem, er kennt alles, ob es mir nun unbekannt ist oder nicht. Er führt mir die genaue Todesart des Familienmitglieds vor Augen vor. Es war als wäre ich selbst dort gewesen. Aber ich brauche keine Schuldgefühle zu entwickeln, weder der Spiegel noch ich haben etwas damit zu tun. Es ist alles nur Zufall.
Morgen Abend übernachte ich in einem Hotel. Ich brauche einen Tag Pause von diesem Badezimmer, sonst drehe ich wirklich noch durch.
Tagebucheintrag vom 7. November, 2009
Es ist eine angenehme und ruhige Nacht. Kein Horror, kein Erschrecken, ein ganz normaler Spiegel. Nun, da ich wieder weiß, wie es zu Hause war bevor ich diesen verdammten Spiegel gekauft habe, spiele ich doch mit dem Gedanken ihn wegzuschaffen oder ihn zumindest so lange zu verstecken, bis ich herausgefunden habe was es mit ihm auf sich hat. Danach habe ich noch immer genug Zeit ihn zu zerstören. Das ist ja schließlich nur Glas in einem Rahmen, nicht wahr?
Tagebucheintrag vom 20. November, 2009
Die vergangenen Tage waren eine wahre Wohltat für die Seele. Selbst bei der Arbeit bemerkten viele, dass ich mich positiv gewandelt habe. Es war eben doch eine gute Idee, diesen Spiegel wegzusperren. Und dennoch höre ich ihn nach mir rufen. Verrückt mag diese Erkenntnis vielleicht sein, aber es ist als würde er mich daran erinnern wollen, dass er noch eine Rechnung mit mir offen hat. Tief in meinem Unterbewusstsein spürte ich, dass etwas Schreckliches geschehen würde.
Tagebucheintrag vom 21. November, 2009
Heute ist einer meiner Arbeitskollegen an einem tragischen Unfall verstorben. Aus irgendeinem Grund will mir nicht aus dem Kopf, dass das mit dem Spiegel zu tun hat, aber das kann doch eigentlich nichts anderes als Zufall sein, oder? Ich bin verzweifelt, seine Rufe werden immer lauter. Was nur muss ich tun um diesem Fluch zu entkommen?
Tagebucheintrag vom 1. Dezember, 2009
Wie durch ein Wunder sind die Schreie und Rufe des Spiegels verstummt. Vielleicht habe ich jetzt die Möglichkeit, ihn endgültig zu vergessen. Todesfälle hat es auch keine mehr gegeben. Vielleicht war tatsächlich alles nur Einbildung, vielleicht war ich einfach zu sehr unter Stress. Es wird Zeit, mein Leben wieder in den Griff zu kriegen.
Tagebucheintrag vom 24. April, 2010
Morgen werde ich heiraten. Ich habe sie auf einer Weihnachtsfeier letzten Jahres kennengelernt, und dass ich sie nun schon bald heirate kann ich selbst kaum glauben. Diese Angelegenheit ist mir sogar wichtig genug, dass ich wieder in dieses Tagebuch hineinschreibe.
Aber das hätte ich mal lieber gelassen, denn nun habe ich nach langer Zeit wieder die Seiten über den Spiegel gelesen, der seit all diesen Monaten noch immer in meinem Keller liegt. Aber ich darf mich davon jetzt nicht ablenken lassen, es war doch schließlich alles nur Einbildung damals.
Tagebucheintrag vom 9. Mai, 2010
Dieser verfluchte Spiegel! Ich habe soeben in einem Wahn aus Albträumen meine eigene Frau ermordet, mit meinen eigenen Händen, ganz genau so wie es mir der Spiegel letztes Jahr gezeigt hat. Nie hätte ich geahnt, dass es sich bei der mir damals noch unbekannten Frau um meine zukünftige Ehefrau gehandelt hatte. Und nun habe ich sie tatsächlich umgebracht. Sie ist tot, ihr Blut an meinen Händen! Der Spiegel ist nie verstummt, er hatte mich die ganze Zeit über in seiner Gewalt. Dieser Wahnsinn muss ein Ende haben.
Ausschnitt aus einem Zeitungbericht vom 10. Mai, 2010
"Ich sehe es immer noch!", schrie ein Mann am vorherigen Abend, als er voller Panik aus seinem Haus auf die Straße rann. Augenzeugen berichteten, dass sein Körper mehrere Schnittwunden aufwies und auch dass einige Scherben und Splitter - offenbar von einem Spiegel stammend - in seinen Haaren und seiner Kleidung hingen. Als sie ihm zur Hilfe kommen wollten, schrie er nur:"Nein, bleibt weg! Ich will euch nicht mehr sehen! Ich dürfte euch überhaupt nicht mehr sehen!" und wich vor den Passanten zurück, so einer der Zeugen. Anschließend nahm sich der Mann eine der vielen Scherben und schnitt sich - noch bevor jemand etwas verhindern konnte - beide Augen aus dem Kopf. Als die Ambulanz ankam, konnte nichts mehr getan werden, der Mann war bereits verblutet und tot. in seinem Haus wurde ein weiterer Leichnam geborgen, der einer Frau, offenbar hingerichtet von dem zuvor genannten. Die Motive und Umstände sind zu diesem Zeitpunkt noch umgeklärt, die Polizei geht jedoch davon aus, dass der Selbstmordtäter psychisch labil war.