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Der Sohn des Puppenspielers

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03.12.2002
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Der Sohn des Puppenspielers

Die Muskeln verkrampften sich bereits, aber dennoch konnte Sophia einfach nicht aufhören zu lachen. Sie konnte selbst nicht mehr sagen, wann sie das letzte Mal so einen Spaß gehabt hatte. Sie kämpfte mit den Tränen und rieb sich den Unterkiefer; so sehr schmerzte ihr Kiefer und ihr Lachen wollte nicht mehr verhallen. Sophia spürte das Glück selbst, als sie dem Mann, dem sie gegenübersaß in die Augen saß, denn es war mehr als Sympathie, was sie für ihn empfand. Es war tiefste Zuneigung, obwohl sie ihn erst seit so kurzer Zeit kannte. Sie beobachtete, wie er das Glas, dass glänzend vor ihm stand, zu seinen Lippen führte und einen kräftigen Schluck daraus nahm. Und sie stellte sich einen Augenblick lang vor, wie sie ein Teil dieses Glases war und wie sich die Lippen des Mannes anfühlen mussten. Es war ihr, als strahle Fortunas Lächeln nur auf sie herab, als aus dem Hintergrund ein älterer Mann auf sie zukam. Er ging direkt auf Sophias Begleitung zu und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Er hörte zu, nickte dann und lächelte, während er sich bei Sophia für einen Augenblick entschuldigte und dem Alten hinterher trottete.
Sophia war allein und blickte ihm hinterher. Sie wusste, dass sie ihn mit seinen Kunden teilen musste, denn er hatte ihr von seiner Selbständigkeit erzählt und sie vermutete, dass er darum so eilig wegmusste. Aber es störte sie nicht, denn er würde ja in wenigen Minuten wiederkommen und diese Zeit wollte sie nutzen, um sich ein wenig frisch zu machen.
Sophia fühlte sich stark und das Selbstvertauen, dass sich in ihr während der letzten Stunde aufgebaut hatte, schien fast greifbar. Wie Moses durch das rote Meer, bahnte sie sich ihren Weg nach draußen. Sie schob sich durch Reihen von tanzenden Menschen und vorbei an emsigen Kellnern, die trotz der schier unzählbaren Masse an Besuchern noch immer ein Lächeln auf ihren Lippen trugen.
Ein wenig frische Luft schnappen, danach noch schnell die Toilette aufgesucht und dann ist er wieder da. Das waren die Gedanken, die ihr durch den Kopf gingen, als sie ins Freie trat und ihr Blick auf den älteren Herren fiel, der gerade um die Ecke verschwand. Aber wo war ihre Begleitung.
Sophia rief ihm hinterher, doch er schien sie nicht zu hören, also beschleunigte sie ihren Schritt und folgte dem Alten. Als sie um die Ecke bog, stand er da und grinste sie an. Gerade, als sie ihn ansprechen wollte, erklangen hinter ihr einige hastige Schritte. Schritte eines jungen und agilen Mannes und als sich Sophia umdrehte, fest damit rechnend, dass vor ihr der Mann auftauchte mit dem sie bereit war eine Beziehung einzugehen, da wurde die Welt um sie herum plötzlich dunkel. Und es war das letzte Mal für lange Zeit, dass sie die Gnade der Dunkelheit erfahren durfte.


So schnell hatte sich alles geändert. So schnell hatte sich das Glück in Entsetzen gewandelt und das Summen der Neonröhren glich dem eines Insektenstaates. Sie hatte das Gefühl, dass tausende dieser Tiere ein Nest direkt in ihrem Kopf erbauten, denn das Geräusch kam nicht länger von den Röhren selbst, sondern direkt aus ihrem Inneren. Sophia blinzelte gegen das kalte Licht an und versuchte allein durch die Kraft ihrer Gedanken dieses unerträgliche Summen und die immerwährende Helligkeit auszublenden, doch beides blieb unauslöschlich Teil ihrer begrenzten Welt; ihres Gefängnisses. Es gab keinen Tag und keine Nacht. Für sie gab es gar nichts mehr, bis auf die einfache Liege, das Waschbecken und die Toilette. Gegenstände, so weiß wie der gesamte Raum. Zeitweise kam es Sophia so vor, als würden sie von den Wänden verschluckt. Dann verschwanden ihre Konturen und sie gingen einfach im vorherrschenden Weiß unter.
Sie saß auf der Liege und starrte auf die Wand gegenüber. Eine Wand, gebaut aus ihrem Kerker, denn sie bestand aus einem einzigen großen Spiegel. Inmitten dieses Spiegels steckte ein schwarzer Kasten, von dem sie nie ihren Blick lösen konnte. Denn in all dem Weiß war dieser Schwarze Fleck ein Bezugspunkt ihrer Augen und ihrer Seele. Ohne ihn würde auch sie zu einem dieser Gegenstände mutieren, die irgendwann verschwinden. Sie wusste um die Bewandtnis des schwarzen Fleckes, doch trotz seines schrecklichen Hintergrundes manifestierte er sich bereits nach wenigen Tagen in ihrem Gefängnis als Hoffnungsträger, denn er vermittelte ihr immer das Wissen um eine Welt außerhalb des Weiß. Eine Welt, die sie kannte und in die sie eines Tages zurückkehren konnte.

Ein weiteres Summen mischte sich in ihren Kopf. Ein elektrisches Summen.
„Dein Herr ist hier.“ Die Stimme kam aus dem schwarzen Fleck, während die Augen Sophias langsam aus der Leere in die Welt zurückkehrten.
„Tanze für den Puppenspieler.“ Sophia zögerte einen Augenblick; dachte darüber nach, ob sie sich ein weiteres Mal widersetzen sollte, doch ihr Wille zu überleben war stärker, als der des Widerstandes. Wenn sie seinen Worten nicht Folge leistete, hatte sie mit Entzug zu rechnen. So hatte es ihr Meister gesagt und mittlerweile wusste sie, was dies zu bedeuten hatte. Das Wasser wurde abgestellt und die Nahrung wurde ihr entzogen. Sophia konnte nicht mehr mit Bestimmtheit sagen, wie lange sie schon in diesem Weiß saß, doch sie wusste noch, dass beide Versuche des Widerstandes mit dem Kollaps ihres Körpers endeten. Tage mussten es gewesen sein, in denen sie auf alles verzichten musste und erst als das Weiß vor ihren Augen verschwand und die Welt drohte im ewigen Schwarz unterzugehen, erhielt sie von ihrem Meister, was ihr Körper brauchte. Manchmal überlegte sie, wie es wäre, wenn sie sich erneut widersetzte und die Dunkelheit endlich dieses unerträgliche Weiß verbannen würde. Nie mehr müsste sie es ertragen. Nie mehr diesem Nichts ausgesetzt sein. Doch sie wollte leben. Sie wollte zurück.
Sophia rieb sich die Augen und schloss ihre Lieder, welche die Welt um sie herum jedoch nicht ausblenden konnten. Dann stand sie auf, positionierte sich vor dem großen Spiegel und begann langsam zu tanzen. Sie wiegte sich langsam in den Hüften und lies dabei ihre Hände verführerisch über den Körper gleiten.
„So ist es gut,“ flog die Stimme wie von einem unsichtbaren Lufthauch getragen zu ihr herüber, „mach weiter.“
Sophias Bewegungen wurden schneller, rhythmischer und ihre Hände schienen überall auf ihrem zierlichen Körper zu sein. Dabei schwenkte sie ihren Kopf, so dass ihre langen, blonden Haare wie ein feines Geflecht aus Seide durch die Luft flogen.
„Und nun, zieh dich aus.“ Sie verlangsamte ihren Tanz und begann sich zu entkleiden. Unter dem weißen Hemd, dass wie in Zeitlupe zu Boden ging, kam die bleiche Haut zum Vorschein und auf ihren Wangen zeichnete sich eine feuchte Spur ab. Die Spur einer kleinen Träne, in der sich das Licht brach und es in einer Unzahl an bunten Farben explodieren lies; die Sophia nie sehen würde, denn die Träne versiegte bereits kurz unterhalb ihrer Nase. Zu viele Tränen hatte sie bereits geweint. Für weitere fehlte es ihr an Substanz.
Nun stand sie da, präsentierte ihren freien Oberkörper im hellen Licht und begann langsam ihre weiße Hose zu öffnen. Die ersten beiden Knöpfe sprangen fast wie von alleine auf und legten einen scheuen Blick auf das goldene Dreieck zwischen ihren Beinen frei.
„Warte!“ raunte die Stimme ihres Herren herein.
„Warte, ich bin gleich wieder da.“ Der Lautsprecher verstummte nicht direkt, sondern lies noch einige Sprachfetzen hinein. „Was will....nicht jetz....muss das s...“ Dann verstummte die äußere Welt und Sophia war wieder allein. Schnell knöpfte sie sich wieder zu und legte sich das Hemd um ihre Schulter. Schluchzend zog sie sich auf ihre Liege zurück. Ihre Schultern bebten und ihre Hände versuchten die Augen in Dunkelheit zu tauchen. Diesmal floss keine Träne. Sie wusste, dass es keine weitere mehr geben würde.

Augenblicke vergingen; Ewigkeiten vergingen. Sophia war mit sich und dem Weiß allein. Wie immer. Und der Gedanke der Ewigkeit suchte sich langsam einen festen Platz in ihrem Hirn. Einen Platz, der nur für ihn bestimmt war. Jetzt und seines Ursprungs wegen für immer.
Dann zerbarst die Welt in einem ohrenbetäubenden Knall. Der Spiegel barst auseinander. Er explodierte und all die Bilder darin vergingen im blitzenden Glanz des reflektierten Neonlichts. Schwarz floss in das Weiß. Die Dunkelheit schlängelte zwischen den fliegenden Scherben hindurch und begleitete den Flug eines schweren, roten Backsteins, der auf dem Schwarz wie ein Schiff auf dem Meer schwamm. Er hielt direkt auf Sophia zu und in ihr löste sich etwas. Sie reagierte, ohne zu wissen was um sie herum passierte. Die junge Frau sprang auf und hechtete zur Seite, so dass der Stein im Leeren landete und auf ihrer Schlafstätte liegen blieb. Adrenalin schoss ihr durch die Adern und die Welt um sie herum wurde so klar, wie schon lange nicht mehr. Die Konturen der Gegenstände schälten sich heraus und wurden zu einem festen Bestandteil ihrer Wahrnehmung. Licht. Und dann Schatten.
Wie hypnotisiert blickte sie in die unbekannte Farbe. Und sie verbreitete sich immer weiter in ihrem Gefängnis. Wie Nebel. Daraus tauchte das Gesicht eines jungen Mannes auf, gefolgt von seinem gesamten Körper. Er lief auf Sophia zu und seine Arme legten sich um ihre Schultern. Einen Augenblick später hatte er sie komplett umschlungen, drückte sie an sich. So als würde sie ihm gehören. Nur ihm.
„Es tut mir alles so Leid. Ich liebe dich und ich werde nie mehr zulassen, dass er dir etwas tut!“ Seine Stimme überschlug sich fast, denn auf ihr flossen die Emotionen des Mannes. Gier, Trauer, Wut und Liebe. Es war jedoch die Angst, welche Sophias Herz mit kalter Hand umschloss, denn all diese Gefühle mischten sich zu einem Konglomerat - Wahn. Sie sah es in seinen Augen, die ihren Körper unnachgiebig musterten. Er weinte und die Tränen stürzten wie Bäche an seinen Wangen herunter. Kaskaden aus dem Produkt seiner Gefühle.
Sie riss sich los, schob den schmächtigen Körper von sich und versuchte ein wenig Abstand zu gewinnen. Ein spitzer Schrei entfuhr ihrer Kehle, als sich die Scherben des Spiegels durch die Haut und in das Fleisch ihrer Füße schnitten. Der weiße Boden wurde rot und als sie sah, wie alles Weiß um sie herum langsam an Reinheit verlor, da wusste sie, dass nun der Zeitpunkt gekommen sein würde, an dem sie ihr Gefängnis verlies und in die ihr bekannte Welt zurückkehren würde.

Alles ging ganz schnell. Der junge Mann überbrückte den mit Schmerz gewonnenen Abstand mit einem einzigen Schritt und nahm Sophia auf seine Arme. Trotz seiner schmächtigen Statur schien er keine Probleme zu haben, den Körper der Frau zu tragen, denn er wirbelte herum und verlies mit federnden Schritten das Gefängnis. Draußen war es dunkel und die alten Backsteine schienen sämtliches Licht zu verschlucken. Der gesamte Raum war bis auf einen einzigen Stuhl komplett leer und als sie daran vorbeiliefen fiel Sophias Blick auf den schwarzen Kasten, der zwischen den Scherben auf dem Boden lag. Er war zerbrochen.

Sie ließen den Raum hinter sich und stiegen die Kellertreppe empor. Stufe um Stufe schritt der junge Mann mit Sophia in seinen Armen hinauf. Bei jedem Schritt darauf bedacht kein Geräusch von sich zu geben, denn er hatte seinen Vater nur kurz ablenken können. Es würde nicht sehr lange dauern und er würde wieder hinabsteigen, um sich an seiner Puppe zu ergötzen. Sie nach seinem Willen zu steuern. Torben spürte ihre Nähe, ihre Wärme und sein Verlangen drohte ihn zu überwältigen, doch er versuchte sämtliche Gedanken aus seinem Kopf zu verbannen, seine Gier unter Kontrolle zu bekommen, denn er hatte einen Plan gefasst und dieser war nur mit einem klaren Kopf zu erfüllen.
Als ihnen helles Tageslicht entgegenstrahlte und sie den Keller hinter sich gelassen hatten, lies Torben die Frau in seinen Armen vorsichtig herunter. Er blickte ihr tief in die Augen, löste sich dann aber abrupt wieder, um sich auf das noch vor ihnen liegende Stück konzentrieren zu können.

Eine Stimme zeriss die Ruhe. Es war die Stimme seines Vaters. Ihres Peinigers.
„Was ist hier los?“ Was war das für ein Krach?“ Er klang wütend, denn die Worte drohten sich zu überschlagen. Schritte hallten durch das Haus und Torben beschleunigte seine Schritte. Er war nicht mehr länger darauf bedacht, sich so leise wie möglich zu bewegen. Sophia spürte wie ihn etwas antrieb. Etwas, dass sein ganzes Handeln und sein ganzes Denken bestimmte.
„Schnell, komm,“ raunte er ihr zu und zog sie unsanft am Arm. Er riss sie mehr mit sich, als das sie sich selbst bewegte. Sie hasteten die letzten Stufen hinauf und kamen in einen großen Raum, fast ein Saal. Staub hing wie dichter Nebel in der Luft und der Geruch nach Moder und Verfall war allgegenwärtig. Sophias Augen bewegten sich so schnell in ihrem Kopf, dass sie kaum eine Möglichkeit hatte die gelieferten Informationen in Bilder zu verarbeiten, doch sie hatte keine Kontrolle darüber. Teile ihres Körpers schienen sich selbständig zu machen und darüber war sie auch froh, denn hätte ihr Denken die völlige Kontrolle, dann würde sie sich der Angst und den Schmerzen in ihren zerschnittenen Füßen hingeben und einfach darauf warten, dass alles endete und der Puppenspieler sie zurückbrachte.
Die Schritte kamen näher.
Schneller ,lauter.
Das Haus war verlassen, denn die Fenster waren mit dicken Sperrholzplatten zugenagelt und das Licht fiel durch die schmalen Ritzen, als würde es sich nicht trauen die gesamte Szenerie zu erhellen.
Torben stoppte abrupt. Sein Kopf schwang unschlüssig hin und her, bevor er Sophias Arm wieder fester packte und sich nach links wandte, um in den dort auftauchenden langen Gang zu flüchten. Er drückte sich hinter einen Mauervorsprung und tat mit ihr das selbe. Sein Hand presste sich auf ihre Brust und drückte sie unsanft gegen die vor Dreck starrende Wand. Dennoch protestierte Sophia nicht, obwohl sie um die unverhohlene Gier ihres neuen Begleiters wussten. Sie spürte es einfach und sie sah es auch, denn alles an ihm schien sich nur auf sie zu konzentrieren. Sie wusste nicht, was sie fühlen sollte. Die Angst, sich so ausgeliefert zu fühlen. Entweder ihr Peiniger, sein Vater oder dem Sohn, der sich vor Gier und Wolllust kaum noch beherrschen konnte. Aber sie selbst verzehrte sich auch nach menschlicher Wärme. Trotz allem was hinter seinen Beweggründen stecken mochte, war er es, der sie aus dem Gefängnis befreite und nun spürte sie auch ganz deutlich seine Nähe und die Wärme, die er ausstrahlte.
Ihre Ohren folgten den polternden Schritten; durch den Saal hindurch und die Stufen zum Keller hinunter. Vor Sophias geistigem Auge spielte sich die gesamte Szene ab. Ein düster blickender, älterer Mann, dessen abgehackte Bewegungen denen eines Roboters glichen.
Die Bilder zerstoben und zerflossen langsam im Staub, der in dem einfallenden Licht glitzerte. Etwas hatte sich geändert. Torben war von ihrer Seite gewichen und als sie einen vorsichtigen Blick in den großen Saal wagte, sah sie den jungen Mann, wie er am oberen Ende der Treppe stand und apathisch in die Tiefe blickte. Seine Brust bebte und seine Augen funkelten bedrohlich. Es war der Wahnsinn der in ihnen lag und doch baute sich in Sophia langsam das Gefühl der Dankbarkeit auf. Sie bräuchte nur loszulaufen, den Saal zu durchqueren und die Tür am anderen Ende zu durchbrechen und sie wäre frei. Aber...

Sophia schlang ihre Arme um Torbens Taille und zerrte ihn fort. Sie zog ihn auf die Tür zu, doch er bewegte sich nicht. Benahm sich wie ein Kind, dass trotz allem Flehen der Mutter nicht folgen wollte.
„Dort kommen wir nicht durch. Nur er hat den Schlüssel.“ Er klang ruhig und genau diese Ruhe war es, welche die Angst in Sophias Kopf noch einmal schürte. Wäre sie eben gerannt, dann säße sie fest. Vielleicht für immer. Sie verscheuchte diesen Gedanken und blickte sich um, auf der Suche ein einem Ausweg, doch alles was sie sah, waren Türen, die in ihren Angeln ruhten, als wären sie seit Jahren nicht mehr bewegt worden und Fenster, die vor eben so langer Zeit einen letzten Blick in die Außenwelt zugelassen hätten.
„Hier entlang.“ Seine Ruhe verschwand augenblicklich, denn die Schritte im Keller setzten sich wieder in Bewegung und es war ihr, als könne sie den wütenden Atem des Puppenspielers bis hier oben wahrnehmen. Es war das Atemgeräusch eines wilden Tieres.

Torben und Sophia liefen nebeneinander her, aber er führte sie. Seine Bewegungen wirkten Unsicher und er strahlte immer noch dieses unbändige Verlangen aus, das alles ihn ihm bestimmte. Und doch verspürte sie ein gewisses Vertrauen, denn er war ihre einzige Chance.
Sie durchquerten unzählige Gänge und Räume, die in ihren Augen alle gleich aussahen, bis sie vor einer Tür standen, auf der ein großen Schild prangte. Es war einfach schwarz und nichts stand darauf, aber Torbens Augen ruhten auf ihm, wie auf einer alten Grabinschrift. Sie hatten angehalten.
„Was? Was ist dahinter?“
„Es ist das Zimmer meines Vaters. Niemand darf da hinein. Auch ich nicht.“
„Aber warum stehen wir hier?“ Ihre Stimme zitterte.
„Es ist die einzige Tür, die nicht verschlossen ist und der einzige Raum, indem er uns nicht suchen wird. Er weiß genau, dass ich diesen Raum niemals betreten würde.“
Damit öffnete er die Tür, lies das schwarze Schild hinter sich und verschloss sie wieder. Sie waren drin und nach Torbens Aussagen vorläufig in Sicherheit, doch dieses Gefühl wollte sich nicht einstellen, denn das Bild, dass sich ihr bot, war alles andere als beruhigend. Vielmehr verstörend.

Das zweite Mal nach ihrer Befreiung, die erst so kurz zurücklag und doch schon eine Ewigkeit her schien, lies Torben von ihr ab. Sein Körper erschlaffte und die Wut auf seinen Vater und die Gier nach Sophia verschwanden im Nichts. Er blickte nur umher. Es war ein leerer Blick.
Die Wände des kleinen Raumes waren zugepflastert mit Monitoren und ein jeder zeigte ein anderes Bild des Hauses. Sie zeigten auch sein Zimmer, indem er lebte und nicht eine Ecke lag für die künstlichen Augen im Dunkeln. Auf dem Schreibtisch, der direkt vor ihnen stand, entdeckte Torben ein Blatt Papier und auf diesem waren mit fein säuberlicher Schrift Tage und Uhrzeiten notiert. Darüber stand sein Name und als er darüber las, entdeckte er, dass alles was er in den letzten Tagen getan hatte darauf stand. Aber es waren nicht nur die vergangenen Tage, sonder auch jene, die noch folgten. Morgen, Übermorgen und weitere Morgen. Immer mehr.
Es dauerte eine Weile, bis Sophia begriff, was hier vor sich ging. Doch als sich in ihrem Kopf alles zu einem Ganzen fügte erschrak sie vor dieser Erkenntnis. Der Puppenspieler war besessen. Er war süchtig nach Kontrolle und diese Sucht ging soweit, dass er selbst seinen eigenen Sohn nach seinem Willen steuerte.
Einige Tränen verließen seine Augen, während Worte sich Stück um Stück an die Oberfläche seiner Kehle quälten.
„Wie waren - glücklich. Er zog mich hier heran, als meine Mutter starb. Wir waren immer noch eine Familie. Alles um uns herum verkam, doch wir blieben eins.“
Er brach jäh ab und vergrub sein Gesicht in seinen Händen. Aber er erzählte weiter und Sophia hatte Mühe ihn zu verstehen, doch sie hörte ihm zu und mit jedem weiteren Wort wich die Angst vor ihm einer tiefen Zuneigung.
Nach dem Tod seiner Mutter hatte sich sein Vater zurückgezogen, doch schon bald begann er sich Dingen zu widmen, die Torben zuerst nicht verstehen konnte. Ihm wurde alles unwichtig, bis zu dem Tag, an dem er das Puppenspiel für sich entdeckte. Es gab ihm etwas zurück, was er für immer verloren dachte. Er steuerte die Menschen um sich herum. Auf der Arbeit, in seiner Freizeit; überall. Als ihm dies zu einfach wurde, baute er das Gefängnis und als sein Sohn beobachtete, wie ihn dieses Treiben glücklich machte, da gab auch er sich der Kontrolle hin und versank ebenso wie sein Vater im Wahn um Macht und Gier. Bis zu jenem Tag als sie kam, denn mit ihr war es anders. Torben spürte seit dem ersten Tag so etwas wie Zuneigung. Er selbst bezeichnete als Liebe, doch trotz dieser Wortwahl nahm Sophia den jungen Mann in ihre Arme und die Berührung ihres Körpers stimmte ihn wieder ruhig. Die Tränen versiegten und seine Muskeln begannen sich wieder zu straffen.
Es war die Ewigkeit, die in seinem Blick lag. Die Erkenntnis, dass er für seinen Vater nichts anderes war als eine weitere Puppe, hatte sein Weltbild zerstört. Von einer Sekunde auf die andere war für ihn alles anders geworden und Sophia konnte den Bruch in ihm förmlich hören.
Er ging voran. Die Puppen verließen den Raum.

Alles war still und der Staub hing weiterhin regungslos in der Luft. Keine Bewegung. Kein Geräusch.
Sie standen wieder hinter dem Mauervorsprung, der ihnen vor nur wenigen Minuten schon einmal Schutz geboten hatten.
„Wir können doch da nicht durch.“ Und im selben Moment glitzerte etwas silbernes vor ihren Augen. Torben hielt ihr einen Schlüssel direkt vor die Nase.
„Er lag unter dem Blatt Papier.“ „Unter meinem Leben,“ fügte er kurz darauf hinzu.
Langsam kamen sie hervor und schlichen auf den Ausgang zu. Ihre Nerven waren bis zum Zerreisen angespannt und alles in ihr und um sie herum war mit einem Mal so klar. Sie spürte den Staub auf ihrer Haut und sah, wie das Licht die Dunkelheit entzwei schnitt. Sie spürte auch wieder ihre Füße, die bei jedem Schritt unsagbar schmerzten. Sie konnte ein Stöhnen nur mit größter Mühe unterdrücken, doch der Gedanke an das, was ihr wieder bevorstand, wenn sie es nicht tat, verhalf ihr schließlich doch dazu. Unendlich lang erschien der Weg durch den Saal und als sich der Schlüssel endlich und erlösend im Schloss drehte und das charakteristische Geräusch eines sich öffnenden Schließzylinders in ihren Ohren wiederhallte, war es, als verliere sie eine nicht definierbare Last, die alles in ihr fast zerdrückt hätte.
Die Tür öffnete sich unter lautem Protest, doch es war ihr egal. Möge er sie doch hören; sie war sich um ihre Freiheit sicher, als ein frischer Wind ihr durchs Haar wehte, sich unter das immer noch offene Hemd schob, was sie erst jetzt bemerkte und den Geruch nach Verfall aus ihrer Nase vertrieb. Sie machte ein weiteren Schritt und stand draußen. Im Freien. Doch wo war Torben.
Sie drehte sich um und ihr Herz schlug hinauf, durch ihren Hals direkt in ihren Kopf. Torben stand einige Meter vor ihr und starrte in den Saal hinein, direkt auf eine Person, die sich leicht hinkend auf ihn zugbewegte. Etwas an Torben hatte sich erneut verändert. Sein Atem rasselte und sein Körper wirkte wie aus Stein, denn sämtliche Muskeln waren angespannt.
„Ich hasse dich Vater!“ presste er hervor und winkte Sophia gleichzeitig mir seiner linken Hand zu. Eine Geste, die ihr unmissverständlich klar machen sollte, sie solle verschwinden, doch sie blieb, denn etwas in ihr wollte Torben mitnehmen. Sie hatte nun gar keine Angst mehr vor ihm, sondern nur noch um ihn.
Torben bückte sich und hob ein altes Stück Holz auf, dass am Boden lag. Mit sicherem und entschlossenen Schritt ging er dem Alten, seinem Vater, entgegen.
„Lauf!“ Er schrie sie an und ein letzter Blick streifte den ihren, als er sich auf sein Gegenüber stürzte.
Sophia rannte weg und sie hörte noch, wie Torben ihr hinterher rief, er würde sie finden. Sie spürte, wie sich eine Träne den Weg aus ihrem Auge suchte.


Als sich Torben sicher war, dass Sophia ihn nicht länger sehen konnte, holte er weit aus und das Holzstück glitt zischen durch die Luft.
Er warf es in eine Ecke und trat seinem Vater gegenüber, der daraufhin einige Worte an seinen Sohn richtete.
„Ist es nicht schön, wie die Puppen tanzen. Ich habe dir gesagt, dass es klappen würde. Morgen suchst du sie auf und schon bald wird sie sich so bewegen wie du es gerne hättest. Ohne Gefängnis. Quasi ohne Schnüre. Ich sagte dir doch, dass dein Gefängnis nicht nötig sei.“
Torben umarmte seinen Vater und blickte hinaus. Doch es war mehr als ein einfach Blick in den helllichten Tag. Es war ein Blick voller Dankbarkeit und Liebe und ein Blick in eine Zukunft, die er unter Kontrolle hatte.

 

Hallo morti!

Schöne Geschichte, gut geschrieben, undobwohl gleich viel Kritik kommt, ist sie sicherlich eine der Geschichten aus dem besten Drittel hier!

Ich finde, dein Text ist zu lang, daher ist er nicht spannend. Auch die Sprache ist nicht spannend, denn sie ist nicht schnell (zu lange sätze, zu viele verschachtelungen), während die Handlung nicht verschahtelt ist. Und Du verwendest oft ungünstige Worte. In einer panischen Situation verwendest Du z. B. ganz oft das Wort "Ruhe". Statt:

Sophia schlang ihre Arme um Torbens Taille und zerrte ihn fort. Sie zog ihn auf die Tür zu, doch er bewegte sich nicht. Benahm sich wie ein Kind, dass trotz allem Flehen der Mutter nicht folgen wollte.
„Dort kommen wir nicht durch. Nur er hat den Schlüssel.“ Er klang ruhig und genau diese Ruhe war es, welche die Angst in Sophias Kopf noch einmal schürte. Wäre sie eben gerannt, dann säße sie fest. Vielleicht für immer. Sie verscheuchte diesen Gedanken und blickte sich um, auf der Suche ein einem Ausweg, doch alles was sie sah, waren Türen, die in ihren Angeln ruhten, als wären sie seit Jahren nicht mehr bewegt worden und Fenster, die vor eben so langer Zeit einen letzten Blick in die Außenwelt zugelassen hätten.
„Hier entlang.“ Seine Ruhe verschwand augenblicklich, denn die Schritte im Keller setzten sich wieder in Bewegung und es war ihr, als könne sie den wütenden Atem des Puppenspielers bis hier oben wahrnehmen. Es war das Atemgeräusch eines wilden Tieres.

Hätte man auch schreiben können:

Sophia packte den kindlichen Mann und zerrte an ihm, sie wollte ihn zur Tür ziehen, aber er bewegte sich nicht, er stand da wie ein behäbiger Junge und ließ sich von der verzweifelten Sophia um keinen Zentimeter bewegen, ihr Körper war viel zu schwach. Die Schritte des Puppenspielers näherten sich. Sie zerrte weiter an Torben, sie wollte weit weg, sie wäre am liebsten mit ihren ausgezehrten Beine die hunderte von Kilometern bis zu ihrem Elternhaus gerannt, halbtot und halbnackt wie sie war, weg von dem Weiß, weg von dem Puppenspieler, und weg von den gierigen Fingern von Torben, aber in alle Richtungen blockierten schwere Türen ihren Weg.

„Nein." sagte Torben langsam, "Ich habe keinen Schlüssel für die Tür“. Seine Langsamkeit zerriss Sophias ausgehungerte Nerven, sie wollte keine Sekunde länger hier bleiben, wenn doch nur endlich Bewegung in dieses große Kind käme! Die Schritte des Puppenspielers näherten sich hinter einer der Türen, und der Boden unter fiel unter Sophia weg, sie wollte nie wieder in dieses Zimmer, lieber wäre sie tot. Gerade, als ihre Beklemmung so unerträglich wurde, dass sie den Atem des Puppenspielers in ihrem Nacken ahnte und sich ihr Hals zuschnürte, kam endlich Leben in Torben: „Hier entlang“.

Ein genereller Fehler ist mir aufgefallen:

Bereits am Anfang geht es der Protagonistin mies, es kann ihr kaum noch schlechter gehen. Ihr Wille ist bereits gebrochen. Das heißt für den Leser, dass er während der Geschichte kaum befürchten kann, dass seiner Sophia nohc etwas schlimmeres bevorsteht - und genau das wäre Grundlage für jegliche Spannung.

Lass Dich nicht unterkriegen, wie gesagt, ist eine von den erfreulich guten Geschichten, ich habe sie gerne gelesen!

Gernot

 

Hi Gernot,
schön das sich ein Leser gefunden hat und damit auch danke für die damit verbundene Kritik.
Freut mich, dass dir die Geschichte soweit gefallen hat. Am Wochenende werde ich mich den Kritikpunkten einmal annehmen und versuchen, ein wenig mehr Geschwindigkeit in die Erzählung zu bringen.

Grüße...
morti

 

Hallo morti,

auch mir hat deine Geschichte insgeamt gut gefallen. Was ich an Anmerkungen hätte hat Gernot größten Teils schon angemerkt, auch wenn es mich nicht störte, dass es deiner Protagonistin schon am Anfang mies ging.
Gerade deines Schlusseffekts wegen möchte ich dir aber noch dne Vorschlag machen, den Rückblick Torbens noch mehr aus seiner Perspektive zu erzählen, vielleicht als wörtliche Rede während einer Ruhepause bei der Flucht.
Es mag deine Geschichte langsamer machen, aber wie ist Sophie dort in das Gefängnis gekommen?
Habe ich da was überlesen?

Ein kleiner Rechtschreibfehler ist mir auch ohne Suche aufgefallen. ;)

Sophia rieb sich die Augen und schloss ihre Lieder, welche die Welt um sie herum jedoch nicht ausblenden konnten.
schloss ihre Lider (sind ja die der Augen und keine gesungenen);)

Das wars auch schon von mir.

Lieben Gruß, sim

 

So,

einige kleine Änderungen habe ich bereits vorgenommen. Da wäre zum einen der neue Anfang, der Sophia nicht ab Anfang an als unglückliche Person zeigt und gleichzeit erklärt, wie es dazu kam, dass sie im dem Gefängnis landete.
Auch einige Stellen innerhalb des Textes habe ich verändert, aber ich glaube nicht, dass ich der Geschichte dadurch zu "Geschwindigkeit" verhelfen konnte. Zu fest ist ihre feste Struktur wohl noch immer in mir verankert. Aber ich hoffe, dass sie daduch wenigstens ein wenig an Qualität gefunden hat.
Mal sehen, vielleicht werde ich mich noch einmal daran setzen, wenn ich was mehr Abstand gefunden habe, bzw. die Geschichte auch für mich wieder unbekannt ist.

Danke auf jeden Fall und Grüße... an euch beide!

morti

 

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