Der Sklave
Es war nur ein kleiner Moment, der sein Leben in einer anderen Geschwindigkeit ablaufen ließ. Ein Moment, so verschwindend kurz, mit der Dauer von 25 Herzschlägen, die sich pochend, schlagend, hämmernd in seiner Brust bemerkbar machten. Ein Moment der verweilte, ihn in sich gefangen hielt, ihn an sich gefesselt hatte, dass er schweren Schrittes den Moment mitschleppen musste, anstatt ihn abzuschütteln, denn es war einer der wenigen merkwürdigen Augenblicke, die ihm nur zu selten vergönnt waren.
Er sah zum Eingang, und das was er sah, brachte ihn aus seiner schon obligatorischen Ruhe. Mit dem Mund weit offen, stand er da, während das Treiben um ihn langsamer wurde, einfror, ein Ende nahm, fixierte er seinen Blick. Mit der Dauer, geringer als der eines Wimpernschlages, wand er sein Bewusstsein vom Geschehen ab, und suchte nach Antworten, zu denen er die Frage nicht kannte, zu denen sein Geist ihm jedoch Bilder zeigte, Bilder aus der Vergangenheit. Zu oft ist er ausgewichen, hat sein Leben nicht in die Hand genommen. Er war beharrlich, jedoch auf seine Weise, trotz allem gehörte ihm sein Leben längst nicht mehr, es gehörte seiner Routine, Abenden vor dem Fernseher, seiner Arbeit.
Plötzlich schoss ihm das Blut in seinen Kopf und brachte ihn wieder in die Wirklichkeit zurück. Hinter seiner Stirn und seinen Schläfen pochte das Blut, und es schien ihm als ob es auch mit all seiner Kraft den Schweiß aus den Poren presste. Ein leichter Hauch fuhr ihm über die schweißbenetzten Hände als er sich in Bewegung setzte, sein Ziel immer noch im Auge. Der verdunstende Schweiß, der sowieso eiskalt war, fror ihm seine Hände ein dass er sie krampfhaft zu Fäusten ballen musste. Während er einen Fuß vor den anderen setzte, immer bestimmter, trotz dem Umstand dass er auf seinen zitternden Beinen jeden Moment umfallen könnte, kam die Menge um ihn wieder in Bewegung, langsam und kaum merkbar. Er nahm sie nicht wahr, und rempelte einzelne Leute auf seinem Weg an. Seinem Ziel kam er immer näher, und damit wurde er auch energischer in seinem Gang, während sich das Blut in seinen Adern weiter voran schob. Mit einem Mal wurde ihm schlecht, er war Stresssituationen nicht gewohnt, und er hätte sich am liebsten auf der Stelle übergeben, am besten mit seinem Blut das ihn zur Verzweiflung trieb, sein Herz fast zerspringen ließ, mehr aus Adrenalin bestand. Noch wenige Schritte, dann hätte er sie abgefangen.
Sie, eine wunderschöne Frau. Schulterlange braune Haare, tiefblaue Augen, eine kleine Nase mit einzelnen Sommersprossen, weiche Gesichtszüge, ein zierlicher Körperbau, das alles zog schon viele verliebte, gaffende Blicke auf sie. Er bildete keine Ausnahme. Mittlerweile zog es ihn schon fast ferngesteuert zu ihr, und mit einem schnellen Schritt stellte er sich ihr in den Weg. Sie blickte ihn fragend an, sprach jedoch kein Wort. Er wollte etwas sagen, machte den Mund auf und überlegte. Seine Suche nach Antworten war erfolgreich, die Fragen jedoch, hatte er immer noch nicht gefunden. Die Leute bewegten sich wieder schneller, die Zeit nahm wieder ihren Lauf, und lief immer schneller um das Vergangene aufzuholen. Um so schneller schlug sein Herz, so dass man das Blut, in den Adern pochend, schon sehen konnte. Es schnürte ihm die Kehle zu, nicht einmal ein Krächzen konnte er hervor bringen. Sie wurde ungeduldig. Doch bevor sie sich entschloss zu gehen, nahm er Reißaus. Er musste sich übergeben, und das so schnell wie möglich, zu schlimm ist es geworden.
Nach einer Viertelstunde kam er aus der Herrentoilette, und entschloss sich die Disco zu verlassen. Der Abend war gelaufen. Er würde nach Hause fahren, zu seiner Frau, seinen drei Kindern. Er würde übermorgen wieder zur Arbeit gehen, sein stumpfes Leben fortsetzen, am Schreibtisch Akten durchwühlen. Alles das ging er in Gedanken durch, während er seinen Mantel von der Garderobe holte. Die Zeit zog ihn noch immer, noch schneller mit sich. Viel nahm er in der Geschwindigkeit nicht mehr wahr, nur noch dass er den Autoschlüssel im Zündschloss umdrehte, auf die Hauptstraße einbog, ein Auto überholte, das Glas der Windschutzscheibe ihm die Kehle aufschnitt.
Eine Frau berichtete einem Polizist später, dass dieser Kerl es wohl auf sie abgesehen hatte. Er hatte sich vor einer Stunde so merkwürdig ihr gegenüber verhalten. Blut floss an ihrem Arm hinunter und tropfte auf die Straße, wo es langsam und kaum merkbar vertrocknete.
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Meine zweite Kurzgeschichte, und meine erste mit frei erfundener Story. Ist schon ein paar Monate her.
Btw.: Schreibt ihr auch immer auf, wo und wann euch der Einfall für eine Kurzgeschichte gekommen ist?