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Der Sinn der Sinnlosigkeit

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31.07.2003
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Der Sinn der Sinnlosigkeit

Schon zum dritten Mal las er nun dieses Buch. Seite für Seite war gefüllt mit Buchstaben, Worten, Sätzen. Knapp 200 Seiten fasste das Erstwerk eines jungen Nachwuchsautors. Viele seiner Kollegen hatten es bereits gelobt und es für vielversprechend erklärt. Vielversprechend? Die pure Wut kochte in ihm. Ist er wirklich 13 Jahre zur Schule gegangen, hat er sich wirklich im Studium immer und immer wieder von Neuem beweisen müssen, um nun diesen Schund zu lesen? Das Buch war nicht vielversprechend, es war sinnlos. Schlicht und ergreifend sinnlos. Nichts, wirklich nichts ergab Sinn. Die Charaktere passten nicht zur Story, die Story zersplitterte bei näherem Betrachten in Hunderte von Mosaiksteinchen, die beim besten Willen nicht zusammen passten. Er fühlte sich provoziert. Wie konnte man es wagen, ihm so etwas vorzusetzen und wieso lobten seine Kollegen dieses sinnlose Geschreibsel? Sollte wirklich ein tieferer Sinn in diesem Buch stecken? Wie sollte er sich verhalten? Die Dead-Line für seine Rezension näherte sich. Am nächsten Tag musste er 200 Zeilen zu dem Buch geschrieben haben. Der Chefredakteur seiner Zeitung verlangte es so. Er fühlte sich unter Druck gesetzt und provoziert. Wollte man ihn loswerden? War er an seinem Arbeitsplatz nicht mehr erwünscht? Sonst wurde er doch immer gelobt. Wieso setzte man ihm nun dieses Buch vor? Es hatte doch keinen Sinn. Entnervt und frustriert las er die letzten Seiten des Buches. Die Hoffnung, diesmal auch nur einen Anhaltspunkt für einen tieferen Sinn zu finden, schwand. Noch 10 Seiten, noch 6 Seiten, noch 3 Seiten, noch 2 Seiten, die letzte Seite und trotzdem wusste er noch immer nicht, was er von diesem Buch halten sollte. Die Wut trieb ihn dazu, dieses Buch in seiner Rezension Zeile für Zeile zu zerreißen. Er fing an zu schreiben, doch sein Unterbewusstsein mahnte ihn, dass er mit seiner Kritik vollkommen falsch lag. Er löschte die eben geschriebenen Zeilen wieder. Das Buch lag vor ihm auf dem Tisch. Er beobachte es, so als ob es jeden Moment zu sprechen anfangen würde. Vielleicht würde es sich ja erklären. Er lachte bitter. Was für ein Narr er doch war. Seine Frau kam nach Hause. Er bat sie, das Buch zu lesen. Vielleicht würde sie ja einen Sinn entdecken. Fehlanzeige, auch sie wusste nicht, was sie von der Story halten sollte. Allerdings lobte sie den interessanten Sprachstil, der von einer Vielzahl von Metaphern und scheinbaren Widersprüchen lebte. Er resignierte, zweifelte an seinen Fähigkeiten. Griff wieder nach dem Buch, studierte den Einband, überflog die Seiten. Die Wahl der Wörter, die Art des Satzbaus, die Reihenfolge, in der die Buchstaben aneinander gereiht waren, ja sogar die Art und Weise, wie die Seiten bedruckt waren, provozierten ihn. Er hasste dieses Buch. Es war spät am Abend und er resignierte – zumindest für den Moment. Er ging ins Bett, hatte dringend Schlaf nötig. Doch er konnte nicht einschlafen, er kam nicht zur Ruhe. Vor seinen Augen spielte sich der Inhalt des Buchs immer und immer wieder von Neuem ab. Wovon handelte das Buch eigentlich? Unterbewusst war die Antwort vorhanden, doch er konnte sie nicht denken. Er überlegte, erinnerte sich an jede noch so kleine Textstelle. Plötzlich wurde ihm bewusst, dass das Buch keine Handlung hatte. Gab es so etwas überhaupt? Konnte das Sinnlose einen tieferen Sinn haben? War dies vielleicht die wahre Kunst?

 

Hmmm... Ein wenig fühle ich mich jetzt der Protagonist in deinem text. Was soll ich nun dazu sagen? Du deutest aber auf etwas hin was es tatsächlich gibt. Es ist durchaus möglich ein Text oder sogar ein ganzes Buch durchzulesen, und am Ende nicht zu wissen, was man dazu sagen soll. Das gefühl kenne ich. Das kennt glaube ich jeder. Du lässt aber offen, ob das bedeutet, dass die Geschichte gut oder schlecht ist. Das finde ich gut, denn es regt zum Nachdenken an.
Gruß, JuJu

 

Hallo JuJu,

es freut mich, dass der Text seine Wirkung nicht verfehlt hat. Sinn einer Kurzgeschichte ist es meiner Meinung nach, zu verwirren und nicht zu entschlüsseln. Fertige Lösungen sind zu billig, der Leser selbst soll nachdenken. Viele hier scheinen diese Art des Schreibens nicht zu mögen, vermutlich weil sie zu denkfaul sind.

 

Vermutlich schreiben die meisten Autoren auch nur, weil sie zu denkfaul sind! Ich würde mal annehmen, da die meisten hier selber Autoren sind, legen sie mehr Wert auf die handwerkliche Machart als andere. Wenn ein Text stilistisch schwach ist, hat das wohl eher etwas mit der Denkfaulheit des Autoren und der fehlenden Bearbeitung durch den Autoren zu tun. Deinen Kritikern Denkfaulheit vorzuwerfen, finde ich ziemlich arrogant.

 

Arroganz ist eine Sache, von der sich so leicht keiner freimachen kann. Sicherlich stehe ich noch am Anfang, mein Stil ist schwach, da gebe ich dir recht. Allerdings verweise ich entschieden darauf, dass ich keinem direkt Denkfaulheit unterstellt habe, sondern es im Allgemeinen bedauere, dass sich einige Leute ungern mit den Geschichten auseinander setzen. JuJu gehört natürlich nicht zu dieser Personengruppe. Im Gegenteil: Er/Sie steht dem Nicht-Vollendeten positiv gegenüber.

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo FrozenFire,

es ist vergeblich etwas zu sagen, was man (in diesem Fall als Autor) nicht verständlich machen kann. Was sagt die Geschichte aus? Ein Sinnhaftigkeit wird nicht erkannt. Ist es Unfähigkeit oder gibt es keinen versteckten Sinn? Ist die Darstellung dieser beiden Möglichkeiten philosophisch? Im gewissem Sinne schon, aber halt nur sehr oberflächlich, weil keine weiteren Ideen oder Standpunkte zu diesem Thema aufgezeigt werden.
Positiv: Die Integrierung des Problems in eine die Lebensumstände des Prot. betreffende Handlung.
Korrekterweise müßte der Titel `Der Sinn in der Sinnlosigkeit´ heißen.

Tschüß... Woltochinon

 

Hallo Woltochinon,

gibt es Fragen, deren Beantwortung reizlos ist? Meiner Meinung nach schon. Mir mißfällt es, alles vorzukauen. Ich liebe das Unvollendete. Der Leser selbst soll entscheiden, ob es sich nun um "Unfähigkeit" oder um einen tatsächlich fehlenden "versteckten Sinn" handelt. Indirekt geht die Antwort schon aus der Geschichte hervor. Wer suchet, der findet.

 

Ich gebe FrozenFire voll und ganz recht! Es ist doch schwachsinn einer Geschichte, die sich mit Sinnlosigkeit auseinandersetzt einen Sinn abzwingen zu wollen! Wenn man für sich keinen entdeckt, dann entdeckt man halt keinen! Das hat doch auch etwas, eine Geschichte zu lesen, die nicht aufgelöst ist, nie vollkommen auf irgendetwas anwendbar ist. Ich lese mir jedenfalls lieber Kafka Geschichten durch, als Karl May! Wenn ihr immer wissen wollt, woran ihr seid, lest doch einfach die Geschichten der Kinderabteilung, da lässt euch keiner im Ungewissen!

Mir hat die Geschichte insgesamt gut gefallen, auch, wenn sie insgesamt etwas zu konstruiert und einsträngig wirkt. Du solltest daran arbeiten noch ein Detail oder eine Auffälligkeit zu nennen, die sich vielleicht wie ein roter Faden durch die Geschichte zieht. Z.B., dass sich der Prot. immer in der Nase bohrt oder mit dem Kugelschreiber herumspielt, wenn ihm nichts einfällt, damit die Geschichte etwas lebendiger wird und nicht so einsträngig bleibt. Meine Meinung.

 

Hallo popla,

„wenn ihr immer wissen wollt, woran ihr seid, dann lest doch einfach die Geschichten der Kinderabteilung“.
Um das Wissen, woran man ist, ging es nicht in meiner Anmerkung, sondern darum, ob der Text irgendeinen philosophischen Anteil genügend herausarbeitet.

Dann Dein Vorschlag: Wenn „der Prot. immer in der Nase bohrt, oder mit dem Kugelschreiber herumspielt, wenn ihm nichts einfällt“ dann wird „die Geschichte lebendiger ... und nicht so einsträngig.“ - kannst Du Dir vorstellen, dass sie sich dann auch der „Kinderabteilung“ nähert?

„Es ist doch schwachsinn einer Geschichte, die sich mit der Sinnlosigkeit auseinandersetzt einen Sinn abzwingen zu wollen“.
Das ist leider falsch. Es ist durchaus möglich, sinnvoll über die Sinnlosigkeit zu schreiben. Nur eine wirklich sinnleere Geschichte enthält keinen Sinn, dann wäre ein „abzwingen“ sinnlos (wenn man `mal von indirekten Effekten absieht, die entstehen, wenn eine Geschichte im Kontext mit anderen Fakten gesehen wird). Die Darstellung von Sinnlosigkeit ganz allgemein (isoliert), ist ohne Erenntniswert, da der Fall `Sinnlosigkeit´ bekannt ist.

Hallo FrozenFire,

warum soll der Leser nun „entscheiden, ob es sich um `Unfähigkeit´ oder eine fehlenden, `versteckten Sinn´ handelt, wenn dies Fragen sind, „deren Beantwortung reizlos ist“?

Unvollendedes (korrekter: Geschichten mit offenem Ende) können durchaus interessant sein, wenn sie den Leser gewissermaßen an den Rand einer gedanklichen (oder situativen) Klippe führen, er dann den Sprung wagt, oder nicht. Dieses Element ist bei Deiner Geschichte höchstens rudimentär ausgebildet.
„alles vorzukauen“ - „alles“ ist falsch, da Du noch nichts von Deinem angeblichen Wissen dargeboten hast. Wäre aber nett, wenn Du das `Vorkau- Potenzial´ einmal ausschöpfst, falls überhaupt möglich (man macht da so seine Erfahrungen).
„Wer suchet, der findet“ - nicht unbedingt, da gibt´s wieder zwei Möglichkeiten...
Also: Nicht argumentativ desertieren.


Alles Gute, Euch beiden,

tschüß... Woltochinon

 

hey frozenfire!
also "der sinn der sinnlosigkeit" hat mir gut gefallen. vor allem das detail, dass die Story "zersplitterte bei näherem Betrachten in Hunderte von Mosaiksteinchen". fand ich sehr schön formuliert.
etwas unlogisch fand ich das ganze mit seiner frau: ist es möglich, ein buch von 200 seiten an einem abend zu lesen??? so wie du es formuliert hast hatte ich als leser das gefühl, es seien vielleicht einige minuten verstrichen bis seine frau die story gelesen hat.
genau diese fragen die du am schluss gestellt hast, die hab ich mir auch schon oft gestellt.. vor allem vor einigen jahren in der schule bei texten von dürrenmatt oder auch kafka (glücklicherweise gibts da ja interpretationsbücher :D ).
zuerst habe ich mich bei deinem text gefragt, was du damit sagen willst - aber genau das macht ihn ja auch stark: es geht um sinn und unsinn/sinnlosigkeit und vor allem um die letzte frage.
was ich vielleicht noch ändern würde: am anfang der geschichte bei "das buch war nicht vielversprechend, es war sinnlos" anstatt ein "." ein "!" setzen. so ist die wirkung noch grösser von den gefühlen des rezensenten. aber das ist ein detail. sonst fand ich deinen stil sehr stark - du weisst, was du damit sagen willst (und das hängt meiner meinung nach wirklich nicht mit "denkfaulheit" zusammen!!).
lg, nadja

 

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