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Der siebente Kaffee
„Es wird nicht lange dauern!“ hatte sie noch gesagt, ein Kuss, ein letzter Blick zurück, schon war sie seinen Blicken entschwunden. Er blieb zurück im Straßencafé, die Sonne schien, der Tag war heiß.
Zunächst hatte er noch belustigt den Bauarbeitern auf der anderen Straßenseite zugesehen. Die hatten offensichtlich Mühe, die Arbeit so zu dehnen dass sie für den ganzen Tag reichte, standen herum, redeten in einer unbekannten Sprache und pfiffen manchmal den Mädchen, die von der Uni kamen, hinterher.
Doch nun war der Nachmittag fast vergangen, die Arbeiter hatten ihr Werkzeug verstaut und die Baustelle verlassen. Nebenan räumte pfeifend der Gemüsehändler seine Kisten ins Geschäft, auch für ihn war wohl willkommener Feierabend. Immer noch saß er auf demselben Platz, allein, die Straße im Blick. Es langweilte ihn, hier untätig warten zu müssen. Wenn sie wenigstens anrufen würde! Aber das Handy blieb stumm. Immer wieder schaute er in die Richtung aus der sie kommen musste. Mehr als einmal glaubte er sie zu sehen, doch es war immer nur ein Irrtum. Er fühlte sich vergessen.
Was nur konnte sie so lange aufhalten? Vielleicht hatte sie sich verlaufen. Sie vertraute ihm, verließ sich darauf, dass er in einer fremden Stadt den richtigen Weg finden würde. Allein, sagte sie immer, würde sie niemals zurückfinden. Er glaubte ihr nicht. Frauen fragen ja immer nach dem Weg, notfalls konnte sie auch ein Taxi nehmen. Sie wird nicht wissen wie die Straße heißt, dachte er. Er wusste immer in wel-cher Straße das Auto geparkt war und wohin sie wieder zurück mussten. Um solche banalen Dinge kümmerte sie sich nicht, dafür hatte sie ihn. Und sie hatte sich noch nie getäuscht. Aber diesmal musste sie allein in der fremden Stadt zurecht kommen. Zwar waren sie nicht zum ersten Mal hier, aber auch nach mehreren Reisen findet man sich in einer Millionenstadt nicht so leicht zurecht. Und wenn man sein bisheriges Leben in einer Kleinstadt verbracht hatte erst recht nicht. Hier war alles so groß, so ehrfurchtgebietend, aber auch so berauschend.
Wer hierher kam sah sofort, dass er die ehemalige Hauptstadt eines Königreiches besuchte. Alte, ehrwürdige Kirchen wechselten ab mit majestätischen Monumenten, die Herrlichkeit der Monarchen preisend. Prächtige Magistralen lenkten den Blick auf prunkvolle Bauten, umgeben von ausgedehnten Parks, durch die ein buntes Völkchen wandelte, das sich auch manchmal ungeniert und knapp bekleidet in der Sonne bräunte. Schmale Gassen, in denen man sich noch im Mittelalter wähnte, mündeten plötzlich in mehrspurige Straßen, die als Lebensadern des Verkehrs die Stadt durchzogen. Sie waren ohne Rücksicht auf die historischen Bauten wie Schneisen durch die Stadt geschlagen worden und nun von Bauwerken gesäumt, die diesen Namen nicht verdienten und in ihrer Hässlichkeit kaum zu überbieten waren.
Die Ärzte, so ein Spottvers, können über ihre Fehler immer noch Efeu wuchern lassen, doch die Architekten? Ihre Ideen blieben der Nachwelt als Zeugnis des Zeitgeistes und des schlechten Geschmacks erhalten, man musste sie ertragen oder einen Weg abseits der architektonischen Scheußlichkeiten einschlagen. Wenn das Auge sich dann beleidigt abwandte wurde es durch den Anblick der Brücken versöhnt, wie sie sich mit eleganten Bögen sanft über den Fluss schwangen. Dieser wand sich in Mäandern durch die Stadt, teilte sie in einen großen und einen kleinen Teil und lud mit seinen grünen Ufern zum Verweilen ein.
Hier also wollten sie leben, in dieser lauten und doch faszinierenden Stadt, die allerdings im Ruf stand, die teuerste zu sein. Tatsächlich, die Läden und Boutiquen der Einkaufsmeilen überboten sich mit verlockenden Angeboten und wetteiferten mit überquellenden Auslagen um die Gunst der Kunden.
Vielleicht, durchlief es ihn heiß, war sie in diese Konsum-Tempel geraten und dachte deshalb nicht mehr an ihn? Hier etwas zeigen lassen und da etwas anprobieren, dabei konnte sie alles um sich herum vergessen, die Zeit, den Ort, und sogar ihn. Er stellte sich vor, wie sie ein ums andere Mal aus der Anprobe kam und prüfende Blicke in den Spiegel warf, worauf die Bewunderung der Verkäufer jedes Mal keine Grenzen kannte. Eine schöne Frau noch attraktiver zu machen war ja die einzige Aufgabe all der Modeberater um sie herum.
Bei ihr hatten sie es allerdings nicht schwer. Nicht, dass sie sich leicht etwas aufschwatzen ließ, doch sie war von so eigener Schönheit, „dass sie selbst in einem Sack noch gut aussehe“ wie er immer sagte. Was sie auch trug, wie sie sich auch kleidete, wer sie sah konnte eine Weile den Blick nicht von ihr wenden. O ja, sie hatte Geschmack, das musste der Neid ihr lassen. Sie legte Wert auf ihr Aussehen, das gefiel ihm. Dem Konto freilich tat das nicht immer gut, wie er gelegentlich bekümmert feststellte. Mit Schrecken fiel ihm ein, dass sie seine Kreditkarte hatte. Er sah sie schon beladen mit Paketen und Tüten vor ihm stehen: „Schatz, ich konnte nicht widerstehen! Sieh dir nur diese herrlichen Sachen an!“ Dazu dann dieser unschuldige Blick aus ihren dunklen Augen, wer konnte da böse sein? Aber sie könnte sich zwischendurch mal melden, dachte er, statt mich hier allein und im Ungewissen zurück zu lassen! Er konnte sich nicht vorstellen dass um diese Zeit noch jemand im Büro sein sollte, selbst wenn es das Personalbüro war und es um eine anspruchsvolle Stelle ging. Ihm war klar dass ein Vorstellungsgespräch nicht in fünf Minuten vorüber war, wenn man davon absieht, dass manche Bewerber bereits nach zwei Sätzen als Schaumschläger entlarvt werden. Das aber konnte er sich nicht vorstellen, dazu war die Einladung einfach zu dringlich und die Reise zu weit gewesen. Außerdem kannte er ihre Fähigkeiten genau und wusste, dass diese fachliche Kompetenz nicht leicht zu finden war. Also blieb ihm nur zu warten und noch einen Kaffee zu bestellen.
Kaum hatte die Bedienung die Tasse abgestellt sah er sie um die Ecke kommen. Ohne Einkaufstüten! Er sprang auf, lief ihr ein paar Schritte entgegen und schloss sie in die Arme. „Wo warst Du nur so lange?“ „Ach Schatz, hast Du einen Kaffee für mich? Es war grausam! Ich musste zunächst vor dem Personalchef, dem Abteilungsleiter und noch einer Mitarbeiterin die gesetzlichen Grundlagen erläutern. Das war schwer! Aber bis auf eine Problemstellung lag ich genau richtig. Danach musste ich in einem separaten Raum allein eine ziemlich knifflige Kalkulation rechnen. Zum Glück war die passende Literatur da, aber der Taschenrechner, den sie mir gegeben hatten, war kaputt!“ „Das ist ja ein böser Trick! Wie bist Du denn dann zurecht gekommen?“ Sie öffnete lächelnd ihre Handtasche. Was aussah wie ein Spiegel entpuppte sich als Taschenrechner. „Alles richtig gerechnet!“ rief sie fröhlich. Ja, so war sie, nicht auf den Kopf gefallen und dabei auch noch eine schöne Frau. Ein warmes Gefühl durchströmte ihn. „Ach Du Süße! Wann kannst Du mit Nachricht rechnen?“ „Ich habe sie schon. Am ersten Dezember geht’s los!“ „Dann bleiben uns nur gut drei Monate um eine Wohnung zu finden!“ „Ja, das wird schon klappen. Aber zunächst möchte ich mit Dir den Erfolg mit einem Gläschen Champagner feiern und dann....!!“ Ihre Augen leuchteten, und er wusste: Dieser Tag würde Spuren hinterlassen.