Der Sheik von Lucerne
Einsam stand der Sheik von Lucerne vor seinem weissen Schloss auf der Anhöhe. In Gedanken versunken schaute er auf sein wasserreiches Umland. Zu seinen Füssen lag der See, wie er es seit Urzeiten getan hatte. In der Hand hielt er eine alte Karte seines Reichs. Darauf war Lucerne noch ‚Luzern’ geschrieben, wie es vor hundert Jahren noch üblich war.
‚Seit diese Karte gedruckt wurde’, grübelte er, ‚bis heute, hat am Sitz des Imperiums kein solch bibelschwingender, unterbelichteter Pseudoerlöser mehr residiert’.
Ye Kerr war gebildet und wusste wovon er sprach. Er kannte die Geschichte. Damals nannte man Staaten im mittleren Osten »Schurkenstaaten«. Heute beschimpfte man sein Land. „Wer aus der Geschichte nicht lernt, ist verdammt dazu ihre Fehler zu wiederholen.“, hatte sein Magister immer gesagt.
Seit dem überbordenden Ausbeuten der weltweiten Ressourcen, durch das heute herrschende Imperium und dem Kippen des Weltklimas, durch ungehindertes Verbrennen fossiler Brennstoffe, Mitte des 21. Jahrhunderts, teilte sich die Erde in eine überlebensfeindliche Kalt- und Heisszone. Dazwischen lag ein schmales Band von wenigen tausend Kilometern Breite mit gemässigtem Klima, das sich um die Ganze Erde Zog. Im Zentrum des Europäischen Streifens lag Lucerne. Süsswasser, das wichtigste Gut auf Erden, gab es unbeschränkt nur noch innerhalb dieses Gürtels.
Die Klimaveränderung führte zur heutigen Weltordnung. Die einstige UNO und die Europäische Union existierten nur noch auf dem Papier. Die Taktik der Grossen Länder und Firmen, an begehrte Ressourcen zu kommen, hatte sich im Vergleich zu den Zeiten vor dem Klimawandel nicht verändert. Milliarden waren deshalb seither verdurstet!
Jemand näherte sich von hinten mit schleppendem Gang. Ein Fingertipp auf seine Schulter weckte Ye aus seinen Gedanken. „Ah, Pepito. Was gibt’s?“ Sein Vertrauter gab sich alle Mühe nicht zu betrübt auszusehen. „Die alte Hauptstadt ist gefallen und die Vereinigten Armeen stehen schon im Mittelland.“ Kerr blieb stumm und schaute nach oben. Wie als Antwort durchzog sich der Himmel mit feinadrigen Blitzen. Lange würde der magnetische Schild, um die Stadt dem Angriff nicht standhalten können.
Pepito betrachtete seinen Regenten, der nach einer Zeit des Schweigens unvermittelt die Stille brach: „Alle dachten nach den Fossilen Brennstoffen könne nur etwas Besseres kommen. Sie haben nicht mit der Habgier der Rattenkönige gerechnet die diese Welt seit drei Jahrhunderten in ihrem Würgegriff haben. Ja, der neue Treibstoff war Umweltneutral. Aber er spülte Geld in die gleichen Kassen wie zuvor das Öl. Der Rohstoff Süsswasser ist auf unserem Planeten nicht nur knapper als es Öl jemals war, sein Verbrauch als Antrieb reduziert Trinkwasser für die meisten Menschen zu einem absoluten Luxusgut.“ Für sich, dachte Ye: ‚Wenn es ihr Plan ist die Weltbevölkerung durch Verdursten an zu grosser Vermehrung zu hindern, dann geht ihr zynischer Plan auf.’
„Weisst du, Pepito, dass Europäer und Japaner damals den Wasserstoffmotor weiterentwickelt haben und das Imperium immer nur weiter auf das Ölmonopol seiner Allianz setzte?“ Pepito nickte, von Ye, der weiter auf den See blickte, unbemerkt. „Das war der Anfang vom Ende. Nur wasserreiche Nationen wie unser Land konnten sich den Treibstoff Wasser leisten. Die Technik setzte sich trotzdem sehr schnell von Europa bis nach Asien durch.“
Pepito wartete ab, bevor er die erneute Stille brach: “…und so kam es, dass die damaligen Machthaber des Imperiums begannen die Regierenden der wasserreichen Staaten Sheiks zu nennen. Dieselbe Bezeichnung, die sie früher für die Ölscheichs benutzten.“ Ye drehte sich um und schaute Pepito mit einer Mischung aus Erstaunen und Erkenntnis über seinen Vertrauten an.
„Genau, das ist die Geschichte wie wir sie kennen.“ Dann schüttelte er resigniert den Kopf. „Aber heutzutage ist Geschichte nur noch eine grosse Lüge auf die sich die imperial kontrollierten Medien geeinigt haben. Ein Land, das nicht von ihren Satelliten zentimetergenau kontrolliert werden kann, gilt als ein Dorn im Auge. Solche Länder werden bekämpft. Mit der Begründung, wenn sie sich einer Kontrolle entzögen, hätten sie etwas zu verbergen!“ Wieder durchzogen Blitze den Himmel.
„Der Schild wird nicht lange Schutz bieten, wenn sie erst einmal beginnen, uns mit elektromagnetischen Impulsen zu beschiessen. Gleich danach kommen die smarten Bomben. Gegen die haben wir ohne Schild keine Chancen.“ Ye wandte sich zu seinem Vertrauten um. „Ich habe deshalb lange genug über die Entdeckung an unserer Universität nachgedacht. Wir müssen die Wahrheit schützen und wir müssen das Wasser schützen. Wir müssen unseren Plan umsetzen.“ Und Pepito stimmte ihm zu.
Tags darauf standen Ye und Pepito in einem grossen Labor der Technischen Hochschule. Schon hörte man die Einschläge konventioneller Waffen auf den kleiner werdenden Schutzschild.
Die gesamten Kräfte ihrer Wissenschaftler auf die Forschung zu konzentrieren würde sich heute auszahlen. Wenn auch nicht finanziell. Sie würden die Apparatur, die jegliches Material in Sternenstaub zerlegt und neu in Wassermoleküle formiert nicht für sich alleine einsetzen, um reicher oder mächtiger zu werden. Wasser gab es in Lucerne mehr als genug. Ihr Leben und das von abertausenden Bürgern von Lucerne liessen sich nur retten, wenn diese Technologie der ganzen Welt zugänglich gemacht würde.
Ironie des Schicksals, dass ausgerechnet ihr Angreifer, das Imperium, mit der Entwicklung des Satelliteninternet SI nun Lucerne die Möglichkeit in die Hand gab, auf einen Schlag, innert Sekunden der ganzen Welt die Informationen dieser Wassertechnologie zur Verfügung zu stellen. Wenn die ganze Welt die Technologie kannte, wäre es sinnlos das Wasserschloss Lucerne weiter anzugreifen. Pepito stand vor einem SI-Terminal und hielt seine Hand über einem roten Knopf der mit ‚Eingabe’ beschriftet war. Ye grinste seinem Vertrauten verschlagen zu: „Drück aufs Knöpfchen, Pepito!“ Sekunden danach brach der Schutzschild zusammen und die ersten Bomben fanden ihren Weg ins Ziel. Aus Sicht des Imperiums, zu spät.