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der sexieste Kreisverkehr
Maxim freute sich auf seinen Spaziergang, sein kleines Time-Out.
Mit den Jungs in der Agentur eine Runde kickern war nett, aber abschalten konnte er
da nicht. Alle Themen drehten sich endlos weiter wie die Fußballfigürchen um die Stangen.
Er hatte Sven, seinen Chef, ohnehin in Verdacht, dass er die Kinderzimmeratmosphäre
für große Jungs nur kreierte, damit sie ihm bis Mitternacht Gesellschaft leisteten.
Bei einer seiner Runden hatte Maxim das Paradies entdeckt, einen der Kiez-Kleingärten.
Die Hölle der Spießer. Kein cooles Urban Gardening, wie Sven es betrieb und
worüber er manchen Kunden akquirierte. Nicht zuletzt seine Gespielinnen für meist eine
Blühsaison. Und die er gerade mit seinem neuesten Projekt betörte, eine mit Mohn
bepflanzte Verkehrsinsel. Glutrot leuchtete sie in der späten Nachmittagssonne und die
zerknitterten Blüten des Klatschmohns loderten mit dem schwarzäugigen Orientmohn
um die Wette. Verführung pur, das musste Maxim zugeben, und die zarten Blüten
erinnerten ein wenig an zerwühlt wirkende Laken. Typisch für Sven waren die eingeschmuggelten
schwarzen Päonienmohne, etwas Nervenkitzel musste sein.
Aber die rotschwarze Glut war nichts gegen den Glücksmoment, wenn Maxim durch
die Paradiespforte schritt. Der würzige Duft wilder Kräuter überwältigte ihn jedes Mal
aufs Neue.
Was nun, heute war das Tor zu! Der drohende Verzicht auf seine liebgewonnene Spazierrunde
traf ihn heftiger als erwartet.
„Gehen Sie auch eine Runde gießen?“, unterbrach ihn eine warme Stimme. Sie
gehörte zu einer mit Kartons beladenen Frau, aus denen Blumen ihre Köpfe vorwitzig
reckten, deren Namen er nicht kannte.
„Ja“, sagte Maxim zu seiner eigenen Überraschung. Bisher hatte er sich eher in der
Rolle des passiven Garten-Flaneurs wiedergefunden, der seinen Augen nur etwas
Erholung vom Bildschirm gönnen wollte.
Am gleichen Abend war er Neupächter eines pittoresk verwilderten Gärtchens, wo das
Gras meterhoch aufs Sensen wartete. Er hatte jetzt ein grünes Projekt wie Sven und
könnte abends die Jungs auf ein Bier einladen. Platz für einen Kickerautomat wäre hier
vielleicht auch. Und mit etwas Glück sprach niemand gleich von Projekten.
Die Gartenschlüssel fühlten sich verheißungsvoll in seiner Hosentasche an, als er
wieder in die Agentur kam, wo die anderen noch fleißig vor den Monitoren hockten. Die
Schlüssel zum Paradies. Aber noch war er nicht Paradiesbesitzer.
Zwei Wochen später wollte Maxim offiziell den Mietvertrag unterschreiben. Sein Garten
war immer noch sein Geheimprojekt, das er täglich in der Mittagspause besuchte, nicht
nur zum Buddeln, sondern auch zum Sonnenbaden, was Sven nicht unbemerkt blieb,
als Maxim nach dem Kickern einmal sein T-Shirt auszog.
Jetzt trug Maxim seinen Anzug vom letzten Kundenmeeting. Ein Fehler, wie sich
herausstellte. Genauso wie die vorzeitig überlassenen Gartenschlüssel.
Die Schlüsselsache schien für den Gartenvorsitzenden ein besonders heikler Punkt
zu sein und seine Wut startete schnell wie eine Motorsäge; Maxim kam es vor, als
wollte man verhindern, dass Möchtegerngärtner die Idylle störten.
„Sie hätten hier nie einen Garten haben dürfen!“, führte sein rotgesichtiges Gegenüber
seine Attacke fort. „Wir vermieten nicht an Anzugstypen wie Sie, die eine Gurke
nicht von einer Zucchini unterscheiden können.“
Maxim schwieg. Er war alles andere als ein Anzugstyp, aber er hatte es nicht nötig
sich zu verteidigen, wenn er ausnahmsweise mal sein TIGER of Sweden-Sakko zum
Job ausgeführt hatte.
Nicht nur seine neuen Gartennachbarn überwachten in den nächsten Wochen Maxims
Gartenfortschritte, sondern auch Sven und die Jungs, seitdem sie ihm einmal heimlich
gefolgt waren.
„Ich wusste gar nicht, dass du so spießig bist“, hatte Sven später gemeint, während
die Jungs ihn immerhin für das kühle Bier gelobt hatten, das Maxim aus seinem Erdkeller
geholt hatte.
Bald war Maxim einem grünen Zweifrontenkrieg ausgesetzt. Sven auf der einen Seite,
Maxims Gartennachbarn auf der anderen Seite. Und das war noch nicht alles.
Seine ersten Salate fielen behausten und unbehausten Schnecken zum Opfer, aber
Maxim war jemand, der nie aufgab und kurzentschlossen Hochbeete baute, was Sven
uncool fand in Zeiten mobilen Gärtnerns, wo Salate standesgemäß in Bäckerkisten zu
wachsen hatten, nach denen er ständig im Büro surfte.
Maxim verzweifelte langsam und fragte sich, wann er endlich prachtvolle Tomaten
ernten konnte oder leckere Möhren. All seine Bemühungen schienen umsonst. Flugschnecken
landeten in seinem neuen Schneckenzaunbeet, hübsche geringelte Bänderschnecken,
die ihm nachts jemand über den Zaun warf und während Sven von zu
optimierender Biodiversität predigte, wurden Maxim die besten Mäusemordmethoden
demonstriert, die er diplomatisch versuchte zu ignorieren.
Als sein Nachbar zur Linken, ein eigentlich sympathischer Mittdreißiger an einem
besonders heißen Nachmittag seinen Hund an den entferntesten Baum band, seine
Ledermontur und Helm überzog, einen Wassereimer vor seinem Geräteschuppen
deponierte, reichte es Maxim. Warum konnten nicht einmal die Tiere in Ruhe gelassen
werden! Und ein bisschen schadenfroh war er, dass die Wespen noch Gelegenheit
fanden zuzustechen, bevor ihr Nest im Wasser ertränkt wurde. Mit einem beherzten
Sprung rettete sich der Nachbar in seinen Pool. Was ihn aber nicht davor bewahrte,
dass sein Bein blasig anschwoll und Maxim ihn ins Krankenhaus fuhr, bevor Sven und
die Jungs abends zum Grillen vorbeischauten. Diesmal mit weiblicher Begleitung. Tatjana,
Svens aktueller Freundin, mit der er in leuchtenden Warnwesten Verkehrsinseln
begrünte. In der Dämmerung, wenn die anderen im Paradies ihre Würstchen grillten.
Oder im Krankenhaus am Tropf hingen.
„Das habe ich dir schon gleich gesagt“, meinte Sven später nur trocken und nahm einen
Schluck von seinem Bier, das er aus Maxims Erdkeller geholt hatte. „Urban gardening
ist was anderes als Gardening in the City.“
Und Tatjana fand, dass Maxims späte Pfingstrosen nur brave, dressierte Blumen waren, die nichts von der lässigen Freiheit des Mohns wussten.
In den nächsten Wochen ahnte Maxim, dass seine Gartenpassion jobgefährdende Ausmaße
annahm und Sven vielleicht demnächst auch den Jungs mitteilte: Maxim passt nicht mehr zu uns. Da half auch der beste Retrokicker nichts, der gleich neben der Hollywoodschaukel stand und von dem alle bisher so begeistert waren, auch seine Gartennachbarn.
Das war bevor Maxim erfuhr, dass man ihn beim Gartenvorstand verpetzt hatte wegen
des Päonienmohns, der sich vorwitzig zwischen seinen Pfingstrosen breitgemacht
hatte. Vielleicht hatte Tatjana ihn an jenem verhängnisvollen Abend heimlich eingepflanzt,
als der Nachbar im Krankenhaus am Tropf gelegen hatte. Mit ihr hatte Sven
bald nichts mehr am Hut. Mit den letzten verwelkenden Mohnblättern war auch Tatjana
wie vom Winde verweht.
Immerhin tranken Maxim und er jetzt, am Ende des Sommers, manchmal wieder ein
Bier zusammen. Auch der Gartenvorsitzende kam auf ein gelegentliches Gläschen
vorbei. Dann betonte er, wie froh er über Maxims Engagement im Gartenverein war.
Und Maxim nahm einen genießerischen Schluck und dachte über den Sommer, seine
Blumen und vor allem seinen Sommersieg nach. Über seinen Preis als innovativster
Kleingärtner. Über den mehr berichtet wurde als über die aufregendsten Verkehrsinseln.
Maxim hatte Sven auf seinem Terrain geschlagen und sein Bekanntheitsgrad verschaffte
ihm herrliche Aufträge von Leuten, die auch „soetwas haben wollten“ wie diese
herrlichen Sehnsuchtsorte, die quasi anonym über Nacht entstanden, wie diese sexy
Mohninseln, die leider schon verblüht waren.