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Der Serviettendreher

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25.11.2001
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Der Serviettendreher

Der Serviettendreher

Die Reifen quietschen beim Bremsen und ich springe mit einem Satz aus dem Wagen. Ins Haus gerannt, Essen gegeben, „Auf Wiedersehen“ gesagt und ins Auto gesprungen. Schlüssel rumdrehen, Handbremse lösen, Gang rein- Das ist doch! Ja! Eine alte Klassenkameradin. Motor wieder aus und aus dem Auto gesprungen.

„Hallo!“ „Hallo Oskar. Was machst du denn hier?”
„Ich diene.“ „Wem dienst du?“
„Meinem Vaterland!“ „Und wie?“
„Das wüsste ich auch gerne. Ich bin Sklave.“ „Ah, Zivi!“
„Du, ich hab im Moment keine Zeit. Wie wär’s mit einem Treffen.“ „In Ordnung. Heute Abend, zwanzig Uhr, beim Chinesen?“ „Ich werde da sein.“

Ich heiße Oskar Speosch und bin Zivildienstleistender in einem Altersheim. In der Küche mache ich da allerhand Dinge, bin also keiner von den armen Hunden die in der Pflege Popos abwischen (das ist leider nicht nur ein Gerücht). Dennoch: Die Arbeit ist anstrengend, langweilig und meine Rechte tritt man mit Füßen. Einziger Lichtblick ist das Essen ausfahren. Zum Mittag fahre ich Essen an alte Leute. Es ist auch anstrengend, aber nicht so langweilig denn ich fahre mit dem Auto durch die Gegend. Und, wie man oben lesen kann traf ich eines Tages eine alte Freunde wieder. Beim Chinesen redeten wir dann.

„Neulich, da ist mir was interessantes passiert. Weißt du, ich decke jeden Tag den Essenraum ein. Das heißt ich muss für etwa- na ich schätze vierzig Leute Teller hinstellen. Das bedeutet ich stelle einen Teller, Besteck und ein Glas hin. Und auf jeden Platz kommt eine Servierte. Weil ich unbeaufsichtigt bin habe ich da Zeit und beeile mich nicht besonders. Doch langweilig ist es trotzdem. Die meisten Servierten sind quadratisch doch eines Tages waren sie in der Mitte gefaltet, zu einem Dreieck. Und ich tat etwas, um mir die Zeit zu vertreiben.
Ich suchte mir einen Platz aus, einen x-beliebigen Platz. Und die dreieckigen Servierten richtete ich so aus, dass sie auf diesen Platz zeigten. Niemand würde es bemerken aber unterbewusst würde bestimmt etwas passieren!
Ich erzählte meinem Zivikollegen Peter aus dem Technikbereich von meinem Tun und meinem Plan, er lachte nur und sagte, dass brächte nichts. Während ich mit dem Auto herumfuhr musste er im Essensaal mitessen und er meinte er würde es selbst nicht merken, ich würde spinnen. Vielleicht tat ich das auch. Jedenfalls deckte ich ab jetzt jeden Tag so und die Serviertenpfeile zeigten jeden Tag auf den selben Platz. Die Servierten faltete ich von nun an selbst zu Pfeilen, ich wollte sehen was aus meinem kleinen Projekt wohl würde. Ich trieb es weiter und begann, dem unbekannten, fremden Auserwählten größere Teller, schöneres Besteck und andere Gläser zu geben. So stellte ich ihm jetzt jeden Tag ein Weinglas hin, das Besteck war glänzend und seine Servierte zeigte direkt auf ihn.
Ich bildete mir ein, dass die Alten den Alten bewundern oder beneiden würde auf den die Servierten zeigten. Doch die wahren Auswirkungen wurden noch viel schlimmer! Ich sah ja nie, was im Essensaal geschah. Doch eines Tages, ich hatte mein Spiel schon einige Wochen getrieben, hörte ich zwei Schwestern sprechen.
„Also, was der Herr Zunder in letzter Zeit für ein Verhalten an den Tag legt! Beschwert sich über das Essen! Reicht sogar Beschwerden ein! Als ob dem das was nutzt.“ Und die andere schlug vor, seine Medikamentenration zu erhöhen. Damals dachte ich mir noch nicht viel dabei und machte weiter. Keiner bemerkte es und niemand störte sich daran. Ich stand schon kurz davor damit aufzuhören, denn es brachte nichts.
Jemand anders fuhr an diesem Tag den Wagen und ich wurde gezwungen im Essensaal zu essen. Der Chef quatschte mich voll, vor allem mit versteckten Vorwürfen, dass ich zu schlecht und zu wenig arbeite. Das Essen, dass ich jeden Tag auslieferte schmeckte genauso schlecht wie ich es mir immer ausgemalt hatte.
Ich hörte Gestreite von einem Tisch. Ich beugte mich hinüber und sah, wie ein älterer Herr mit einer Schwester stritt und- das gab es nicht! Der ältere Herr saß auf dem Platz auf den ich die Servierten ausrichtete. Er wehrte sich strikt gegen irgend etwas und wirkte auch weitaus weniger alt als sonst. Er stieg am Ende des Streits ernsthaft auf den Tisch und forderte lauthals:
„Das reicht mir aber jetzt hier! Jeden Tag dieses furchtbare Essen. Diese furchtbaren Schwestern. Diese Medikamente mit ihren Nebenwirkungen! Das nenn ich aber nicht in Würde alt werden!“
Dabei war der schon alt. Der alte Mann stieg mit panterhafter Agilität, in einer Spitzenzeit von drei Minuten auf den Tisch. Dort erhob er knirschend seine Faust und forderte die anderen zum Mitmachen auf. Was hatte ich da nur großartiges angerichtet! Die Alten akzeptierten den Hauptalten- Herrn Zunder- als ihren Anführer. Sie versperrten alle Ausgänge (es waren nur zwei) und nahmen mich, Peter, den Chef und zwei Schwestern als Geiseln. Eigentlich eine lächerliche Position. Wir leisteten keinen Widerstand. Immerhin bestand ihre Ausrüstung aus Essenskellen und stumpfen Messern.
Das Altenheim wurde von der Polizei umstellt und Scharfschützen zielten gierig mit ihren Gewehren durch die Glasscheiben. Unten stand ein Polizist in Zivil vorm Fenster und fragte mit den Megafon nach Forderungen.
„Wir fordern: Besseres Essen! Freundlichere Schwestern und fähigere Zivis!“
Dabei war ich doch super! Der Polizist antwortete:
„Dafür brauchen wir einige Zeit! Geben sie uns vierundzwanzig Stunden!“
Hinhaltetaktik. Typisch. Ich ging zu Herrn Zunder und sprach ihn an:
„Das haben sie mir zu verdanken.“
„Wie bitte?“
„Das alles hier, vor zwei Monaten haben sie noch beim Essen gesabbert und heute fordern sie schon besseres Essen, freundlichere Schwestern und fähigere Zivis! Wo glauben sie, haben sie diese Fitness und diese Entschlossenheit her?“
„Von ihnen?“ fragte er skeptisch
„Ja! Und ich kann ihnen mehr bieten! Die Alten Menschen machen einen unglaublich großen Teil der Bevölkerung aus! Sie können mehr haben! Sie können ganz Deutschland haben! Ganz Europa oder sogar die ganze Welt!“
Hatte ich mich da zu weit aus dem Fenster gelehnt?
„Hören sie auf mich, und besseres Essen ist bald ihre geringste Sorge!“
Zunder sah mich seltsam an und schien zu überlegen.
„Hör zu, Zivi.“ Sagte er, das Wort Zivi war verächtlich gesagt. „Du erzählst mir, mit welchem Wundermittel du uns besser gemacht zu haben glaubst, und ich höre mir deinen Plan an!“
„Es sind die Servierten! Ich habe sie so ausgerichtet, dass sie alle auf sie zeigen. Das gab ihnen Selbstvertrauen und allen anderen das Gefühl, sie müssten ihnen folgen.“
Zunder lachte laut, hustete dann (weil das Lachen ihn so angestrengt hatte) und verzog dann sein faltiges Gesicht.
„Ich glaube dir kein Wort, Zivi.“
Doch als er über die Tische sah, und die Ausrichtung der Servierten war er stutzig.
„Hören sie, sie beenden hier ihren kleinen Aufstand und verhalten sich ab morgen wieder senil. Schlug ich vor. Und dafür lasse ich mich versetzen. Ich behaupte, ich halte diesen Stress nicht mehr aus nach der Geiselnahme. Ich lasse mich in ein anderes Altersheim versetzen und mache dort das selbe. Wenn der Zeitpunkt gekommen ist weihe ich die ein. Und gehe wieder zum nächsten Altersheim. Außerdem weihe ich andere Zivis ein die das selbe tun. Und wenn alle Altersheime unserem Kreis angehören, rufen wir die Herrschaft aus. Und sie sind der König. Ich bin ihr Königsmacher und alles was ich dafür will ist Mitspracherecht in der neuen Regierung“.
Am nächsten Tag war alles wieder normal und ich ließ mich versetzen. Alles hatte geklappt und ich wäre bald Vizekönig eines Alten Reiches. Ich lehrte andere Zivis die Kunst des Entsenilisierens im Austausch für kleine Posten. Zukünftige Hohe Beamte und Offiziere. Peter machte ich gleich zum obersten General der Alten Armee. Ich verlängerte meinen Zivildienst so weit es ging und bildete aus und entsenilisierte. Nach einem Jahr hatten wir bereits 35% der Altenheime und damit des Landes unter Kontrolle. Ich verließ den Zivildienst und eröffnete geheime Trainingslager wo ich neuen Zivis beibrachte Servierten zu falten und richtig hinzulegen. Mit Zunder hielt ich Kontakt und berichtete ihm über unsere Fortschritte.
Und dann war der große Tag gekommen! Vom Balkon des Essensaales rief Zunder die Freie Republik der Alten und Zivis (FRAZ) aus. Die Alte Armee stand unten versammelt, eine Armee aus Kriegsdienstverweigerern und Kriegsveteranen mit Peter an der Spitze.
Die Uniformen waren treffend ausgewählt, Schlappen und Stützstrümpfe für die Füße, schmuddelige, weiße T-Shirts als Tribut an die Rolle der Zivis bei der Machtergreifung. Stumpfe Messer und Suppenkellen waren ihre Waffen.
Die Bevölkerung war hilflos gegen uns. Wir übernahmen die lokalen Regierungen binnen weniger Stunden. Zivildienst war in unserer neuen Verfassung vorgeschrieben. Nur Zivildienstleistende und Senioren hatten danach Wahlrechte. Der Zivildienst wurde auf fünf Jahre verlängert, dafür gab es umfassende Sonderrechte.
Die noch bestehende Regierung von Deutschland setzte die Bundeswehr gegen uns ein. Versagte jedoch gegen die Alte Armee. Sie weigerten sich auf Opas und Pazifisten zu schießen. Und so lag das Land am Morgen von Tag 24 der FRAZ zu unseren Füßen. Wir eroberten den Reichstag widerstandslos und benannten ihn um in Alttag. Der Bundesrat wurde zum Zivirat.
Die NATO begann uns als Problem anzusehen. Es war allerdings schwierig unsere Fühler in die Welt auszustrecken, denn nicht überall in Europa und der Welt war die Altenversorgung so wie in Deutschland. Sonst gab es nirgendwo solchen Zivildienst. Dazu kamen Sprachbarrieren. Wenige Spione konnten wir in die Schweiz, Österreich, nach Großbritannien und Frankreich entsenden. Sie arbeiteten Undercover als Küchenkräfte in dortigen Altersheimen. Die Wirtschaft in der Heimat boomte. Hauptproduktionsgüter waren Heizdecken, künstliche Körperteile aller Art und Servierten. Und bei den Feierlichkeiten im Jahr 4 der FRAZ konnten wir den Beitritt weiter Teile Frankreichs Englands und Wales sowie Österreichs und der Schweiz feiern.
Die USA wurden ängstlich. Sie drohten mit Krieg und Sanktionen. Zum Glück kannten sie nicht das Geheimnis unserer Entsenilisierung. Doch, oh weh, irgendwie fanden sie es heraus. Und in einer Schicksalsnacht brannten sie unsere Serviertenlager und die Fabrik nieder. Wir hatten diese wertvollen Produktionsstätten nicht gebaut! Die Alten wussten nicht wie man sie konstruierte und wir Zivis konnten eh nicht mehr als Kaffee trinken und Servierten drehen. In einer Nacht und Nebelaktion verabreichte eine Abordnung US-Marine- Krankenschwestern König Zunder seine verschriebenen Tabletten. Das war das Ende der FRAZ.“


Ich aß das letzte Stück Peking-Ente: „Tja, und zur Strafe wurde ich zu Zivi auf Lebenszeit verurteilt. Ich hab’s verdient.“ Meine Klassenkameradin nickte mir zu: „Vor vier Monaten hast du das Abi gemacht und dann warst du 4 Jahre Vorsitzender dieser Fraz?“ Sie lachte mich lauthals aus, dass die anderen Gäste verwundert zu uns sahen.“ Ich lachte auch, etwas. „Tja, du hast mich durchschaut.“ Wir standen beide auf. „War nett.“ Sagte sie, und ging. Ich holte aus der Tasche das alte FRAZ- Abzeichen, dass ich als Vize-König immer getragen hatte. Die Zeit- und Verjüngungsmaschiene, das letzte Projekt der FRAZ, hatte funktioniert. Nun könnte ich noch mal von vorne anfangen, und diesmal würde uns niemand aufhalten!


(Diese Geschichte beruht auf Tatsachen)

 

So ist es eigentlich nicht gedacht.
ALso nicht direkt.
Es soll davon keine Fortsetzung geben.
Ich arbeite lediglich an einer Geschichte wo ebenfalls das Thema "Zivildienst" behandelt wird. Letztendlich wird das aber keine Forsetzung, keine Serie.

 

Kleine Korrektur am Rande: Es schreibt sich nicht "Servierte", sondern "Serviette".
Es sei denn, das ist seit der wirren Rechtschreibreform nun anders.

 

Das liegt vielleicht da dran, dass es das Wort "Servierte" ja auch gibt, nur kommt es von "servieren" und hat dann eine andere Bedeutung als "Serviette" ... ;)

 

Hi Paul...

Ich möchte mich Paulchen (also Schlachtpaulchen) anschließen und ebenfalls sagen, daß ich deine Geschichte gelungen fand. Du hast hier ein sehr absurdes Szenario geschaffen, und den leicht trockenen Stil die ganze Zeit durchgehalten, das fand ich wirklich gut.

Was ich vielleicht noch verbessern würde, wäre das Ende. Der allerletzte Satz mit der Verjüngungsmaschine kommt mMn ein wenig plump daher. Du hast im letzten Absatz ein gewisses Paradoxon erzeugt und den Leser durch die Erwähnung des Abzeichens veriwrrt.
Laß die Verwirrung doch einfach aufrecht und den Leser verwirrt...
Ist natürlich nur meine Meinunng.

 
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Hallo Paul

Endlich mal wieder ne witzige und spannende Geschichte. Erinnerte mich an meine Jugend, in der ich auch Zivi war, sogar einer von den armen Hunden.
Du vermittelst sogar Moral: Wenn die Alten mehr Anerkennung haben, gewinnen sie ihre Kraft zurück.

Allerdings holpert der Stil noch an einigen Stellen. Viel zu plötzlich ging die Stelle, an der Herr Zunder auf den Tisch steigt und die anderen akzeptieren ihn als Anführer. Die anderen haben doch keine Energie, das müsste man besser erklären.

Zum Schluss handelst du ziemlich viel in kurzer Zeit ab. Der Staatsstreich scheint mir den Rahmen der Geschichte zu sprengen. Vor allem wird es hier sehr unpersönlich, du verlierst deine Hauptperson aus den Augen.
Wieso die Senioren ohne Servietten die Kraft verlieren, ist nicht einsichtig. Denn - siehe oben - bei der Revolte war die Serviette ja nur der Auslöser für das vergessene Selbstbewusstsein, die anderen konnte ja auch ohne Serviette revoltieren.

Die Zeitmaschine funktioniert nicht.

Und in einer Schicksalsnacht brannten sie unsere Serviertenlager und die Fabrik nieder. Wir hatten diese wertvollen Produktionsstätten nicht gebaut! Die Alten wussten nicht wie man sie konstruierte und wir Zivis konnten eh nicht mehr als Kaffee trinken und Servierten drehen.
Servietten können sie nicht herstellen oder von irgendwoher einfliegen lassen - aber eine Zeitmaschine bauen? Die Geschichte rechtfertigt keine solchen Schluss, denn hier wird einfach eine Pointe ans Ende gesetzt, ohne diese vorzubereiten.

Mir hat der Anfang am besten gefallen, weil er dicht an der Realität war. Der Rest ging mir zu sehr in Richtung Klamauk und war nur bedingt nachvollziehbar. Das Interessante an diesem Text war für mich die Gesellschaftskritik zwischen den Zeilen.
Solltest du diese nicht beabsichtig haben, nehme ich mein Lob selbstverständlich zurück.

mfg

Stefan

 

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