Der schwarze Reiter
Stefan Rheine saß an seinem Schreibtisch. Er wartete wie jeden Abend. Die Idee wird kommen, sagte er sich. Doch wie jeden Abend kam sie nicht.
Es bereitete ihm Kopfschmerzen. Nachdenklich ließ er den Füllfederhalter über die Finger wandern. Der schwarze Lack glänzte und warf ihm ein aufgeblähtes Spiegelbild entgegen, wie ein Foto auf einem aufgeblasenen Ballon. Er sah in seine mit roten Äderchen durchzogenen Augen. Es hätte sich auch um das Gesicht eines Mannes handeln können, der die Nächte durchzechte, und nicht das eines Schriftstellers.
Er ließ den Stift fallen wie ein Hund, der das Interesse an seinem Spielzeug verloren hatte, und sah aus dem Fenster. Graue Wolken ballten sich am Horizont. Sie könnten auch weiß sein. Die Scheiben waren ewig nicht geputzt worden. Schirme bewegten sich durch das Stadtzentrum. Blaue, rote, schwarze, bunte. Unter einem Erker hatte sich ein Straßenmusiker* niedergelassen und klimperte auf einem alten Akkordeon. Die schiefen Töne drangen bis in seine Wohnung hoch und Stefan hätte den grinsenden Mann dafür am Liebsten geköpft. Wenn eine Münze in den Becher klimperte, verbeugte sich der „Musiker“ und grinste. Er war wie ein Clown geschminkt.
Stefan rückte seine Brille zurecht und widmete sich wieder seiner Arbeit. Im Moment bestand sie aus dem Starren auf ein leeres Blatt. Angestrengt versuchte er in Gedanken die Leere aus grauen Linien auf weißem Papier zu füllen, doch es verschlimmerte nur die bestehenden Kopfschmerzen. Er hatte einen Roman geschrieben „das Flüstern der Schatten“, sowie dutzende Kurzgeschichten und auch ein paar Gedichte.
Er fuhr sich über die Bartstoppeln. Sein Roman hatte zwar nur mäßigen Erfolg auf dem Markt gehabt, aber er war veröffentlicht worden. Stefan erinnerte sich gerne daran zurück, als er das Bestätigungsschreiben erhalten hatte.* Er hatte sich wie neugeboren gefühlt. Jemand wollte den Unsinn lesen, den er schrieb. Dann war der Dämon Schreibblockade in sein Leben getreten. Stefan kam zu dem Schluss, dass er auch heute nicht mit der zündenden Idee gesegnet werden würde und beschloss sich schlafen zu legen.
Stefan Rheine befand sich in der Dunkelheit und fragte sich, ob er blind war. Nein, das konnte nicht sein. Er konnte sehen, wenn auch nur schwach. Der Raum oder die Halle, in der er sich befand, war in mattem Zwielicht gehalten. Stefan konnte nicht abschätzen wie groß der Raum war. Die Wände verschwanden in der Dunkelheit. Ein beißender Gestank fuhr ihm in die Nase. Es roch, als würden hier tote Tiere der Verwseung preis gegeben.
Doch der Boden war sauber. Glatt und glänzend. Er setzte einen Fuß vor den anderen und versuchte sich mit den Händen vorzutasten. Doch sie griffen in die Leere.
Ein Lichtpunkt erschien in der Schwärze. Ein Ausgang? Doch er verwarf diese Idee wieder, denn der Lichtfleck bewegte sich auf ihn zu. Bald konnte Stefan eine Fackel erkennen, die von einem Reiter in pechschwarzer Rüstung getragen wurde. Er hätte den Hufschlag des Pferdes hören müssen, das Klappern der Rüstung … oder irgendetwas anderes. Er wollte etwas rufen, doch es drangen keine Geräusche aus seiner Kehle. Zumindest hörte er nichts.
„Dunkel wie die Nacht,
ritt der Reiter in seiner düstren Pracht …“
Die Verse wurden von einer fremden Stimme gesungen und sie kamen ihm bekannt vor. Stefan fröstelte. Das Pferd, gallopierte auf glühenden Hufen. Sein Körper war ein verwesender Leichnam. Stefan konnte die freiliegenden, faulenden Muskeln sehen. Es kam immer näher. Der Hand, in der der Reiter die Fackel hielt, nahm die Zügel in die Hand. Der Ritter griff hinter sich und das Aufblitzen der metallenen Schneide verhieß nichts Gutes.
„… Lachend, plündernd, mordend
Unter des Mondes silbernem Glanz, …“
Stefan wollte rennen, doch er schien im Boden festzustecken, als wurden in gewaltige Magnete an der Flucht hindern. So sehr er sich bemühte, Stefan konnte sich nicht befreien. Beinahe Schweißperlen rannen seine Stirn herunter. Sein Herz pochte wild. Ich bin verdammt, dachte er.
„… wie eine Plage in des Teufels Hand,
enthauptete er der Todgeweihten Leiber, …“
Stefan hatte nur noch Augen für das gezogene Schwert. Frisches Blut glitzerte darauf wie Juwelen. Stefan ergab sich in sein Schicksal und erwartete das Unvermeidliche.
„… Doch fehlte ihm unter des Helmes schwarzem Stahl, …“
Stefan suchte hinter dem Visier des Reiters nach den Augen, doch er konnte nichts erkennen. Er konnte das kalte Metall an seiner Kehle spüren.
„… sein eigener.“
*
Der Funkwecker stimmte die nervtötende Melodie des Morgens an. Mit pochendem Herzen, schweißgebadet lag er im Bett. Nur ein Traum. Er brachte den Wecker zum Schweigen, stand auf und zog die Vorhänge zur Seite. Der Platz des Stadtzentrums wurde von einem mächtigen leerstehenden Kaufhaus dominiert. Stefan fand, dass es einer Nekropolis gleichkam. Einem Grab. Er fröstelte.
Bei den Eingängen zur U-Bahn-Linie 312, standen zwei Kranken- und mehrere Polizeiwagen. Polizisten und Notärzte in roten Jacken unterhielten sich. Einer der Notärzte schüttelte den Kopf. Vielleicht wieder ein Obdachloser, der an einer Alkoholvergiftung gestorben ist. Es ging ihn nichts an.
*
Er war mit dem Frühstück beschäftigt, als es an der Tür klingelte. Ein Polizist in Uniform stand vor der Tür. Schwarze Stoppeln bedeckten das gebräunte Kinn. Er hatte orientalische Gesichtszüge.
„Gibt es ein Problem?“. Der Polizist hielt ihm ein zerfleddertes Taschenbuch entgegen. Die vergilbten Seiten wellten sich bereits und klebten aneinander. Auf dem Cover war ein Monster abgebildet, das an eine Art übergroßen Gorilla mit nachtschwarzem Fell und Hauern erinnerte. Toni Knuckles, erinnerte er sich. Er hatte die Geschichte gelesen.
„Ihnen auch einen guten Morgen, Herr Rheine. Kommissar Sefa Arcarkan. Kann ich rein kommen, oder störe ich?“
Stefan konnte sich einer gewissen Nervosität nicht erwehren. Er hatte nichts Illegales getan, aber was suchte dann ein Polizist hier? Hat es vielleicht mit dem zu tun, weswegen die Kranken- und Polizeiwagen unten zugange waren?
„Natürlich“, antwortete er und öffnete die Tür. „Was führt sie her?“
Stefan bemerkte wie er die Mundwinkel verzog, als ihm die unaufgeräumte Küche und die Bücherstapel, die überall herumlagen auffielen.
„Ich habe keinen Besuch erwartet“, sagte er kühl. „Möchten sie etwas trinken?“
„Nein danke ich möchte nichts. Haben sie sich nicht auch schon gefragt, was da unten vor sich geht?“
„Bin noch nicht zu gekommen nachzusehen.“
„Heute morgen ist ein Wartungsarbeiter der Stadtwerke auf den Gleisen der Linie 312 nahe dem Ausstieg Zentrum umgekommen. Er wurde enthauptet.“
„Deswegen der Aufruhr …“
„Genau. Ein Kollege von ihm hat alles über Funk mitangehört. Hat einen Schock erlitten. Neben irrem Gelächter und der Stimme seines panischen Kollegen, hörte er noch etwas anderes…“
Sefa reichte ihm das vergilbte Taschenbuch. Eine Stelle war mit einem Lesezeichen markiert. Stefan schlug die Seite auf und las.
„Dunkel wie die Nacht, ritt der Reiter in seiner düstren Pracht …“
Stefan erinnerte sich an diese Zeilen. Der Traum war ihm noch lebhaft in Erinnerung. Jetzt fiel ihm auch wieder ein, warum sie ihm so bekannt vorkamen. Das Gedicht hatte er in seiner Anfangszeit als Schriftsteller geschrieben. Der Verleger nahm „der kopflose Reiter“ in „Kleine Horrorgeschichten“ auf. Stefan glaubte nicht, dass „Kleine Horrorgeschichten“ je eine große Auflage erreicht hatte, aber dieser Kommissar Arcarkan hatte es irgendwo aufgetrieben.
Stefan sagte nichts über den Traum. Das hätte ihn nur verdächtig gemacht. Auch wenn es abwegig war, er hatte keine Lust den Nachmittag auf dem Polizeirevier zu verbringen.
„Thomas Dreggen hörte dieses Gedicht über Funk kurz bevor sein Kollege starb. Hat es sofort erkannt und ein altes Exemplar aus dem Buchregal seiner Tochter hervor gekramt.“
„Vielleicht ein* verrückter Fan?“
„Der Kopf fehlte, der enthauptete Leichnam wurde zurückgelassen. Der Mörder wollte sich wohl in der Öffentlichkeit verewigen. Zumindest das hat er geschafft. Haben sie schon Zeitung gelesen. Er füllt sämtliche Titelseiten.“
Eine Idee nahm langsam Gestalt an. Auch wenn es dem Toten gegenüber geschmacklos war, der Fall hatte eine gewisse Faszination. Er könnte diesen Wahnsinnigen als reales Vorbild nehmen. Ein kopfloser Reiter, der in verlassenen U-Bahn-Tunneln mordet, … , ein junger Polizist auf der Suche nach dem Täter verzweifelt zunächst …
„Wurden sie in letzter Zeit irgendwie belästigt oder ist ihnen bei Fanpost oder ähnlichem etwas ungewöhnliches aufgefallen? Vielleicht etwas, was ihnen besonders eigenartig vorkam?“
„Nicht dass ich wüsste“, sagte Stefan abwesend. Sein Verstand arbeitete bereits an der neuen Story.„Dann wünsche ich ihnen noch einen schönen Tag, Herr Rheine. Seien sie vorsichtig, wem sie die Tür aufmachen. Wenn sie wollen, nehme ich sie in Schutzhaft ...“
„Gleichfalls. Ich denke nicht, dass das nötig sein wird.“, sagte Stefan.
„Wer weiß? Vielleicht knöpft sich dieser Wahnsinnige sie als nächstes vor.“
„Nein danke, ich komm schon klar.“
Kommissar Arcarkans Hände verschwanden in seinen Jackentaschen. Eine Visitenkarte kam zum Vorschein.
„Wenn ihnen etwas Besonderes auffällt, rufen sie an. Wir sind für jede Information dankbar, auch wenn sie noch so unbedeutend ist.“
„Alles klar“, antwortete Stefan.
*
Stefan saß am Schreibtisch, vor ihm lag der Ringbuchblock. Die ersten Seiten beschrieben. Stefan konnte es selbst kaum fassen. Er war wieder da. Ihm fehlte noch das Ende der Kurzgeschichte. Was wäre ein gutes Ende? Sollte er das Monster weiterleben lassen oder sollte es sterben?
Er blätterte um. Er konnte den Reiter vor seinem inneren Auge sehen. Seine pechschwarze Rüstung. Die Fackel. Das Schwert. Die Feder des Füllers kratzte über das Papier. Stefan war kein begabter Zeichner, doch nach dreißig Minuten war er mit dem Ergebnis schon recht zufrieden.
Schließlich sah er ihn vor sich. Ein Abbild des Reiters aus seinem Traum. Er nickte zufrieden und kramte in der Schublade, bis er fand, was er suchte: Heftzwecken. Er nahm vier Stück und befestigte das Bild an der Wand. Nun starrte der Reiter aus den leeren Schlitzen seines Visieres auf ihn herab. Stefan fröstelte, aber es war angenehm. Er nahm eine Zigarette aus der Schachtel. Er rauchte nicht mehr, schon seit zehn Jahren nicht mehr. Doch plötzlich verlangte es ihm wieder danach. Er hatte nicht widerstehen können.
Stefan fragte sich, ob er die Geschichte überhaupt zu ende schreiben wollte. Er wollte nicht wieder in die Grube der Schreibblockade fallen.
In einem Moment der Unachtsamkeit fiel heiße Asche auf den glänzenden Lack des Füllfederhalters. Sie brannte sich ein und hinterließ ein stinkendes Wundmal.
*
„Ich mache jetzt Schluss, Sefa. Ich gehe mit den Jungs noch einen trinken, willst du mitkommen?“
Sefa riffelte die Seiten des alten Taschenbuchs durch. Über ihm flackerte das unnatürliche Neonlicht. Die Lösung dieses Rätsels ließ ihm keine Ruhe.
„Nein, danke ich bleibe noch ein wenig hier. Muss noch einen Bericht abschließen.“
„Okay, aber steigere dich da nicht allzu sehr rein. Und sag hinterher nicht, ich hätte dich nicht gefragt.“
„Würde mir nicht im Traum einfallen. Viel Spaß euch und sauft nicht zu viel. Ich hab keine Lust mich morgen mit Schnapsleichen rumzuschlagen.“
Daraufhin brachen beide in Gelächter aus und der Kollege verließ das Büro. Sefa war allein mit seinen Gedanken, im Hintergrund nur das Piepen und Summen des Computers.
Er las die Zeilen Wort für Wort. Es war ein Rätsel. Er kam nicht auf die Lösung. Er hoffte auf einen Hinweis.
*
Er riffelte erneut durch die Seiten und ihm fiel eine Zahl ins Auge. 318. Er blätterte zurück zu der Seite. Bismarck stand dort, am Ende eines Absatzes. Es gab eine U-Bahn-Haltestelle Bismarckstraße. Vielleicht war es nichts, aber es schadete auch nicht nachzusehen, oder? Zögern war etwas, was man sich in dieser Welt nicht leisten konnte. Er verließ das Polizeirevier in zivil. Die Waffe hatte er in der Innentasche.
*
Stefan befand sich wieder in dem dunklen Raum. Er fragte sich, ob er dem Reiter begegnen würde. Stefan spürte, dass er danach verlangte. Das Ende der Geschichte war noch nicht niedergeschrieben.
Nach dem nächsten Lidschlag stand er plötzlich in einem warm beleuchteten Zimmer. Bücher stapelten sich auf dem Fußboden, dem Schreibtisch und in den Regalen. Papier, Stifte und Dokumente lagen in chaotischen Mustern im Raum verteilt. Sogar die Zeichnung des Reiters hing an ihrem Platz über dem Schreibtisch. Stefan konnte nicht widerstehen und sah in das leere Visier des Reiters. Er hörte weder seine Schritte, noch Geräusche von draußen. Doch die Stille, die vollkommene Abwesenheit von Geräuschen, störte ihn nicht.
Er musste die Geschichte beenden. Wie hypnotisiert griff er nach dem Füllfederhalter, auf dem ein hässliches Brandmal prangte und ihn wie ein unheilvolles Auge ansah. Lautlos begann die Feder über das Papier zu kratzen. Stefan wusste nicht, was geschehen würde, aber er hatte vor es herauszufinden.
*
Es war kalt und nass. Das Frühlingswetter war mal wieder lausig. Sefa spürte wie der Regen seinen Nacken hinunter rann und seine Kleidung durchweichte. Er war Polizist kein Jäger im brasilianischen Dschungel. Warum musste es in Deutschland immer pissen wie aus Kübeln? Rinnsale flossen die Treppenstufen hinab, über denen das große blauweißle Schild „Linie U 318 Bismarckstraße“ hing. Es war als beträte er …
*
„… die Höhle der Bestie. Der Gestank nach Tod und Verfall ließ den Jäger die Nase rümpfen doch er zögerte nicht. Die Bestie musste um der Menschheit Willen sterben. Der Reiter hatte genug Opfer gefordert. Also trat er durch das Tor zur Unterwelt. Bald würde es vorbei sein. Nur einer von ihnen würde überleben …“
*
Die Station lag verlassen vor Sefa. Er stolperte über schwarze Fliesen. Über ihm glommen rote Zahlen, die verkündeten, dass die Bahn in einer Stunde kommen würde. Genug Zeit, um zu morden. Unter dem Strahl seiner Taschenlampe zogen sich die Schienen wie das Gerippe einer Schlange in die Dunkelheit hinein. Es roch eigenartig. Blut. Tod. Sefa fröstelte.
*
„… Als sich die Tore zur Unterwelt geöffnet hatten war er ahnungslos in die Dunkelheit hinabgestiegen. Nun war der Jäger vorbereitet. Er wusste wie er ihn töten konnte. Er wusste, dass die Bestie keinen Kopf hatte …“
*
Ein kreischendes Lachen ließ Sefa das Blut gefrieren. Er zog seine Dienstwaffe und entsicherte den Lauf. Sein Atem kondensierte zu feinen Wölkchen. Die Waffe gab ihm den Mut weiterzugehen. In der Ferne war nun Licht zu sehen. Fackelschein.
„Hier spricht die Polizei! Stehen bleiben oder ich schieße!“, rief Sefa. Der Lauf zitterte. Der schwarze Ritter stieg ab und kam auf den Polizisten zu.
*
„… als er in die Augen der Bestie blickte, war er starr vor Angst, denn dort war nichts nur Leere, dennoch kam sie immer näher wie das unvermeidliche Schicksal …“
*
„Hier spricht die Polizei! Bleiben sie sofort stehen und knien sich auf den Boden oder ich schieße!“, schrie Sefa. Doch es schien den Ritter nicht zu kümmern. Er warf die Fackel auf den Schotter. Die Flammen spiegelten sich in der pechschwarzen Rüstung. Der kopflose Reiter zog sein Schwert.
*
„… Schließlich bezwang der Jäger die Bestie. Als er ächzend und mit pochendem Herzen neben dem Leichnam von etwas, was niemals hätte leben dürfen, saß, erkannte er, dass er sich selbst ausgelöscht hatte. Denn was war der Jäger ohne seine Beute? …“
*
Ein Schuss löste sich und erfüllte den Tunnel mit Donner. Der Reiter schien sich in einer Rauchwolke aufzulösen. Sefa stand mit erhobener Waffe da und konnte nicht glauben, was er dort sah.
*
Stefan ließ den Stift fallen. Jede Geschichte hat ihr Ende. Die Bestie war tot. Er blätterte durch die Manuskriptseiten, als er ihm der Geruch von Rauch in die Nase stieg. Die Seiten wurden heiß und Stefan ließ sie reflexartig los und beobachtete wie sie zu seinen Füßen zu Asche zerfielen. Das ganze Zimmer brannte. Nein, Brennen war das falsche Wort. Es zerfiel in einer Kaskade aus Asche.
Er hustete und wich in die Mitte seines zerfallenden Arbeitszimmers. Weg von dem Ascheregen. So hatten sich die Menschen kurz nach 9/11 in der New Yorker Innenstadt fühlen müssen. Seine Augen tränten. Nur ein Traum, sagte er sich, aber er glaubte nicht daran. Ein Spiegel erschien aus dem nichts. Doch was er sah, waren nicht seine eigenen Augen, es war die düstere Leere hinter dem Visier des Reiters. Schockiert tastete er seinen Körper ab, doch da waren nur Hemd und Jeans. Keine Rüstung. Ein stechender Schmerz zerriss seine Brust.
„Ich bin tot?“, stotterte er. *Wie aus weiter Ferne beobachtete Stefan wie das Blut aus der Wunde seiner Brust sickerte, als wäre alles nur ein Film, den er abends im Kino sah. Im Spiegel über der Schulter des Reiters, der starr wie eine Maschine da stand, sah er eine Tür aus weißem Licht. Dort stand jemand, die Waffe erhoben wie ein Desperado in einem Western.
*
Das Blut des Reiters tränkte den Schotter und färbte ihn scharlachrot. Sefas Beine wurden schwach und er sank auf die Knie, als die Illusion verschwand. Der Schriftsteller. Sefa wusste nicht wie er auf die Lösung gekommen war, doch er konnte nicht leugnen, was er sah. Dort lag der nackte Körper Stefan Rheines mit geschlossenen Augen und einer Schusswunde in der Brust.
*
Die Hand des Ritters drang durch den Spiegel und packte Stefan an der Schulter. Stefan zuckte zusammen. Sie war so kalt. Er leistete keinen Widerstand. Tot, dachte er nur.
„Nun sind wir vereint …“, grollte eine Stimme.
Stefans Körper wurde durch den Spiegel gezerrt. Er zitterte.
„Deine Seele gehört mir.“
Der Ritter holte mit dem Schwert aus. Stefan sah sein eigenes Spiegelbild auf der Schneide aufblitzen, bevor das Schwert ihn enthauptete. Jede Geschichte hatte ihr Ende …