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Der schwarze Mann
Eine Welt –ein einziges, riesieges Ghetto. Bevölkert von Schafen und Wölfen- blutrünstig, gnadenlos und einzig vom hungernden Trieb gesteuert. In dieser Welt gibt es kein Licht mehr, es erlosch mit der letzten grossen Explosion der Kriege. Selbst die einzige Legende, die noch ein Funken von Hoffnung gibt, ist von dunkelstem Schatten.
Er ist aber keine Legende, ich habe ihn gesehen, wobei ich nicht einmal sicher bin, ob es sich tatsächlich um einen ihn oder nicht gar um eine sie handelt.
Es war eine eiskalte Nacht, wie ich durch die von Regen übergossenen Strassen schlich auf der Suche nach einem neuen, trockenen, warmen und sicheren Platz. Es war bereits nach Mitternacht. Man hörte die Wölfe schon nicht mehr heulen, man hörte sie bereits die Zähne fletschen, von weitem schon am Verzehr der ersten Opfer. Schwach vor Furcht, schwach vom Zittern, schwach vom Hunger und Durst schaffte ich es kaum noch zu gehen und fiel und rutschte ständig auf dem nassen, oft gefrorenen Boden hin oder stolperte über einen im Dunkel liegenden, Kadaver. Mein Weg endete in einer Sackgasse, die ich nicht kommen sah. Die Schwäche besiegte meinen Geist und ich fiel erloschenen Mutes auf die Knie und weinte die letzten Tränen, die mein Körper noch hergab. Eine grosse, dicke, rauhe Hand umfasste urplötzlich mein Gesicht von hinten und zog mich hoch. Als die Hand langsam von meinen Augen verschwand, schrien einige Männer lachend: „Buh!“ und ich erblickte ihre verzerrten Grimassen und vor Wahnsinn glühenden Augen. Der, welcher mich mit seiner Hand hochzog, begann mich nun mit der selben zu begrapschen, während die anderen vier-fünf Gestalten ihn in einer undeutlichen Sprache, die ihr Wahn völlig unverständlich machte, anzufeuern. Einer der anderen Männer jedoch wurde aus irgendwelchen Gründen, die wohl nur in seinem Kopf herrschten, wütend, trat hervor und warf den Mann über mir zur Seite und zog ein riesiges Messer hervor und hielt es mir vor mein Gesicht. Dann hörte man ein knacken, zwei-drei Schreie und der Irre über mir drehte sich um und sah wie aus dem finsteren Schatten die leblosen Körper seiner Begleiter zu Boden sackten, es gab keine Spuren von Verwundung oder Gewalteinfluss an ihren Körpern, sie waren einfach so tot. Der Irre liess von mir ab und ging von dem einen zum anderen seiner toten Begleiter und begutachtete sie. Währenddessen sah ich, wie eine finstere Gestalt aus dem Schatten getreten kam. Im Gegensatz zu den Riesen, die dem Wahnsinn verfallen waren, war er eher schmächtig und sah schwächlich aus. Sein Körper war von einem schwarzen Umhang bedeckt, die Hände in schwarzen Handschuhen, nur seine Augen leuchteten unter der dunklen Kapuze hervor. Langsam begann auch der letzte Lebende der fünf Irren seine Gegenwart zu realisieren und drehte sich zu ihm. Wieder sprach er in der Art, welche für jeden anderen unverständlich war, etwas dem Fremden zu, doch dieser blieb stumm und kam dem Irren immer näher, dieser begann mit seinem Messer in der Luft drohend herumzufahren. Seine grossen, starren Augen musterten den näher kommenden Fremden noch ein wenig, bis er sich plötzlich mit der Klinge, die schon viel Blut an den Tag beförderte, auf ihn. Er schnitt mit dem Messer in den schwarzbedeckten Körper des Fremden, welcher sich nicht zur Wehr setzte und Blut benetzte den Körper des Irren, der immer weiter auf den schwarzen Dastehenden einstach. Bei jedem Mal, dass die Klinge den Fremden traf, erklangen immer neue kreischende Schreie in verschiedensten Lauten. Es schrien tausend Stimmen aus dem Fremden ihren Schmerz heraus, doch der schwarze Mann blieb standhaft und rührte sich nicht, während der Irre in immer grösserer Rage sich selbst mit Blut bespritzte und dabei vor Wut begann immer lauter zu schreien. Ich versuchte mir die Ohren zuzuhalten, hielt diese tausend und einen Schrei nicht aus, doch ich konnte mich ihrer nicht verschliessen.
Ich kann nicht mehr sagen, wie lange es gedauert hatte, doch sein ganzer Körper war schon völlig vom Blut überdeckt, als der Irre das Messer fallen liess und erschöpft zu Boden sank. Der schwarze Mann stand noch immer, und die geheimnisvollen Schreie verstummten auf der Stelle. Der Fremde griff an den Nacken des Riesen und zog ihn hoch, das Gesicht des Irren wurde entsetzt, als er in die verdunkelten Umrisse des Fremden Gesichts starrte, während mir der Schatten, der Kapuze weiterhin keinen Blick erlaubte. Der Fremde öffnete seinen schattenartigen Umhang und umschlang den Irren Riesen, so dass dieser für meine Augen nicht mehr sichtbar war. Einen Moment später schon, öffnete der schwarze Mann wieder den Umhang und der Körper des Riesen sackte leblos zu Boden.
Vor Angst erstarrt, konnte ich mich nicht rühren, als der schwarze Mann nun auf mich zu kam.
„Hab keine Angst.“
Seine Stimme klang zitternd und schien im Kampf mit irgend etwas zu sein. Er kam an mich heran und umfasste meine Schultern. Ich versuchte unter seiner Kapuze sein Gesicht zu erkennen, doch der Schatten blieb wie eine schützende Wand davor stehen. Während der Fremde mich an den Schultern hielt, fühlte ich wie Kraft in meinen Körper zurückströmte. Meine Angst verschwand und mein Körper und mein Geist entspannten sich und in dieser plötzlicher Stille, war es mir, als würde ich ganz leise tausende verschiedene Stimmen auf einmal vernehemen, ohne jedoch verstehen zu können, was sie durcheinander flüsterten.
„Wer bist du?“
Meine Stimme war ganz ruhig, von jeglicher Angst befreit. Doch der Fremde antwortete nicht, einzig diese Stimmen blieben. Von Angst verlassen hob ich meine Arme und legte sanft seine Kapuze zurück. Was ich erblickte, war, so glaube ich, unbeschreiblich. Dort wo der Mensch ein Gesicht zu haben pflegt, beherbergte er Teile von hunderten Gesichter, die ineinander aufschwappten, wieder verschwanden, sich verzerrten und einander auffrassen, ihren Platz erkämpften und verloren und auf verschiedenste Art mutierten und sich auf dieser Fläche, die man Gesicht nennt verformten und... ich weiss es nicht zu beschreiben, er liess mich fallen und bedeckte seinen Kopf wieder, so dass sich eine Schattenwand wieder schützend vor das legten, was ich soeben gesehen hatte.
Er liess mich dort stehen und verschwand wieder im Schatten der Nacht. Verwirrt, aber mit neuer Kraft schaffte ich es eine weitere Nacht zu überleben.