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Der Schutzengel

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10.08.2003
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Der Schutzengel

Die Stadt lag weit unter ihr. Die Menschen waren so klein wie Spielzeugfiguren. Katja saß nun schon seit etwa einer halben Stunde auf dem Balkongeländer im siebten Stock eines Hochhauses und hielt sich an der Säule zu ihrer Linken fest.

Sie dachte an die Diagnose, die ihr Leben für immer verändert hatte.

Vor etwa drei Tagen hatte der Arzt Katja verkündet, daß eventuell keine Besserung ihrer Kopfschmerzen eintreten würde. Diese grauenvollen Schmerzen, die sie seit nunmehr drei Jahren heimsuchten, sie quälten, sie lähmten! Katja schlief mit den Schmerzen ein und an jedem neuen Morgen waren sie in gleichem Maße wieder da, um sie in grotesker Art und Weise willkommen zu heißen.

Die Ärzte, die Katja schon so oft gewechselt hatte, waren nach unzähligen, erfolglosen Untersuchungen ratlos und wußten sie nicht mehr aufzubauen. Doch wie sollte es denn nun weitergehen? Mit dieser Diagnose wurde ihr jeglicher Lebenswille genommen.

Die Schmerzen schienen rein psychischer Natur zu sein, denn die Verspannungen, denen die Ärzte die Schuld gaben, ließen sich mit Massagen und Krankengymnastik immer wieder gut beheben. Das konnte also auch nicht die wahre Ursache sein.

Sie war zu Beginn der unendlich langen Schmerz-Odysee noch so tapfer gewesen, hatte stets versucht, positiv zu denken und sich abzulenken. Doch als sich herausstellte, daß es ein Dauerzustand zu werden begann, war es mit ihrer Selbstbeherrschung vorbei.

Ihre Arbeit im Büro einer kleinen, medizintechnischen Firma leidete darunter. Sie konnte sich nicht mehr konzentrieren, lebte bildlich gesehen in einem mit Schmerzen vollgefüllten Fass und konnte nicht einmal mehr die Wärme des Sonnenlichtes spüren.

Auch ihre Familie litt sehr darunter. Ihr Mann und ihre Eltern waren verzweifelt, weil sie das Liebste, das sie besaßen, leiden sehen mußten und doch nicht helfen konnten. Sie war traurig, dass sie die Zärtlichkeiten ihres Mannes weder genießen, noch im gleichen Maße erwidern konnte, wie sie es eigentlich wollte.

Sie war jetzt 28 Jahre alt und fühlte sich durch die Schmerzen so vergrämt und verbittert, als könnte sie auf bereits 70 Jahre zurückblicken.

Katja dachte an den Abschiedsbrief, den sie auf die Telefonbank ihrer Wohnung gelegt hatte. Sie kannte die Gewohnheiten ihres Mannes und wußte, daß ihn sein erster Weg, nach Betreten der Wohnung, zum Telefon führen würde. Weder er noch ihre Eltern würden ihr diesen Schritt verzeihen und sie wusste, was sie ihnen antat und dennoch sah sie keinen anderen Ausweg mehr.

Feigheit! Dieses Wort hallte plötzlich in ihrem Kopf. Doch war es wirklich nur Feigheit, die sie diesen letzten, endgültigen Schritt planen ließ? Katja hatte panische Angst vor ihrem letzten Schritt, da sie nicht wußte, was sie erwarten würde, aber alles erschien ihr in diesem Augenblick erträglicher als dieses tiefe Meer von Schmerzen.

Sie bat Gott um Verzeihung für diesen Schritt. Ihr Glaube hatte ihr über all die Jahre Kraft gegeben. Nun war Katja nur noch von diesem unglaublichen Schmerz ausgefüllt.

Sie schaute noch einmal auf die weit unter ihr liegende Straße.

Wer würde sie finden und in welchem Zustand würde das, was noch von ihr übrig war, sein? Doch diese Gedanken schob sie gleich wieder von sich.

Als Katja tränenüberströmt die Säule loslassen wollte, geschah es!

Sie spürte einen Druck auf ihren beiden Schultern – Katja schrak zusammen.

Das konnte nicht sein. Die Balkontür hinter ihr war verschlossen. Dennoch war der Druck auf ihren Schultern so real, daß sie sich zum Umdrehen zwang.

Es war niemand zu sehen!

Nun stritten sich all die feinen Härchen im Nacken und auf den Armen um einen Stehplatz. Bevor sie noch begreifen konnte, was geschah, spürte sie eine unsagbare Wärme in sich. Sie breitete sich, in ihrem Kopf beginnend bis hin zu den Füßen in ihrem ganzen Körper aus und durchflutete sie mit Zuversicht und nie gekanntem Lebenswillen.

Dieses wundervolle Gefühl ließ für einen Augenblick all ihre Schmerzen in den Hintergrund treten und langsam, sich an der Säule festklammernd, kletterte Katja zurück auf den sicheren Boden.

Zusammengekauert saß sie lange Zeit in einer Ecke des Balkons und versuchte vergebens, ihren sich schüttelnden Körper zu beruhigen.

Sie wußte plötzlich mit Sicherheit, daß es für sie weitergehen würde. Irgendeinen Weg würde sie finden. Und wenn sie sich letztlich für immer mit den Schmerzen auseinandersetzen müsste. Sie wollte nicht mehr sterben. Sie wollte leben!

Sie war nicht gesprungen! Sie wurde daran gehindert, daran gab es keinen Zweifel!

Als Katja später auf dem Gehweg stand und zum Balkon hinaufsah, der beinahe ihr Leben beendet hätte, spürte sie wieder diese wohlige Wärme.

Und als sie sich auf den Heimweg machte, um den grausamen Brief zu vernichten, bevor ihr Mann ihn lesen konnte, sagte sie leise:

„Ich danke Dir, mein lieber Schutzengel.“

 

Hi Dorothy!

Deine Geschichte ist - nett. Allerdings habe ich dergleichen schon oft gelesen, so dass mich der Plot (verzweifelter Mensch wird durch "Schutzengel" vom Selbstmord abgehalten und schöpft neuen Mut) nicht vom Hocker hauen konnte. Zudem ist die Story extrem vorhersehbar: Bereits beim Lesen des Titels habe ich mit genau diesem Inhalt gerechnet. Dadurch geht jede Spannung flöten.

Mich hätten noch ein paar Details zur Entstehung der Kopfschmerzen interessiert. Sicher, die Ursache war unklar, aber wie genau hat es damals damit begonnen? Kamen die Schmerzen über Nacht oder ging das schleichend von sich? Gab es zu diesem Zeitpunkt irgendeine Veränderung, eine Belastung in Katjas Leben, da die Schmerzen ja offenbar psychischer Natur waren? Hat sie jemals einen Psychologen o.ä. deswegen aufgesucht? Hat sie es mit unorthoxdoxen Methoden wie Akupunktur oder Hypnose versucht? - Wer so darunter leidet, der sollte alle Möglichkeiten ausschöpfen. Da fehlen mir bei Deiner Protagonistin noch ein paar Informationen.

Ich habe selbst jahrelang unter Migräne gelitten. Natürlich nicht so schlimm wie hier, ich war nicht wirklich eingeschränkt, nur halt mehrmals die Woche für ein paar Stunden außer Gefecht gesetzt, sozusagen. Mittlerweile hab ich dieses Problem absolut im Griff - Lavendelöl wirkt schneller und oftmals besser als Tabletten. ;-)
Interessanterweise wurden die "Anfälle" aber schon weitaus schwächer, als ich meine Schulzeit beendete. Das ist seltsam, weil ich mich in der Schule grundsätzlich sehr wohl gefühlt habe und mein Lebensrhytmus eigentlich seitdem viel turbulenter und unregelmäßiger geworden ist - aber irgendeine Bewandnis wird es schon haben.

Solche Details vermisse ich bei Katja.

Ihre Arbeit im Büro einer kleinen, medizintechnischen Firma leidete darunter.
-> "litt darunter"
und versuchte vergebens, ihren sich schüttelnden Körper zu beruhigen.
Passivformen sollte man in einer Kurzgeschichte, die grundsätzlich auf Tempo angelegt ist, eher vermeiden. Im Satz zuvor benutzt Du auch schon Passiv und hier klingt es dazu noch unglücklich: Warum nicht einfach: "... ihren zitternden/bebenden Körper zu beruhigen"?

... und wenn ich mich nicht täusche, dann hast Du Deinen Text übrigens versehentlich zweimal untereinander gepostet. :shy:

Ginny

 

Hallo Ginny-Rose.

Vielen Dank für Deinen Beitrag zum "Schutzengel".

Es ist mir klar gewesen, daß das Ende vorhersehbar ist, aber es ist eine vollkommen autobiographische Geschichte und ich wußte keine andere Möglichkeit, das Erlebte in einer Geschichte zu verarbeiten.

Vielleicht kannst Du mir einen Tip bezüglich des Titels geben, damit es nicht ganz so vorhersehbar ist.

Die Passiv-Form benütze ich sehr gerne, da hast Du Recht. Ich werde versuchen, meine Vorliebe zu beschränken.

Mit dem zweimal untereinander gepostet hast Du natürlich auch Recht "Mea maxima culpa" :-)

Nochmals vielen Dank.

LG
Dorothy

 

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