Was ist neu

Der Schulweg

Mitglied
Beitritt
06.10.2002
Beiträge
5
Zuletzt bearbeitet:

Der Schulweg

Er fuhr wie immer zu seiner Schule. Nicht in irgendeine Schule. Er war auf dem Weg in seine Schule. Der Weg dorthin war nicht gefährlich und auch nicht besonders lang. Dennoch machte der Weg ihm Schwierigkeiten. Es war kalt. Es war aber nicht Winter. Es war Sommer. Es war früh am Morgen. Es war nicht so früh, dass er den Bäckern beim Aufstehen zuschauen konnte, es war vielmehr so früh, wie es eigentlich zu früh für die Schule ist. Denn seine Schule begann nicht um acht Uhr, sondern um viertel nach acht, wegen den anderen, die meist mit dem Zug kamen. Die würden sonst immer zu spät kommen.

Immer wenn er um acht – es war immer um genau acht – in die kleine Straße einfuhr, und schon ein wenig auf ihr gefahren war, sah er schon in der Ferne einen alten Mann auf sich zugehen. Dieser war recht klein, trug immer einen kleinen, hellgrauen Hut, so wie ihn viele ältere Menschen seines Alters tragen, hell-beige Hosen und eine pastelfarbenes Hemd. Ein Rentner vielleicht, oder auch ein Seniorchef einer kleinen Firma, die so Nah bei seinem Wohnsitz liegt, dass er es sich nicht nehmen lässt, jeden Morgen selbst dorthin zu gehen, anstatt mit seinem Mercedes vorzufahren, wie es einem Seniorchef angebracht wäre. Vielleicht macht der ältere Herr aber auch nur am Morgen einen Spaziergang, um sich im hohen Alter fit zu halten. Er wusste es nicht. Er hatte es sich auch nie gefragt.

Und immer wieder fuhr er in die kleine Straße, die in die Hauptstraße mündete. Denn er war ja Schüler. Die kleine Seitenstraße war nicht sehr lang; am Anfang renovierte gerade die Familie Neubaum ihr bis dato runtergekommenes Häuschen. Er hatte einmal auf dem nach Hauseweg ein junges Mädchen im Garten spielen gesehen, und wollte wissen wie sie heisst. Am nächsten Tag schaute er aufmerksam auf das Namensschild, und kurz bevor er seinen Blick wieder auf die Straße richten musste, um nicht gegen einen Laternenpfahl oder ein Auto zu fahren, las der den Familiennamen des Mädchens. Da er sie aber nicht mehr wieder sah, vergaß er sie sehr schnell. Nur den Namen konnte er sich deswegen gut merken. Vielleicht verfolgt er auch deshalb den Ausbau bzw. die Renovierung des Hauses so sehr; denn jedesmal wenn er an dem Haus vorbeifuhr, dann blickte er gespannt auf den Fortschritt, den sich das Haus verschafft hat. Er schaute zuerst nach vorne, ob ihm jemand entgegenkam, dann begutachtete er vorsichtig im vorbeifahren den Fortschritt. Natürlich ist es nicht das einzige Haus in der Straße, aber da es am Anfang steht, und der Blick immer zuerst auf dieses wandert, als ob er wie der Waggon einer Straßenbahn dort hin wandern muss, schaut sich auch noch die anderen Häuser in der kleine Straße an.

Auch heute fährt er in die Schule. In seine Schule, wie er immer sagt. Er biegt in die kleine Straße ein, die zur Hauptstraße mündet. Er schaut auf das Haus, auf die Kontainer in der Ferne, dann wie immer in die Richtung des alten Mannes und schließlich wieder auf das Haus und dessen Fortschritt. Plötzlich wurde ihm komisch. Auf einmal war er sehr bedrückt, er musste nur nicht warum.
Er hielt kurz inne. Man konnte fast seinen Atem in der Morgenluft sehen. Aber nur fast, denn so kalt war es nicht. Nein, doch. Es war eigenlich sehr kalt heute. Besonders kalt. War das der Grund, warum er angehalten hatte. Dass es heute besonders kalt war und das er das eben in diesem Augenblick bemerkt hatte? Er ist schon einige Zeitlang unterwegs und hält plötzlich an, nur weil es kalt ist an irgend einem Fleck in seiner Stadt. Jetzt wurde ihm allmählich ungeheuer in seiner Haut. Er hatte doch angehalten. Extra deswegen angehalten. Man hält nicht einfach so an, nur weil einem etwas komsich kommt. Es musste doch einen anderen Grund als die Kälte geben. Er überlegte angestrengt. Aber er kam zu keinem Ergebis. Erst jetzt bemerkte er, dass seine Hände ganz kalt waren. Er formte deshalb beide Hände zu einer Kugel, richtete sie an seine Mund und blies warme Atemluft hinein, damit sie sich nicht so kalt anfühlten. Währenddessen wandert sein Blick vom Boden aus über sein Fahrrad zu seinem Handgelenk und schließlich auf das Haus. Jetzt dachte er an seine Schule. Und er dachte, daran, dass er zu spät kommen konnte. Der Blick auf die Uhr führte es ihm vor Augen - es war 4 Minuten nach acht. Nun ja, vier Minuten sind nicht viel, nur dass sein Zeitplan durcheinander kam. Also tritt er in die Pedale. Er fuhr jetzt schneller an den Häusern vorbei, die er sonst immer so gern musterte, immer in der Hoffnung, etwas neues, aufregendes zu entdecken. Er kam sehr schnell voran. Jetzt fährt er gerade an den Kontainern vorbei. Und sofort als er die Kontainer sieht, bemerkt er das Fehlen des alten Mannes. Schon wieder bleibt er stehen. Und jetzt weiß er, warum er vorhin stehen geblieben ist. Er hatte den alten Mann in der Ferne vermisst, obwohl er sich nicht einmal daran erinnern kann, ihn nicht wahrgenommen zu haben. Er muss ihn unterbewusst, "nicht wahrgenommen" haben, was ihn beunruhigte. Er blieb noch eine ganze Weile an dieser Stelle stehen. Aber in die Schule ist er nicht mehr gefahren.

 

Hallo Praetor,

diese Geschichte hat mir recht gut gefallen. Auch das Gegenüberstellen des jungen Mädchens (das vergessen wird) mit dem alten Mann (der vermißt wird) ist recht interessant.Noch einige Korrekturvorschläge:
„gierig“ blicken fand ich in diesem Zusammenhang überzogen.
„schauer“ sich auch noch ... korrigieren,
es muß heißen „das Haus und dessen Fortschritt“,
„die er sonst immer so gern“ das `immer´ist überflüssig.
Ganz unten muß es heißen: „beunruhigte“.
Es wird zwar oft gemacht, aber in diesem Zusammenhang vom „Unbewußten“ zu sprechen ist nicht richtig. Zum Unbewußten hat man so leicht keinen Zugang.

Tschüß... Woltochinon

 

Hallo Woltochinon!

Freut mich, dass dir meine Geschichte gefallen hat. Freut mich aber besonders, da es meine erst ist. Aber nun kurz zu deinen Korrekturvorschlägen. Beim wiederholten lesen der Textstelle finde ich auch, dass es "überzogen" ist. Auch bei dem "sonst immer" hat du völlig recht; das ist doppelt gemoppelt.
Über das "Unbewußte muss" ich noch einmal nachdenken. Und die anderen Rechtschreibfehler werde ich auch ausbessern...

Gruß Praetor

 

Letzte Empfehlungen

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom