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Der Schnupfen
Am letzten Freitag putzte ich mir um kurz nach neun die Zähne, drei Minuten lang, zog meine Klamotten aus, stapelte sie über die Stuhllehne und legte mich in das Bett meiner Junggesellen-Wohnung. Ich schlug mein Buch auf, „Der Spieler“ von Dostojewski, und genoss den Dialog zwischen Paulina und dem General, als plötzlich er zur Tür hereinwankte: Ich weiß bis heute nicht, woher er kam und ob er wirklich zu mir wollte, ob er meinen Namen auf dem Klingelschild gesucht hat oder ob er bloß die Farbe meiner Tür mochte – wie immer er mich gesucht hatte, er hatte mich gefunden. Seine Haut dampfte, er war nackt und er miefte miserabel, aber er stank nicht wirklich, und hatte grässliche, borstige Haare, die aus den Gehörgängen baumelten.
Gelangweilt schlurfte er durch den Raum und setzte sich auf mich als wäre ich ein Klo, steckte seinen langen Finger in meine Nase und pulte meine Laune heraus, popelte dran herum, rollte sie zu einem Kügelchen und schmierte sie an die Tapete. „Wer bist Du?“ fragte ich, aber er hörte mich nicht. Seine Hitze brachte mich zum Schwitzen, und er war so schwer, dass ich nur noch keuchen konnte. Er blieb drei Tage und vier Nächte.
Ich schwitzte und schwitzte, keuchte und keuchte, las ein wenig, und manchmal drehte ich mich um, so dass er fast herunterfiel. Dann grunzte er, und reckte seinen fetten Hintern wieder in eine bessere Position. Seine Haut war grün und faltig, und da er so warm war, war sie immer von einem milchigen Schleier aus Dampf umgeben. Manchmal redete er mit sich selbst, aber nur, wenn er sich am Hintern oder am Rücken kratzte; wenn er sich nicht kratzte, schwieg er.
Eines Nachts wachte ich auf, und er war nicht da. Er war nebenan in meiner Küche, und ich hörte, wie meine Würfel über den Küchentisch kullerten. Noch jemand war bei ihm. Der andere sprach mit tiefer, hohler Stimme, sehr windig, als ob er riesige Lungen und ausgeleierte Stimmbänder hätte. Der andere war ruhig und redete wenig, mein grüner Gast redete mehr, vor allem, wenn er würfelte. Zwei Nächte lang knobelten die beiden. Tagsüber saß er wieder auf mir, redete mit sich selbst, bohrte in meiner Nase und beschmierte die Tapete.
Die beiden redeten über das Wetter - aber nicht in der trivialen Weise, wie Menschen über das Wetter reden! Oh nein, sie sprachen über die Temperaturen in den Mitten der Wolken, über die Tautröpfchen pro Quadratzentimeter, die der Nebel morgen auf die Blätter setzten würde. Sie sprachen über das große Magnetfeld und über die Blütenpollen, und wie sie auf der Haut prickeln. Über den Wind sprachen sie, und dass der Ostwind Luft von rumänischen Äckern und polnischen Städten brachte, über Feuchtigkeit, Staub, Luftdruck, und andere Eigenschaften der Luft, von denen ich noch nie zuvor gehört hatte. „Je mehr Zeug in der Luft ist“, diesen Satz sagte mein grüner Gast immer wieder, „desto mehr kriegen wir von denen“. Irgendwann sagte die windige Stimme: "Na schön, Du kannst ihn haben", und dann knobelten sie nicht mehr.
Dann, am Dienstag Morgen um halb neun, stand mein Gast auf, kratzte sich am Hintern und ging aus dem Zimmer, ohne sich umzusehen.