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Der Schneemann
Auslöser: Florian Meimberg@tiny_tales 23. Dez. 2009: "Eines Morgens stand ein Schneemann in ihrem Vorgarten. Außerdem war ihr Mann weg. Ein Zusammenhang, der ihr erst im März klar werden sollte."
Meine Geschichte dazu:
Seit Wochen war es kalt. Immer wieder hatte es ein wenig geschneit, aber es reichte nicht, dass die Kinder eine Schneeballschlacht machen oder mit ihren Bobs die kurzen Hänge hinuntersausen konnten. Endlich - Mitte Januar - kündigte der Wetterfrosch ausgiebige Schnellfälle an und eines Morgens stand ein Schneemann in ihrem Vorgarten. Die Kinder hatten nach Rüebli, Hut, Schärpe und Knöpfen gefragt und den Reisigbesen aus der Garage genommen.
Julia freute sich. Sie liebte Schnee, nicht auf den Strassen, aber in den Gärten. Sie mochte die veränderten Lichtverhältnisse, die Helligkeit tat ihr gut.
Eine Stunde später fing sie an sich Sorgen zu machen. Martin hatte Nachtschicht gehabt und sie hatte ihn auf 8 Uhr erwartet, wie immer. Die Nachtschicht erforderte von ihnen beiden Flexibilität, insbesondere auch für ihre Beziehungspflege. Beide liebten die Zeit, wenn Martin am Morgen nach Hause kam. Die Kinder waren in der Schule. Julia bereitete immer ein Frühstück vor, das auch Spiegeleier oder Rühreier oder ein Käse- oder Fleischplättli enthielt. Martin hatte meistens richtig Hunger, wenn er nach Hause kam. Nach dem Frühstück ging er duschen und Julia räumte die Küche auf. Wenn sich Martin ins Bett legte, kuschelten sie, bis Julia spürte, dass er eingeschlafen war, dann stand sie wieder auf.
Wo blieb Martin? Was war geschehen? Die Fragen blieben unbeantwortet, Martin kam nicht mehr nach Hause.
Julia ging es nicht gut. Sie litt unter dem Verschwinden von Martin. Traurig sass sie am Fenster. Es war März und es schneite. Sie schaute den Flocken zu, wie sie tanzten. Ihre Augen folgten den Schneekristallen, wie sie umhergewirbelt wurden. Immer wieder versuchte sie, eine bestimmte Flocke zu fixieren. Sie fiel, wurde wieder hinaufgewirbelt, fiel, wurde nach rechts und nach links und diagonal nach oben und nach unten, von Julia weg und auf Julia zu gewirbelt. Irgendwann fing sich etwas in Julia zu regen. Sie fing wieder an zu denken. Das, was in ihr wie zusammen gefroren war, begann sich zu lösen. Julia wurde bewusst, dass an dem Tag, an dem der Schneemann gekommen war, Martin, scheinbar ohne vorgängig zu informieren, verschwand bzw. nicht nach Hause kam. Julia zog sich warm an und stapfte durch den Schnee zum Schneemann. Sie ging um den Schneemann herum und schaute sich um. Da sah sie Martin, beim Frühstück, in einem anderen Haus.
Julia hatte sich, im Schneesturm, der im Januar den ersten Schnee gebracht hatte, in der Hausnummer geirrt, als sie am Vorabend, bevor der Schneemann kam, an der Tankstelle noch rasch ein Fondue gekauft hatte und dann nach Hause zurückgekehrt war.