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Der Schnee knirscht unter seinen Sohlen
Der Schnee knirscht unter seinen Sohlen (Überarbeitung)
Der Schnee knirscht unter seinen Sohlen. Langsam, und auch nur langsam geht er weiter.
Schritt für Schritt. Er dreht sich um. Er kann seine Spuren nicht mehr sehen. Alles ist bedeckt. Alles.
Ihn friert es. Er zieht seine Jacke enger als ob er Schutz braucht.
Wie konnte es so weit kommen? Mit Vierzehn von zu Hause weggelaufen. Wie ein Weichei.
Ja, Weichei hat ihn sein Vater genannt. Er ist zu nichts nütze. „Paul, du bist zu dumm zum Scheißen.“ Ja, das waren die Worte, die der Vater sagte, als er durch die Tür lief und sie brannten sich tief in ihn ein. Diese Narben schmerzen.
Seine Mutter sagt schon lange nichts mehr.
Zu viel Schmerz, zu viele Schläge, zu viel Hass.
Der Glanz der Freude, in ihren Augen, ist verschwunden. Sie lebt nur noch in einer anderen Welt.
Sie ist zerbrochen. Sie sagt nur noch sehr wenig.
Oft ist der Vater nicht da. Er kommt einfach nicht nach Hause. Man weis nicht ob, man sich freuen soll oder vielleicht traurig sein sollte. Er kann ja nichts dafür. War es der Alkohol? Früher war er noch in Ordnung und plötzlich hatte es angefangen. Er kam nach Hause und schlug sie. Gut, er war besoffen, aber das verzeiht man nicht so einfach. Sie hätte ins Krankenhaus gehen müssen, aber sie zog es vor, sich zu verstecken. Und jetzt, wo der Vater keine Arbeit mehr hat wird es nur noch schlimmer.
Paul möchte einfach nur raus, raus aus dem Alltag. Er sieht seine Freunde und ist neidisch.
Sie haben die Liebe, die er braucht. Sie haben die Geborgenheit, die er vermisst. Sie haben die Aufmerksamkeit, die er gern hätte. Die er gern hätte? Mehr Aufmerksamkeit heißt mehr Schläge. Ein Gefühl der Traurigkeit kommt in im hoch und setzt sich wie ein Klos im Hals fest.
Er war vor ein paar Tagen bei seinen besten Freund. Es war alles anders. Der Freund wurde in den Arm genommen. Der Vater sagte: "Ich hab dich lieb"
Paul läuft weiter auf einen kleinen Waldweg. Es geht bergauf. Er kommt etwas ins Schwitzen. Er muss einfach etwas machen. Wenn er nach Hause kommt, dann … ja was dann? Er wird geschlagen. Sein Vater hat dann noch mehr getrunken. Und er wird versuchen in sein Zimmer zu schleichen. Hauptsache, der Vater sieht ihn nicht. Vielleicht kann er dann zu seinem Freund und dort übernachten.
Er schöpft neue Hoffnung. Er schlägt einen Weg quer durch den Wald ein. Nein, er hat kein Zuhause, kein Heim.
Paul läuft weiter. Die Schneeflocken fliegen in sein Gesicht. Minuten vergehen. Er kommt aus dem Wald heraus, gerade zu auf das Haus. Sie werden ausziehen müssen, jetzt, da Vaters Job weg ist und es kein Geld mehr gibt.
Er umgeht das Haus klettert hinten ins Badezimmerfenster, durch das er auch floh.
Er schleicht schnell in sein Zimmer. Die schweren Schritte seines Vaters kommen immer näher.
Jetzt oder nie. Er überquert den Flur und gelangt sofort in sein Zimmer. Er packt schnell ein paar Sachen zusammen. Seine Zahnbürste fehlt. Er muss noch mal ins Bad. Ist der Vater vor der Tür? Er macht kein Geräusch und lauscht. Er hört ein Schluchzen und die schweren Schritte seines Vaters. Hat er sie wieder geschlagen? Nein, sie schluchzt nicht. Nein. Er schluchzt. Warum? Was ist passiert? Er hat seinen Vater nie weinen hören.
Er öffnet die Tür ein Spalt breit und wagt einen Blick hinaus. Seine Mutter liegt am Boden, das Gesicht nicht mehr Blau sondern Rot. Sie bewegt sich nicht. Paul begreift. Sie ist tot. Vater hat sie Erschlagen. Paul hat Angst.
Einen kurzen Moment sieht er seinen Vater vorbei laufen. Er hält ein Kabel in der Hand.
Es ist zu einer Schlaufe geknotet. Sein Gesicht ist von Verzweiflung gezeichnet.
Was soll er machen? Soll er ihn davon abhalten. Selbstmord. Er hat ihm so oft wehgetan. Zu oft. Er hat seine Mutter getötet. Einfach so…einfach so? Warum?
Und wenn er raus geht? Was dann? Wird er auch ihn...
Ein Stuhl fällt um. Es ist zu spät.
Er macht die Tür auf. Er geht an seinen Eltern vorbei, ohne einen Blick auf sie zu werfen.
Er geht hinaus. Es fängt an zu schneien. Er geht wieder in Richtung Wald. Die Schneemassen verschlucken ihn. Er läuft weiter. Seine Spuren sind nicht mehr zu sehen.