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Der Schmerz der Erinnerungen

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15.04.2004
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Der Schmerz der Erinnerungen

Ich stehe am Abgrund, hier, an den rauen Klippen des Meeres. Der Wind weht mir mein Haar ins Gesicht, blättert in den Seiten des Buches auf meinem Schoß, in meinen Gedanken.

Weder das leise Kratzen des Stiftes auf dem Papier noch die Tränen, die unaufhörlich meine Wangen hinabrollen, nehme ich wahr. Es scheint alles so gleichgültig für mich, als gehörte es zu einer Welt, die nicht die meine ist, meine Umgebung lässt mich kalt. Ich höre, wie die anderen über mich reden, über mein „seltsames Verhalten“, wie sie es nennen, diskutieren.
Sie lachen darüber, selbst jene, die ich einst meine Freunde nannte, machen sich nun über mich lustig, plaudern meine Geheimnisse aus, die ich ihnen in Zeiten des Glücks anvertraute.

Zeiten des Glücks... die so kurze Zeit meines Lebens, die du bei mir warst, mich aus den dunklen Tiefen meiner Seele zurück ins Leben holtest.
Doch habe ich je gelebt, bevor ich dich traf? War ich nicht innerlich gefroren, kalt wie Eis?
Du hast mich aufgetaut. Ich lebte, wenn auch nur wenige Monate.
Dank dir.

Warum hast du mich nun verlassen, bist von mir gegangen?
Ich bin gefallen... zurück in die abgrundtiefe Schwärze, bin gestorben.
Sie alle denken, es sei nur die Trauer um dich, die sich meines Herzens bemächtige, es werde vorbeigehen.

„Es geht vorüber, denke einfach nicht weiter darüber nach!“
„Alle Wunden heilen, gib dir Zeit!“
„Komm schon, nimm es nicht so schwer. Lach doch mal wieder! Irgendwann hast du ihn sicherlich vergessen!“

Sie verstehen mich nicht, wissen nicht, was mich bewegt.
Ich kann nicht vergessen.
Mit jeder Minute, die ich mit der schmerzhaften Gewissheit um dich verbrachte, ist ein Teil von mir gestorben, in schier unendlicher Qual wurde meine Seele ausgelöscht, Stück für Stück.
Jetzt ist es nur noch die Dunkelheit, die mein Herz und meinen Verstand füllt.

Ich sehne mich nach dir, nach deiner ganz besonderen Art und Weise, wie du mich jedesmal zum Lachen brachtest, als ich wieder drohte abzurutschen.
Ich sehne mich nach deinen tröstenden Berührungen, nach der Geborgenheit, die immer in deiner Nähe empfand, nach der Sicherheit, die ich in deinen Armen verspürte.
Mein Herz schreit unaufhörlich nach dir...
Sein Ruf nach dir, nach deiner Seele wird immer lauter, immer fordernder. Ich kann es nicht länger überhören.

Ich erinnere mich.
Obgleich die Bilder in meinem Kopf verblassen, nun nicht mehr als undeutliche Schemen sind, sehe die Szene vor mir.
Ich sehe den Tag... den Tag, an dem du mir deine Treue geschworen hast. Selbst noch jetzt spüre ich deine Lippen, wie sie die meinen liebkosten und mir sogleich danach das Versprechen gaben.
„...Nie werde ich dich alleine lassen, ich werde bei dir sein... gleich, was geschehen mag...“

Dies sagtest du einst.
Und nur wenig später, kaum ein Sonnenlauf war seitdem vergangen... da brachest du es. Ich wäre bis ans Ende der Welt und noch viel weiter mit dir gegangen... Warum? Warum nur bist du dorthin gegangen, wo ich dir nicht folgen kann?

Die schier unzählbaren Tränen, die meine Wangen hinablaufen, tropfen, tropfen, tropfen...benetzen das Papier auf meinen Knien, lassen die rote Tinte der geschriebenen Worte verlaufen... ein Meer...ein Meer von Blut...

Unwillkürlich verschwindet das Bild der Sommerwiese, wo wir standen in trauter Zweisamkeit aneinandergedrängt, wo du mir Treue schworest...
Und macht einer anderen Szenerie Platz.
Nicht die Sonne scheint dort auf uns beide, schon den gesamte Tag lang war der Himmel wolkenverhangen, eine kalte Brise schneidet unsere Gesichter...
Wir wollten einen Ausflug machen, waren nun auf dem Rückweg. Seltsam still war der Wald, es schien, als ob etwas jeglichen Ton zum Verstummen brachte. Kein Tier kreuzte mehr unseren Weg und obgleich der eisige Hauch des Windes wie hunderte von winzigen Nadeln in unsere Haut stach liefen wir weiter, Hand in Hand... .

Dann... plötzlich...
Wie aus dem Nichts standen sie vor uns, hünenhafte Krieger, gekleidet in Felle. Köcher mit Pfeilen waren auf ihren Rücken befestigt, in den Händen hielten sie Bögen, bis aufs Äußerste gespannt.
Sie wollten mich...
Sie wollten mich, als Tochter Thalions, wollten mein Leben...

Ich wusste, eine Flucht war zwecklos, es war hoffnungslos, noch zu entkommen. Trotzdem warest du nicht aufzugeben, mit einem leisen Klirren zogest du dein Schwert aus dessen goldbesetzter Scheide, bereit, zu kämpfen, doch – zu spät.

Schon sangen die Bogensehnen, entließen ihre Geschosse, ich schloss meine Augen, machte mich auf das Unvermeidliche gefasst...
Doch der erwartete Schmerz blieb aus.
Keine der so tödlichen Pfeilspitzen bohrte sich in mein Herz, brachte es zum Verstummen... doch das, was ich erblickte, als ich es wieder wagte, um mich zu sehen, ließ selbst das Leid des Todes so unbedeutend gegen die Gefühle, die sich nun mit aller Macht in meiner Seele ausbreiteten, wirken.

Ich sah dich, wie du vor mir standest... der einst so weiße Stoff deines Gewandes hatte begonnen, sich rot zu färben, ich sah die tief in deine Brust eingedrungenen todbringenden Geschosse, das Blut... überall war Blut...

Leise schlug deine Klinge auf der Erde auf, deine Knie vermochten dich nicht länger zu tragen, sie gaben unter der Last deines Körpers nach, doch bevor auch du deinem Schwerte gleich zu Boden gingest, fing ich dich auf. Nur am Rande nahm ich wahr, wie die Krieger abermals ihre Bögen spannten...

Es war mir gleichgültig.
Ich sah dich, sah den roten Lebenssaft, wie er unaufhörlich aus deinen Wunden drang. Sollten mich ihre Geschosse doch ereilen, so wären wir doch wenigstens im Tode vereint!

Ehe sie jedoch erneut ihr Ziel... mein Herz anvisieren konnten, war die Luft nun wieder erfüllt mit Pfeilen, Pfeilen, die ihre Körper durchdrangen. Nacheinander sanken auch sie auf die Knie, gaben Laute der Qual von sich, bis letztendlich jeder von ihnen seinen Kampf ums Leben kläglich verlor.

Ich hörte sie, die Wachen meines Vaters, wie sie aus dem Unterholz seitlich des Weges hervorbrachen. Ihre Wangen waren gerötet, die meisten hielten noch ihre Bögen in den Händen, doch auch ihre Anwesenheit nahm ich nur wie durch einen Schleier war.
Immer noch erblickte ich dein schmerzverzerrtes Gesicht, das Blut... dein Blut... es klebte mittlerweile auch an meinen Händen und Kleidern, hinterließ seine roten Flecken überall...

Du lächeltest leicht, versuchtest deine Qual zu überspielen, versuchtest, mir Trost zu spenden, dennoch fand eine einsame Träne ihren Weg über mein Gesicht. Und noch eine. Und eine weitere.

Mühsam hobest du deine Hand, wolltest sie wegwischen, als sich dein Körper in meinen Armen vor Schmerz zusammenkrampfte.
Eine nie gekanntes, quälendes Gefühl stieg in mir auf, es war, als ob feine Risse begannen, mein Herz zu durchziehen...

„Melamin... weine nicht...“
Deine Stimme war ein Flüstern, kaum wahrnehmbar und doch ließ ihr Klang die feinen Härchen auf meinen Armen zu Berge stehen.
„...Es...es tut mir...Leid,...dass ich... mein Versprechen...nicht...halten kann...“
„Nein! Geh nicht! Lass mich nicht allein!“
„Aber...verspreche du mir,... dass...dass du...glücklich wirst...“

Wie von selbst umschlungen meine Finger die deinen fester, schienen dich halten zu wollen...
„Melamin ... ich...ich...lie-“
Deine Stimme versagte, dein Kopf sackte kraftlos zur Seite.
„NEIN!!!! Du... du bist nicht tot, wach auf...“
Ich strich über deine Wangen, küsste deine Hand, während mir die Tränen mit nie gekannter Intensität über mein Gesicht liefen, sie tropften auf deines, nun lebloses.
„Steh auf...bitte, steh doch auf...“

Weitere Tropfen vermischten sich mit den meinen, kurz blickte ich auf, in die graue, undurchdringliche Wolkendecke.
Sogar der Himmel schien zu weinen, dich zu betrauern.
„Komm zurück...“
Es regnete immer stärker, der Boden unter meinen Knien verwandelte sich in Schlamm, den ich jedoch genauso wenig wahrnahm, wie die Hand, die sich auf meine Schulter legte.
„...komm zurück zu mir...“

Meine Stimme zitterte, ebenso wie der Rest meines Körpers.
„KOMM ZURÜCK...“
Kraftlos sank ich vornüber und eine wohlige Schwärze umfing mich. Für kurze Zeit war er verschwunden, der alles umfassende Schmerz, nur mich um später umso stärker zu quälen...
Nur noch am Rande bekam ich mit, wie jemand mich aufhob, in eine Decke wickelte, bevor auch meine letzten Sinne von der Dunkelheit verschluckt wurden...


Erschrocken zucke ich zusammen, als die salzige Luft mir ein wenig Sand ins Gesicht weht.
Das gerade eben war keine bloße Erinnerung... ich hatte es wieder erlebt, hatte wieder die Gefühle empfunden, die heiße Flamme des Schmerzes, die seit diesem Tage unablässig in mir brannte, mich von innen heraus zerstörte, die Trauer um dich, die Angst...
Wie oft sollte dies noch geschehen?
Wie oft sollte ich noch schweißgebadet aufwachen, immer wieder dich sehen, wie du tot in meinen Armen liegst?
Ich kann nicht mehr...

Entschlossen stehe ich auf, mache einige Schritte vorwärts, zum Rand der Klippe.
Spitze, herausragende Felsbrocken, umgeben von glitzernden Meerwasser... so unschuldig, so rein es scheint, ebenso gefährlich ist die trügerische Idylle...

Wieder spielt der Wind mit meinen Haaren, lässt sie wie nach einer unhörbaren Melodie über mein Gesicht wehen, trocknet die Tränen meiner Wangen... als wolle er mich trösten, mir versuchen, Hoffnung zu spenden.
Doch ich habe keine mehr.
Ein Lächeln gleitet über meine Züge.

Ich springe...

 

Hallo mystica,

und herzlich willkommen bei uns. Bevor ich deine Geschichte länger kritisiere zunächst eine Frage. Findest du Sucht romantisch?

Lieben Gruß, sim

 

Hallo sim,

Sucht? Eigentlich weniger. Ich habe schon überlegt in welche Kategorie ich die Geschichte stecken sollte, da sie meiner Meinung nach nicht so wirklich in eine hier reingepasst hätte. Da Liebe allerdings ein ziemlich großer Bestandteil ist, hab ich es dann unter Romantik getan.

Was würdest du als Kategorie vorschlagen?
ciao
mystica

 

Hallo mystika,

es ging weniger um die Frage nach der Kategorie. Die finde ich für deine Geschichte sehr ok, auch wenn die Figuren der Mystik entnommen sind, ist es ja beileibe keine Fantasy Geschichte.

Meine Frage bezog sich auf deinen Plot, denn der Irrtum, den du begehst, ist dass du uns Sucht als Liebe verkaufen möchtest.

Die totale Hingabe an den Geliebten bis in den Tod ist sicher ein in der Literatur klassisches Thema, siehe nur Undine oder Romeo und Julia. Allerdings mit einem Unterschied. In der Gesellschaft Romeos und Julias war diese Hingabe ein emanzipatorischer Akt gegen die Fehden der Familienstämme. Ein Akt aus dem Unglück geboren, in der Folge von Schicksal und Missverständnissen aber unabdingbar. Bei Undine war es das Element, welches die Liebenden trennte. Sie zum Leben auf Wasser angewiesen, er auf die Luft zum Atmen, folgt ihr in ihr Element und damit in den Tod. Auch dies ein im Märchen fast emanzipatorisches Bekenntnis, denn er ist es, der sein Leben aufgibt, nicht de Frau.

Bei dir liest es sich leider etwas klischeehaft und deine weibliche Protagonistin mit ihren romatischen Träumen von der ewigen Liebe und ihrem ewigen Schmerz durch das Schicksal des Mannes wird dadurch zu einer Figur, deren Einschätzung der Lästerer zu Beginn deiner Geschichte ich nur allzugut verstehen kann.

Er ist für sie gestorben. Sein Tod war zur Verteidigung ihres Lebens, welches ihr dann nichts mehr bedeutete. Dadurch wirft sie sein Geschenk fort, tritt seine Liebe mit Füßen, wenn sie das Leben, welches er ihr geschenkt hat, nicht ergreift.
Sie begreift seine Liebe nciht, weil sie ihn nicht liebt, sondern süchtig ist, nach seiner Gegenwart, süchtig nach dem, was er ihr zu seinen Lebzeiten gegeben hat. Sie gibt nicht, sie nimmt unentwegt und nachdem er ihr das wertvollste gegeben hat, das er besaß heult sie undankbar vor sich hin, weil er ihr nun nichts mehr geben kann. Sie lässt ihn nicht los.
Bei allem Verständnis für den Schmerz, den der Tod eines geliebten Menschen bedeutet. Ihre Form von Schmerz zeugt für mich nicht von Liebe, sondern von unemanzipierter Abhängigkeit.

Dies darzustellen ist dir vortrefflich gelungen, ich fürchte nur, dass du das nicht wolltest. Denn wenn du es gewollt hättest, dann hättest du dies wahrscheinlich nciht in einer Sprache getan, die versucht, Rosamunde Pilcher oder Hedwig Courth-Mahler in Adjektivlastigkeit und überbordener Kitschromanntik meilenweit abzuhängen.

Dabei blitzt immer wieder durch, dass du schreiben kannst. Das ist also nicht das Problem, welches ich mit deiner Geschichte habe. Eher ist es dieser triefende Glückseligkeitsschmerz bis hin in den selbstgewählten Tod, mit dem sie den Tod ihres Geliebten endgültig ablehnt und vergeblich macht.

Deine Geschichte liest sich, als wolltest du eine herzergreifende Liebesgeschichte schreiben, so traurig, dass deiner Protagonistin vor lauter Schmerz zum Schluss ncihts anderes bleibt, als der Sprung von der Klippe. Die Tragik deiner Geschichte findet aber gerade genau entgegengesetzt statt, nämlich darin, dass sie vor lauter Sucht die ihr zuteil gewordene Liebe nicht erkennt und das Leben nicht ergreift.

Deshalb meine Frage, ob du Sucht romantisch findest.

Dir einen lieben Gruß und einen schönen Sonntag, sim

 

Hallo sim,

stimmt, von der Seite hab ich es noch gar nicht betrachtet...
Es sollte zunächst auch eine Liebesgeschichte werden, die Absicht eine in dieser Art abhängige Protagonistin zu beschreiben, hatte ich wirklich nicht.
Deswegen auch der teilweise ziemlich kitschige Schreibstil...

Jedenfalls danke für deine ehrliche Kritik!

ciao
mystica

 

Hallo Mystika,
zunächst möchte ich dir ganz emotional antworten. Deine Geschichte hat etwas, das ich nur selten beim Lesen empfinde: sie hat einen NACHKLANG. Damit meine ich nicht, dass sie nachdenklich stimmt oder fesselt - sie bleibt einfach im Kopf. Sicherlich liegt es auch daran, dass du einen sehr prägnanten Schluss gewählt hast. Zwei Worte: ich springe . . . Deine Protagonistin lebt in längst vergangenen Zeiten. Dazu gehört eine uns befremdlich erscheinende Sprache, die für mich nicht kitschig klingt, sondern angemessen.
Ausserdem:was bedeutet Kitsch?
Jeder, der schon einmal versucht hat ein eben erlebtes Gefühl auszudrücken, schreibt unweigerlich Kitsch. Was daran ist negativ? Wir begehen häufig den Fehler Kitsch mit Nippes gleichzusetzen. Ein Teil unserer Persönlichkeit ist abgehoben, nicht alltäglich; hat aber eine Daseinsberechtigung.
Auch können wir nicht den Bereich unseres Selbst verleugnen, der in besonders tragischen Situationen zum Aufgeben neigt. Unser Vermögen, rational zu reagieren, bewahrt uns vor unüberlegten Handlungen.
Dennoch dürfen wir das nicht von uns weisen.
Wer schon mit totkranken, oder depressiven Menschen gearbeitet hat, wird bestätigen, dass Todessehnsucht auf erschreckende Weise zu einem realen Bedürfnis werden kann. Recht auf Leben bedeutet auch Recht auf Tod.
Lass also deine Protagonistin selbst entscheiden.
Was ich nicht verstehe ist: Erinnert sie sich an ein vergangenes Leben, oder ist sie selbst die Betroffene? Das geht aus deinem Text nicht klar hervor.
Deine Geschichte ist leise, gefühlvoll, drängt sich nicht auf.
Mir gefällt sie.
Einen lieben Gruß
Odala

 

Hallo Odala,
erstmal vielen Dank für dein Feedback und dein Lob.
Das mit dem Schreibstil - es sollte ein wenig altsprachlich klingen, ansonsten hätte es meiner Meinung nach nicht so ganz zu dem Plot gepasst.

Zu deiner Frage:
Das Mädchen erinnert sich an ihren Geliebten, der vor einem Jahr für sie gestorben ist, sie ist selbst die Betroffene, kommt mit seinem Tod nicht klar und nimmt sich deshalb das Leben.

ciao
mystica

 

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