- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 16
Der Schlüssel der Angst
Seit geraumer Zeit schon vernahm ich nun dieses Kratzen. Ein Kratzen wie von einem Tier im Käfig, das um sein Leben fürchtet. Nie konnte ich feststellen, woher ich es hörte, mal dachte ich es käme vom Fenster her, mal dachte ich, es käme aus den Wänden, ja gar den Bodendielen. In besonders schlimmen Nächten jedoch vernahm ich es hinter der Tür meines Schlafgemachs.
Oft hörte ich es abends, bevor ich mich in den sicheren Armen des Schlafes wiegen konnte, manchmal aber sogar tagsüber wenn ich es am wenigsten erwartete, so dass es mich plötzlich aus meinen alltäglichen Sorgen riss.
Doch am fürchterlichsten klang es des Nachts. Unerträglich drang es mir aus einer nicht zu bestimmenden Richtung ans Ohr. Obwohl es mir lauter vorkam, als dass es irgendein Mensch überhören könnte, stritt meine Frau jedes Mal ab, etwas gehört zu haben.
Ich versuchte es mir mit Ratten in den Wänden, raschelndem Geäst vor den Fenstern und dergleichen zu erklären, doch es schien mir von überall zu kommen, unnatürlich laut und furchtbar.
Bald schon konnte ich des nachts nicht mehr schlafen, mich nicht mehr mit meinen Ausreden von Ungeziefer trösten.
Für mich stand fest, was auch immer dieses grausame Kratzen verursachte, es musste hier im Haus sein. Also zog ich mit meiner Frau in ein kleines Haus auf dem Land, für welches ich all unser Geld ausgeben musste. Zwar verstand sie es nicht, doch sie kam mit mir, wenn auch nur unter Protest.
Ich musste sie überzeugen, dass, sollte sie mich wirklich noch lieben, sie mir auch ihr Vertrauen schenken müsse. Etwas war dort, und ich konnte, wollte weder ihr noch mein Leben weiterhin in Gefahr wissen.
Ihre Sinne mussten vernebelt gewesen sein, dass sie es nicht hörte, also entschied ich mich, sie nicht weiter damit zu beunruhigen, denn ihre Sorge um mich stand ihr Tag für Tag deutlicher ins Gesicht geschrieben. Fast schon beschlich mich die Furcht, sie könne den Verstand verlieren, wenn es so weiter ginge. Sollte ich allerdings recht behalten und unser neues Heim tatsächlich Ruhe für unsere geschundenen Seelen bedeuten, so wäre all dies bald nicht mehr von Bedeutung.
Die ersten paar Tage hörte ich tatsächlich nichts, konnte Nachts endlich wieder einschlafen. Die Zeit war für uns wie ein Segen, eine Erlösung, und doch verspürte ich immer noch die Furcht, dass das Kratzen zurückkehren könnte.
Allein die Angst reichte, dass mir bald schon wieder das Schlafen schwer fiel. Kaum eine Woche dauerte es, bis es mich wieder heimsuchte. Viel lauter und grässlicher als zuvor noch, vernahm ich es nun fast jeden Augenblick, das Kratzen, das vom personifizierten Bösen selbst zu kommen schien. Warum war es wieder da? Was hatte ich getan, um diese Tortur zu verdienen? Bald sah ich, dass ich nicht flüchten konnte, doch ein Ende musste ich dem Ganzen setzen!
Also machte ich mir einen Plan zurecht. Ich legte mir des nachts, denn gerade nachts war es am lautesten und fürchterlichsten, ein großes Jagdmesser an mein Bett. Mit qualvoller Geduld wartete ich, bis ich das höllische Geräusch aus einer deutbaren Richtung vernahm, um dann endlich, was auch immer dahinter steckte, auszumerzen. Tage, Wochen vergingen, ohne dass meine Pein entlohnt wurde.
Nun, da ich dem Kratzen noch genauer lauschte, spürte ich immer deutlicher, wie es sich seinen Weg in die Tiefen meines Herzen grub, Stich für Stich, um es von innen heraus zu zerreißen.
Doch ich hielt stand.
Nach einem vollen Monat war es dann endlich so weit. In einer mondlosen Nacht, als es besonders laut und fürchterlich klang, ja noch lauter und fürchterlicher als je zuvor, konnte ich es endlich genau ausmachen; es kam von der Tür.
Ich griff langsam, vorsichtig nach dem Dolch, äußerst bedacht selbst kein Geräusch zu verursachen, und schlich zur vermeintlichen Quelle des Übels. Der Weg kam mir endlos vor, jeder Schritt dauerte eine Ewigkeit, vor Angst konnte ich mich kaum rühren. Umso näher ich der Tür kam, umso lauter wurde es. Bald war es so laut, dass es mir in den Ohren schmerzte, als würde etwas direkt in ihnen kratzen, oder eine Wanze hinein kriechen wollen.
Als ich endlich an der Tür angekommen war, pochte mein Herz vor Furcht, was hinter ihr liegen möge, aber auch aus der Hoffnung, dass es bald enden würde. Ich sog die kalte Abendluft tief in meine Lunge ein, sammelte meine letzte Kraft und rief: "Was auch immer du bist, dass du mich heimsuchst, nun wird diese Folter enden!“
Ich zog die Tür mit einem raschen Ruck auf und stach sofort zu, einmal, zweimal, dreimal, immer und immer wieder stach ich ins Dunkel hinein. Und es war still. Das Kratzen stoppte, es war ja so herrlich still.
Ein leiser Seufzer entfuhr meinen Lippen, leise, aber ich konnte ihn trotzdem hören. Ganz langsam ließ ich mich am Türrahmen zu Boden sinken und stütze mich mit meinen Händen auf dem Boden ab. Die Dielen fühlten sich eigenartig an, nass, klebrig und warm. Ein schauriger Gedanke betrat meinen Kopf, legte sich auf meinen Verstand wie eine kalte Hand. In diesem Moment teilte sich die dichte Wolkendecke und entblößte den zuvor versteckten Mond. Sein Licht schnitt durch die dichte Finsternis wie ein Schrei durch die Stille und fiel durch das Fenster in den Raum hinein.
Mit weit aufgerissen Augen starrte ich vor mich. Wie konnte ich sie nicht gespürt, wie konnte ich sie nicht gehört haben? Oh Gott, ob sie meinen Namen gerufen hatte? Sie musste direkt vor mir gestanden haben...
Die Angst hatte eine Tür in meinem Kopf aufgeschlossen, die hätte verschlossen bleiben sollen.
Aber das Kratzen verstummte.