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Der Schlächter der Alten

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13.08.2001
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Der Schlächter der Alten

Der Schlächter der Alten


Du haßt die Nacht. Und doch weißt Du, daß sie zu Deinem ständigen Begleiter geworden ist.
Sie ist Deine Heimat, Dein Mantel, und Du wirst nur überleben, wenn Du ihre romantischen Perversionen überstehst.
Es steckt so viel mehr in der Dunkelheit, so viel mehr als verborgene Schatten und geheuchelte Liebe, so viel mehr als Stille und ängstliche Schreie.
Tief in ihren vibrierenden Lenden verborgen liegt eine bizarre Lust, die dem Wahnsinn gleich kommt, ein Verlangen nach Befriedigung, nach Sättigung, den Augen der Wirklichkeit verborgen.
Aber es ist da, lauert in jeder finsteren Ecke, tanzt im schleichenden Nebel und spielt mit den Staubteilchen im Laternenschein.
Der Hunger war schon immer da, seit Anbeginn der Zeiten. Aber nur wenige waren auserwählt, diesen Hunger stillen zu können.
Nur wenige waren zu den Jägern der Nacht auserkoren...
...nur wenige nannten sich die `Schlächter der Alten´...

Du kennst die Straßen, das schmutzige, sündige Pflaster, über das Du schleichst.
Du kannst riechen, was sie Dir zu erzählen haben, siehst die Lust und die Abnormitäten, die des Tages hier einher schreiten, getarnt hinter den Masken biederer Geschäftsleute und Kindern, die ihre Unschuld schon lange vor ihrer Geburt verloren hatten.
Die Straßen ekeln Dich an. Der Gestank einer Stadt, die Du geliebt hast, und die Dich mit harten Fußtritten gefoltert hat.
Du hast die Fassade schnell brechen sehen, schneller, als Du es ertragen konntest, und Deine gehegte Liebe zu den Häuserschluchten, zu den blendenden Neonreklamen und dem verführerischen Duft und Lärm war zerbrochen wie ein morscher Zweig an einem Wintertag.
Die Straßen haben Dir ihre wahre Identität preis gegeben, haben Dich mit ihrer häßlichen, vernarbten und arroganten Fratze angegrinst und Dir ins Gesicht gespuckt.
Die Straßen wollten Dich nicht, Du warst nie ein Teil Deiner Liebe gewesen, die Du stets aus der Ferne und Dein Leben lang angebetet hast.
Sie hat Dich verschmäht, wie einen Aussätzigen, abgestoßen wie ein lästiges Insekt und Dich dem Selbstmitleid und der Selbstzerstörung preisgegeben.
Sie hat auf Dich niedergeschaut, mit Abscheu und Ekel, und Dir immer wieder Tritte verpaßt, Dich gedemütigt, ausgelacht und Dir das Rückgrat gebrochen.
Solange...bis Du Dich mit der Dunkelheit verbündet hast. Mit der Nacht, und dem, was ihr inne wohnt.
Du bist zum Jäger geworden, bist selbst zu einem dunklen Schatten verschmolzen.
Und da hast schnell gelernt, daß es das gewesen war, was von Beginn an für Dich vorgesehen war. Dir war die Rolle des Schlächters zuteil geworden, noch ehe Du geboren worden warst, und Dein ganzes, verwirktes Leben lang hast Du unbewußt auf Deine Mission hingearbeitet.
Und jetzt bist Du hier, schleicht schattengleich durch die Schluchten der Zivilisation, suchst mit Augen, die der Dunkelheit gehören und lauschst auf Geräusche, die Du wie Zecken aus dem Fell eines Hundes kämmen wirst.
Dafür darfst Du leben. Verborgen in der Finsternis und geschützt vor den Spottreden der Tagstadt.
So lautet die Abmachung. Dein Leben für das Leben der Alten.
So lautet es seit archaischen Zeiten, und so wird es lauten, wenn die Erde ihren letzten Atemzug ausstößt...

Die Nacht ist kalt. Feiner Nebel steigt vom Asphalt auf und vermischt sich mit leichtem Regen, der Dir kalt ins Gesicht weht.
Es ist eine Nacht wie jede andere, Du bist auf der Suche, auf der Jagd, so wie es immer gewesen war...und so, wie es immer sein wird.
Es ist still in den Schluchten, nur vereinzelt kann man in einer Nacht wie dieser den Pulsschlag des Lebens spüren. Sehr leise und sehr fern...aber er ist allgegenwärtig.
Du läßt Dich leiten von Deinem Instinkt, einem Trieb, den Dir die Nacht geschenkt hat.
Du riecht das Leben in der Schwärze und folgst seinen Ausdünstungen, seinem Geruch...in dieser Nacht ist es der Gestank von Angst und Gier.
Du liebst diesen Gestank, denn es sind eben die Besitzer dieser Ausscheidungen, die Dich des Tages voller Hohn betrachten und sich angewidert abwenden.
Doch in Deiner Nacht entdecken sie selbst die abartige, wollüstige und verruchte Seite an sich und geben sich dem gefährlichen Spiel des Fleisches hin.
Du liebst es, in ihre Augen zu sehen und darin die zu späte Erkenntnis ihres widerlichen Tuns hinter ihrer namenlosen Angst zu ergründen.
Dann bist Du es, der sie verspottet und anklagt, denn in Deiner Nacht bist Du der Richter, und sie sind der Abschaum, den sie in der Tagstadt mit Dir assoziieren.
Du folgst ihrem Geruch durch die Straßen, um Häuserecken und durch finstere Winkel, Deine Sinne sind geschärft und nur auf das eine konzentriert.
Schattenhaft näherst Du Dich der Angst, der Erregung und zügelloser Gier...Du kannst die Ausschweifungen riechen, Du labst Dich an dem Gestank und freust Dich der Festlichkeiten, die die Nacht für Dich bereithalten wird.
Eine letzte Ecke, ein letzter Schatten, mit dem Du verschmelzen kannst...dann siehst Du ihre Körper, die in Deiner Nacht zu einem Körper geworden sind.
Du siehst ihre zuckenden, schwitzenden Leiber im Schatten eines alten Lagerhauses, der Gestank nach Leidenschaft, nach fleischlicher Gier und verbotenem Sex schwängert die kühle Nachtluft wie der modrige Atem einer uralten Bestie.
Ihre Körper, die zu einem Korpus verschmolzen sind, erscheinen fahl und bleich im Schein einer einzelnen Laterne, wie eine gigantische Made, die sich in der Dunkelheit windet.
In der Tagstadt sind sie Deine Richter und urteilen über dein Leben und das, was tief in Dir drin vor Schmerzen aufschreit.
Aber in der Nacht, in Deiner Nacht, bist Du mehr als nur ihr Richter.
Du bist Voyeur, Richter...und ihr Henker, ein Schatten der Nacht, der den Alten dient.
Schemenhaft näherst Du Dich der Wollust, die Stille der Nacht wird von heißerem Stöhnen und falschen Liebesbeteuerungen erfüllt, Du starrst auf die zuckenden Lenden, auf bleiche Hände, die sich krampfhaft festhalten, auf Augen, in denen sich Verlangen und zügellose Gier spiegelt, riecht den Gestank purer Sünde, den süßen Geruch der Erlösung...
...dann läßt Du Dein Messer mit perfektionierter Genauigkeit warmes Fleisch zerschneiden.
Augenblicklich stirbt das Keuchen und Ringen, die funkelnden Augen der Lust beginnen zu verstehen und trüben sich in grenzenloser Angst. Die Münder, die vor wenigen Augenblicken heißen Atem in die Nachtkälte gestoßen hatten, formen sich zu letzten Schreien ... doch geübte Eingriffe an den Kehlen der immer noch eng umschlungenen Körper verwandeln gellende Schreie in unartikuliertes Röcheln, ähnlich dem gierigen Stöhnen des Aktes.
Du siehst zu, wie verdorbenes Leben aus den Körpern fließt, beobachtest die dampfende Wärme, die aus den Wunden den Körpern entsteigt.
Du spürst die Erregung beim Anblick des Blutes, das die feuchten Holzlatten der Lagerrampe dunkelbraun färbt und inhalierst den frischen, unverbrauchten Duft noch windenden Fleisches.
Dann beginnst Du mit Deiner Mission.
Du öffnest die Körper in einem Schwall aus feinstem Blut und dampfendem Lebens, das sich mit dem feuchten Nachtnebel mischt.
Der Duft macht Dich wahnsinnig, hungrig, Dein Verlangen nach Fleisch ist unbezähmbar...
Doch Du kennst die Abmachung und Du weißt, welche Strafe auf Berührung des Futters steht.
Mit Gier in den Augen und Lippen, von denen Speichel tropft, beginnst Du die Leiber auszuweiden. Du schneidest die heißen Organe mit geübten Schnitten aus ihrer Hülle, hältst sie triefend in den Händen, der Lust kaum noch widerstehend, und legst sie neben die Körper auf das modrige Holz.
So, wie Du es immer tust, in jeder Nacht...so, wie es die Alten verlangen.
Du liebst diese Arbeit, das Zerteilen der Organe, das Durchtrennen von Nerven und Gewebe...denn mit dem dampfenden Fleisch schneidest Du die Tumore der Tagstadt aus ihren Leibern heraus. Du verbannst ihre Arroganz und ihren Spott und machst ihre Körper zu dem, zu was Gott sie vorgesehen hat...zu leeren Hüllen, rein und geläutert, frei jeglicher Anmaßung und frei jeglichen Hochmutes.
Du befreist die Muskeln von ihren hauchdünnen Schutzhäuten, schälst sie vorsichtig aus den Leibern und reihst sie zu den übrigen dampfenden Organen.
In manchen Nächten zucken die Herzen noch, doch diese hier sind im Anflug gieriger Triebe gestorben...ein schöner Tod.
Du lächelst, trotz des Verlangens in Dir...dann beginnst Du das Fleisch von den bleichen Knochen zu schaben.
Nicht mehr lange, und die Alten würden kommen.
Sie wissen, wo Du bist. Sie beobachten Dich immer und der Geruch der frisch geschlachteten Kreaturen würde sie unweigerlich zu dem alten Lagerhaus führen.
Du wischt Dein Werkzeug an der zerfetzen Kleidung Deiner Opfer ab. Dein Blick wendet sich gen Himmel, dort, wo hoch über den Dächern graue Wolkenfetzen vor einem fahlen Mond vorbei ziehen. Der Regen hat aufgehört.
Du kannst sie hören.
Die Stille der Nacht wird von ihren schlurfenden, andächtigen Schritten unterbrochen.
Du starrst in die Finsternis, in eine schwarze Wand, aus der die Alten heraustreten werden.
Sie sind hungrig.
Sie sind begierig.
Und sie sind tödlich.
Du bist ihr Jäger...ihr Schlächter. Aber ihr Mahl ist für sie alleine bestimmt. Keine Zeugen, keine Gäste.
Wie oft hast Du Dir gewünscht, sie einmal sehen zu dürfen, einmal in ihre urzeitlichen Antlitze zu blicken, in ihre Augen, die den Anbeginn der Menschheit gesehen hatten.
Ihre Schritte werden lauter.
Ein letzter Blick auf die Ströme von Blut, auf die Gedärme und die abkühlenden Organe.
Dann verschmilzt Du mit der Nacht, wirst ein Schatten im Dunkeln.
Deine Arbeit ist getan, der Tisch der Alten ist gedeckt.
Du hörst ihre Schritte, hörst ihre Erregung beim Anblick des Festmahls.
Dann, als Dich die Nacht verschlingt, kannst Du das Reißen von Fleisch und das Brechen blankgeschabter Knochen hören.
Du bist ein stiller, unbekannter Diener der Alten.
Du bist der Geliebte der Nacht, und Henker der Tagstadt.
Du bist der Schlächter der Alten...
...denn so stand es schon immer geschrieben...


E N D E

 

Vielen liebe Dank, Existence.
Freut mich, daß die Geschichte gefällt. Ich hab auch schon andere Meinungen dazu gehört...einige fanden sie inhaltlos, andere krank...:messer:
Die zweite Person hab ich extra gewählt, weil der Schlächter rein theoretisch jeder von uns sein kann.
Ich hab die Story auch erst in der ersten Person versucht zu schreiben, aber ich hatte gemerkt, wie ich automatisch in die zweite Form abgedrifftet bin...also hab ich den gesamten Text so niedergeschrieben.
Vielen Dank für Deine Mühe:anstoss:

Micha

 

Grüße!

Dies war eine Geschichte, die mich von Anfang an mitgerissen hat, da sie fast nur aus Emotionen besteht. Die Enttäuschung des Schlächters von der Tagstadt, sein Haß und seine kranke Gier und die Bestimmung die er sich auferlegt hat diese Gefühle auszuleben, sind für mich typische Bestandteile einer Killergeschichte. Die Formulierungen die du gewählt hast, um all' das auszudrücken fand ich sehr gelungen. Ich hätte mir nur noch gewünscht, daß du etwas mehr auf diese "Alten" eingegangen wärst und hab eigentlich bis zu letzt gewartet zu erfahren wer sie nun sind. Oder war das Absicht? Eine Art Mysterium das der Phantasie des Lesers obliegt?

 

Hallo, Gollum...

Was macht Dein Schatzzzzz...:naughty:
Vielen Dank für Deine Mühe. Die Geschichte scheint ja besser anzukommen, als ich es angenommen habe.
Die Alten hab ich extra im Nebel gelassen, denn sie hat ja noch niemand gesehen, Du verstehst?:huldig:
Mein Prot ist ja nur ein Diener dieser Alten, wie vielleicht so viele andere auf der Welt - wer weiß - und selbst er hat die Alten noch nie gesehen.
Wie kann ich also etwas beschreiben, was es offiziel gar nicht gibt?:baddevil:

Liebe Grüße Micha

 

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