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Der Schiffbrüchige
Der Schiffbrüchige
Einmal saß ein Mann in einem kleinen Boot, das auf einem großen Ozean trieb. Es war nicht mehr als eine Nußschale aus Brettern, die vom schäumenden Wasser, das sie umgab, herumgeworfen wurde. Ein Vogel, falls sich je einer so weit aufs Meer hinausgewagt hätte , hätte den Mann und sein Boot wohl nur als Punkt wahrgenommen, so klein waren sie.
Der Mann war sehr verängstigt. Weder konnte er schwimmen, noch würden seine Vorräte lange ausreichen um ihn zu ernähren und er hatte Angst in der glühenden Sonne, die tagsüber auf ihn hinabbrannte, zu verglühen, oder nachts, wenn nur noch der Mond schien, zu erfrieren.
So klammerte er sich verzweifelt an den Seitenwänden des Bötchens fest und suchte den Horizont nach einem Landstück ab. Doch war weit und breit keine Küste zu sehen.
Irgendwann konnte der Mann nicht mehr weinen, oder darüber nachgrübeln warum er vom Schicksal so benachteiligt war, weil seine Augen geschwollen waren und sein Kopf sich so taub anfühlte, als wäre er mit einem nassen Schwamm gefüllt.
Er beschloß mit den Händen einer Richtung entgegen zu paddeln um schneller Land zu finden, obwohl er sich nicht orientieren konnte. Er wählte Norden, weil diese Richtung ihm immer Glück gebracht hatte und begann mit dem mühsamen Unterfangen. Er lehnte sich so weit es ging über den Bug des Bootes nach vorne und tauchte beide Hände seitlich in das kalte Wasser. Dann schloß er die Augen um nicht sehen zu müssen, wie weit der Weg war, den er noch würde zurücklegen müssen.
Anfangs waren die Züge, die seine Arme machen mußten, um das Wasser zu teilen noch regelmäßig, kräftig und schnell. Hoffnung keimte in ihm auf. Zumindest mußte er sich nun nicht mehr tatenlos seinem Schicksal ausliefern. Und so ruderte und paddelte er dahin und verlor allmählich alles Zeitgefühl.
Er spürte, wie der Druck des Wassers seine Finger spreizte und er mußte all seine Kraft aufwenden um ihm standzuhalten. Der gleichmäßige Fluß seines Atems wurde stoßweise und mehr und mehr mühsam. Er fühlte wie sich sein Herz in der Brust zusammenzog und sich wieder entspannte und wie sein Rhythmus immer schneller wurde. Er spürte sehr deutlich, wie das Blut noch Wärme in seine Finger trug und wie langsam die Kälte des Wassers mit dem Blut zurück in seinen Körper strömte. Doch er wollte und konnte nicht aufgeben.
Da kam plötzlich ein starker Wind auf und die Feuchtigkeit in seiner Kleidung ließ ihn zittern. Seine Hände brannten vom Salzwasser und als er bemerkte, daß der Wind Wellen aufkommen ließ, die genau in die andere als die von ihm angestrebte Richtung schlugen, gab er erschöpft auf, legte sich auf den Rücken und machte sich bereit zu sterben.
Es verging eine ganze Nacht, bis der Mann die Augen nicht länger geschlossen halten konnte und wieder hinaus aufs Meer blickte. Zunächst stellte er fest, daß sich nichts an seiner Situation geändert hatte. Doch dann begann er die Wellen zu beobachten, die die ganze Wasseroberfläche in Bewegung hielten.
Da erkannte der Mann, daß jede Welle, die ihn von seinem Ziel zu entfernen schien auch eine Kraft in die andere Richtung besaß, und ihm wurde klar, daß er das Ufer erreichen würde.
Am nächsten Morgen strandete er erschöpft aber lebendig.