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Der Schatz - Dem König ist etwas abhandengekommen
Für die drei Chaoten
„Der Schatz des Königs?“, fragte Alrik verwirrt. „Was für ein Schatz?“
„Das steht da nicht“, meinte ich. „Dem König ist sein Schatz gestohlen worden. Wer ihn zurückbringt, erhält eine Menge Gold, große Ländereien und einen Adelstitel.“
“Stellt euch vor, wir würden den Schatz finden. Wir hätten doch für immer ausgesorgt!“, rief Tyvar. „Damit wären alle unsere Probleme gelöst!“
Meins nicht, der Sinn des Lebens war nicht leicht zu finden. Aber er wäre dann aller Sorgen ledig - und ich hätte eine neue dazugewonnen.
Gregor stand ein Stück hinter uns und drehte die Sehne seines Bogens zwischen den Fingern hin und her. Alrik sah ihn an. „Was sagst du dazu?"
Der Bogenschütze schwieg.
„Dachte ich mir." Ich tat Alrik den Gefallen und grinste - der Witz hatte sich, wie so viele, in letzter Zeit ein wenig abgenutzt.
„Was ist denn der Schatz?“ Ich schaute Tyvar an, der, abgesehen von mir natürlich, der einzig Vernünftige in unserer Gruppe war.
„Keine Ahnung, aber ich weiß, wo wir es rausfinden.“
„Tyvar, wir wollten ins Bett!“
„Land und Lehen, stell dir das mal vor, Kleines!“
Mechanisch antwortete ich: „Ich bin nicht klein, ihr seid nur alle größer …“
„Und älter, und weiser. Vertrau mir, ich weiß, wo wir jemanden finden können, der uns weiterhilft.“
Später waren wir wieder da, von wo aus wir losgegangen waren: im Wirtshaus „Zum freundlichen Oger“. Entscheidend klüger waren wir nicht. Der Spielmann sang gerade ein Lied von einem herumziehenden Vagabunden, der Leute um ihre Geldbeutel zu erleichtern pflegte. Alrik trank Ziegenmilch, lehnte an der Theke und versuchte, mit der Barkeeperin ins Gespräch zu kommen, Gregor und sein Bogen saßen in der Ecke und versteckten sich hinter einem Krug Bier, und Tyvar tanzte mit einigen anderen auf einem Tisch und sang das Sauflied laut mit. Draußen krähte ein Hahn. Es klang ein wenig frustriert, fast so, als wüsste er, dass es ja doch nichts nützen würde.
Wir waren kein Stück weiter als vor ein paar Stunden, als wir den Zettel gesehen hatten. Dabei hatte ich mich schon gefreut, ich wäre einmal vor drei ins Bett gekommen – aber allein lassen konnte ich die anderen nicht, irgendjemand mit ein bisschen Vernunft im Kopf musste auf sie aufpassen, und heute war ich dran.
Wie immer um diese Zeit meldete sich die kleine, hartnäckige Stimme in meinem Hinterkopf. Du solltest nicht mit diesen Verrückten durch die Lande ziehen, sagte sie und klang dabei genau wie meine Tante, die mich mit ihrem Genörgel schließlich auf die Straße getrieben hatte. Du solltest dir einen netten, reichen Mann suchen und ihn heiraten.
Ich schob sie in den hintersten Winkel meines vernebelten Gehirns und sprang zu Tyvar auf den Tisch. Wenn wir schon kein Land, Lehen und Gold bekommen könnten, würde ich mich wenigstens amüsieren.
Als ich eine Pause machte und meine wunden Füße ein wenig ausruhte, legte der Zecher neben mir plötzlich seinen Arm um mich. „Was macht eine schöne Frau wie Ihr um diese Zeit in dieser Taverne?“
„Ich passe auf meinen Gefährten auf“, sagte ich und deutete auf Tyvar, der weitertanzte, als ginge die Sonne gerade erst unter und nicht etwa auf. Mit flinken Fingern löste ich die Börse vom Gürtel des Mannes, ließ sie in meinem Hemd verschwinden und warf einen neidischen Blick in Richtung des Tisches. Tyvar hatte einige seltsame Qualitäten, zum Beispiel eine unheimliche Ausdauer beim Feiern. Außerdem war er gütig, freundlich und ehrenhaft – meistens genau dann, wenn wir es nicht gebrauchen konnten.
Der Mann neben mir gehörte zum Glück nicht zu den hartnäckigen Vertretern seiner Art und zog Leine. Ich orderte noch einen Krug Met und prostete dem unwissenden Spender hinterher. Wir würden auf seine Kosten ziemlich betrunken werden können, und ich müsste nicht mal die Reisekasse angreifen.
Am nächsten Morgen saßen wir alle ziemlich zerknittert um einen Tisch in der Taverne herum. Ich aß ein Bauernfrühstück mit viel Ei und Schinken, Alrik ein Brot mit Honig, Gregor löffelte Haferbrei und Tyvar aß gar nichts, sondern sah uns nur gequält zu.
„Nicht so viel quersaufen.“ Ich grinste.
„Nicht so laut. Ich hab nachgedacht“, erwiderte er.
„Das ist ja mal ganz was Neues“, meinte Alrik, was mir ein müdes Grinsen entlockte.
„Wir müssen den Schatz finden. Wir müssen. Das ist die Lösung all meiner Probleme!“
Tyvar hatte sich vorgenommen, in eine reiche Adelsfamile einzuheiraten. Aber sein zukünftiger Schwiegervater war dagegen gewesen.
"Liebst du sie immer... Au!" Alrik hatte mit der ihm eigenen Sensibilität den Finger in die Wunde gelegt. Tyvar sah ihn an, starrte dann wieder müde auf die Tischplatte. "Ich dachte, es wäre einfach, einen Adelstitel aufzutreiben", gab er zu. "Ich habe mich wohl geirrt."
"Aber jetzt haben wir unsere Chance ja", rief Alrik, der seinen Toast mittlerweile aufgegessen hatte.
„Wenn hier niemand etwas über diesen Schatz weiß, dann müssen wir eben woanders suchen!“, beschloss ich.
Gregor sagte nichts, und Alrik wirkte auch nicht sonderlich begeistert. Als ich zu dem verzweifelten, zerknitterten, verkaterten Tyvar sah, fühlte ich eine plötzliche Aufwallung von Zärtlichkeit.
„Natürlich suchen wir den Schatz. Und wir werden ihn finden, koste es, was es wolle.“ Ich schlug auf den Tisch, er zuckte zusammen, aber Alrik und Gregor sahen angemessen beeindruckt aus.
Also zogen wir von Stadt zu Stadt und fragten überall herum, wer den Dieb gesehen hatte, oder worum, zur Hölle noch mal, es sich bei dem Schatz überhaupt handelte. Aber niemand wusste etwas darüber. Auf unserem Weg nahmen wir überall die Aushänge mit, damit uns ja niemand in die Quere kam. Wir trafen geradezu unglaublich viele Menschen, denn Tyvars Talent dazu, Bekanntschaften zu machen, übertraf sogar die Fähigkeit eines Vogels im Fliegen. Wir sahen Orte, an die wir nicht einmal im Traum gedacht hätten, wie das Dorf Hinterwald samt einer Horde Hinterwäldler, die aber gar nicht zurückgeblieben waren, sondern im Gegenteil jede Saison eine neue Modekollektion für die Fürstenhöfe entwarfen.
Wir saßen fast jeden Abend in einer anderen Taverne und zogen Erkundungen ein. Tyvar schleppte Leute an, die wir dann befragten - die ich befragte, denn Gregor sagte sowieso nie was, Alrik versuchte dauernd sein Glück bei irgendwelchen Frauen, und unser geschätzter Anführer ging lieber tanzen.
"Wir suchen nach dem Schatz des Königs", sagte ich jedes Mal. "Ist alles eine etwas längere Geschichte. Weißt du irgendwas?"
Aber von meinem Gegenüber erntete ich stets nur verständnisloses Kopfschütteln. Die meisten Leute, mit denen ich redete, kannten nicht einmal den Aushang, so gut hatten wir ihn geklaut, geschweige denn konnten sie unser Problem nachvollziehen. So ging es jedes Mal, und ich wurde frustrierter und frustrierter.
Bis auf dieses eine Mal. "Wir suchen nach dem Schatz des Königs", erzählte ich im Plauderton, krampfhaft bemüht, meine Langeweile nicht zu zeigen. Ich betrachtete die Frage mehr oder weniger als Pflichtübung, hatte keine Lust mehr, war müde, viel zu müde.
Mein Gegenüber, ein einigermaßen gutaussehender Mann Anfang Zwanzig, beugte sich interessiert vor. "Wirklich? Was für ein Zufall. Meine Freunde und ich sind ebenfalls auf der Suche nach dem Dieb." Er machte eine Handbewegung, die mir so affektiert vorkam, dass ich beinahe laut gelacht hätte. Immerhin, er bot einen angenehmen Anblick, und das versöhnte mich ein wenig mit seinem Gehabe. "Wir sollten uns dringend treffen, Mylady", fuhr er fort. "Dann kann ich mich mit Euch und Euren Freunden absprechen und unser weiteres Vorgehen in dieser Causa koordinieren."
Stand er auf Fremdwörter?
Ich ließ mich den Rest des Abends von dem Mann abfüllen. Ich dachte mir - hey, warum nicht? Als er daher gegen Morgen vorschlug, doch ein wenig frische Luft zu schnappen, meldete ich mich nur kurz bei Tyvar ab.
Der Fremde war deutlich nüchterner als ich. Irgendwie gefiel mir das. Wir vertraten uns ein wenig die Beine, ich hakte mich bei ihm ein, weil ich fror, dachte daher nichts Böses, als er mich plötzlich von sich schob und mich gegen eine Wand drückte.
Erst der kalte Stahl an meiner Kehle machte mich fast wieder nüchtern. "Und jetzt sag mir, was du weißt", zischte er.
"Nachts ist es kälter als draußen", erwiderte ich todesmutig, "und wenn man zu viel Met trinkt, muss man sich übergeben..." Ich war kurz davor, meinen Worten auch Taten folgen zu lassen, denn auf einmal war mir schlecht.
Er schnitt mir mit einer Ohrfeige, die meinen Kopf gegen die Mauer fliegen ließ, das Wort ab. Ich spürte, wie meine Lippe aufplatzte und anschwoll.
"Über den Schatz", befahl er. Ich verdrehte die Augen. Er würde mich nicht töten, er brauchte mich. Die Tatsache, dass er mich hierhergeschleppt hatte, bewies, dass er den Schatz wollte, und, dass er ihn für sich wollte. Außerdem wusste er vermutlich noch weniger als wir, sonst hätte er mich längst getötet, um unliebsame Konkurrenz loszuwerden...
Weh tat es trotzdem.
"Aufmerksam geworden sind wir auf die ganze Sache in Steinfurt. Dort haben wir den Aushang geklaut, ziehen seitdem durch die Städte und versuchen, irgendeine Spur zu finden." Ich grinste mühsam. "Jetzt bist du dran."
Er wollte gerade auffahren, da erklangen Schritte, zielstrebige Klänge, die über das Pflaster eilten. Ich kannte diese Schritte.
Dank der aufgeplatzten Lippe fiel es mir schwer, trotzdem schaffte ich es, die ersten paar Takte eines bekannten Saufliedes zu pfeifen. Der Mann hielt mir mit der Hand den Mund zu, sein Schweiß brannte auf meiner Wunde. Seine Augen funkelten so wütend, dass ich mich kurz fragte, was er mir jetzt am liebsten abschneiden würde.
Dann sirrte eine Bogensehne, die Wut in seinen Augen wich einem Ausdruck von Verwirrung und dann von Angst. Die Sehne schnarrte ein zweites Mal, der Mann schrie und fiel langsam zur Seite.
Gregor tauchte hinter ihm auf, einen dritten Pfeil schon auf der Sehne. Ich lächelte ihm zu und beugte mich dann über meinen Gegner, dessen Gesicht von Schmerz verzogen war.
"Und jetzt bist du dran", flötete ich und zog mein Stilett.
Er schüttelte den Kopf. "Dafür werdet ihr büßen", stieß er hervor. "Ihr beide und die beiden anderen Verrückten. Ich werde euch töten, einen nach dem anderen."
Wahrscheinlich glaubte er, dass ich ihn am Leben lassen würde. Vielleicht dachte er, dass mir sein Wissen wichtiger wäre als sein Tod. Ich fühlte mich vor Wut ganz kalt. Auf einmal hasste ich ihn dafür, dass er es gewagt hatte, mich zu bedrohen, meine besten - und einzigen - Freunde zu bedrohen.
Er hatte so ein selbstgefälliges Lächeln auf den Lippen.
Ich nickte Gregor zu. Ich hatte mir so fest auf die unversehrte Seite der Lippe gebissen, dass ich dort jetzt auch blutete. Der Pfeil löste sich von der Sehne und perforierte die Stirn meines Gegners.
Nach dem Schuss löste der Schütze die Sehne von seinem Bogen und nickte. Ich ließ die Leiche liegen und folgte ihm.
Drei Schritte später fiel mir ein, dass der Tote bestimmt noch Geld hatte. Das würde ich gut gebrauchen können.
Ein paar Wochen später saßen wir frustriert und müde, mit durchgelaufenen Stiefelsohlen, in einer verrauchten Kneipe herum.
„Ich geb’ auf“, stöhnte Alrik.
„Wir geben ganz sicher nicht auf! Wir finden den Schatz, Tyvar heiratet seine Prinzessin, und dann…“ - hatte ich meinen besten Freund verloren, der auf irgendeinem Schloss sitzen würde wie ein reicher Fürst, was er dann auch wäre - „wird alles gut.“
Tyvar sah mich an. „Lass gut sein, Kleine. Es hat keinen Sinn.“
Nach einer Schrecksekunde fuhr ich auf. „Nein, wir geben nicht auf! Wir finden den Schatz!“
Ohne es zu merken, war ich laut geworden, und die Leute guckten kurz in unsere Richtung, dann setzte die Musik wieder ein und wir versanken in der tröstlichen Anonymität des üblichen Tavernenambientes.
Ein rattengesichtiger Mann sprach mich an, als ich gerade auf dem Weg zum stillen Örtchen war, um ein wenig Met loszuwerden. „Lady, für eine Goldmünze verrate ich was, das dich sicher interessieren wird!“
Ich gab ihm die Goldmünze, hatte ich doch genug davon, und er winkte mir, mich zu ihm hinunterzubeugen. „Dem König ist sein Schatz nämlich davongelaufen…“ Er lachte, und ein Blinzeln später war er plötzlich weg, in der Menge untergetaucht.
„Was wollte der denn von dir?", fragte Alrik, der bereits seine dritte Ziegenmilch vor sich stehen hatte.
„Was wohl?" Tyvar hatte reflexartig geantwortet, starrte dann wieder betrübt in sein Glas.
„Er meinte, dem König sei sein Schatz davongelaufen.“
„Das hilft uns auch nicht weiter“, seufzte Tyvar, der wohl gerade in diesem Moment alle Hoffnungen auf ein besseres Leben endgültig begrub.
Wir versanken in dumpfem Schweigen. Meine geschulten Ohren suchten nach dem Lied des Geldes. In der Nähe vom Klingeln vieler Münzen hörte ich plötzlich eine tiefe Stimme: „… ihr Haar war so golden wie, ja, wie Gold eben, und ihre Augen so blau…“
Wahrscheinlich lag es an dem Schweigen, dass ich ihm weiter zuhörte, vielleicht auch an der prallen, vielversprechenden Rundung seines Geldbeutels, die meine Aufmerksamkeit magisch anzog. „Ich hatte sie noch nie zuvor gesehen!“
Eine andere Stimme, etwas höher, jünger: „Das ist ja wirklich ungewöhnlich. Du kennst ja sonst jeden!“
Wieder der andere: „Vor etwa drei Wochen hab ich sie gesehen. Und jetzt ist sie wieder weg.“
„Vor drei Wochen?“, ich stieß Tyvar an. „Hast du das gehört?“
Er schüttelte den Kopf.
„Also, die beiden Leute da hinten haben sich gerade über eine Frau unterhalten. Eine Fremde, die niemand kennt. Und sie soll vor drei Wochen aufgetaucht sein!“
„Vielleicht ist sie die Diebin!“, Alrik sprang auf. „Wenn wir sie finden, haben wir auch den Schatz. Suchen wir sie, und dann…“
Wir waren schon halb zur Tür draußen, als mir auffiel, dass wir gerade die Zeche prellten. Ich lief ein bisschen schneller.
Der Stall war groß genug, dass vier fremde Gesichter nicht weiter auffielen. Vermutlich hätte der Stallknecht trotzdem Alarm geschlagen, nachts um vier an einem Arbeitstag war es nicht gerade üblich, sich an solchen Orten aufzuhalten, aber den hatten wir gefesselt und geknebelt.
Wir schlenderten die Stallgasse entlang, wie bei einem Einkaufsbummel, bewunderten die rassigen Pferde. Gregor hatte sich als erstes entschieden. Er öffnete die Tür der Box, in der ein großes graues Pferd stand.
Ich entschied mich für eine kleine weiße Stute, Alrik nahm sich einen großen Braunen, und Tyvar klaute den offensichtlichen Star des Stalles, ein riesiges schwarzes Pferd, das ihn wütend anschnaubte.
Wir ritten durch die Stallgasse, vorbei an dem Stallknecht, der uns wütend hinterherblickte. Durch seinen Knebel drangen unartikulierte Geräusche. Einen Moment lang tat er mir Leid - er würde einen Haufen Ärger bekommen. Aber dann beruhigte ich mein Gewissen - hätte er besser aufpassen sollen! Mir wäre das nicht passiert.
Die Pferde verkürzten unsere Reisezeit erheblich. Jetzt, wo wir eine Spur hatten, waren auf einmal auch die Stallgebühren nicht mehr zu teuer.
Die Straße war dreckig, die Schlammfontänen spritzten hoch auf, als wir durch den Regen ritten. Wir waren nass bis auf die Haut, aber es machte uns nichts aus. Wir waren in Hochstimmung - wenn ich die richtigen Worte für das Lied gewusst hätte, das mir im Kopf herumspukte, hätte ich die fröhliche, springende Melodie laut in die Welt gesungen. Wir ritten manchmal nachts durch, schliefen auf dem Rücken der Pferde, um Zeit zu gewinnen, die wir in der nächsten Taverne wieder verschwenden konnten. Es war die beste Zeit unserer Reise.
Bisher war alles wie am Schnürchen gelaufen, ja, sie ist nach Osten weitergeritten, auf Wiedersehen. Aber als wir dieses Mal versucht hatten, Informationen zu beziehen, war nichts dabei herausgekommen. Niemand hier hatte von einer Fremden gehört.
„Hat sie uns abgehängt?", fragte Alrik besorgt.
„Nein, sie muss hier durchgekommen sein", beschloss ich. Wir saßen in einer Taverne, an einem runden Tisch. Gregor polierte mit grimmiger Miene seinen Bogen. "Königsberg ist die einzige größere Stadt in der Gegend. Und sie ist immer nach Osten geritten."
Wir waren ihr dicht auf den Fersen gewesen. Und jetzt war sie weg.
"Wir könnten die Diebesgilde fragen", schlug Tyvar zögernd vor. „Die wissen doch sonst immer alles."
„Das machst dann aber du!" Die Diebesgilde war nicht sonderlich gut auf Freiberufler zu sprechen, also musste jemand gehen, der nicht auf ihrer schwarzen Liste stand. Sie hatten ihre Augen und Ohren überall, jedenfalls in allen größeren Städten, außerdem das Monopol auf Einbrüche und Raubüberfälle.
„Wenn du meinst... wo finden wir die denn hier?"
Ich kannte mich aus - die Orte, an denen ich mich besser nicht blicken lassen sollte, konnte ich mir am besten merken.
"Ihre Stammkneipe heißt "die rote Laterne", das ist ein..."
"Ein Bordell." Alrik kicherte, und einen Moment lang spielte ich mit dem Gedanken, doch mit den beiden mitzugehen - man ließ schließlich auch kein kleines Kind mit einem Korb Kirschen allein. So seufzte ich. "Tut nichts, was ich nicht auch tun würde, Jungs. Tyvar, pass gut auf ihn auf!"
Tyvar schenkte mir ein schurkisches Lächeln. "Wir werden vernünftig sein." Dann waren sie weg. Gregor saß mir gegenüber, polierte seinen Bogen und sagte nichts.
Ich seufzte. Die und vernünftig? Es würde schon schiefgehen. Es ging immer schief.
Aber dieses Mal erlebte ich eine angenehme Überraschung. Die beiden waren nach etwa einer Stunde wieder da, mit dem Wissen, das wir benötigten.
"Sie ist hier in diesem Gasthaus abgestiegen", rief Alrik mir über die Länge der Schankstube hinweg zu.
Sofort war ich auf den Beinen. Wir rannten zur Theke - der Wirt warf uns verdutzte Blicke zu.
"Hier ist eine Frau abgestiegen, eine blonde Fremde. Welches Zimmer hat sie?"
Er sagte nichts.
"Das ist eine Freundin von uns", flunkerte ich fröhlich drauflos. "Wir wollten uns eigentlich zwei Tagesreisen nördlich von hier treffen, in dem kleinen Dorf, wie heißt es noch?"
"Waldesruh", sagte der Wirt, dessen Misstrauen dank meiner Schauspielkünste dahingeschmolzen war. "Sie hat das Zimmer im zweiten Stock, direkt unter dem Dach."
Die Unbekannte hatte also Geld! Hoffentlich hatte sie nicht schon den ganzen Schatz verprasst!
Mit einem fröhlichen "Danke!" stürmten wir die Treppen hinauf. Als wir im ersten Stock angekommen waren, gaben wir uns allerdings Mühe, so leise wie möglicht zu sein.
"Pssst", zischte Alrik, während Gregor in aller Seelenruhe den Bogen spannte und einen Pfeil auf die Sehne legte. Ich wartete auf sein Nicken, dann öffnete ich die Tür.
Sie gab den Blick auf ein vergleichsweise luxuriöses Zimmer frei, in dessen Mitte eine Gestalt in einem Kapuzenumhang stand. Die einzige Laterne im Raum stand hinter der Frau, sodass wir ihr Gesicht nicht sehen konnten.
Als sie uns erblickte, schrak sie kurz zusammen und hechtete dann durchs Fenster. Die dunkle Gestalt verschwand in der Finsternis dahinter.
Wir blockierten uns gegenseitig bei dem Versuch, durch den Fensterrahmen zu steigen, aber als wir schließlich auf dem Dach standen, ohne uns etwas gebrochen zu haben, war von der Frau nichts mehr zu sehen.
"Verdammt. Und jetzt?"
"Suchen wir sie!"
Wir schwärmten also aus.
Wir hatten uns aufgeteilt, um effektiver suchen zu können. Wenn wir die Frau nicht innerhalb der nächsten paar Minuten gefunden hätten, wäre sie auf und davon, das war mir klar - wir hatten oft genug auf der anderen Seite des Zauns gefunden. Ich bog in eine kleine Seitenstraße ab und wartete, bis sich meine Augen an die fehlende Beleuchung gewöhnt hatten.
Eine dunkle Gestalt lehnte in einem Hauseingang.
Mein Herzschlag setzte einen Moment aus. Was, wenn es gar nicht die Diebin wäre? Nachts waren bekanntlich alle Gestalten dunkel. Ich verscheuchte die Gedanken und gab das vereinbarte Zeichen, einen leisen Eulenschrei.
Es dauerte nicht lange, bis der Rest der Gruppe hinter mir auftauchte. Die Gestalt bemerkte die Bewegungen, fuhr herum und rannte los.
Als sie gleich darauf stolperte und der Länge nach hinschlug, wurde mir wieder einmal klar, warum wir Gregor dabeihatten.
"Wow, Gregor hat eine Frau gefangen", staunte Alrik. Ich verkniff mir einen bissigen Kommentar und trat zu der Gestalt, die sich gerade auf Hände und Knie hochgerappelt hatte.
"Eure Flucht ist hier zu Ende", informierte ich sie. "Sagt uns, was Ihr über den Schatz wisst!"
„Lasst mich sofort los!“, fauchte sie. Sie zerrte an der Schlinge, und dabei rutschte ihr die Kapuze herunter.
Ihr Haar war wirklich so leuchtend wie Gold, ihre Haut weiß wie die Gischt.
„Seht! Es ist die Königin!“, rief Alrik, und dieses eine, einzige Mal war ich dankbar für seine Angewohnheit, das Offensichtliche zu kommentieren, denn ich traute meinen Augen nicht. Sofort banden wir sie los.
„Majestät“, stammelte ich und verbeugte mich hastig. Die Königin rieb sich die Knie.
„Wisst Ihr etwas über des Königs Schatz?“
„Das ist der Schatz, Alrik!“, sagte Tyvar mit Grabesstimme.
Wir waren alle ein wenig überrascht, als die Königin zu weinen begann. Ihre vollen Lippen bebten plötzlich, und Tränen rannen aus ihren schönen Augen. „Ihr habt ja keine Ahnung, wie er mich behandelt hat“, schluchzte sie. „Jede Woche hatte er eine andere Mätresse, und…“
Wir standen ein wenig hilflos um sie herum, während sie uns die ganze, schreckliche Wahrheit erzählte.
Danach haben wir ein Zimmer in einem nahen Gasthaus genommen. Die Königin schläft jetzt.
Alrik hat eine Frau kennengelernt. Er wird sie, ganz der Gentleman, nach Hause begleiten und dabei die ganze Zeit auf mehr als einen Gutenachtkuss hoffen. Morgen wird er auf einer Couch aufwachen, seine Sachen vom Boden sammeln und gehen. Dann wird er eine weitere beste Freundin fürs Leben gefunden haben und seinen Kummer in eiskalter Milch ertränken.
Gregor ist verschwunden. Er hat sich nicht abgemeldet, das tut er nie. Er kommt und geht wie eine Katze, und wir können ihn schlecht daran hindern, denn Vernunftargumente tut er nur mit einem knappen Nicken ab. Mir graust vor dem Tag, an dem wir einmal schnell verschwinden müssen und er nicht bei uns ist.
Tyvar und ich sitzen unten in der Schankstube, im Schneidersitz auf einem Tisch. Wir trinken Met.
„Lebewohl, Adelstitel, leb wohl, Lehen“, sagt er und schwenkt das Glas hin und her. Die goldene Flüssigkeit wirft einen schimmernden Fleck auf den dreckigen Boden, der im Rhythmus der Bewegung hin und her zuckt. Die Flasche ist noch halbvoll, und wo sie hergekommen ist, warten noch weitere.
Er würde es sich nie verzeihen, wenn er die Königin tatsächlich wieder zum König zurückbringen würde. Ebenso wenig, wenn er es nicht tun würde.
„Weißt du noch, wie wir uns kennen gelernt haben?“, sage ich, hauptsächlich, um ihn auf andere Gedanken zu bringen. „Ich hab versucht, deine Börse zu klauen, weil ich solchen Hunger hatte.“
“Ja, und ich hab dich mitgenommen, dir etwas zu essen besorgt, und jetzt bist du eine Meisterdiebin.“ Normalerweise lässt er keine Gelegenheit aus, mich damit aufzuziehen - wie dumm es doch gewesen war, ausgerechnet ihm, einem weitgereisten, welterfahrenen Vagabunden, den Geldbeutel klauen zu wollen. Und dass er Mitleid mit dem kleinen, dünnen Mädchen gehabt hätte, das ihn so verschreckt angestarrt hatte. Dabei zwinkert er immer mit einem Auge, sodass ich nie weiß, ob er es ernst meint oder nicht.
Aber er starrt weiterhin trübsinnig in sein Glas.
„Ich stehl’ dir einen Adelstitel“, verspreche ich, in der Hoffnung, ihn wenigstens einmal kurz lächeln zu sehen.
Gleich morgen frage ich die Königin. Vielleicht hat die ja eine Idee.