Was ist neu

Der Schatten

Mitglied
Beitritt
04.10.2024
Beiträge
4

Der Schatten

TEIL I: IN ARBEIT UND LEBEN

Hatten noch wenige Monate zuvor sie alle gesagt, so einen Humbug würde niemand mitmachen, hätte gar nicht erst erschaffen werden dürfen, so finden sich schon heute die ersten wieder, die sich ihr doch haben hinreißen lassen. Roman Saggers gehört zu den Wenigen, die sich ihr noch nicht angeschlossen haben; der großen Revolution, die auf den ersten Blick, aufgrund ihrer von oben auf die kleinen Menschen prasselnden Richtung, ihrer eigenen Natur zu widersprechen scheint, von den großen Medienhäusern jedoch als genau das dem Volk angepriesen wird.

Für Roman Saggers bedeutet das jedoch einen weiteren langen Arbeitstag, besonders, wenn nicht viel zu tun ist, wie jeden Tag. Er sitzt an seinem Schreibtisch. Bis auf ein altes Bild seiner Familie und einer auf das zweite Auffüllen wartenden Kaffeetasse steht nichts darauf, außer seinem Arbeitscomputer, der ihn anbrummt wie ein hungriger Hund. Zwei Leute sind bereits vorbeigegangen. Sie haben ihn freundlichst gegrüßt, das gehört schließlich noch immer zum guten Ton. Ob sie jedoch tatsächlich anwesend waren, konnte Roman Saggers nicht beurteilen.

„Die sollte man irgendwie Kennzeichnen“ denkt er sich, während er ungeduldig in seinem Stuhl umherwippt.

Genug davon habend, jeden Tag in der Zeitung zu lesen, dieselben Buchstaben vor dem Auge tanzend, die immergleichen Qualen, die die Menschheit auch in dem heutigen Jahrhundert noch zu durchleben hat, schlägt Roman Saggers auch heute seine Zeitung auf: „Endlich, die Lösung der Rentenkrise!“, prangt groß auf der Titelseite. „Keine unannehmbaren Arbeitszeiten mehr und kein Rentenalter, das über den Lebensabend hinausgeht! Mit dieser Technik sichern wir die Rente für die Alten und heben gleichzeitig die Lebensqualität für alle Arbeitenden.“

Seit Tagen berichten die Medien über nichts anderes. Roman Saggers kann es nicht mehr sehen, schließlich hatten sie schon alles geschrieben und er alles gelesen, was es dazu zu sagen gibt.

Er schließt die Zeitung wieder, faltet sie sorgfältig zusammen und legt sie beiseite. Immer wieder jedoch, inmitten des Tickens der Uhr und des Surrens der Elektronik, stielt sein Auge weg von seinem Rechner, zurück zu der gefalteten Zeitschrift, deren Schlagzeile wie ein Leuchtfeuer in seinem Kopf zu brennen vermag.

„Lösung der Rentenkrise“, kreist es in ihm umher, „mehr Lebensqualität“. Dinge, die Roman Saggers immer mehr Sorgen bereiten, je öfter er darüber nachdenkt. Ein kleines Gehalt, das bislang auf nichts als Altersarmut hinzuführen scheint. Alleinerziehender Vater, Alleinverdiener. Seine Töchter müssen trotzdem die meiste Zeit allein zurechtkommen, wünschen sich nichts mehr als einen Vater, der auch einmal Vater sein kann. Auch er wünscht sich das. Doch stattdessen ist dort jeden Tag diese Langeweile, die Stille.

„Mahlzeit, Roman!“ hallt es den langen Gang hinunter. Sein Arbeitskollege, der sich, wie so oft, auf den Weg zu ihm gemacht hat, taucht am Ende des langen Ganges auf.

„Mahlzeit Gerhard“, sagt Roman, der einerseits nicht viel von Gerhard hält, sich über ein wenig Gesellschaft aber nicht beschwert.

Gerhard stellt seine mit lustig lachenden Gesichtern verzierte Kaffeetasse ab und stützt sich mit beiden Armen auf den Tresen vor Romans Schreibtisch. Direkt fallen seine Augen auf die Zeitschrift, die noch immer auf der Ecke lungert, als wartete sie nur darauf, Gesprächsstoff für einen trockenen Büroplausch zu liefern.

„Ach, du hast auch schon von dieser neuen Technik gehört? Ich sag dir, das wird noch ein großer Wahnsinn. In Amerika haben das schon alle und sogar hier bei uns im Betrieb fangen die ersten mit dem Schwachsinn an.“

„Klingt alles ziemlich utopisch, was? Wobei Arbeit schon etwas Lästiges ist“, sagt Roman.

„Ach komm. Arbeit kann doch auch Spaß machen“, antwortet Gerhard.

„Vielleicht kann Arbeit manch einem tatsächliche, uneingeredete Freude bereiten, wenn er sie so sehr liebt wie du.“ Roman lacht, doch als seine Augen auf das Bild seiner Familie fallen, ist es, als hätte sein Herz für einen Schlag ausgesetzt. „Sieh doch, wie Leute wie ich den ganzen Tag hier herumsitzen. Das meiste, was ich von meinen Töchtern sehe, ist dieses fünf Jahre alte Bild, auf dem meine Frau auch noch so frech ist, mich anzugrinsen, als hätte der Krebs sie nicht längst dahingerafft.“

Gerhard lehnt sich abrupt vom Tresen zurück und wirft einen hastigen Blick über seine Schulter. Seine Hände verkrampfen sich um seine Kaffeetasse, als versuchte er sie zu erwürgen. Sofort bereut Roman, etwas so Persönliches in einer Kollegenbeziehung erwähnt zu haben.

„Komm, so schlimm ist dein Leben auch nicht. Arbeit gehört nun mal zum Leben dazu. Was würden wir sonst den ganzen Tag tun?“, sagt Gerhard schließlich, das Unbehagen in seiner Stimme noch immer deutlich.

„Da hast du natürlich recht“, sagt Roman, der sich gerade noch dazu ringen kann, ein Lächeln auf seine Lippen zu setzen.

„Ich glaube, die Leute sollten dankbarer sein, für die Arbeit, die man ihnen gibt. Stattdessen entscheiden sie sich, diesen Teil ihres Lebens einfach herauszuschneiden, weil sie zu faul sind, anständig zu arbeiten. Und dafür bezahlen sie auch noch einen Heidenpreis“, sagt Gerhard, bevor er sich von Roman abwendet und ihn für den Rest des Tages zurück in die Langeweile verbannt.

TEIL II: ZWISCHEN ARBEIT

Die Wahrheit ist, dass Roman Saggers genau weiß, was er den ganzen Tag tun würde, wenn da nicht ständig die Arbeit wäre. Als er nach diesem langen Arbeitstag zu Hause einkehrt, hat er bereits mehrmals seine Ersparnisse zusammengerechnet. Schlussendlich beschließt er, sich anzuschließen, egal für welchen Preis. Zu sehr vermisst er seine Töchter, zu sehr verachtet er die Arbeit.

Bereits am nächsten Tag sitzt Roman Saggers beim Arzt. Die Implantierung geht schnell. Einen kleinen Schnitt am Unterarm und ein buntes Pflaster hat es benötigt und er ist bereit.

„Sie müssen selbst nichts tun. Der Chip versetzt Ihr Gehirn automatisch von 7 bis 15 Uhr in den Simulationsmodus. Da ihr Gehirn in der Zeit zur Hälfte von der Technik mit Energie versorgt wird, werden Sie sich danach fühlen, als hätten diese Stunden nie stattgefunden und sie sind fit für den restlichen Tag“, versichert ihm die Ärztin. „Aktuell müssen Sie sich noch an die gesetzlichen Arbeitszeiten halten, sollte aber doch eine Chippflicht eingeführt werden, könnten Sie, da Sie einen Bürojob haben, in Zukunft auch von 0 bis 8 Uhr arbeiten. Für diese Zeiten wäre es Ihnen dann zulässig, Ihr Gehirn vollständig mit Energie aus dem Chip zu versorgen und damit den Schlaf gänzlich zu ersetzen.“

„Chippflicht“, denkt sich Roman, „wenn das Gerhard mitbekommt“. Schnell fällt ihm jedoch ein, dass er Gerhard so schnell nicht wiedersehen wird, obwohl er jeden Tag mit ihm zusammenarbeitet. Traurig ist er darüber nicht. Wie könnte er auch traurig über den Verlust von Beziehungen sein, die nur zwangsmäßig dadurch entstanden sind, dass man nun mal im gleichen Betrieb angestellt wurde.

Es dauert nicht lange und die Chippflicht wird, trotz zahlreicher Proteste, besonders von den sich benachteiligt fühlenden Dienstleistern und den Chipverweigerern, EU-weit eingeführt. Die prophezeiten wirtschaftlichen Vorteile überwiegen, sodass sich das Gesetz klanglos durchsetzt. Einige Berufsgruppen, darunter auch Roman Saggers´, können somit schon ein Jahr später ihren Schlaf durch die Arbeit ersetzen.

Dadurch hat er nun schier nicht enden wollende Zeit für seine Töchter. Während sie morgens zur Schule gehen, kümmert er sich um sämtliche Hausarbeiten. Am Nachmittag und in den Ferien unternehmen sie all die Dinge, die er schon immer mit ihnen tun wollte. Sie gehen picknicken im Park, in den Zoo, verreisen, erst nach Italien, dann nach Ägypten. Wo zuvor die Arbeit gewesen war, sind nun sie.

Die Tage fliegen ins Land, ohne dass Roman Saggers sie noch in einer realistischen Einheit zählen kann. Seine Töchter werden zu jungen Frauen, die er bald kaum wiedererkennen kann. Sind es Jahre, Wochen, Monate, gar Jahrzehnte? Schlussendlich sind es immer nur Tage, der eine sich an den anderen reihend.

Wenn sie zu dritt durch die Straßen der Kleinstadt schlendern, fällt Roman Saggers auf, wie die Menschen glücklicher sind. Sie lachen mehr als früher, sind lieber beisammen. Schaut er jedoch in all die Gesichter derer, die er auf der Arbeit trifft, sieht er in nicht mehr als in leer zu sein scheinende Seelen. Seien es die Verkäufer im Supermarkt, der Moderator seiner Lieblingsfernsehshow, oder der Friseur, der jede Woche seine Haare schneidet. Sieht er denselben wochenends auf dem Marktplatz, wirkt es fast, als stände da ein voll eins anderer Mensch, der auf einmal ein Grinsen auf den Lippen trägt, welches er im Salonspiegel lange nicht mehr gesehen hat. Er arbeitet auch mit der Technik, muss sich aber an andere Arbeitszeiten halten und sitzt somit meist die ganze Nacht in seinem Haus, während die, die man mittlerweile nur noch Robo-Menschen nennt, arbeiten sind.

In den Nachrichten wird jedoch immer häufiger von einem „Glücklichkeitsboom“ gesprochen. Alle Statistiken deuten darauf hin, dass die Menschen zufriedener sind. Die Gastronomie, die Touristik, die Unterhaltung, sie alle blühen trotz der Einschränkungen für ihre Arbeiter auf und sind auf einem goldenen Punkt ihrer Existenzen. All die versprochenen wirtschaftlichen Vorteile sind eingetroffen, wurden gar übertroffen. Die Produktivität der Arbeitenden ist auf einem immensen Höhenflug. Die Gehälter steigen rasant. Die Menschen arbeiten bis ins Unermessliche, da sie so ihre zwar dadurch immer weniger werdende freie Zeit umso luxuriöser gestalten können.

Ebenfalls freut sich der Staat darüber, dass die Menschen wieder mehr Kinder gebären, jetzt wo sie Zeit haben, sich anständig um diese zu kümmern. Bald weiß man im ganzen Land nicht mehr wohin mit all dem gescheffelten Geld, alles scheint endlos nach oben zu gehen. Die Technik wird mittlerweile von vielen als die großartigste Erfindung aller Zeiten gefeiert. Sie beschert Volk und Staat Reichtum, sie bringt die Menschheit an bisher ungekannte Grenzen.

Doch, nach was sich anfühlt wie ein einziger Wimpernschlag, ist Roman Saggers alt. Seine Töchter sind ihrer eigenen Wege gegangen, er sieht sie nur noch selten und ist verdammt, seine Tage allein zu verbringen. Immer wieder kommen in ihm dabei Gedanken auf, ob er nicht eigentlich tiefe Reue spüren sollte. Was hatte er in seinem Leben nun eigentlich geschafft? Ihm geht es immer schlechter. Er kann kaum noch gehen, kaum noch denken. Der Arzt hat ihm bereits die Alzheimerdiagnose gestellt. Selbst die Erinnerungen an die Zeit mit seinen Töchtern beginnt sich hinter einem dicken Nebelvorhang zu verziehen. Allerdings ist Roman Saggers kein Einzelfall. Gesundheitlich geht es den Menschen zunehmend schlechter. Alzheimer, Depressionen und nicht enden wollende Angstzustände vermehren sich wie die Pest.

Als Roman Saggers einen Anruf aus dem nächstgelegenen Krankenhaus erreicht, dauert es nicht lange, bis er am Sterbebett seines Kollegen Gerhard steht. Auch ihn scheint die Zeit in besonderem Maße zugesetzt zu haben.

Seine noch wenigen Haare sind grau, seine Haut dünn wie Transparentpapier und ihre Struktur erinnert an ausgesessenes Leder. Der Geruch seines dahinscheidenden Körpers kämpft gegen den sterilen Krankenhausgeruch. Nur mit großer Mühe kann er seine trüben Augen noch auf Roman richten.

„Mensch Gerhard. Lange habe ich dich nicht gesehen. Ich hatte all die Jahre gedacht, du wärst der einzige Mensch auf dieser Welt, der es geschafft hat, sich der Technik zu widersetzen. Scheinbar habe ich mich geirrt.“

„Man wäre ja doch nicht drum herumgekommen“, hechelt Gerhard gerade noch hervor, bevor er in einen ihn sichtlich anstrengenden Hustenanfall ausbricht.

„Weißt du Roman, ich habe ein angenehmes Leben gelebt, auch wenn es genaugenommen nur ein Teil davon war. Doch mir geht es wirklich scheußlich, als wäre nichts Gesundes mehr in mir drin. Und jetzt liege ich auf meinem Sterbebett und entweder sterbe ich bis morgen, oder ich muss zur Arbeit. Egal was von beidem es wird, ich wollte nur noch ein letztes Mal meinen Kollegen sehen. Auch wenn wir uns nicht daran erinnern, so haben wir immerhin ein Drittel unseres Lebens miteinander verbracht.“

TEIL III: ZWISCHEN LEBEN

Wenige Tage später erfährt Roman Saggers aus den Traueranzeigen seiner Zeitung, dass Gerhard noch in dieser Nacht verstorben war. Nur vage kann er sich an die Interaktion erinnern, die er mit ihm in dieser Nacht hatte. Doch er erinnert sich, für Gerhard gehofft zu haben, dass er den Tod bald finden mag.

Sein Alzheimer hat mittlerweile Fahrt aufgenommen und Roman Saggers ist immer weniger in der Lage, sein Leben selbstbestimmt zu führen. Seine Töchter haben für ihn kaum noch Zeit, da sie beide bereits eigene Familien gegründet haben. Sie arbeiten jedoch genug, damit sie es sich leisten können, ihn in einem Altenheim unterzubringen. Ein Urteil, dass ihn in die endgültige Vergessenheit verdammt, denn auch die Pfleger dort arbeiten keinen Tag ohne die Technik.

Bald ist sein Zustand gar so schlimm, dass sein Arbeitgeber es ihm tatsächlich gestattet hat, wegen Arbeitsunfähigkeit in Rente zu gehen. Es ist lange Standard geworden, dass die Menschen deutlich länger arbeiten, um mehr Geld zu verdienen und zu generieren. Viele arbeiten bis zum Tod, da sie es sowieso nicht mitbekommen, wie auch Gerhard. Wobei die Anzahl an jung sterbenden Menschen ebenso rapide zugenommen hat. Nur wenn das Gehirn Schäden trägt, nützt man auch als Roboter auf der Arbeit nichts mehr.

In der Bevölkerung hat all das bereits für Unruhe und Skepsis gesorgt. In der jungen Generation ist es zur Mode geworden, gegen die Chippflicht zu protestieren. Die von den Jungen gern gewählten Politikparteien haben gar zur Voraussetzung, eine Aufhebung in ihre Wahlprogramme aufzunehmen, um ihre Wähler nicht zu verlieren. Auch wenn niemand genau weiß, woher die junge Sterberate und die hohe Krankheitsrate kommen, ist es mittlerweile im ganzen Land bekannt, dass etwas mit der Technik nicht stimmt. Es wird viel Geld in die Forschung investiert, damit man diese Unbequemlichkeit endlich beheben kann. Zu der Zeit wusste jedoch noch niemand, dass die Lösung allen Übels schon bald zur Tür hereintreten würde und sie schlimmer und irreparabler ist, als es je jemand zu befürchten traute.

Es ist ein gewöhnlicher Mittwochabend, an dem der Ballon platzt. Roman Saggers sitzt in seinem Sessel und schnappt die neusten Nachrichten auf, als angekündigt wird, dass heute einer der größten Skandale seiner Zeit aufgedeckt werden würde:

„Es stellt sich heraus, dass den Menschen eine zweite Person entsprang, die rundum, genauso vollständig wie sie selbst existierte, welcher sie sich in ihrem Lebensgenuss nicht bewusst werden konnten“, verkündet der Nachrichtensprecher mit einer gewohnt professionellen Stimmlage. „Dadurch, dass Ihr Gehirn mit externer Energie betrieben wurde, hat sich in dieser Zeit ein zweites Bewusstsein gebildet, völlig unabhängig von Ihrem bisherigen. Diese zweite Person lebte pausenlos in ewiger Qual und Arbeit. Denn genauso, wie Sie die Arbeit vergessen haben, haben Sie es zur Voraussetzung gemacht, dass Sie für die Arbeit auch das Leben vergessen.“

All die Statistiken, die die Menschen über die letzten Jahre beunruhigt haben, machen mit einem Mal Sinn, als wären sie schon immer so offensichtlich interpretierbar gewesen. Es war nicht die Technik, die die Menschen krank gemacht hat. Sie waren es selbst.

Als wäre all das nicht schon genug, kommt zeitgleich ans Licht, dass der Staat über die letzten Jahre Rentenüberschüsse in Milliardenhöhe unterschlagen hat und die Menschen absichtlich bis zum Tod hat arbeiten lassen.

„Die wollten das doch. So bekommen sie mehr Geld. Dass sie dafür mehr arbeiten müssen, merken die doch ohnehin nicht. Der Regierung nun alles in die Schuhe zu schieben ist fürchterliches Unrecht. Was hätten wir sonst mit dem Geld machen sollen, wenn es keine Rentner gibt, an die es ausgezahlt werden kann?“, äußert sich ein Minister der Regierungspartei, wenige Stunden nach Veröffentlichung des Skandals. „Eine Rente ist zudem auch nicht dazu da, dass man damit mehr Geld bekommt als von der Arbeit. So viel Geld hätten wir gehabt. Das hätte der Wirtschaft unfassbar geschadet. Da haben wir besser in andere wichtige Dinge investiert.“ Wohin das Geld allerdings stattdessen geflossen ist, konnte niemand mehr nachvollziehen.

Als Roman Saggers all das aufgenommen hat, ist es, als hätte ihm jemand sein gesamtes Leben entrissen. Jeden Tag aufs Neue, als hätte er zum ersten Mal davon erfahren, wird ihm vorgetragen, wie ihn sein gesamtes Leben betrogen hat. Dass das Glück, das er meinte, gewonnen zu haben, einen so immensen Schatten hinter sich hergezogen hatte. Er hat sich selbst geknechtet und gefoltert. Er sieht das graue Büro vor sich, das noch immer in voller Tristesse in seinem Gehirn existiert, in dem sein zweites Ich pausenlos gefangen war. Er stellt sich vor, wie es gewesen sein muss, statt ein ganzes Leben mit seinen Töchtern, ein ganzes Leben an diesem kalten Ort voller Einsamkeit und Stille zu verbringen, nichts kennend als die ewige Arbeit.

Die nächste Nachte plagt ihn die Frage, ob es nicht offensichtlich gewesen ist, dass eine so perfekt scheinende Erfindung eine solch düstere Nebenwirkung mit sich bringen würde. Ist das nicht eines der Gesetze der Natur? Doch oft genug schon hat Naivität die Menschen in Unglück getrieben. Das Leben in Desillusion war schon immer das einfachere, als eigenständig der Wahrheit entgegenzutreten. Daher sollte auch all das niemanden überraschen, lediglich erzürnen, dass einem das Offensichtliche so gnadenlos ins Gesicht gespuckt wurde und aus dem Komfort des Alltags entrissen hat.

Am nächsten Morgen verstirbt Roman Saggers an einem Herzinfarkt. Lediglich seine Töchter mit ihren Familien sind zur Beisetzung erschienen. Ein Pfarrer, der mit allen Mühen versucht, eine Bedeutsamkeit seines Lebens zu predigen, bevor er doch unweigerlich im Lauf der Zeit zerrinnen wird. Alles, was ihm am Ende geblieben ist, sind zwei Leben mit Erinnerungen an keines davon.

 

Hallo @Pachuses,

dem ersten Satz einer Geschichte kommt eine gewisse Bedeutung zu:

Hatten noch wenige Monate zuvor sie alle gesagt, so einen Humbug würde niemand mitmachen, hätte gar nicht erst erschaffen werden dürfen, so finden sich schon heute die ersten wieder, die sich ihr doch haben hinreißen lassen.

"sie" würde ich streichen, der Rest macht auch nicht viel Sinn. Das macht es einem Leser (zumindest mir) sehr schwer.

Schönen Gruß
Jaylow

 

Letzte Empfehlungen

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom