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Der schöne Schein

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04.02.2003
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Der schöne Schein

Der schöne Schein

Vor langer Zeit lebte in einem Land gar nicht weit von hier ein König mit seiner Königin und seinen zwei Söhnen. Die Königssöhne glichen sich wie ein Ei dem anderen. Sie waren gar nett anzusehen mit ihrem blonden Lockenschopf und ihren Augen, blauer und klarer als das Meer selbst. Wann immer Gäste am Hofe des Königs eintrafen, waren sie verzaubert von der Lieblichkeit der beiden Knaben.
Während Jamos mit seinem Aussehen kokettierte, war es Larish fast schon peinlich ständig so bewundert zu werden. Larish war ein stiller nachdenklicher Knabe, der gerne in der Natur spielte und allen Lebewesen mit Wohlwollen entgegentrat. Jamos hingegen verachtete alle Dinge, die nicht schön waren.
Eines Tages beim Spielen im Garten entdeckte Jamos eine dicke häßliche Raupe. Er sprang auf und wollte die Raupe zertreten.
„So ein häßliches Vieh hat kein Recht zu leben, nicht in meinem Garten!“, schrie er.
Larish rannte auf seinen Bruder zu und stieß ihn beiseite.
„Laß sie leben, sie hat Dir nichts getan! Jeder hat ein Recht zu leben. Außerdem finde ich sie nicht häßlich. Sie sieht doch lustig aus, mit ihren kleinen dicken Beinchen und ihren vielen Haaren. Und sie ist so schön bunt.“
„Du hast mir nichts zu befehlen! Ich bin der Ältere und ich werde König, also kann ich tun und lassen, was ich will!“, sagte Jamos und hob den Fuß, um die Raupe zu töten.
Doch welch ein Schreck durchfuhr ihn als er sah, daß die Raupe immer größer wurde. Sie wuchs und wuchs. Jamos wich zurück. Plötzlich gab es einen Knall und vor den beiden Knaben schwebte ein Wesen mit großen zarten durchsichtigen Flügeln.
„Die Dinge sind nicht immer wie sie scheinen und wer nur auf die Oberfläche achtet, wird nie die Schönheit in der Tiefe sehen.“, säuselte das Wesen und war ebenso schnell verschwunden, wie es erschienen war.

Als nun die Zeit gekommen war, die beiden Königssöhne zu vermählen, wurden die beiden Prinzessinnen des Nachbarlandes zu einem großen Fest eingeladen. Die Familien hatten schon kurz nach der Geburt die Abmachung getroffen, die Kinder miteinander zu vermählen. Welcher Königssohn welche Prinzessin ehelichen würde, sollte bei diesem Fest entschieden werden.
Es waren zwei Schwestern, die unterschiedlicher nicht sein konnten. Zuerst betrat Lalida, die ältere der Schwestern, den großen Saal und verbeugte sich vor der königlichen Familie. Sie war recht unscheinbar, einfach gekleidet und hätte man nicht gewußt, daß sie eine Prinzessin war, so hätte man sie für eine einfache Hofdame gehalten.
Selbstbewußt betrat die jüngere Schwester den Saal und ein Raunen ging durch den Hofstaat. Man hatte wohl von der Schönheit der jüngeren Prinzessin des Nachbarlandes gehört, aber alle Beschreibungen waren untertrieben. Ihr liebliches Gesicht und die langen blonden Haare verliehen Fabulara das Aussehen eines Engels. Die Kleider waren prachtvoll und nach der neuesten Mode und brachten ihre zierliche Figur hervorragend zur Geltung. Jeder Mann hätte sich glücklich geschätzt dieses Wunder der Schönheit zum Weibe zu nehmen.
„Ich will diese! Sie soll mein Weib werden.“, rief Jamos mit dem Finger auf die Schönheit zeigend. Und da er der Thronfolger war, bekam er seinen Willen.
Das Fest dauerte die ganze Nacht. Man aß, trank und tanzte ausgelassen. Jeder der Königssöhne tanzte mit seiner Braut. Larish und Lalida saßen oft beisammen und redeten. Sie entdeckten viele Gemeinsamkeiten und Larish war froh, daß sein Bruder nur auf die äußere Schönheit geachtet hatte. Wenn er in Lalidas Augen sah, konnte er eine Schönheit erkennen, die weit über die äußere Schönheit ihrer Schwester hinausging. Lächelte sie, durchströmte Larish ein unbeschreibliches Glücksgefühl.

Kurz nach der Hochzeit starb der König und so wurde Jamos König. Larish und Lalida wohnten im Nachbarreich.
Schon bei der Krönung ließ Jamos neue Gesetze verkünden. Häßlichkeit wurde verboten. Alle Gegenstände und Tiere, die ihm und seiner Gemahlin nicht gefielen, mußten aus seinem Königreich entfernt werden. Hielt sich jemand nicht an das Gesetz, wurde er zum Tode durch Erhängen verurteilt.
Alle Menschen mußten sich dem Königspaar vorstellen. Empfand das Paar jemanden als eine Beleidigung für ihre Augen, wurde er sofort des Landes verwiesen, egal ob Mann, Weib oder Kind.
So begab es sich, daß im Königreich immer weniger Menschen lebten, denn eigentlich waren für Jamos und Fabulara nur sie selber schön. Ganze Landstriche waren durch das Herrscherpaar entvölkert worden und die Natur hatte sich ihr Reich zurück erobert. Das mit anzusehen war für die beiden schier unerträglich, so daß sie sich nur noch in der näheren Umgebung des Schlosses aufhielten.

Viele Jahre gingen ins Land und noch immer mußten alle Einwohner ihre Neugeborenen dem König vorstellen. Nur wenige Kinder fand er schön genug, um sie in seinem Reich zu dulden. Selbst drei seiner eigenen Kinder hatte er des Landes verwiesen. Er war der Meinung, sie wären häßlich und so hatte er sie kurzerhand zu seinem Bruder ins Nachbarreich geschickt, wo es ihnen dank der liebevollen Fürsorge Lalidas an nichts mangelte.
Während die Königin die Kinder in ihrem Leibe trug, durfte sie dem König nicht unter die Augen treten. Der durch die Schwangerschaft verunstaltete Körper ließ ihn erschaudern, ja sogar Übelkeit überkam ihn, sah er sie zufällig doch einmal während dieser Zeit.

Nun geht aber auch an Königen die Zeit nicht spurlos vorbei.
Eines Tages sah Jamos seine Königin an und erkannte, daß von ihrer Schönheit nicht mehr viel übrig geblieben war. Falten, tief wie Ackerfurchen, zeichneten ihr vom Puder geweißtes Gesicht. Stark bemalte Wangen und Lippen ließen sie lächerlich aussehen und auch die prächtigsten Kleider konnten ihren aufgequollenen Körper nicht verbergen.
Der einzige Sohn, den Jamos bei sich behalten hatte, befand sich gerade in der Umwandlung zum Manne. Auch er war bei Gott kein schöner Anblick mehr. Dicke Pusteln überzogen seinen ganzen Körper, seine Haare glänzten nicht wie früher seidig, sondern trieften vor Fett und die einst liebliche Stimme klang brüchig.
„Welch ein Verrat!“, schrie Jamos. „Wie konntet Ihr Euch nur so gehenlassen? Ihr seid häßlicher als alles, was ich je vorher sah. Diesen Verrat werdet ihr mit dem Tode bezahlen!“
Der König zog sein Schwert und schlug erst seinem Weib und dann seinem Sohn den Kopf ab.
Betrübt murmelte er vor sich hin: „Verräter, Verräter! Was bleibt mir nun außer meiner eigenen Schönheit. Aber die war schon immer das Wichtigste.“
Langsam stand er von seinem Thron auf und begab sich in sein Schlafgemach. Auf den langen Gängen hingen immer noch die Spiegel. Er hatte sie nach der Krönung anbringen lassen, um seine Schönheit immer wieder bewundern zu können.
Im Augenwinkel sah er etwas, daß an Häßlichkeit nicht zu übertreffen war. Fast blieb ihm das Herz im Leibe stehen. Er hatte doch alles Häßliche aus seinem Reich verbannt, wie kam das jetzt in sein Schloß?
Plötzlich erkannte er hinter all der Häßlichkeit etwas Bekanntes. Nein, das konnte nicht sein! Unmöglich! Der König sank in sich zusammen und erholte sich nie wieder.
Als er erkannt hatte, daß auch er seine Schönheit verloren hatte, was blieb ihm da noch – war doch Schönheit das einzige, was je für ihn wichtig war.

Larish und Lalida hingegen lebten noch lange glücklich und zufrieden mit all den vermeintlich häßlichen Menschen. Und wenn sie nicht gestorben sind, so leben sie noch heute.

 

Hallo!

Herzlich willkommen auf kg.de!

Nettes Märchen. Nur die Moral springt einem beim Lesen sehr ins Gesicht. Es ist aber auch klar, dass gerade bei dieser Thematik der Leser recht schnell merkt, um was es geht. Aus diesem Grund würde ich die Passage mit der Raupe weglassen, da sie eigentlich die ganze Geschichte vorwegnimmt. In diesem Satz

„Die Dinge sind nicht immer wie sie scheinen und wer nur auf die Oberfläche achtet, wird nie die Schönheit in der Tiefe sehen.“, säuselte das Wesen und war ebenso schnell verschwunden, wie es erschienen war.
steckt dann schon der gesamte Rest.

Ansonsten: sauber geschrieben, keine Frage. Nur da ist mir was aufgefallen:

Der einzige Sohn, den Jamos bei sich behalten hatte, befand sich gerade in der Umwandlung zum Manne.
Diese Umschreibung klingt meiner Meinung nach seltsam. Schreib doch einfach Pubertät.

Ich wünsche Dir noch viel Spaß bei uns!

 

hallo,

danke! ich werd mal demnächst sehen, wie ich die raupenpassage ändern kann.
und die sache mit der pubertät... naja, die geschichte spielt ja nicht so wirklich in unserer zeit und da fand ich den begriff "pubertät" eindeutig zu modern.
vielleicht hat ja noch jemand einen anderen vorschlag - so ne art zwischenlösung oder so...

b.

 

Mein Tip: Änder es nicht gleich. Warte ein paar andere meinungen ab. Das schadet nie ;)

 

Also, mir hat das Märchen richtig gut gefallen - auch finde ich die Moral der Geschicht nicht übertrieben wie ein Vorredner - ist halt typisch Märchen, warum nicht?! ;) ... und da das (trotz Kopfabschlagen - kommt ja in den besten Märchen vor ;) ) sogar Kindern zugemutet werden könnte, finde ich die "Zusammenfassung" um so besser - damit auch wirklich nochmal klar wird, worauf es (nicht) ankommt.

Das mit der Raupenoberfläche zu Beginn fiel mir allerdings auch ins Auge ... würde ich nochmals drüber nachdenken, wohingegen ich über die Umwandlung zum Manne zwar auch geschmunzelt habe - aber eigentlich war es ein positives Schmunzeln, weil ich dachte: aha, auch 'ne nette Art, den Jüngsten beizubringen, daß mit den jungen Burschen mal irgendwann was passiert. ;) Bei der Gelegenheit kommt bestimmt eine neugierige Frage ... und die wird sogar anschließend teilweise mit beantwortet. Ich find die Stelle richtig gut.

Ich find das ganze Märchen richtig gut! :)

 

Sei gegrüßt, Magd!

Ein sauber geschriebenes Märchen, keine Frage. Es war gut zu lesen, und ich glaube, dass dieser moralische Zeigefinger vielleicht nicht immer und überall ankommt, doch stets angebracht ist und war. Daher finde ich die Botschaft dieses Textes gut.
Die märchenadäquate Umschreibung des wirklich zu modernen (und nicht wirkenden) Wortes `Pubertät´, die
"Umwandlung zum Manne" liest sich gut, wenngleich ich vielleicht etwas anderes geschrieben hätte, wie z.B. `... befand sich in der Reifezeit und war dabei, ein Mann zu werden´ oder so.
Die `Raupenpassage´ würde ich nicht weglassen, sondern ganz nach hinten verschieben: Vielleicht sieht der König, nachdem er Frau und Kind erschlagen hat, auf dem Fensterbrett seines Gemaches eine Raupe, die er zerquetschen will in seiner Wut. Und dann - quasi als Zusammenfassung - kommt das wundersame Wesen und sagt ihm die Botschaft. Ist nur eine Idee, aber man kann ja mal darüber nachdenken... :)

Auf bald!
tristhor

Ach ja, gegen Ende des Textes findet sich das Substantiv "Reich" klein geschrieben...

 

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