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Der Schöne Schein
99 Euro war der Mantel niemals wert, doch Jackie, eigentlich Jacqueline, gefiel einfach das Zartrosa, das sie wie ein unschuldiges Mädchen aussehen ließ. „Handel ihn runter“, sagte sie bestimmerisch zu Hagen. Sie brauchte nicht zu flüstern, war doch die fernöstliche Herkunft des Händlers unübersehbar. Sein Deutsch ging, ihres oberflächlichen Ermessens nach, kaum über die Grundlagen hinaus.
Hagen schlug achtzig vor, auf die Ware zeigend, worauf er nicht recht mehr als ein „nix geht, Preis fix“ zurückbekam. „Dann wir gehen“, gab er ihm zurück und hatte sich damit dem Sprachniveau des Ausländers angepasst. „Na.. na... ninety is lezte“, bemühte sich dieser. Jackie darauf mit scharfer Stimme: „Gib's ihm einfach, und dann weg von dem!“, - damit ließ sie wieder mal ihre Vergangenheit durchblitzen. Es waren nämlich keine zehn Monate vergangen, als Hagen sie aus der braunen Szene geholt hatte.
Ihn enttäuschten solche Sätze nicht mehr, zu oft hatte er ihr Respekt vor Farbigen beibringen wollen, aber gebessert hatte sich ihre Einstellung noch nicht. Hin und wieder erntete sie höchstens noch einen bösen Blick seinerseits dafür. Immerhin kaufte sie 'einem Solchen' schon einen Mantel ab.
Besser gesagt war es ihr Partner, der hier etwas kaufte und auf ein Danke oder gar eine liebliche Geste von ihr vergeblich wartete.
Während er die Ware über seine Schulter legte und sich Jackie schnippisch vom Stand wegbewegte, konnte man leicht den trügerischen Eindruck von pubertierender Tochter und Vater entwickeln. Manchmal wurde ihr Benehmen, oder Unbenehmen, auch ihm zu viel: „Jetzt aber heim, Fräulein, das Essen kocht sich nicht von selbst!“, rief er ihr zu und wusste sehr wohl, sie würde sich umdrehen, schon allein des verniedlichenden Titels wegen, den sie nie gern hörte.
„Ja, ja, so siehste aus, du Koffer“, war alles was sie in dem Moment hervorbrachte, sie hatte nämlich bedacht, dass er gerade eben mal wieder was springen ließ. „Dir geb' ich gleich 'Fräulein'!“ Er hingegen versüßte sich den langen Alltag hin und wieder mit solchen Neckereien, die er nicht missen mochte, und er konnte sie sich durchaus leisten, war er es doch, der ihr ein großbürgerliches Leben ermöglichte.
Am Auto drehte sie sich um und zog ein finsteres Gesicht, als wäre die stechende Kälte noch nicht genug. „Ich fahr“ murmelte sie und hielt ihm die Hand für den Schlüssel entgegen. Wann immer es ihr schlecht ging, fuhr sie. Der heulende Motor unter ihren Füßen gab ihr ein wohliges Gefühl, ganz zu schweigen, dass es sich nicht schlecht anfühlte, seinen großen Porsche zu fahren, neben dem sämtliches Fahrzeug gleichsam lächerlich aussah. Protzereien konnte sie gar nicht leiden,doch zwischendurch tat es nicht schlecht, auf große Tasche machen zu dürfen. Er ließ sie machen, wenn es ihn auch störte, als Mann nicht am Fahrersitz zu sitzen.
„Wenn du uns gegen die Wand fahren willst, gibst vorher halt Bescheid“, konnte er sich ins Fäustchen kichernd nicht verkneifen. Sie seufzte notgedrungen und drehte das Radio lauter. Ihr war klar, dass sie ihre Nerven sehr wohl noch für später brauchen würde.
Es klingelte an der Tür, was Jackie einen erschreckenden Aufschrei entlockte. Es hörte sich ein bisschen so an, als hätte sie eine große Spinne im Bett entdeckt. Es war erst Viertel vor Sechs, ihre Eltern hatten sich erst für Sechs angemeldet. „Mach du auf!“, rief sie Hagen zu, während er schon beim Öffnen der Tür war. Sie hörte die Stimmen im Flur, doch sie hatte grade mit dem Salat alle Hände voll zu tun. Sie öffnete die Küchentür einen Spalt und rief hinaus: „ Hockt euch schon mal rein, Essen kommt gleich“ Mit 'rein' meinte sie das Esszimmer und mit 'Essen' meinte sie die Speisen, die eigentlich Hagen vorbereitet hatte. Sie war doch nie und nimmer im Stande, einen Vanillestrudel und ein Soufflé halbwegs essbar aussehen zu lassen. Den Salat und die Weinauswahl überließ er ihr, damit das Abendessen als gemeinsam gemacht durchging. Im Grunde hatte sie nicht recht mehr getan, als die Salatblätter mit Dressing übergossen und aus einem schmucken Lebensmittelladen einen Wein mitgenommen, dessen Name ihr gefiel.
Ihre Eltern sahen so aus, wie Leute eben aussehen, die ihre Tochter Jacqueline heißen. Sie kamen aus gut situiertem Umfeld. Ihr Vater war Anwalt und die Großeltern hatten in grauen Zeiten ein Unternehmen aufgebaut und gewinnbringend verkauft, dessen Erlös die ganze Familie immer noch gut leben ließ. Sie war die mittlere von drei Schwestern und das 'Schwarze Schaf' der Familie (nicht, dass man ihr diese Bezeichnung aufgedrückt hätte, sie bezeichnete sich feist grinsend selbst so).
Barfuß in Socken kam sie mit den Soufflés ins Zimmer zu den anderen und verstellte ihre Stimme: „Isch präsontiere euch le Menü von eute Abend“
Niemand wollte sich wundern, dass ein Dessert als Vorspeise serviert wurde, man war einfach froh, dass sie nun hier als Hausfrau reintanzt und keine krummen Dinge mehr dreht.
„Hast du die gemacht?“, wollte ihr Vater wissen, was sie so beantwortete: „Er hat mir schon ein bisschen geholfen“, und warf einen Blick zu ihrem Liebling, der zu ihrer Linken saß und um den kleinen Wahrheitsgehalt von 'ein bisschen' wusste. Sie berührte seinen Oberarm dabei, worauf er dann dem ganzen Tisch einen 'bon apétit' wünschte.
Draußen war es zu kalt für Schneefall, doch Jackie und Hagen hielten eine herzerwärmende Nachricht bereit. „Okay, Mami, Papi, ich wollte euch eigentlich sagen, dass ich Mama werde“, eröffnete sie den beiden, die sodann etwas verdutzt dreinschauten. Obgleich sie es schon ahnten - warum sonst sollten sie mitten im Januar zu einem selbstgekochten Abendessen eingeladen werden hatten sie doch erst an den langen Feiertagen im Dezember zusammengesessen.
So war sie und niemand war wie sie. Von einer Rolle in die nächste. Keiner von denen, die zu Tische saßen, konnte sich Jackie als Mutter vorstellen. Auch nicht Hagen, doch in ihm wuchs die leise Hoffnung, sie würde dadurch ruhiger und beständiger. Aber das war ihnen in dem Moment egal. Die Nachricht benebelte das Gemüt der Gäste und der Wein tat sein Übriges.
Es wurde noch viel gelacht an dem Abend und jene Schwangerschaft war nur eines der vielen Themen, die besprochen wurden. Und alle schienen glücklich, egal ob der netten Nachricht, des guten Essens oder der kindlichen Euphorie wegen, die die werdende Mutter nur so über den Tisch versprühte. Wohlgesättigt und zufrieden ging man zu Bett an jenem Abend und die Welt schien so heil wie schon lange nicht mehr. Doch scheinen ist nicht gleich sein.
Und so verging der Abend mitsamt seinem Sonntag und als Jackie am Montag aufwachte, klingelte nur wenige Minuten später der Wecker. Man muss wissen, sie arbeitet wohl, auch wenn sie Löcher in den Taschen zu haben schien, denn das Geld entkam ihr so schnell wieder, wie es gekommen war. Einen dicken Wollpulli angezogen, es war ja Winter, zog sie sich noch ihr neue zartrosa Manteljacke um, die sie wie ein junges Mädchen aussehen ließ. Die Sonne brannte weiß auf den Schnee und dennoch, oder gerade deswegen, herrschte eine bittere Kälte, dass dem einen oder anderen die Augen zu tränen begannen. Sie machte sich auf, vorbei an den Autos voll den Frost fürchtender Menschen, hinunter über die Winkelallee, in der in anderen Jahreszeiten fröhlich Bäume und Sträucher in allen Farben blühten.
In ihrer staubigen Kneipe angekommen, wehte ihr ein Schwall wohliger Wärme entgegen. Das tat gut, sofern nicht die eisigen Hände, die nie von Handschuhen bedeckt waren, rötlich verfärbt zu schmerzen anfingen.
Es war noch niemand da, leer war der Raum, in dem sich vormittags nicht arbeitende Hausfrauen und Herrschaften älteren Alters ihren Kaffee gönnten.
Mochte sie zwar äußerlich durchaus gefestigt und geerdet erscheinen, so sah es in ihrem Gemüt herzlich anders aus. Manchmal machte sich einfach ein große Unzufriedenheit in ihr breit, mit all dem, was sie im Schilde führte. Für einen kurzen Moment war ihr danach sich schlichtweg wegzudrehen und ihrer Stimmung freien Lauf zu lassen. Zu groß jedoch war die Angst, es könnte jemand zur Tür hereintreten. Sie riss sich zusammen, fasste sich wieder und installierte die Kaffeemaschine, deren braunes Bohnengetränk bald schon den Hereinströmenden ein Gefühl der Entspannung bescheren würde.
Gefühle, damit war es bei Jackie nie weit her. Früher kamen sie in einem Schlag, wenn die Nadel ihren Inhalt injizierte und das Blut zu Kopfe steigen ließ. Das fühlte sich toll an, sie war ein Riese geworden, in der Winzigkeit einer Sekunde. Gerne lag sie im Anschluss einfach nur rum, nicht ganz weg, doch noch weniger da. Ihr erster Kick, in einer dunklen Winternacht im Halblicht einer Straßenlaterne mitten im Park, nie wird sie den Moment vergessen, ja, die Überzeugung, etwas falsches zu tun war in dem Moment beileibe nicht da. Und es endete böse. Eine schäbige Mischung aus rechtem Gedankengut gepaart mit Suchtmitteln aller Art, die damals von östlichen Dealern bezogen wurden. Nur von einem der beiden Übel hatte sie sich befreien können.
Und dann kam Hagen in ihr Leben und nun steht sie da, hinterm Tresen mit einem Kind im Kommen, das keines war und einem Verlobten an ihrer Grünen Seite, den sie nicht liebte. Sie steht wieder, nur vermeintlich aufrecht, und nur zum Schein...
Die Sonne stand schon tief, als Jackie sich plötzlich umdrehte und ihren Augen nicht traute. Da stand ihr Komplize. Er hatte sie schon früher oft in Schwierigkeiten gebracht und ihr dann auch wieder aus der Patsche geholfen. Denn vom rechten Rand zum Verbrechertum ist es nur ein Katzensprung. Dennoch, in letzter Zeit waren sie zur Sicherheit nur mehr über E-Mail in Kontakt geblieben, und daher ließ diese physische Präsenz die junge Frau nicht ganz unbeeindruckt: „Was machst du denn hier? Wir hatten ausgemacht: Keine Treffen, ehe das Ding durch ist.“
„So frech, so kennt man dich. Das hab ich vermisst. Ich dachte, ich statte dir einen Besuch ab. Zeit hat man ja in unserem Gewerbe“, gab der Mann zurück.
Jackie brachte ihm das verlangte Bier, anschließend machte sie ihm klar: „Die Prozente bleiben 80 ich, 20 du. Egal, worum es geht. Schmuck, Bargeld. Du schleppst das Geld ins Ausland, legst es auf's Konto und investierst es in unser Haus.“
Der Mann stierte sie mit nach unten geneigtem Kopf an, seine dunklen Augen formten sich zu Schlitzen, als er sie aufforderte: „Mach am besten noch vor März Schluss, den Tag, an dem du die Bombe platzen lässt, musst du schon einige Zeit vorher planen. Am besten wenige Tage nach der 'Fehlgeburt'. Deinen Eltern erzählst du irgendwas von 'auseinandergelebt'.“
Nun machte sich ein leichtes Grinsen auf dem Gesicht ihres Komplizen breit: „Mann, Mann, Mann, so ein Flittchen, angelt sich einen reichen Schnösel, tut so, als wäre sie von ihm schwanger, und nimmt ihn die ganze Zeit aus - ohne Skrupel vor den Eltern. Das Böse ist immer und überall. Und wir verdienen dran.“ Jackie lächelte süffisant.
„Ich hab da schon ein nächstes Opfer im Blick, das wir ausnehmen können. Informatikstudent, Vater hat 'n Unternehmen“, unterbreitete er seiner Komplizin.
„Hmm, nur, diesmal nehm' ich keinen Antrag mehr an. Wir haben die Sache überdreht, keine Scheinschwangerschaften mehr und die Eltern werden ab sofort auch nicht mehr mit einbezogen. Wir halten uns in Zukunft oberflächlicher, kapiert?“, hielt diese fest, ehe sie auf ein Zwinkern des andern mit einem bösen Grinsen antwortete.
Ein Schwall kalter Winterluft zog in diesem Moment durch die Tür herein, wodurch manche im beheizten Lokal leicht fröstelten und an der Garderobe hing noch immer der rosa Mantel, der sie wie ein unschuldiges Mädchen erscheinen ließ..