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Der Sauschädel
Als Severin die erste wahre Frau kennenlernte war er einundzwanzig Jahre alt. Sein Liebesleben war bis zu diesem Zeitpunkt kaum erwähnenswert. Er verabredete sich mit gleichaltrigen Mädchen, alle gleich unerfahren und gleich ungeschickt in Liebesangelegenheiten wie er selbst, und alle weigerten sich beharrlich, Severin in den Mund zu nehmen. Keine dieser zwar recht zahlreichen aber doch nur halbgaren Beziehungen zog sich länger als zwei Monate hin, und keine der ebenso zahlreichen Trennungen vermochte jenen Schmerz in Severin auszulösen, wie ihn nur wahrhaft unglücklich Liebende empfinden können.
Das Schicksal, was Severins weiteren Umgang mit dem anderen Geschlecht anging, offenbarte sich ihm in Form eines Sauschädels, dessen leere Augenhöhlen ihm beim Betreten des Fleischhauerladens geradewegs ins Herz zu schauen schienen und dessen Saurüssel ihn spöttisch angriente. Getragen wurde dieses riesige Prachtexemplar schweinischer Zuchtkunst von Frau Lamprecht, der Nachbarin, die die Wohnung unter jener von Severins Eltern bewohnte; und bei denen hatte Severin nach wie vor sein Zimmer. Die Lamprecht mochte, so schätzte Severin, um die fünfunddreißig sein, hatte das, was Männer ihrer Generation frauliche Rundungen nannten und war außerdem stolze Besitzerin der wildesten und längsten und rötesten Haarmähne, die Severin je zu Gesicht bekommen hatte.
„Sie haben ja einen tollen Sauschädel, Frau Lamprecht“, rief Severin der Nachbarin wohlgelaunt zu, was ein breites Grinsen auf das Gesicht des Fleischhauermeisters zauberte. Doch Severin verschwendete keinen Gedanken an die linkische Formulierung, die ihm da passiert war, und auch die Lamprecht hatte nichts bemerkt. Zumindest ließ sie sich nichts anmerken.
„Er ist jedenfalls toll schwer und das ist ärgerlich. Du siehst ja, was ich sonst noch zu schleppen habe“, antwortete sie und sah dabei zu den beiden prall gefüllten Einkaufstaschen, die links und rechts von ihr standen. Rasch und ohne großes Nachdenken bot sich Severin an: „Ich könnte Ihnen behilflich sein.“ Die Lamprecht musterte ihn von oben bis unten und lächelte. „Oh ja. Das könntest du wirklich.“ Und so verließen die drei das Geschäft. Severin, die Lamprecht und der Sauschädel.
Der Weg zu der Wohnung, die die Lamprecht mit ihrem Mann und ihren beiden Kindern in trauter Kleinbürgerharmonie bewohnte, war nicht allzu weit und bald schon war man vor der Haustür angekommen.
„Was tust du eigentlich so?“, fragte die Lamprecht, als sie aufschloss.
„Ach. Eigentlich gar nicht viel“, schnaufte Severin, und er hätte gerne mit den Schultern gezuckt, wenn das Eingekaufte nicht gar so schwer gewesen wäre. Die Lamprecht ging mit dem Sauschädel voraus, querte das Vorzimmer und nickte zu einer Tür links von ihr.
„Da ist die Küche, Severin. Könntest du die Sachen da hinein bringen? Und sei so lieb und räum mir das verderbliche Zeug gleich in den Eiskasten.“
Severin, von hilfsbereiter Natur, machte sich eifrig daran, dem Wunsch der Nachbarin nachzukommen. Er betrat die blitzsaubere Küche, räumte das Eingekaufte aus und verstaute Milch, Eier, Suppengemüse, Joghurt, Bananen und Hartkäse wie ausgemacht.
„Ich hab’s getan, Frau Lamprecht!“, rief er und verließ die Küche. Keine Antwort. Severin steckte seinen Kopf in das Wohnzimmer und sah sich neugierig um. Sein Blick wanderte über die reichlich konservative Einrichtung. Wie schon in der Küche, herrschte auch hier eine vorbildliche Ordnung. In einer Ecke gurgelte ein Zimmerbrunnen vergnügt vor sich hin, die Nachbarin war aber nicht zu sehen.
„Frau Lamprecht?“, hob Severin die Stimme noch einmal.
„Ich bin hier, Severin“, vernahm er jetzt ihre Stimme gedämpft hinter einer Türe, die ihm gegenüber wieder aus dem Wohnzimmer hinaus führte.
Er näherte sich dieser Türe und fand sie nur angelehnt. Vorsichtig stieß er sie auf.
„Kann ich noch etwas für Sie tun, Frau Lamprecht?“ Die aufschwingende Türe gab den Blick auf das nachbarliche Ehebett frei, auf dem die Lamprecht ausgestreckt und mit hinter dem Kopf verschränkten Armen lag, ganz so, als hätte sie sich plötzlich entschlossen, einen kurzen Mittagsschlaf zu halten.
„Sag doch Paola zu mir“, gurrte sie, hob dabei den Kopf und lächelte Severin über ihren reichlich üppigen Busen hinweg an. Sie war, sah man von den schwarzen Strümpfen ab, vollkommen nackt.
Severins Mund wurde schlagartig trocken. Seine Augen wanderten über den Körper der Lamprecht und nahmen gierig jedes noch so kleine Detail auf. Das Muttermal auf ihrer linken Schulter, ihre makellos rasierten Achselhöhlen, ihren Bauchnabel, der ein wenig weit herausragte, den säuberlich zurechtgestutzten Schamhaarstreifen, der flaumig und gepflegt den Weg in Richtung Severins höherer Kopulationsweihen wies. Eine Sekunde lang bildete Severin sich ein, genau dort ein nasses Glitzern wahr zu nehmen.
Der letzte klare Gedanke aber, den Severin noch zu fassen imstande war, galt dem Farbton der beiden nachbarlichen Brustwarzen, die stramm und steif der weiteren Ereignisse zu harren schienen. Dieser Farbton, so fand jedenfalls Severin, stimmte exakt mit dem Schweinsrosa des Sauschädels überein, der stolz und mächtig auf dem Nachtkästchen neben dem Bett thronte, und der nun, schweinisch grinsend, Zeuge davon wurde, wie Severins altem Wunsch, endlich von einer Frau in den Mund genommen zu werden, köstlich entsprochen wurde.