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Der Sand
Es ist später Vormittag. Sie sucht ihr Buch zwischen den ganzen leeren Bierdosen. Sie trinkt ihr Bier lieber aus einem Glas.
Der Weg runter zum Strand ist recht steil, eine Mischung aus Sand und Erde, zwischendrin lugen freigelegten Wurzeln hervor. Die kleinen Sandkörner findet sie auch noch Wochen später überall wieder. In ihren Schuhen, zwischen den Seiten ihrer Bücher, in ihren Hosentaschen, immer eine kleine Erinnerung an eine Zeit, die dann so weit entfernt scheint, als wäre sie in einem anderen Leben gewesen.
Das Buch unter ihren Arm geklemmt, eine Tasse mit tiefschwarzen Kaffee in der einen Hand und ihr flaches Handy in der anderen. Das Smartphone hat einen Riss im Bildschirm, sie spürt ihn jedes Mal, wenn sie alle paar Minuten mit ihrem Daumen darüberstreicht, als müsse sie sich vergewissern, dass er nicht verschwunden ist. Reparieren hält sie für überflüssig. Sie geht, noch etwas steif vom Schlafen, langsam zum See hinab. Der süße Duft der Kiefern und Pinienbäume vermischen sich mit der kühlen Luft. Heute ist ein schöner Tag.
Sie legt sich auf die sonnengelbe Decke. Der Sand darunter passt sich durch mehrmaliges Hin- und- her-rutschen allmählich an ihren Körper an. Die Sonne ist nicht zu warm, eine leichte Brise weht die Intensität der Strahlen hinfort. Im Hintergrund das Rauschen der Wellen. Sie sieht die Wellen nicht, denn sie blickt lieber in den Wald. Tage wie diese haben eine gewisse Ruhe und Endlosigkeit. Alle Probleme, Ziele und Wünsche erscheinen banal. Alles ist hell und weich, fast wie in einem impressionistischen Gemälde. Impressionismus hat ihr schon immer am besten gefallen, vor allem der aus Kanada. Den kennt niemand.
Sein Lachen lässt sie aufblicken. Er ist groß, trägt wildgemusterte Badeshorts, seine Sonnenbrille sitzt schief auf dem Kopf, ganz versteckt in seinem verwuschelten, dunkelblonden Haar. Seine helle Haut blendet sie fast, im Winter sieht man seine blau-lila Adern besonders deutlich. Aber jetzt ist Sommer. Sie muss schmunzeln, als er ihr entgegenstolpert. Er erzählt von der neuen kleinen Bäckerei am Ende der Straße, dem schlechten Kaffee und von dem letzten Formel Eins Rennen. Es ist ihr alles egal. Sie versucht die Sommersprossen auf seinem Gesicht zu zählen. Er hört auf zu reden und lässt sich neben ihr in den noch kühlen Sand fallen. Seine Augen sehen verschlafen aus, sein drei-Tage-Bart lässt ihn älter wirken als er ist. Er lächelt sie an. Jetzt sieht er wieder aus wie ein kleiner Junge. Stumm hebt sie die Tasse an und streckt sie ihm entgegen. Er blinzelt kurz, nickt und nimmt sie dankend an. Sie sitzen eine Weile schweigend nebeneinander da. Hier ist die Stille niemals laut.
Sie schlägt das Buch auf und versucht die richtige Seite zu finden, etwas rötlicher Sand rieselt auf die Decke. Er stellt die Tasse neben ihr in eine kleine Mulde ab und steht auf. Es ist warm. Es gibt keine Sorgen. Er fängt an eine bekannte Melodie zu summen, ihre Füße graben sich tiefer in den Sand, sie kann nun die Kühle und die Feuchtigkeit spüren. Er sagt er geht jetzt. Er müsse irgendetwas erledigen. Sie nicht. Er geht. Kurz vor dem Wald dreht er sich nochmal zu ihr um, als wollte er noch etwas sagen. Sie sieht von ihrem Buch auf und lächelt ihn an. Er verschwindet wortlos zwischen den Bäumen in das seichte Grün. Was ein schöner Tag, denkt sie sich.