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Der Sammler

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14.07.2003
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Der Sammler

Er ging durch den Supermarkt.

In seinem metallenen Einkaufswagen, der mit der Werbeaufschrift „Wir kaufen billig!“ beschriftet war, lag präzise nebeneinander geordnet eine Tube Rasierschaum und eine Packung Spaghetti. Er liebte Spaghetti, da ihn diese Mahlzeit immer wieder an seine Jugendzeit als Bilanzbuchhalter erinnerte. Wie fröhlich er doch damals mit Buchungssätzen um sich warf… Den Rasierschaum der Marke "Harry" hatte er über die Jahre ebenso zu schätzen gelernt, da es der billigste Rasierschaum der gesamten Republik war, außerdem hätte er es nie übers Herz gebracht, seine Bartstoppeln mit einem schnöden Elektrorasierer zu entfernen. So etwas habe keinen Stil, beteuerte er stets.

Gedanklich war der 50jährige, leicht ergraute Mann allerdings schon meilenweit von den Supermarktregalen, dem Rasierschaum oder anderen Kleinigkeiten des Lebens entfernt, er dachte nämlich schon seit Tagen ausschließlich an dieses prächtige Sammlerstück, welches er bei Ebay aufgestöbert hatte. Eine äußerst wertvolle Sammlermünze in unvergleichbarer Erhaltung aus dem Jahre 1689.

Er hoffte inständig darauf, die Auktion zu gewinnen, immerhin war es doch das einzige Stück, welches ihm noch in seiner Sammlung der Schweiz des 17. Jahrhunderts fehlte. Die Chancen, als Auktionssieger zu triumphieren, standen relativ gut, denn es war nicht anzunehmen dass außer ihm noch jemand 150 Euro für diese Münze hinblättern würde.

Wenn er diese eine Münze bekäme, dann könnte er sich vielleicht zum ersten Mal in seinem Sammlerdasein entspannt zurücklehnen und seine wahrhaftig komplette Sammlung genießen. Er würde die Münzen in seiner Wohnung dekorativ in Glaskästen zur Schau stellen, um 24 Stunden am Tag die numismatische Geschichte Europas inhalieren zu können. Und vielleicht, aber nur vielleicht würde er danach ein komplett anderes Sammelgebiet für sich erschließen. In letzter Zeit hatte er immer wieder mit der Idee des Briefmarkensammelns geliebäugelt, aber auch das Katalogisieren von Postkarten oder diversen Kunstgegenständen würde ihm viel Freude bereiten. Egal, die Arbeit an seiner Sammelleidenschaft würde für ihn nie enden.

Während er Gedankenversunken von seinem Glück träumend den exakten Rechnungsbetrag von 3,88 Euro parallel zur Förderbandleiste in absteigender Reihenfolge auflegte, verspürte er einen kräftigen Stoß, der ihn jäh aus seinen Schwebezustand riss. Eine etwas betagtere, stilvoll gekleidete Dame war mit ihrem Einkaufswagen mit dem Verwaltungsangestellten in der Kassaschlange kollidiert. Durch diesen Ruck wurde seine hübsche 2€-1€-50c-20c-10c-5c-2c-1c Münzreihung die er inzwischen liebevoll vor sich aufgebaut hatte, komplett dem Erdboden gleich gemacht. Chaotisch durcheinander gewürfelt lagen sie nun zwischen den verschiedensten Konsumgütern, er würde Tage brauchen um dies zu verarbeiten.

„Oh, verzeihen Sie vielmals! War nicht meine Absicht…“ stammelte sie, während sie ihren Einkaufswagen nervös hin und her schob. Dabei betrachtete sie seinen gepflegten Vollbart, der sich vom faltigen Kinn bis zu seinen Ohrläppchen hinauf großzügig ausbreitete. Sie war beeindruckt von seinem eleganten äußeren Erscheinungsbild und dem schicken Anzug, den er wie eine zweite Haut zu tragen wusste. Diesen Männerschlag hatte sie eben schon immer zu schätzen gewusst.

„Nichts geschehen, schon gut…“ brummte er um sich anschließend visuell auf den hektisch herumfuchtelnden Kassier zu konzentrieren.

„Kann ich das wieder gut machen? Ich würde sie gerne zu einem Kaffee einladen…“ fragte sie den egozentrischen Frühpensionsanwärter vorsichtig, während sie ihn mit großen Augen fixierte.

„Nein. Aber stattdessen könnten Sie damit beginnen, ihre Waren auf das Förderband zu legen. Die Kundschaft hinter ihnen würde auch gerne irgendwann mal zahlen…“ fauchte er sie an.

Als wäre es noch nicht genug gewesen, ihre Flirtversuche mit argwöhnischen Bemerkungen zu erwidern, drehte er sich noch einmal um und mähte sie mit den Worten „Wissen Sie was? Bestellen Sie ihre Lebensmittel zukünftig nur noch übers Internet! Ist sicherer für uns alle…“ endgültig nieder.

Zufrieden bezahlte er seine mittlerweile eingescannten Artikel und ging erleichtert von dannen. Zu Hause angelangt schaltete er hektisch seinen PC ein und wählte aus seinen Favoriten ungeduldig die Internetseite „Ebay“. Als die Seite endlich fertig geladen hatte, erfüllte sich sein Gesicht mit einem zufriedenen Grinsen. Er hatte den Zuschlag für die Münze bekommen. Sofort druckte er sich die offizielle Bestätigung des Auktionssiegs aus, legte sich ins Bett und schlief friedlich wie ein Baby mit dem Zettel in der Hand ein.

 

Hallo Jingles!

Beim Titel dachte ich eigentlich, es ginge hier um sogenannte Messies - das wäre Sammelwahn. Aber Dein Protagonist ist ja eigentlich kein Messie, sondern einfach ein leidenschaftlicher Sammler. ;)

Passender fände ich hier einen Titel wie "Der Sammler" oder "Leidenschaft...". Wenn man sich nämlich eine Geschichte über einen Messie erwartet, ist man ein bisschen enttäuscht, so wie ich jetzt, nachdem ich mir beim Lesen Deines Titels dachte: Endlich schreibt mal wieder jemand was zum Thema Messies...

Mir ist auch nicht klar, was das Einkaufen und das Rasieren mit dem Sammeln zu tun haben. Du stellst zwar damit klar, daß der Protagonist ein sparsamer Mensch ist und auf Ordnung steht, aber daß er sich naß rasiert statt elektrisch (nicht jeder Mann macht das aus Spargründen, viele finden es angenehmer) oder daß er im Supermarkt nicht grad besonders freundlich ist, haben mit dem Sammeln ja in keiner Weise irgendetwas zu tun. :shy:
Stattdessen hättest Du seine Akribie vielleicht noch mehr herausstreichen können - vielleicht dadurch, daß er 7,5 Gramm Wurst bestellt und die Verkäuferin quält, bis sie es genau auf die Waage bringt, oder daß er beim Zahlen die Münzen von der kleinsten zur größten aufreiht. Laß ihn doch um € 8,88 einkaufen, das sind jeweils ein 5-Euro-Schein, eine 2-€-Münze, 1 €, 50 c, 20 c, 10 c, 5 c, 2 c und 1 c - das kann er doch schön und mit Abstand zwischen den Cents und den Euros auflegen, parallel zu irgendwas. Nur so eine Idee...

Wenn Du also einen peniblen Sammler zeichnen wolltest, dann wäre das die richtige Richtung, wobei Du dann meiner Meinung nach den Titel ändern solltest.
Wenn Du hingegen vor hattest, über einen Messie zu schreiben, dann ist das in meinen Augen Themaverfehlung.
Falls Du gar nicht weißt, was Sammelwahn ist, dann kann ich Dir meine Geschichte "Hannelore Messie" empfehlen. (Ich empfehle zwar sonst keine eigenen Geschichten, aber ich hab hier noch keine andere zu dem Thema gelesen.) ;)

Liebe Grüße,
Susi :)

 

servus Jingles,

deine geschichte gefällt mir von der idee (ein sonderling der nur an seine sammelleidenschaft denkt und sich mit nichts anderem abgeben will, wenn ich das richtig verstanden habe) her ganz gut, nur wirkt die ausführung auf mich recht ziellos. und zu kurz ! ich hätte gerne eine längere episode mit der dame aus dem supermarkt gelesen, in der ein unterschied von lebenssweisen (oder herangehensweisen, an was auch immer) zwischen den beiden klar wird: die eines krankhaften sammlers und die einer "normalen" person.

"Eine äußerst wertvolle Sammlermünze in unvergleichbarer Erhaltung aus dem Jahre 1689."
das wort "erhaltung" passt hier nicht hinein, oder zumindest klingt der satz in meinen (inneren) ohren ganz komisch... vielleicht "Erhaltungsgrad" ? außerdem würde ich das jahr zuerst schreiben

"Er hoffte inständig darauf, die Auktion zu gewinnen"
kann man auktionen gewinnen ? vielleicht eher "versteigerung" ?

"...fragte sie den egozentrischen Frühpensionsanwärter vorsichtig..."
wie passt die information, dass er frühpensionsanwärter und egozentrisch ist, in den rest des satzes ?

"...ihre Flirtversuche mit argwöhnischen Bemerkungen zu erwidern..."
die bemerkung scheint mir weniger argwöhnisch als unfreundlich

@ Häferl: ich dachte "messies" wären jene personen, die nicht nur sammeln, sondern das ziemlich ziellos tun und ihre ganze wohnung mit ramsch vollräumen...? das englische wort "messy" legt das zumindest nahe.

liebe grüße,
féile filíochta

 

@ Häferl: ich dachte "messies" wären jene personen, die nicht nur sammeln, sondern das ziemlich ziellos tun und ihre ganze wohnung mit ramsch vollräumen...?
Ja, und das versteh ich auch unter "Sammelwahn". Ein Wahn ist ja nicht zielgerichtet, wie die Sammelleidenschaft des Protagonisten in der Geschichte. ;)

 

wo ist der widerspruch zwischen wahn(sinn) und zielgerichtetheit ? eiegntlich kann sammelwahn ja ganz ordentlich vor sich gehen, ich denke da an briefmarken(sammler)...

 

Ja, irgendwie überzeugst Du mich. Natürlich ist das auch Sammelwahn. ;)

 
Zuletzt bearbeitet:

@ Häferl:
Deine Kritik fand ich ziemlich nützlich, habe auch den Titel gleich geändert, "Der Sammler" passt zu dieser Geschichte einfach besser.

Das Supermarktszenario habe ich deshalb miteingebaut, weil ich zunächst eine Art Realitätsbezug herstellen musste und weil ich seine innere Verschlossenheit zum Ausdruck bringen wollte (siehe Dialog mit der Frau). Der Protagonist in dieser Geschichte kann sich nur über seine Sammlerei der Außenwelt öffnen, kann nur über diese mit ihr angstfrei in Kontakt treten. Das war der eigentliche Hintergrund dieser Geschichte. Abgesehen davon eignet sich die Supermarktszene einfach super um über seine penible Ader zu schreiben (Einkaufswagen).

Ich hatte jedoch nie behauptet, dass er ein sparsamer Mensch ist, sondern nur, dass er sich extrem billigen Rasierschaum kauft, weil er speziell dafür nicht mehr ausgeben möchte. Der Hauptgrund, warum er sich naß rasiert, ist, weil er die Naßrasur prinzipiell als angenehmer empfindet. Das habe eben mehr Stil...

Die Idee mit den Münzen fand ich auch ganz gut, vielleicht bau` ich das noch irgendwo ein...

 

Hallo Jingles,
da mir Deine letzte Geschichte besonders gut gefallen hat, habe ich noch eine weitere von Dir aufgespürt.
Zunächst einmal finde ich die Idee wieder einmal gut.
Der Charakter des Mannes überzeugte mich über weite Strecken.

Was mir nicht gefallen hat:
„Eine circa gleichaltrige, sympathisch wirkende Dame…“ -> Naja, ich finde dass hört sich komisch an und viel zu umgangssprachlich.

1. mag ich das Wort „circa“ überhaupt nicht
2. passt gleichaltrig im Zusammenhang mit sympathisch wirkend nicht
3. wenn sie sympathisch auf ihn wirkt, wieso behandelt er sie dann später so grob?

„Kann ich das wieder gut machen? Ich würde sie gerne zu einem Kaffee einladen…“
Diese Stelle kommt mir zu plötzlich. Der Leser fragt sich: Was ist denn nun los??? Wie kommt diese Frau darauf, ihn das zu fragen?
Ausweichen könntest du, wenn du den Leser wissen lässt, was diese Frau über den Mann denkt. Was für einen Mann sieht sie vor sich stehen? Wie wirkt er auf sie? So beschreibst du dann unauffällig auch den Protagonisten.

„Nein. Aber stattdessen könnten Sie damit beginnen, ihre Waren auf das Förderband zu legen…“ Hier ist wieder eine Stelle, die ich wie oben bemängele: Er findet sie doch sympathisch (zumindest einmal optisch). Ich gehe da von mir aus. Wenn ich eine Frau sympathisch bzw. gut aussehend finde, dann gehe ich ganz bestimmt nicht so mit ihr um, sondern bin vielleicht noch froh, wenn ihr so ein Missgeschick bei mir passiert.

„Bestellen Sie ihre Lebensmittel zukünftig nur noch per Internet! Ist sicherer für uns alle…“
Wenn ich diese Stelle richtig deute, dann lebt der Mann fast nur noch vom Internet. Er leitet alles davon ab und so merkt er gar nicht, dass er eigentlich schon in einer anderen Welt lebt. Die Idee ist wirklich super! Allerdings auch wieder zu plötzlich, daher wirkt es eher unpassend. Vielleicht solltest du am Anfang der Geschichte etwas einführen, worauf der Leser auf die Internetwelt des Mannes vorgewarnt ist.

„schlief friedlich wie ein Baby…“ Ich mag Klischees nicht so. Die Sätze hören sich immer so abgedroschen an. Würde ich auf jeden Fall anders formulieren.

Und was mir noch aufgefallen ist: Wenn der Mann ein Sammler ist und unbedingt diese eine Münze haben möchte, dann würde er doch ganz bestimmt nicht in der letzten Stunde der Auktion einkaufen gehen. Hier liegt der springende Punkt! Da solltest du dir noch was einfallen lassen.

Obwohl ich nun doch recht viel kommentiert habe, sollte es dich nicht abschrecken. Ich finde die Geschichte, wie bereits gesagt, wirklich gut.

Viele Grüße
Herbert

P.S.: Nun habe ich kurz bevor ich meinen Beitrag abschicken wollte, doch noch die anderen Beitrage mir durchgelesen und ich kann dir einen guten Rat geben: Setze das um, was die Kritiker bemängelten. Vor allem das mit den Münzen ist mehr als genial!!!

 

Also ich kann die Einwände mit den Messies nicht nachvollzihen...

Der Typ ist doch dermassen gefangen in seiner Welt, seinem Wahn diese Münze haben zu wollen das er das wirklich wichtige im Leben übersieht: Die nette Frau bei der er wahrscheinlich Chancen gehabt hätte kein einsamer verschrobener Sammeler mehr zu sein, seine Sammelleidenschaft vielleicht noch jemanden anderen näherbringen könnte (mein Mann sammelt Modellbahn - na ja und ich jetzt auch :D )

Mir gefällt die Story deswegen sehr gut :)

 

Also ich kann die Einwände mit den Messies nicht nachvollzihen...
Das hab ich doch später dann geschrieben, daß das nur eine Begriffsverwirrung war, weil ich bei Sammelwahn an Messies dachte... Aber mittlerweile hab selbst ich es begriffen. :D

@Jingels, freut mich, daß Dir meine Kritik trotz der Verwirrung geholfen hat. :)
Wenn Du den Titel auch in der Anzeige ändern willst, mußt Du das einem Moderator der Rubrik (Paranova und Batch Bota) melden. Am besten, indem Du auf "Beitrag an einen Moderator melden" klickst. ;)

 

Werde mich noch daran machen, und die Stelle mit den Münzen sowie einen inneren Monolog der alten Frau einbauen.

Eines aber vorweg, was die meisten mißverstanden haben: Der Sammler kann nicht nett zu der symphatischen Frau sein. Zu verbohrt ist dazu sein Weltbild und zu verkrampft sein Charakter. Er lebt wie gesagt, in seiner eigenen Welt, die mit der realen nur mehr sehr wenig zu tun hat. Er bringt kein freundliches Wort über seine Lippen, selbst wenn er gerne freundlich sein würde...

 

Habe jetzt einige eurer Vorschläge miteingebaut, die Geschichte hat sich meiner Meinung nach um ein gewaltiges Maß verbessert.

 

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