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Der Sammler
Er ging durch den Supermarkt.
In seinem metallenen Einkaufswagen, der mit der Werbeaufschrift „Wir kaufen billig!“ beschriftet war, lag präzise nebeneinander geordnet eine Tube Rasierschaum und eine Packung Spaghetti. Er liebte Spaghetti, da ihn diese Mahlzeit immer wieder an seine Jugendzeit als Bilanzbuchhalter erinnerte. Wie fröhlich er doch damals mit Buchungssätzen um sich warf… Den Rasierschaum der Marke "Harry" hatte er über die Jahre ebenso zu schätzen gelernt, da es der billigste Rasierschaum der gesamten Republik war, außerdem hätte er es nie übers Herz gebracht, seine Bartstoppeln mit einem schnöden Elektrorasierer zu entfernen. So etwas habe keinen Stil, beteuerte er stets.
Gedanklich war der 50jährige, leicht ergraute Mann allerdings schon meilenweit von den Supermarktregalen, dem Rasierschaum oder anderen Kleinigkeiten des Lebens entfernt, er dachte nämlich schon seit Tagen ausschließlich an dieses prächtige Sammlerstück, welches er bei Ebay aufgestöbert hatte. Eine äußerst wertvolle Sammlermünze in unvergleichbarer Erhaltung aus dem Jahre 1689.
Er hoffte inständig darauf, die Auktion zu gewinnen, immerhin war es doch das einzige Stück, welches ihm noch in seiner Sammlung der Schweiz des 17. Jahrhunderts fehlte. Die Chancen, als Auktionssieger zu triumphieren, standen relativ gut, denn es war nicht anzunehmen dass außer ihm noch jemand 150 Euro für diese Münze hinblättern würde.
Wenn er diese eine Münze bekäme, dann könnte er sich vielleicht zum ersten Mal in seinem Sammlerdasein entspannt zurücklehnen und seine wahrhaftig komplette Sammlung genießen. Er würde die Münzen in seiner Wohnung dekorativ in Glaskästen zur Schau stellen, um 24 Stunden am Tag die numismatische Geschichte Europas inhalieren zu können. Und vielleicht, aber nur vielleicht würde er danach ein komplett anderes Sammelgebiet für sich erschließen. In letzter Zeit hatte er immer wieder mit der Idee des Briefmarkensammelns geliebäugelt, aber auch das Katalogisieren von Postkarten oder diversen Kunstgegenständen würde ihm viel Freude bereiten. Egal, die Arbeit an seiner Sammelleidenschaft würde für ihn nie enden.
Während er Gedankenversunken von seinem Glück träumend den exakten Rechnungsbetrag von 3,88 Euro parallel zur Förderbandleiste in absteigender Reihenfolge auflegte, verspürte er einen kräftigen Stoß, der ihn jäh aus seinen Schwebezustand riss. Eine etwas betagtere, stilvoll gekleidete Dame war mit ihrem Einkaufswagen mit dem Verwaltungsangestellten in der Kassaschlange kollidiert. Durch diesen Ruck wurde seine hübsche 2€-1€-50c-20c-10c-5c-2c-1c Münzreihung die er inzwischen liebevoll vor sich aufgebaut hatte, komplett dem Erdboden gleich gemacht. Chaotisch durcheinander gewürfelt lagen sie nun zwischen den verschiedensten Konsumgütern, er würde Tage brauchen um dies zu verarbeiten.
„Oh, verzeihen Sie vielmals! War nicht meine Absicht…“ stammelte sie, während sie ihren Einkaufswagen nervös hin und her schob. Dabei betrachtete sie seinen gepflegten Vollbart, der sich vom faltigen Kinn bis zu seinen Ohrläppchen hinauf großzügig ausbreitete. Sie war beeindruckt von seinem eleganten äußeren Erscheinungsbild und dem schicken Anzug, den er wie eine zweite Haut zu tragen wusste. Diesen Männerschlag hatte sie eben schon immer zu schätzen gewusst.
„Nichts geschehen, schon gut…“ brummte er um sich anschließend visuell auf den hektisch herumfuchtelnden Kassier zu konzentrieren.
„Kann ich das wieder gut machen? Ich würde sie gerne zu einem Kaffee einladen…“ fragte sie den egozentrischen Frühpensionsanwärter vorsichtig, während sie ihn mit großen Augen fixierte.
„Nein. Aber stattdessen könnten Sie damit beginnen, ihre Waren auf das Förderband zu legen. Die Kundschaft hinter ihnen würde auch gerne irgendwann mal zahlen…“ fauchte er sie an.
Als wäre es noch nicht genug gewesen, ihre Flirtversuche mit argwöhnischen Bemerkungen zu erwidern, drehte er sich noch einmal um und mähte sie mit den Worten „Wissen Sie was? Bestellen Sie ihre Lebensmittel zukünftig nur noch übers Internet! Ist sicherer für uns alle…“ endgültig nieder.
Zufrieden bezahlte er seine mittlerweile eingescannten Artikel und ging erleichtert von dannen. Zu Hause angelangt schaltete er hektisch seinen PC ein und wählte aus seinen Favoriten ungeduldig die Internetseite „Ebay“. Als die Seite endlich fertig geladen hatte, erfüllte sich sein Gesicht mit einem zufriedenen Grinsen. Er hatte den Zuschlag für die Münze bekommen. Sofort druckte er sich die offizielle Bestätigung des Auktionssiegs aus, legte sich ins Bett und schlief friedlich wie ein Baby mit dem Zettel in der Hand ein.