Der Ruf, der mich nicht stört.
Der Ruf, der mich nicht stört.
"Ah, Herr Karstens! Bitte, nehmen sie platz", der Psychiater reichte seinem Patienten die Hand und geleitete ihn zu einem der bequemen Besuchersessel aus schwarzglänzendem Leder. "Das ist Doktor Helmich, mein Assistent", ergänzte Doktor Freisinger und zeigte mit seiner linken Hand auf einen noch sehr jungen Arzt, der Herrn Karstens zur Begrüßung freundlich zulächelte, und der sich ebenfalls an den leeren Couchtisch setzte. Doktor Freisinger holte die Akte seines Patienten, schaute eine Weile hinein und setzte sich auf den letzten verblieben Sessel in der Runde. "Wie geht es ihnen, Herr Karsten", fragte er, schaute seinen Gast kurz an und vertiefte sich wieder in die Mappe. "Mir geht es gut, Herr Doktor", beeilte sich Herr Karstens zu sagen, wobei er zur Verstärkung seiner Worte nickte und dabei zwischen den beiden Ärzten hin und her blickte. "Das freut mich zu hören", erwiderte Doktor Freisinger, der die Mappe schloss und sie auf die Tischplatte aus Glas legte. Er schaute Herrn Karstens an. "Hören sie diese Geräusche immer noch?" "Ja, das tue ich", antwortete der Patient und fügte hinzu, "aber ich weiß nun, ob ich mir diese Geräusche nur einbilde, oder ob sie wirklich existieren." "Wirklich", wollte Doktor Freisinger wissen, "erzählen sie uns das bitte." Herr Karstens lächelte und sagte stolz: "Wenn ich ein Geräusch höre, und ich bin mir nicht sicher, ob ich es wirklich gehört habe, dann frage ich meine Frau. Sie sagt mir dann, ob sie es auch gehört hat oder nicht." Der Psychiater lächelte gutmütig. "Aber das funktioniert natürlich nur, wenn ihre Frau", er unterbrach seinen Satz. "Barbara", ergänzte der Besucher schnell. "Wenn ihre Frau Barbara bei ihnen ist." "Ja, natürlich", pflichtete Herr Karstens bei, "ich weiß, sie kann nicht immer an meiner Seite sein, wenn ich wieder Geräusche höre, aber wenn sie da ist, dann funktioniert das." "Und diese Geräusche", fuhr Doktor Freisinger fort, "ich meine die, die ihre Frau nicht gehört hat, haben die sich verändert? Sind sie lauter geworden oder mehr?" Herr Karstens überlegte einen Moment. "Das Hämmern erscheint mir nun lauter. Die Stimmen kann ich immer noch nicht richtig verstehen. Manchmal werde ich gerufen." "Und wie reagieren sie, wenn sie gerufen werden?" Herr Karstens zog leicht eine Augenbraue hoch, als er antwortete: "Wenn ich allein bin und keinen sehe, dann bleibe ich ganz still. Wenn aber meine Frau bei mir ist, dann frage ich sie, ob ich gerufen wurde. sagt sie mir darauf hin, dass sie nichts gehört habe, dann ignoriere ich diesen ruf einfach. Er stört mich dann nicht, weil ich ja Gewissheit habe." Doktor Freisinger stand auf und ging zu seinem Schreibtisch. Er drückte die Funktaste und rief nach Schwester Anke. "Herr Karstens, ich möchte, dass sie für uns noch einmal etwas Blut spenden", sagte der Psychiater grinsend, "dann reden wir noch einmal." Schwester Anke klopfte an, kam in das Untersuchungszimmer und geleitete Herr Karstens zur Blutabnahme. Als Anke die Tür hinter ihr geschlossen hatte, griff Doktor Freisinger nach dem Telefonhörer. Als er eine Nummer wählte, sagte er zu seinem Assistenten: "Das tut mir leid, aber Herr Karstens ist eine Gefahr für sich selbst. Wir müssen ihn unter Beobachtung stellen." Doktor Helmich schaute den Psychiater verblüfft an. "Eine Gefahr für sich? Aber hat der Patient denn seine Wahrnehmungsstörungen nicht unter Kontrolle? Seine Frau hilft ihm doch dabei!" Doktor Freisinger schaute den jungen Arzt ernst an. "Sie sollten die Akte aufmerksamer lesen. Herr Karstens ist ledig."