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Der Romanheld
Oh ja, jetzt hatte er sie endlich so weit, jetzt würde sie mit ihm Essen gehen. Es hatte verdammt lange gedauert, die Finger hatte er sich wund geschrieben, doch jetzt hatte er sie anscheinend überzeugt. Nun, es ging eben nur auf diesem Weg, er war nicht gerade der Typ Mann, um den sich die Frauen rissen, er musste immer irgendeinen Köder auswerfen. Damals, seine erste Freundin, hätte er nicht in dieser Rockband gespielt, er wäre ihr überhaupt nicht aufgefallen. Seine zweite und dann auch langjährige Freundin musste erst von einer Bekannten überzeugt werden, es mit ihm zu versuchen. Und dann die Kunstgeschichtsstudentin in Barcelona, die wollte einfach nur einen kostenlosen Aufenthalt in Deutschland haben. Dafür, und das musste man ihr zu Gute halten, konnte er mit ihr aber seine erotischen Fantasien hemmungslos ausleben. Die erotische Literatur, die er bis dahin gelesen hatte, hatte
sich in diesem Fall wirklich ausbezahlt. Seitdem, das musste er schon gestehen, hatte er eine Schwäche für Südländerinnen, insbesondere für Spanierinnen, denen man das ja eigentlich gar nicht so zutraute. Als die Spanierin dann aber bemerkte, dass er finanziell am Ende war, ging sie zurück nach Spanien. Benutzt hatten sie ihn irgendwie doch alle, doch das war egal, allmählich hatte er gelernt zurück zu schlagen. Das Schlimmste war ihm während seines Studiums passiert, ein Jahr lang lief er dieser Germanistik-Elfe hinterher, ein Jahr lang tanzte sie ihm auf der Nase herum, ohne dass er ihr jemals näher als einen Meter gekommen war. Und dann, dann nahm sie sich einen von den Juristen. Nach dieser Episode hatte er die Nase voll, so etwas würde ihm nie wieder passieren. Sie hätten ja vermutlich sowieso nicht zusammen gepasst, die Bücher von Rosalia de Castro interessierten sie genauso wenig, wie das Land und die Sprache seiner Dichterin, der er mit seiner Magisterarbeit ein persönliches Denkmal gesetzt hatte.
Es war wirklich ein großer Vorteil, dass er sich fast ausschließlich mit spanischer Literatur befasst hatte, die hier kaum bekannt war und sicher nur von wenigen gelesen wurde. Als er bemerkt hatte, dass sie selbst gerne schrieb, ihm ihre Geschichten oft zumailte, da fing er an, seine Geschichte aufzuschreiben. Ein paar Sätze hatte er dann einfach aus dem ein oder anderem spanischem Roman einfließen lassen, sie hatte es nicht bemerkt. Sie selbst schrieb über sehr persönliche Dinge, aber in ihrem Bücherregal, so hatte sie ihm gesagt, standen fast ausschließlich Bücher, die sich mit Politik oder Geschichte befassten. Er hatte sich wohl gefühlt, als er seine Geschichte nach und nach aufschrieb, es war fast so, als wäre er einer dieser spanischen Edelmänner, die es heutzutage nicht mehr gab. Immer wenn er tippte, nahm er deren Sprache an, natürlich in zeitgemäßer Form, sie hätte ihn ja sonst für einen Spinner gehalten. Es war gut, dass sie keine dieser Emanzen war, die ihm in der Uni immer begegnet waren und die ihm kalte Schauer über den Rücken laufen ließen. Wie oft hatte eine dieser Gestalten ihm in die Magenkuhle geboxt oder an den Wangen gezerrt und dann blöd grinsend „na, wie steht’s, alles klar bei dir?“, gebrüllt. Er mochte so etwas nicht, schließlich war er ein Mann, auch wenn er die magische Marke von Einsachtzig bei weitem nicht erreicht hatte und zugegebenermaßen, durch Stimme und Gestik, oftmals feminin wirkte. Es war doch bewiesen, dass man als Mann durchaus auch seine weibliche Seite hatte, deshalb konnte man jemanden, der dies nicht überspielte, doch respektieren als das was er war, nämlich als Mann.
Sie war schon bei der ersten dieser zwanzig DIN A4 Seiten schwach geworden, das hatte er gespürt. Es stammte zwar nicht von ihm, was sie so faszinierte, aber es hatte schließlich Wirkung gezeigt. „Blaue Wärme. Nachts: Ich hab‘ was für dich, Liebste. Küssend gebe ich ihr den Kirschkern zurück. Den Kern der ersten Kirsche dieses Sommers.“ Das hatte ihr unglaublich gefallen, die Idee gefiel ihr und er schwieg erst einmal, hielt es für unangebracht, diese schöne Stimmung zu zerstören und zu sagen, dass das nicht von ihm war. Und dann, auf Seite 15, da war sie noch einmal ganz begeistert von seiner Geschichte, „Treffen zwei so unterschiedliche Wesen aufeinander, so ist der Untergang des einen so unwiderruflich vorprogrammiert, wie der Aufstieg des anderen: Systemabsturz und Neuversion. Zwei Gestirne, die sich in der Supernova kurz begegnen – der Untergang des einen bewirkt die Geburt des anderen.“ Nun, das hatte er vorsorglich eingebaut, so konnte sie hinterher nicht sagen, dass sie nicht vorgewarnt war. Diese Geschichte handelte schließlich über Liebe und Enttäuschung, und sie war seine Geschichte, das wusste sie.
Er hatte einen Tisch reserviert, natürlich in einem spanischem Restaurant. Hier könnte er mit dem Kellner ein bisschen spanisch plaudern, das würde sie sicher beeindrucken. Schließlich mochte sie Spanien, auch wenn sie der Sprache nicht mächtig war. Auf jeden Fall hatte sie es, daran glaubte er sich zu erinnern, einmal in einer ihrer Geschichten erwähnt. Natürlich war er ein bisschen früher da, als verabredet, so konnte er an ihrem Platz noch den kleinen spanischen Gedichtband ablegen, den er ihr zum Geschenk machen wollte. Frauen mochten alle Geschenke und es würde sie sicher rühren, dass er so aufmerksam war. Was er ein wenig bedauerte, war der Umstand, dass sie eigentlich optisch nicht sein Typ war. Er mochte diese kleinen, elfenhaften, möglichst schwarzhaarigen Frauen, die, bei denen man die schwarzen Nackenhärchen und ein flaumiges Damenbärtchen deutlich sehen konnte und deren Augen so dunkel waren, dass man Schwierigkeiten hatte, die Pupille zu erkennen. Aber Hierzulande musste man schon lange suchen, um diesen Typ Frau zu finden, meist waren sie gefärbt oder hatten einen zu dicken Hintern oder aber sie waren schlicht und ergreifend zu dumm und hatten von Literatur nicht den blassesten Schimmer, bemühten sich nicht einmal, sich mit diesem Thema auseinander zu setzen.
Sie sah sehr hübsch aus, als sie das Lokal betrat und einige dieser spanischen Machos, die sich am Tresen tummelten, warfen ihr diese typisch gierenden Blicke hinterher. Sein Ärger darüber verflog aber sehr schnell, als sie sich zu ihm setzte und selbigen Spaniern eine urplötzliche Fassungslosigkeit anzusehen war. Das konnte ja nur für ihn sprechen, denn diese Typen hatten sicher nicht damit gerechnet, dass diese Frau sich zu ihm setzen würde, mit ihm eine Verabredung hatte. Er musste vielleicht doch einmal überdenken, ob große, blonde Frauen nicht doch ihre Vorteile hatten.
Das Essen mit ihr war sehr angenehm und sie hörte sich auch interessiert an, mit welchem Ehrgeiz und Enthusiasmus er seine Magisterarbeit geschrieben hatte. Wenn er einmal damit anfing, darüber zu erzählen, dann fand er einfach kein Ende mehr. Aber er schien sie damit nicht zu langweilen, zumindest zeigte sie es nicht. Sie selbst redete nicht sehr viel, es war ihm ja schon aufgefallen, dass sie gerne zuhörte. Kennen gelernt hatte er sie ja eigentlich über ihre Geschichten, da schrieb sie viel über sich, man konnte daraus schon entnehmen, wer und wie sie war und musste nicht noch extra nachfragen. Alles in allem lief der Abend genau nach Plan, sie ließ es irgendwann sogar zu, dass er seine Hand auf ihre legte. Nun, das war das Mindeste, was sie ihm zugestehen konnte, schließlich kannten sie sich jetzt schon drei Monate und er zeigte ja allergrößtes Interesse an ihr. Als er ihr vorschlug, noch auf einen spanischen Kaffee mit zu ihm zu kommen, nahm sie die Einladung lächelnd an. Sie sah eigentlich richtig nett aus, wenn sie lächelte, sie strahlte auch eine angenehme Wärme aus, hatte so eine beruhigende Art. Man konnte schon sagen, dass er sich in ihrer Gegenwart wohl fühlte.
Anstatt Kaffee zu kochen, öffnete er eine Flasche spanischen Rotwein, das war vielleicht doch besser und würde die Stimmung etwas lockern. Er saß nun neben ihr auf dem Sofa, keine handbreit von ihr entfernt und legte dann auch mal einen Arm um ihre Schultern, während er mit ihr einen Bildband „Barcelona vom Himmel aus“ anschaute. Natürlich wusste er zu jedem Bild eine Geschichte zu erzählen, schließlich hatte er ja, Dank eines Stipendiums, ein Jahr dort studiert. Irgendwann gewährte sie ihm sogar einen Kuss, das war genau die Richtung, die er sich für diesen Abend vorgestellt hatte. Es lief unglaublich gut mit ihr.
Da sie beide in dem Restaurant nur ein paar Tapas gegessen hatten, machte er, zu vorgerückter Stunde, den Vorschlag, doch noch eine Dose Krabben zu öffnen. Krabben mochte sie, das hatte sie ihm irgendwann einmal gesagt. Nun, was sie aber vergessen hatte, zu erwähnen, vielleicht hatte er es ja auch überhört, war, dass sie keine Mayonnaise mochte. Die Krabben, die er hatte, waren aber in Mayonnaise. Da sie sich aber nun schon so nah gekommen waren, würde das sicher kein Problem darstellen. Er nahm eine Krabbe in seinen Mund, befreite sie von der Mayonnaise, zog sie zu sich heran, und spielte ihr die Krabbe, während eines Kusses, wieder zu.
Plötzlich stand sie ruckartig auf, streifte ihre Kleidung zurecht und sagte, „Wir werden heute beide keine Supernova erleben, deine Magisterarbeit und dein Aufenthalt in Spanien in aller Ehren, aber ich hatte mir den Abend anders vorgestellt und dachte, du wolltest mich besser kennen lernen. Im Übrigen solltest du mal einen anderen Roman lesen, Kirschkerne sind eine Sache, Krabben eine andere.“