Der Ritter der goldenen Gartenkralle
Auf einem kleinen Fleckchen Erde tief in einem Silberberg lebt das eigentümliche Völkchen der Nebloks. Der Silberberg ist zu Nachtzeiten ein ruhiges Plätzchen, denn die Nebloks verstehen es, sich gut versteckt zu halten. Mit dem ersten Sonnenstrahl aber tauchen sie auf und locken viele Kinder in den Silberberg. Den ganzen Tag über dürfen die Kinder im Silberberg viele schöne Dinge lernen und wenn sie brav sind und artig, dann werden sie mit köstlichen Mahlzeiten und schönen Spielen belohnt.
Jedem aus dem Völkchen der Nebloks steht eine besondere Aufgabe zu, aber nur einer, der edle Ludwig, darf über die schönen Spiele, die köstlichen Mahlzeiten und die Arbeit im Garten bestimmen. Ludwig ist der glücklichste von allen Nebloks. Er liebt die guten Mahlzeiten, die schönen Spiele und oft sieht man ihn auch fest eingepackt in seiner dicken, warmen Winterjacke den Silberberg verlassen. Dann genießt er die Natur, die frische Luft und das kleine, grüne Gärtchen.
Es war einmal vor vielen Jahren, da kam der König der Nebloks zu dem edlen Ludwig und sprach: „Ich sehe, du fühlst dich der Natur sehr zugetan, liebst die Bäume und die Tiere und bepflanzt den Garten. Dafür hast du eine Belohnung verdient.“ Der König fasste tief in sein Zaubersäckchen und zog daraus ein goldenes, prächtiges Werkzeug hervor. „Wohlan“, sagte er, „ich schlage dich zum Ritter der goldenen Gartenkralle! Auf dass dein kleines Gärtchen uns allen für immer Freude bereite!“ Und der edle Ludwig, Ritter der goldenen Gartenkralle, durfte die goldene Gartenkralle sein Eigen nennen. Fortan war er noch eifriger bei seiner Arbeit und bepflanzte, hegte und pflegte das kleine Gärtchen und die Kinder taten es ihm gleich. Und siehe da, schon nach kurzer Zeit blühten in dem kleinen Gärtchen die zauberhaftesten und seltensten Blumen. Alle lachten und freuten sich darüber.
Doch eines Tages stieß der edle Ritter bei der Arbeit mit seiner goldenen Gartenkralle auf einen großen, schweren Stein. Er ärgerte sich darüber, denn gerade an dieser Stelle wollte er ein neues Blümlein pflanzen. So grub er und grub, bis der Stein locker wurde und er ihn mit der goldenen Gartenkralle aus dem Erdreich entfernen konnte. Als er aber den Stein beiseite gerückt hatte, stand auf einmal ein kleines, grimmiges Männlein vor ihm. „Du hast den Eingang zu meiner Höhle zerstört. Dafür will ich dich bestrafen!“ Das Männlein hob seine beiden Arme und sprach einen bösen Fluch über den edlen Ritter der goldenen Gartenkralle:
„Ihr Nebloks vom Silberberg! Ich hasse euch alle,
drum soll für immer verschwinden die goldne Kralle!“
Im Nu hatte das grimmige Männlein eine Käfig hergezaubert und die goldene Gartenkralle mit einem riesig großen Schloss darin eingesperrt. Dann lief es eilig fort, doch sein böses Lachen konnte man noch über dem ganzen Silberberg vernehmen.
Von dem Lärm angelockt liefen all die emsigen Nebloks erschrocken zusammen und sahen den armen Ritter traurig in seinem Gärtchen stehen. Das Völkchen weinte so sehr, dass mit einem Mal alle Blümlein verwelkten, jeder Baum sein Blatt abwarf und das grüne Gras trocken und hässlich braun wurde.
Doch da trat der König der Nebloks aus der Menge hervor und sprach: „Ich kann den Zauber nicht mehr rückgängig machen, doch soll er nicht für immer andauern! Wenn sechs Jahre vergangen sind, soll das Schloss zu dem Käfig aufspringen und die goldene Gartenkralle freigeben!“ Als er diese Worte gesprochen hatte, war ein eigenartig heller Schimmer um den Käfig zu sehen, so dass alle Nebloks erschrocken davor zurückwichen.
Die Jahre zogen ins Land, und es verging kein Tag, an dem der edle Ludwig, Ritter der goldenen Gartenkralle, nicht an der Türe des Käfigs rüttelte. Aber das Schloss war so stark, dass es auch vom kräftigsten Rütteln nicht aufsprang. Der Ritter war so traurig geworden, dass ihm die Arbeit in seinem kleinen Gärtchen gar keine Freude mehr bereitete.
Doch auf den Tag genau, sechs Jahre nach dem das grimmige Männlein den Fluch ausgesprochen hatte, erlebte der edle Ritter Ludwig das Schönste, das ihm in seinem Leben je passieren konnte.
Wieder ging er in aller Frühe hinaus in sein kleines Gärtchen, um an der Türe zu rütteln. Doch noch bevor er das Schloss berührt hatte, sah er einen eigenartig hellen Schimmer über dem Käfig und auf einmal sprang das Schloss wie von selbst auf. Da hüpfte und sprang der Ritter Ludwig vor lauter Freude und rief alle Nebloks im Garten zusammen. Der König holte die goldene Gartenkralle aus dem Käfig, überreichte sie dem Ritter zum zweiten Mal und sprach: „Von nun an soll dieses prächtige Werkzeug nie mehr von einem solchen Fluch getroffen werden!“ Und der König sprach einen Zauber über die goldene Gartenkralle, der sie davor bewahren sollte, jemals wieder für so lange Zeit eingesperrt zu werden.
Den edlen Ludwig, Ritter der goldenen Gartenkralle, sieht man seither wieder fröhlich und zufrieden in seinem kleinen grünen Gärtchen arbeiten.