Der Riese und die Maid
Der Riese und die Maid
Frei nach der Sage: Der Riese vom St. Leonharder See
„Königliches Dekret:
Es ist uns zu Ohren gekommen, dass in unserem schönen Königreich ein fürchterlicher Riese sein Unwesen treibt. Er stiehlt das Vieh, überfällt die Reisenden und verängstigt die Bauern. Auch an der kargen Ernte, dem schlechten Wetter, der allgemeinen Armut und der Grippe, die diesen Winter umging, soll er schuld sein. Daher haben wir, König Gunther, beschlossen dem tapferen Ritter, dem es gelingt, den Riesen zu erschlagen und uns als Beweis sein Haupthaar zu bringen, unsere wunderschöne Tochter und unser halbes Königreich zu übergeben.
Unterzeichnet,
König Gunther der Große.“
Der Ritter lächelte siegesgewiss, faltete das Dokument vorsichtig zusammen und steckte es in seine Manteltasche. Dann griff er zum Krug, der vor ihm stand, lehrte ihn in einem Zug, lächelte noch einmal siegesgewiss, streifte sich eine goldene Locke aus dem Gesicht, stand auf und verließ die Schänke. Es galt einen Riesen zu erschlagen und ein halbes Königreich zu erringen.
„Wer war denn dieser eingebildete Kerl?“ fragte ein reisender Händler den dicken Wirt, der hinter der Theke stand und schmutzige Gläser mit einem noch schmutzigeren Lappen trocknete.
„Pssst, was wenn er dich hört? Das war Daniel von Schwingen, der Drachentöter, Ogerschlächter und Jungfrauenretter. Er ist der größte Held, den es gibt. Es heißt, er hat einmal 100 Räuber gleichzeitig bekämpft und besiegt und das, obwohl er einen Schnupfen hatte.“
„Hindert ein Schnupfen denn daran zu kämpfen?“
„Woher soll ich das wissen? Bin ich ein Ritter?“
Ungefähr zur selben Zeit, einige Tagesreisen entfernt, war ein fürchterlicher Riese damit beschäftigt drei Ritter abzuwehren.
„Stirb, du Ungeheuer!“
„Lasst mich zufrieden, ihr Schmeißfliegen, oder ihr endet wie die Anderen.“
Die drei tapferen Ritter, Herold von Stampfen, Friedrich von Siegen und Erwin von Pflaum, ließen ihn nicht zufrieden und endeten wie die Anderen. Seit Tagen brachte der fürchterliche Riese, dessen Freunde ihn, hätte er welche gehabt, Gorzibald genannt hätten, damit zu, eine nicht enden wollende Heerschar an Rittern und Helden zu erschlagen. Er wusste nicht woher und warum sie kamen, denn er konnte nicht lesen, aber er fürchtete, wenn dies so weiterginge, würde seine Höhle bald überquellen, vor lauter glitzernder Rüstungen und blinkender Schwerter. Wirklich beschweren wollte sich Gorzibald aber auch nicht, denn er mochte das Kämpfen, war es doch eine willkommen Abwechslung im tristen oft langweiligen Alltag des Schurkenriesen. Er hatte sich diese Profession nicht ausgesucht. Es war nicht so, dass ihm das Töten, Rauben und Morden keinen Spaß machte, aber es war ihm auch kein wirkliches Vergnügen. Mehr blieb einem vier Meter großen klobigen Kerl, mit Hauern und Warzen im Gesicht, der neben seiner Unansehnlichkeit auch noch gelinde gesagt dumm war, einfach kein anderer Karriereweg übrig. Seine Mutter hatte ihn vor vielen Jahrzehnten in jener Höhle, die er heute noch behauste, nach alter Riesentradition ausgesetzt und es der Wildnis überlassen, ihn groß zu ziehen. Und wie sie in großgezogen hatte! Weit und breit, so wusste jeder, gab es keinen größeren, hässlicheren und dümmeren Riesen und Gorzibald, der sich eigentlich nichts aus Ruhm machte, war ein wenig stolz darauf. Würden ihn doch nur nicht alle Menschen so entsetzlich hassen, dachte er, während er die Rüstungen der drei Ritter auf den überquellenden Haufen warf. Er sehnte sich nach Gesellschaft, die über einen hasserfüllten Angriffsschrei und eine Faust im Gesicht hinausging. Er sehnte sich, so dachte er, den Proviant der Ritter verspeisend, nach einer Frau. Seufzend stand er auf und schnürte den Rüstungshaufen zu zwei großen Bündeln zusammen, die er sich über die Schulter warf. Ein Schmied, einige Tagesreisen entfernt, kaufte Altmetall auf und es schien dem Riesen nur richtig, aus dem unerwarteten Ritterandrang ein wenig Profit zu schlagen.
Er war schon wieder auf dem Rückweg, als das Schicksal schließlich an Gorzibalds hohlen Schädel klopfte. Er hatte nach eigener Meinung ein ordentliches Geschäft gemacht, auch wenn er in Wahrheit natürlich nach Strich und Faden betrogen worden war. Ein Riese versteht sich eben nicht auf Geschäfte und auf den Wert von Rüstungen schon gar nicht und so hatte er die gesammelte Heldenausrüstung für knapp ein Fünftel des eigentlichen Wertes verscherbelt. Gorzibald störte es nicht, er wusste es nicht besser und das Gold in seiner Tasche reichte für ein ausschweifendes Gelage. Um seine Handelsfähigkeiten zu feiern, beschloss er, in eine nahe gelegene Schänke einzukehren.
Wann immer Gorzibald unter die Menschen kam, gab es Schwierigkeiten und Hader und oft endeten seine Besuche in der Zivilisation mit einer tüchtigen Schlägerei und der anschließenden Flucht vor königlichen Häschern. Aber Gold ist Gold, unabhängig davon, wer es ausgibt und so warteten die Gastwirte gewöhnlich, bis Gorzibald bezahlt hatte, bevor sie einen wütenden Mob bestellten, um ihn zu vertreiben.
So war es auch dieses Mal. Der Riese, zu groß, um in der Schänke zu gastieren, saß im Vorhof der Wirtschaft auf einem Baumstumpf umgeben von mehreren Fässern Bier und zwei gebratenen Schweinen und spielte Karten mit einem Kobold und einem Waldgeist aus der Nachbarschaft.
„Will sehen,“ fiepte der Kobold mürrisch. Er hatte schon den halben Schatz seines Berges an den Waldgeist verzockt und knallte seine Karten wütend auf den Boden.
„Oooooh, iiiich füüürchte, iiiich gewiiiinne schoooon wieeeeder,“ antwortete der Waldgeist mit einer Stimme, die wie das Flüstern des Windes in einem sterbenden Herbstwald klang und ließ die Karten sanft niederschweben.
„Verdammt, ich hätte es wissen müssen, dass was faul ist, als du sagtest, du hättest seit Dekaden nicht mehr gezockt. Trauen keinen sprechenden Bäumen, hat meine Mutter immer gesagt.“
„Eiiiine kluuuuge Frauuuu, deiiiine Muuuutter.“
„ Ach sei still, du Stück Holz. Los, noch ne Runde, Gorz, du gibst.“
Gorzibald aber hörte den Kobold gar nicht, denn schon seit geraumer Zeit galt seine Aufmerksamkeit weder den beiden Mitspielern, noch dem Spiel selbst, sondern dem Apfelsaftstand auf der anderen Seite des Weges. Dort nämlich, hinter einem Berg aus roten, saftigen Äpfeln, gekleidet in ein hübsches Blumenkleidchen und einer weißen Schürze, mit zwei hübschen, roten Mädchenzöpfen, sommersprossig und großäugig, stand das schönste Geschöpf, das Gorzibald je gesehen hatte.
„Gorz, du gibst verdammt nochmal, ich muss meinen Bergschatz zurück gewinnen.“
„Iiiich glauuuube eeeer höööört diiiich niiiicht. Eeeer saaaapert.“
Schön ist selbstverständlich ein relativer Begriff und differiert von Perspektive zu Perspektive. Ein normaler Mann hätte die junge Frau, die dort so eifrig Apfelsaft verkaufte, bei Leibe nicht für schön befunden, war sie doch nicht weniger als zwei Meter groß, mit Armen wie Baumstämmen, Schultern, die sich zum Gewichtheben eigneten und einem, wenn auch goldigen Schnurrbart im maskulinen Gesicht.
Für Gorzibald hingegen, der mit dem dürren, zerbrechlichen Prinzessinnentyp, mit dem man als Schurkenriese hin und wieder Umgang pflegte, nie wirklich hatte warm werden können, war das Apfelsaftmädchen die schönste Meid, die er sich vorstellen konnte. Es gab gar keinen Zweifel, er musste sie haben.
„Wenn du nicht mehr mitspielst, dann verschwinde, oder setze endlich deinen Einsatz und gib die Karten.“
Jetzt erst wurde sich Gorzibald der Situation bewusst und beeilte sich, die Karten zu verteilen. So lange er hier mit den beiden ortsansässigen Schreckgespenstern verkehrte, würde der Wirt den Mob noch nicht rufen und Gorzibald wollte auf keinen Fall seine schöne Angebetete schon verlassen müssen.
„Wer ist sie?
„Weeeer?“
„Das Mädchen dort.“
„Ooooh, daaaas iiiist Hiiiilde. Siiiie besuuuucht miiiiich ooooft, zuuuum Bluuuumen und Beeeeren pflüüüücken. Eiiiin liiiiebes Määäädchen!“
Ja, es stand fest, er musste sie haben. Einige Runden spielte er noch weiter, während er überlegte, wie er Hilde am besten bewusstlos schlagen konnte, ohne sie ernsthaft zu verletzten. Für Gorzibald, der in seinem Leben noch niemals eine Beziehung mit einer Frau gehabt hatte, die über eine gewöhnliche Entführung hinausging, gab es gar keine andere Methode, als den gewaltsamen Raub einer Meid und so hielt er sich erst gar nicht mit dem Gedanken auf, sie vielleicht einfach anzusprechen.
Als er sein verbliebenes Gold an den Waldgeist verloren hatte, der wiederum im allerletzten Spiel absichtlich die Hälfte an den Kobold verlor, stand Gorzibald auf, schulterte seine Keule und trat an die Angebetete heran.
„Du bist jetzt meins,“ sagte er, mit hochrotem Kopf und Schweiß auf der Stirn, bevor er den Knüppel schwungvoll aber zärtlich niederkrachen ließ.
Die Nachricht von diesem Unglück verbreitete sich in Windeseile im Dorf, schwappte weiter in die umliegenden Dörfer, wo ein fahrender Händler sie aufnahm und in die nächste Kleinstadt mit nahm, von wo aus das Wissen um die tragische Ereignisse ins ganze Land strömte, bis schließlich auch Daniel von Schwingen, während einer Autogrammstunde in einem Gasthof davon erfuhr.
„So, der Schurke, hat also eine Jungfrau entführt. Das ist großartig“
Ja, es war großartig, denn dieser Umstand würde die Rettungsaktion nur noch umso spektakulärer und einträglicher machen. Vielleicht so über legte Daniel verzückt, ließen sich am Ende gar drei Viertel des Königreichs herausschlagen. Immer hin, so wusste er, würde die Aufgabe nicht leicht zu Bewältigen sein. Überall all wo er sich erkundigt hatte, war man sich einig über die Schrecklichkeit des Riesen. Er sei ein wahres Ungeheuer, ein Schlächter, wie ihn das schöne Königreich noch nicht gesehen hatte und viele stellen in Frage, ob es überhaupt jemanden gab, der dieses Monstrum aufzuhalten im Stande war. Daniel von Schwingen aber machte sich keine Sorgen. Soweit er wusste, gab es auf dieser Welt schlicht und einfach nichts und niemanden, der ihm gewachsen war. Alle Gerüchte über seine Heldentaten entsprachen der Wahrheit, alle Erzählungen waren nichts als sachliche Berichterstattung. Er hatte hunderte Drachen erschlagen und tausende Oger besiegt. Auch gegen die Räuber hatte er gekämpft und tatsächlich einen unerhörten Schnupfen gehabt. Ausgestattet mit einem nahezu makellosen Aussehen, einem mutigen Herzen, einem magischen Schwert und einer verzauberten Rüstung, war er fraglos der größte Held seiner Zeit. Über die Grenzen der bekannten Welt hinaus war er berühmt, geliebt bei den Frauen und gefürchtet bei den Schurken. Es stand völlig außer Frage, dass es ihm gelingen würde, den mickrigen Riesen zu erschlagen.
Seit Jahren wartete er auf eine Chance wie diese, denn auch wenn er hunderte Abenteuer bestritten hatte, war es ihm doch nie Gelungen zu Reichtum zu gelangen. Eine menschliche Schwäche für die allerneuste Desinermode, so wie sein Hang zu sündhaft teuren Geschenken für Prinzessinnen und Mätressen, hatten seine Einkünfte stehst über das Maß belastet. Und so kam es, dass er zwar ganze Berge schickster Gewändern der letzten Herbstkollektion sein eigen nennen konnte und eine ganze Armee, mit Ringen und Armbändern aus Gold und Diamanten ausgestattet Verehrerinnen überall in Europa nach ihm schmachtete, in seiner Geldbörse sich aber kein einziger Heller mehr befand.
Er musste nun endlich nach Jahren der Wanderschaft sässig werden. Landbesitzer sein, regelmäßige Einkünfte haben, das war es was Daniel erstrebte und was hier und jetzt möglich zu werden schien. Sicher, das Königreich war nicht gerade der große Wurf, aber Daniel war nicht wählerisch und lebte nach dem Motto, des Spatzen in der Hand. Froh gen Mutes und voller Abenteuerlust zog er also zur Höhle des Riesen.
Die Sonne sank schon rosarot in die verzauberte Seenlandschaft dieser Hochgebirgsregion, als Daniel von Schwingen sein Ziel erreichte. Dort glitzerte unter ihm ein malerischer See. Kristallklar spiegelte sich darin eine steile Felsformation, in der, wie ein Loch in einem Schneidezahn, eine tiefe schwarze Öffnung klaffte. Es war eine gewaltige Höhle, die sich der Riese hier in den Berg gehauen hatte und einem Geringeren wäre der Mut schon alleine bei diesem Anblick gesunken. Aber Daniel war kein gewöhnlicher Ritter, er war der Beste. Gemächlich stieg er von seinem treuen Pferd ab, entfernte das Zaumzeug und den Sattel und lies das Tier nahe dem See auf einer hübschen Blumenwiese grasen.
Dann schlich er langsam Richtung Höhleneingang. Zuerst war nichts zu hören, als das Zwitschern der Vögel und das Rauschen des Windes. Alles schien friedlich und der Ritter begann sich zu fragen, ob er die richtige Höhle erwischt hatte. Einmal war er versehentlich statt in die Behausung eines Teufelsbeschwörers in die Hütte eine Näherin eingedrungen und es war zu allerlei Missverständnissen, einer Beinaheverbrennung einer armen, alten Frau und einer Stricknadel in Daniels Oberschenkel gekommen. Solcherlei Ungemach wollte der Held nicht noch einmal durchstehen müssen und schlich daher noch weiter heran, um die Lage zu erkunden, anstatt wild schreiend los zu stürmen. Er war schon fast beim Eingang, da hörte er es endlich, das Signal jedes Helden das Jagdhorn tapferer Ritter: den Schrei einer Jungfrau in Not. Und was für ein Schrei, gellend und schrill wie das Quieken eines Schweins bei der Schlachtung, durchdringend und anhaltend, dass es bis ins Mark ging und das Blut zum kochen brachte.
Daniel zögerte nicht länger. Mit der Übung eines Veterans schnelle er hervor, zog sein Schwert, stürmte in die Höhle, machte eine Vorwärtsrolle und einen Salto und sichtete während dessen den Riesen. Dieser stand breitbeinig und bedrohlich vor einem Bett, auf dem, die Arme zum Schutz erhoben, die wunderschöne, hilflose Maid lag und ihren Entführer ängstlich anblickte.
Wunderschön? Noch während der Saltolandung weiteten sich Daniels Augen in Verwirrung. Das Paradebeispiel für eine schöne Maid in Not war diese riesige Hünin nun wirklich nicht, aber, dachte er, seine Fassung sofort zurück gewinnend: Es spielte letztlich gar keine Rolle. Groß, klein dick, dünn, eine Maid in Not war eine Maid in Not und genaugenommen sowieso nur schmückendes Beiwerk. Es war der Riese für den er gekommen war und der war wirklich so groß und furchterregend, wie es die Geschichten erzählten.
„Lass ab von der... liebreizenden Jungfrau, du Schurke, oder ich werde dich in Stücken schneiden.
Ach, wem mach ich was vor, ich schneide dich in jedem Fall in Stücke“, verkündete Daniel von Schwingen im lange geübten und oft praktizierten Heldenton, schüttelte die goldlockige Mähne siegessicher, zwinkerte, wenn auch ein wenig verunsichert, der holden Maid zu und schnellte mit erhobenem Schwert vorwärts, um den Riesen in zwei Teile zu hauen.
Gorzibald war zwar nicht besonders helle und verstand die ganze Situation überhaupt nicht, aber er hatte die angeborenen Instinkt eines wahren Schurkenriesen und so fuhr seine Faust automatisch nach vorne, um den Hieb des Ritters zur Seite zu schlagen. Schon beim ersten Schlagabtausch spürten beide Kontrahenten, dass sie hier und heute einem würdigen Gegner gegenüberstanden. Sofort verdichtete sich die Atmosphäre in der Höhle, als die beiden Kämpfer, nun vorsichtig geworden, einander umkreisten. Beider Krieger hatte schon hunderte Feinde bekämpft und besiegt und noch niemals hatte einer von ihnen vor einem Kampf am siegreichen Ausgang gezweifelt. Bis auf heute. Die Auren der Beide schienen die Höhle völlig auszufüllen und Stück für Stück schrumpfen zu lassen. Die Spannung war so dicht, dass sogar die Fledermäuse, die sonst dem Riesen den Schlaf raubten, schwiegen und auch die junge Hilde saß staunend und gaffend auf dem Bett und bekam kein Wort heraus.
Minuten des Abtastens vergingen, keiner der Krieger wagten den ersten Angriff. Dann, als man schon glaubte es würde niemals etwas geschehen, schnellte Daniel plötzlich wieder vor und hieb mit Wucht nach dem Riesen. Dieser wich nur knapp aus und schwang seinerseits die Keule, die nur um Zentimeter die Schläfe des Helden verfehlte. Was folgte, war ein Kampf der Titanen. Wie besessen hieben sie auf einander ein, fügten sich gegenseitig entsetzliche Wunden zu und schafften es doch nicht, den Gegner zu Fall zu bringen. Beide Kontrahenten schienen fast unbegrenzte Ausdauer und Lebenskraft zu besitzen und es war, auch wenn der Kampf blutiger und blutiger wurde, kein Ende in sich.
So wenig sie es schafften, sich gegenseitig zu zerstören, umso mehr Verwüstung richteten sie in der Höhle an. Bald stand kein Stein mehr auf dem anderen, kein Möbelstück blieb verschont. Nicht einmal der riesige Stahltopf, in dem Gorzibald gewöhnlich ganze Ochsen kochte, überstand die Schlacht.
Sie hätten sich am Ende sicher gegenseitig umgebracht. Ein solcher Kampf kennt keinen Sieger. Aus allen Öffnungen blutend, hatten sie sich schließlich umklammert, der Riese den Kopf des Ritters in der Quetschklemme, Daniel das Schwert an Gorzibalds Leber, beide kurz davor den entscheidenden Schlag zu tun, als endlich ein gellender Schrei durch die Höhle schallte.
„Aufhören! Hört sofort auf! Ihr bringt euch noch um!“
Das kam, in dieser so typischen Ritter-rettet-Jungfrau-Situation so unerwartet, dass beide Kämpfer kurz inne hielten und zu Hilde starrten, die tränenüberströmt vor dem Bett stand und vor Aufregung zitterte.
Es war irgendwie süß, dachte Daniel verwirrt, die Gigantin wie ein kleines Kind heulend und bebend vor sich stehen zu sehen.
„Was willst du denn hier, warum greifst du den armen Gorzi denn an. Und du Gorzi, warum erklärst du es ihm denn nicht einfach?“
Gorzi? Daniel von Schwingen ließ das Schwert sinken, im selben Moment, in dem Gorzibald die Queschtklemme löste. Beide glotzten Hilde an, dann einander, dann wieder Hilde, bis Gorzibald schließlich stammelte:
„Ich wusste keine Worte. Schlagen ist einfacher, geht schneller.“
„Du hast mir versprochen, du hörst auf, ein fürchterlicher Riese zu sein. Du hast mir versprochen, keine Ritter mehr zu erschlagen.“
„Macht der Gewohnheit. Tschuldigung“
„ Ähm, Verzeihung, könnte mir mal jemand erklären, was hier los ist?“ unterbrach Daniel den Disput. Irgendetwas lief hier gar nicht so, wie es sollte. Mit einem Mal fühlte er sich unbehaglich und fehl am Platz.
„Wir lieben uns!“ antwortete Hilde sofort, in einem herausfordernden Ton, der zu sagen schien: Hast du ein Problem damit? Ja wir sind beide riesengroß und hässlich und er ist der schlimmste Schurken, den es gibt, aber wir lieben uns, also halt die Klappe und verschwinde.
Das zumindest las Daniel in dieses kurze Statement hinein und wie um ihre Aussage zu bekräftigen ging das Mädchen nun zu ihrem Riesen und fasste ihn besitzergreifend an der Hand.
„Dann ist das hier gar keine Entführung?“
Hilde wurde rot und senkte beschämt den Kopf. „Doch schon, aber ich mag es.“
Die Geschichte war schnell erzählt: Der Riese schlug das Mädchen bewusstlos und schleifte sie in seine Höhle. Dort legte er sie auf das Bett und wartete nervös wie ein Schulbub vor dem ersten Rendezvous auf ihr Erwachen. Je länger er dort saß und sie anstarrte, umso mehr schmolz sein Herz und seine Liebe erwachte. Er würde sie unmöglich mit Gewalt nehmen können und sie ohne Widerrede freilassen. Als das Mädchen zu sich gekommen war und die Situation erfasst hatte, weigerte sie sich aber zu gehen. Sie blieb und unterhielt sich mit dem Riesen und je länger sie tratschten bei Kaffee und Kuhpastete, umso mehr festigte sich ihr Entschluss. Hilde hatte sich schon immer einen starken, tapferen Mann gewünscht, der nicht lange fackelte und zauderte, sondern die Dinge anpackte. In ihrer Nachbarbarschaft gab es nur diese weichlichen Mickerlinge, die Angst vor ihr hatten und wegrannten, wenn sie ihnen verführerisch zulächelte. Gorzibald aber hatte sie gesehen, begehrt und genommen und genauso musste, fand Hilde, ein echter Mann auch sein. Das Missverständnis mit dem Hilfeschrei war auch leicht erklärt. Der Riese hatte der Maid einen amüsanten Scherz erzählt, über den Hilde schrill und begeistert gelacht hatte.
Kurz und schmerzlos, die Beiden waren bis über beide Ohren in einander verliebt und vollkommen ohne Zweifel für einander bestimmt. So verstand es Daniel und er verstand auch, dass er plötzlich zum Schurken geworden war.
„Warum, willst du meinen lieben Gorzi denn unbedingt erschlagen?“, fragte Hilde zum wiederholten Mal und Daniel gab die einzige offensichtlichste Antwort
„Weil er ein Schurkenriese ist!“ Langsam begann er diese vertrackte Situation wütend zu werden. Noch nie war es ihm untergekommen, dass eine Maid nicht hatte gerettet werden wollen.
„Aber er gibt es doch auf, er hat es mir versprochen. Er wird Apfelbauer.“
„Es ist mir völlig egal, was er wird“, antwortet Daniel nun schreiend. „Er ist ein Monstrum und ich bin ein Held. Seine Aufgabe ist es, Böses zu tun und meine, ihn dafür zu erschlagen. Wo kommen wir denn da hin, wenn jeder plötzlich macht, was ihm gefällt?“
„Wie viel bekommst du dafür, dass du meinen armen Gorzi abschlachtest?“ schrie Hilde, nicht weniger aufgebracht zurück.
Völlig überrumpelt öffnete Daniel den Mund und schloss ihn wieder. Die Frau hatte ihn vollkommen durchschaut.
„Ich...ähm...“
„ Also spucke es schon aus“, hackte sie gnadenlos nach. „Wie viel?“
„Das halbe Königreich und die Prinzessin, wenn ich das Haupthaar des Riesen bringe.“
„Gorzi ist so viel wert?“ fragte Hilde entsetzt, aber nicht ohne ein stolzes Funkeln in den Augen.
„ Naja,“ erwiderte Daniel, gönnerhaft, „Er ist der stärkste Gegner, den ich je hatte.“
„Und liebst du sie?“
„Wen?“
„Die Prinzessin.“
Wieder verschlug es Daniel die Sprache. Darüber hatte er wirklich noch niemals nachgedacht. Er kannte das Mädchen nur von diversen Bällen und Festen. Sie war wunderschön. Güldenes Haar, perfekte Haut, saphirblaue funkelnde Augen und so. Liebe? Man erschlug Riesen und beglückte Schönheiten. So ging das Geschäft und natürlich liebte man diese Engel. Wer würde solch bezaubernde Geschöpfe denn nicht lieben?
„Klar“, antwortete er trotzig.
„Und sie nimmt dich nur, wenn du einen Riesen erschlägst?“ fragte Hilde, nun in einem seltsam mitleidigen Tonfall.
„Darum geht es doch gar nicht“, antworte Daniel beleidigt „Es ist des Königs Entscheidung und auch das halbe Königreich bekomme ich nur, wenn ich das Haupthaar bringe.“
Hilde seufzte und Daniel meinte Enttäuschung und Verachtung in ihrer Mine ablesen zu können.
„Dann ist das dein Preis, nicht wahr? Gorzis Haupthaar für unsere Freiheit?“
„Was? Nein! Ich muss ihn erschlagen, er ist ein Ungeheuer und gehört getötet“
„Wir gehen fort und kommen nicht wieder, das Königreich wird Gorzibald den Schrecklichen nicht wieder sehen. Du bekommst doch das Haar, dir kann es doch egal sein ob er lebt oder tot ist, solange er fort ist. Bitte, ich flehe dich an, lass ihn leben, lass uns glücklich sein.“
Tränen füllten die großen Augen des riesigen Mädchens und Daniel von Schwinges Herz schmolz dahin. Er vermochte nichts mehr, als kurz zu nicken und zuzuschauen wie Hilde das Schwert aus seiner Hand nahm und zu Gorzibald herüber ging. Eine Weile redete sie auf ihn ein und erst schien es, als weigere er sich.
„Haupthaar ... Würde“, hörte Daniel den Riesen murmeln, aber Hilde lachte nur darüber und gab dem Ungetüm einen Kuss auf die Wange. Schließlich nickte das Monster, schaute kurz zornig zu Daniel, der wie versteinert in der Höhle stand und nickte dann Hilde zu.
Er kniete vor ihr nieder. Sie setzte das Schwert vorsichtig an der Stirn an und zog die scharfe Klinge einmal, ohne auch nur zu zwinkern, schnell über den Schädel des Riesen. Dieser schrie wie am Spieß und rollte sich auf dem Boden, doch Hilde blieb bei ihm und küsste ihn, bis die Küsse den Schmerz und die Wut zu verdrängen schienen. Nach einer Weile stand der Riese auf, nahm seinen Skalp und überreiche ihn dem Ritter. Dieser schaute Gorzibald völlig fassungslos an und fragte schließlich heiser:
„Warum?“
Der Riese antwortete nicht, sondern lächelte nur grimmig, nahm Hilde an der Hand und verließ mit ihr die Höhle. Für Immer. Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute.
Und Daniel von Schwingen? Was ist aus ihm geworden? Er brachte den Skalp dem König, der so glücklich darüber war, dass er ein riesiges Fest veranstalte, den Helden als seinen Schwiegersohn akzeptierte und ihm das ganze Königreich anbot. Daniel aber ging nur zu der Prinzessin, die wirklich so schön war wie keine Zweite im Königreich, lächelte siegesgewiss, streifte sich eine goldene Locke aus dem Gesicht, gab der Prinzessin einen Kuss auf die Stirn, lächelte noch einmal siegesgewiss und verließ das Schloss. Es galt neue Abenteuer zu bestreiten und die wahre Liebe zu finden.
Ende