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Der Regen

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26.04.2011
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Der Regen

„Wenn du leben willst, warte auf den Regen.“
Diese Weisheit vertraute mir einmal jemand an, den ich sehr schätzte, und es klang so klug, dass ich darauf hörte. Ich wartete.
Tage, Wochen, Monate.
Doch der Regen kam nicht.
Ich saß in meinem Sessel hinter dem Fenster und sah nach draußen, ohne mich je vom Fleck zu bewegen. Nicht einmal zum Essen und Trinken stand ich auf; von Zeit zu Zeit kam meine Mutter herein, öffnete mir den Mund und schob mir ein Stück Brot hinein. Sie schimpfte ordentlich, was ich mir da wieder für einen Unsinn in den Kopf gesetzt hatte, aber das konnte mich nicht aufhalten.
Es war wohl ein Jahr vergangen, in dem ich nichts getan hatte, außer zu warten, und langsam wurde es mir langweilig. „Eines Tages muss es doch regnen“, sagte ich zu mir.
Aber ein Tag verging und darauf noch einer, und immer noch kam kein Regen.
Dann, irgenwann, wurde es mir wirklich zu viel. „Jetzt ist es aber genug“, beschloss ich, stand auf und ging nach draußen.
Man muss verstehen, dass ich noch sehr jung war, ein halbes Kind, mehr nicht, und keinerlei Geduld für solche ewigen Wartereien hatte. Auch das Stillsitzen fiel mir noch sehr schwer und der Himmel muss gelacht haben, als ich nun endlich meine Glieder strecken und aus dem Häuschen treten durfte.
Und als ich mein Gesicht in die mir so verhasste Sonne hielt, bemerkte ich, dass es ein schönes Gefühl war, wie sie mit ihren warmen Fühlern meine Haut betastete. Ich stellte fest, dass ich das goldene Licht liebte, in das sie die Welt tauchte, und ich erkannte, dass mir das Blau des wolkenlosen Himmels gefiel.
So ging ich durch die Straßen meines kleinen Städtchens und hörte plötzlich ein Geräusch, das ich noch nie in meinem Leben vernommen hatte.
Ich wollte wissen, was es denn war, das sich so frech erlaubte, meinen Spaziergang zu stören, und ich folgte dem Laut bis zu seiner Quelle.
Als ich endlich anhielt, stand ich vor einem kleinen Jungen, der auf dem Boden im Schmutz saß.
Streng fragte ich ihn, ob er denn wisse, was er da tue.
Das Geräusch versiegte und der Junge strahlte mich an. „Natürlich“, sagte er verwirrt, öffnete den Mund, und wieder ertönte das Geräusch. „Ich sitze hier und lache.“
Das Wort war mir fremd, und ich erkundigte mich, was es bedeutete.
Der Junge lachte wieder. „Du bist komisch“, stellte er fest.
Das wollte ich nun gar nicht verstehen. Eigentlich war doch er der Komische, und das sagte ich ihm auch.
Er schüttelte ernst den Kopf. „Nicht zu wissen, was lachen ist – das ist komisch.“
Wieder fragte ich, was es mit diesem Lachen denn nun auf sich hatte.
Eine Weile dachte der Junge darüber nach, wie er es mir erklären sollte, dann hellte sich sein Gesicht auf. „Lachen“, sagte er wie ein alter Schulmeister, „ist, wenn du so glücklich und fröhlich bist, wie du es nur sein kannst.“
Ich nickte nachdenklich. Das leuchtete mir ein. „Und weshalb bist du das?“
Er zeigte mir den Ort, auf dem wir uns befanden, und dieser Ort war groß und fremd und voller Kinder und Lachen. „Wegen dem Spielplatz“, erklärte er.
Ich sah mich um, und der Platz gefiel mir ganz gut. Eine Weile stand ich bloß so da, dann fiel mir etwas ein: „Ich will auch lachen.“
„Das kann ich verstehen“, sagte der Junge. Und er holte eine Wasserpistole heraus und spritzte mich nass.
Da wurde ich ärgerlich, nahm sie ihm weg und spritze damit auf ihn, bis er quietschte und rückwärts in den Sand taumelte. Ich wusste noch immer nicht, was ich dem Jungen denn getan hatte, aber so schnell schien er sich nicht geschlagen geben zu wollen. Er nahm eine Hand voll Erde und warf sie mir ins Gesicht.
Dann sah er mich so unschuldig an, dass ich plötzlich lachen musste.
Ich schüttelte mich und weinte beinahe, so sehr lachte ich, denn all das Lachen, dass sich in mir versteckt hatte, während ich auf den Regen gewartet hatte, sprudelte jetzt aus mir heraus.
Als ich endlich wieder zu Atem kam und mir den Sand aus den Kleidern klopfte, bemerkte ich, dass mein Haar vor Nässe an meiner Haut klebte.
Und ich streckte die Nase in die Luft und spürte ein Prickeln darauf wie von Gespensterfingern.
Es hatte begonnen zu regnen.

 

Hallo Perpetuum Mobile!

Ich finde deinen Schreibstil wirklich gut. Fehler konnte ich keine entdecken. Nur leider blicke ich den Sinn des Textes nicht, nicht auf dieser philosophischen Ebene. Willst du vielleicht sagen, dass wir manchmal einfach nach den falschen Maximen leben? Aber warum tritt dann der Regen ein? Ich verbinde Regen mit etwas Negativem. Darauf sollte man eben nicht warten. Also war es die Maxime eines Pesismisten, nach dem dein Prot. gelebt hat? Oh Mann, ich bin zu blöd dafür. Vielleicht willst dus ja mal erklären.
Aber wie gesagt, dein Schreibstil ist ein Trost für die Ausbleibende Erkenntnis.
Grüße: Ratloser Timo

 

Hallo und herzlich willkommen hierorts,

Perpetuum Mobile.

Ein altes Sprichwort behauptet „Regen bringt Segen“ und Dein kurzer Text beginnt mit der Weisheit

„Wenn du leben willst, warte auf den Regen“,
die sicherlich nicht falsch ist, wird Regen doch als flüssiger Niederschlag definiert und Wasser ist nun mal geradezu buchstäblich EIN Quell des Lebens, wenn auch manche unliebe Mal Bedrohung.
Diese Weisheit vertraute mir einmal jemand an, den ich sehr schätzte, und es klang so klug, dass ich darauf hörte. Ich wartete –
womit die Geschichte dramaturgisch klug den Leser auf eine falsche Fährte setzt, denn ihr Geheimnis soll hier erst mal nicht breitgetreten werden, sollen doch auch andere die Geschichte lesen, was ein Referat sicherlich verhindern kann.

Das wird oft breit und aufwendig erzählt, wie man’s im Freundeskreis halt erzählt, wo’s jedoch flüchtig ist – kaum gesprochen ist’s schon verklungen -, während hier die Geschichte vor uns ausgebreitet, geradezu erlegt und auseinandergenommen werden kann.
Machen wir das am folgenden Abschnitt fest:

Ich saß in meinem Sessel hinter dem Fenster und sah nach draußen, ohne mich je vom Fleck zu bewegen. Nicht einmal zum Essen und Trinken stand ich auf; ..
Hat der Besitz des Sessels eine Wirkung auf die Geschichte? Wie bedeutsam ist das Fenster, wenn einer sagt, dass er „nach draußen sah“? Und dass er nicht einmal aufstand, wo er sich doch nicht vom Fleck bewegte ...

So oder ähnlich kann man auch an weiteren Stellen der Geschichte fragen. Ich trau Dir zu, die Probleme selbst anzupacken und – andererseits – ich bin zwar nicht 24 Stunden erreichbar (leg auch keinen Wert darauf), aber ich lauf bestimmt nicht weg.

Übrigens vermein ich einen sanften kafkaesken Humor entdeckt zu haben, der sich dem Vorbild nähern kann, soweit der Text sich straffen lässt.

Gruß

Friedel

 

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