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Der rastlose Zug
Mir ist eisig kalt und ich zittere, während ich auf diesem menschenleeren Bahnhof stehe und eine scheinbar grenzenlose Regenfront auf mich hereinbricht. Es ist still. Ich höre keinen einzigen Vogel, keine Menschenseele, nur den Regen, der mich wegzuspülen droht.
Die Anzeigetafeln sind verstummt, ob hier jemals wieder ein Zug einfährt? Auf diesem kargen und trostlosen Bahnhof stehen nur vier Laternen - und ich. Es donnert und ich sehe Blitze am Nachthimmel. Ich bekomme ein mulmiges Gefühl, so ganz alleine auf diesem Bahnsteig.
Plötzlich gehen mit einem Schlag alle Laternen auf dem Bahnsteig aus und ich merke Panik in mir aufsteigen. Ich gucke mich hektisch um, doch sehe nichts außer den zuckenden Blitzen am Himmel. Plötzlich höre ich ein Donnern, ein Gräulen, dass immer näher kommt und sehe ein komplett schwarze Dampflokomotive. Ich höre das laute Geräusch des Horns, sehe die schwachen Konturen des Zuges der nun in den Bahnhof einfährt. Verwirrt starre ich den Zug an, welcher nun langsam in den Bahnhof rollt. Es ist eine alte Eisenbahn mit zwölf Wagen, keiner ist erleuchtet und erkennen kann ich auch niemanden. Die Bremsen quietschen und der Zug kommt vor mir zum Stehen, dann geschieht nichts. Wieder höre ich nur den Regen und starre noch immer diesen merkwürdigen Zug an. Unschlüssig, wie ich mich verhalten soll, stehe ich weiter auf diesem Bahnsteig, während der Himmel noch immer von Blitzen geziert wird und der Regen auf den Steinboden trifft.
Doch dann gebe ich mir einen Ruck und befriedige mein Verlangen, mir den Zug näher anzugucken. Ich trete näher an den Zug heran und gehe zu einem der vorderen Wagen und stelle meinen Fuß auf die unterste Türsprosse, umfasse mit meiner rechten Hand das Geländer – und ziehe mich hoch! Ich löse meine Hand von dem dünnen Metallgeländer und öffne die hölzerne Tür. Eine wohlige Wärme strömt mir entgegen, als ich eintrete und für einen kurzen Moment schließe ich die Augen und genieße diesen Moment – kein Regen mehr, keine Kälte, sondern angenehme Wärme. Schnell schließe ich die Tür, als ich einen ganz speziellen Duft wahrnehme – den Duft von blühenden Rosen. Ich taste mich die Sitzreihen entlang, dem Geruch folgend, und sehe einen schwachen Lichtschimmer. Als ich an einem schwach beleuchteten Holztisch angekommen bin, fällt mein Blick auf einen dampfenden Teller Spaghetti Bolognese, daneben sehe ich die Rosen. Verwundert setze ich mich auf die gepolsterte Holzbank und rieche an den roten Rosen, die in einer kleinen Vase auf dem gedecktem Tisch stehen. Ich ziehe den Duft ein, genieße ihn, als mich ein plötzlicher Ruck zurück holt. Der Zug ist losgefahren. Panisch springe ich auf und gucke aus dem Fenster und sehe gerade noch das Bahnsteigende an mir vorbeirauschen.
Der Zug beschleunigt wie mein Puls immer mehr und ich renne panisch zur Wagentür und öffne mir. Ein eisig kalter Windstoß erreicht mich und der Regen trifft mich ins Gesicht. Ich sehe, wie wir an Bäumen vorbeisausen und sehe schnell ein, dass ein Abspringen unmöglich ist. Niedergeschlagen schließe ich die Tür wieder und trotte verzweifelt zurück zu dem Tisch und lasse mich auf die Bank nieder.
«Scheiße», denke ich entmutigt, stütze mich mit meinen Ellenbogen auf den Tisch und lasse den Kopf hängen. Nun merke ich, wie mein Magen knurrt, habe ich doch seit Stunden nichts mehr gegessen. «Wo ich nun schon einmal hier bin,» denke ich, «kann ich auch etwas essen.»
Hastig mache ich mich über den Teller Spaghetti Bolognese her, und als mein Teller leer ist, geht plötzlich die Tür am anderen Ende des Waggons auf und eine merkwürdige Gestalt bugsiert einen großen, scheinbar schweren Topf durch die Tür und versucht anschließend, die Tür mit einem Fuß wieder zu schließen. Die Gestalt ist groß, trägt ein blaues Jackett und eine passende Hose.
Ich schätze den nun lächelnden Mann auf Anfang 40, doch irgendwie hat der Mann etwas Merkwürdiges an sich, etwas Eigenartiges, dass ich nicht zu beschreiben vermag. Erstaunt setze ich mich gerade auf und will gerade meinen Mund öffnen, als der Mann schon bei mir ist, sich verbeugt und in einer vornehmen Weise sagt:
«Ich hoffe Ihnen hat das Essen gemundet, ich heiße Sie herzlich willkommen in diesem Zug und hoffe, Sie haben eine angenehme Reise.»
Er bemerkt mein verdutztes Gesicht und fährt fort: «Wir haben Sie bereits erwartet, ich kann mir vorstellen, dass Sie sicherlich überrascht sind, doch bald werden Sie alles verstehen. Wünschen Sie noch eine Portion, mein Herr?», sagte er während er auf meinen Teller zeigte.
«Ähm, ja ggernne», stottere ich und reiche ihm meinen Teller. «Wie heißen Sie?», frage ich nun schon ein bisschen gefasster.
«Oh, ich bitte vielmals um Verzeihung, wie unhöflich von mir, dass ich mich nicht vorgestellt habe. Ich bin hier der Servierer, Arthur Goodwins mein Name. Sie dürfen mich gerne duzen.»
Tausende Gedanken schwirren in meinem Kopf herum: Was mache ich hier? Wie komme ich nach Hause? Was ist das nur für ein seltsamer Zug?
Als könne Arthur Gedanken lesen, antwortet er: «Machen Sie sich keine Sorgen, das hier ist der rastlose Zug – zwar stimmt es nicht, dass wir keine Rast machen, doch sind wir niemals am Ziel. Wie der alte Konfuzius schon sagte: „Der Weg ist das Ziel.“» Ohne ein weiteres Wort zu sagen, zündete Arthur einige Kerzen im Waggon an und verschwand.
Grüße anghenfil