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Der Radfahrer

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14.02.2012
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Der Radfahrer

Der Radfahrer

Er kam aus einem Landstrich, dessen Berge so zahlreich waren wie die Pickel der Akne auf seinem Rücken, als er von dort fort ging. Was ist das nur für ein Flachland! Dort kannst du ja schon montags den Besuch sehen, der sonntags ankommen wird. Das war die einhellige Meinung seiner Heimat über die Gegend, in der er seinen Beruf lernen sollte. Man kannte das Fremde nicht und misstraute allem Unbekannten. Sie ließen ihn nur gehen, weil im Bergland keine Aussicht bestand, dass eine heimische Firma groß genug für seinen vielversprechenden Intellekt sein könnte.

Als seine neue Wohnung in der großen Stadt eingerichtet war, weinten sie noch ein wenig, dann fuhren sie und ließen ihn allein. Er kannte niemanden dort und niemand kannte ihn.

Der Eingang zu einer Häuserschlucht barg seine Unterkunft. Der Blick aus dem Fenster im ersten Stock fiel auf ein brach liegendes Grundstück, dahinter der Anfang eines Industriegebietes, davor Müllcontainer: grüner Punkt, Papier und Glas in weiß und bunt. Der Fuß des Baumes daneben war eingezwängt in eine Manschette aus Beton. Wie würde es ihm in dieser Enge ergehen, wenn er weiter wächst, seine Wurzeln tiefer führen will und sein Stamm Ring für Ring dicker werden muss? Die Kinder, die in der Straße aufwuchsen, interessierten sich nicht für diesen Kampf des Baumes. Er war zu schnell zu hoch gewachsen, deswegen hatte er keine Zeit gehabt, sich früh zu verzweigen und so kam er nicht als Kletterbaum für sie in Frage. Wenn sie dieses Wort überhaupt kannten. Das Wort Klettercontainer gab es jedenfalls nicht und doch stiegen sie auf den Müllbehältern herum. Ein besonders kecker Junge bewies den anderen seinen Mut und seine Geschicklichkeit, indem er in der Papierhöhle verschwand. Dunkel musste es dort drinnen sein, nur ein Strahl des Lichts mochte wohl hereinfallen, wenn die Klappe es vorbeiließ.

Lichtstrahlen fallen auch durch dichtes Werk der Zweige hoher Wälder in den Bergen, wo er als Kind mit Freunden Höhlen baute, sie betrat, die Augen schloss und träumte von der Ferne und dem Wind, der sanft die Felder streift, den Duft des Korns aufnehmend, diesen mitbringt, ihn hineinträgt in den Wald, die Höhle, seine Nase. Er atmet ein. Er atmet den Wind ein, der kühl in seinen Kopf hinaufzieht und ihm sagt, dass er zu Hause ist. Alles liegt in diesem Wind. Der Sommer mit Mutters Pflaumenkuchen und Vaters rauchendem Grill, die Gitarrenklänge des Nachbarn zum Lachen seines Bruders und seiner Freunde. Gleichzeitig liegt in diesem Wind der Duft des Winters, der Schnee ankündigt, der herumgewirbelt werden will, wenn er schweigend niedersinkt und die Ohren wie mit Watte betäubt. Stehen bleiben, flüstert er, staunen!

Er nimmt sein Fahrrad aus dem Kellerverschlag, schleppt es die Treppen hoch an der vor Werbung überquellenden Briefkastenwand vorbei, zwängt es durch die Tür und radelt los. Doch alles bremst. Es stehen Autos im Weg, wo nur Räder fahren sollten. Ein Hund an langer Leine steht weit weg von seinem Frauchen und pinkelt an die Hausecke. Eine Menschenmasse quält sich die Treppe der U-Bahn herauf. Ein Mann sieht desorientiert aus, muss erst nach dem Weg sehen, geht derweil unbeirrt in die eine Richtung, besinnt sich und dreht dann um. Ein Gullydeckel steht offen, daneben hält das Fahrzeug der Kanalreiniger, das die anderen Autos hinter sich staut, sie müssen sich plötzlich mit einer Spur begnügen. Heißer Gestank bildet eine Wolke zum Übelwerden. Doch die nächste Ampel zeigt rot und der Weg heraus aus dem Beton ist noch weit.

Er radelt den großen Fluss entlang, doch sein Fahrrad passt nicht mehr. Es ist gewöhnt an das steile Rauf und Runter, den Wechsel zwischen kräftigem Tritt in kleinen Gängen und dem Ausruhen bergab. Es ist nicht mehr der Weg selbst, der anstrengend ist, sondern der Wind, der ihm stetig ins Gesicht bläst, als ob er ihn zurück treiben wollte. Ihm wird klar, dass er sich ein neues Fahrrad kaufen wird. Er wird lernen, seine Fahrweise zu ändern. Vieles ist nun möglich, er kann weit sehen, sich selbst für einen Weg entscheiden. Und irgendwann wird er mit einer Fähre sogar den Strom überqueren. Doch noch will er an diesem Ufer weiter. Sehen, ob die neue Anonymität wirklich Einsamkeit bedeutet. Leben.

Nein, er ist nicht allein. Der Wind, der ihn an seine Wurzeln erinnert, ist in ihm. Heimatwind.

 

Hallo Fitsch

Mit deiner ersten Geschichte schafftest du es, mir beim Lesen eine Konfusion zu erzeugen. Schon im ersten Abschnitt musste ich mich hinterfragen, wie man es fertigbringt am Montag zu wissen, wer bei wem am Sonntag zu Besuch kommt. Aber gut, wir sind bei philosophischer Literatur, Verschlüsseltes hat hier seine Berechtigung.

Man kannte das Fremde nicht, misstraute ihm deswegen und ließ ihn nur gehen, weil im Hügelland keine Aussicht bestand, dass eine heimische Firma groß genug für seinen vielversprechenden Intellekt sein könnte.

Ob dieser fantasierten Omnipotenz kam ich dann doch ins Schlingern, da der Satz Widersprüchliches abbildet. Wieso ihm misstrauen, wenn man das Fremde nicht kennt? Was steht einem jungen vielversprechendem Intellekt entgegen, in einer kleineren Firma sein Potential zu entfalten?

Lichtstrahlen fallen auch durch dichtes Werk der Zweige hoher Wälder in den Bergen, wo er als Kind mit Freunden Höhlen baute, sie betrat, die Augen schloss und träumte von der Ferne und dem Wind, der sanft die Felder streift, den Duft des Korns aufnehmend, diesen mitbringt, ihn hineinträgt in den Wald, die Höhle, seine Nase.

Auch in diesem Bandwurmsatz, der mir beim Lesen den Atem nahm, ein Widerspruch. Der Prot. war doch in einer Landschaft mit unzähligen Hügeln aufgewachsen, wie ich zu Beginn erfuhr. Nun, Hügel sind keine Berge.

Gegen das Ende hin, nimmt die Geschichte die Konturen des Titels an, ein Radfahrer, der sich durch die Irrungen und Wirrungen des städtischen Verkehrs müht, aber erst an einem Flusslauf erkennen muss, dass sein Gefährt hier deplatziert ist, für dieses Gelände.

Nun, mit einigem Mühen, kann ich schwach einen Gehalt daraus ziehen, doch kittet es sich mir nur bruchstückhaft zu einer linearen Handlung. Warum es ausgerechnet hier bei Philosophisches brachliegt, rätsle ich auch noch herum.

Ich habe deine Intention zu dieser puzzleartigen Geschichte verschiedener Bilder nicht durchschaut. Ich denke es sollte mehr werden als letztlich das Wehklagen eines Radfahrers und seiner Erkenntnis, er brauche ein neues Rad. Doch welche, das hat sich mir nicht erschlossen.

Schöne Grüsse

Anakreon

 
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Hallo Anakreon,

herzlichen Dank für Deine ausführliche und klare Kritik! Ich habe den ersten Abschnitt etwas überarbeitet. In der Tat war der Bezug "ihm zu misstrauen" in dem von Dir zuerst zitierten Satz schlichtweg falsch und die Verwirrung, die ich mit "Bergen" und "Hügeln" angerichtet hatte, für die Geschichte überflüssig.

Ein schöneres Lob, nämlich dass der von Dir als zweites zitierte "Bandwurmsatz" Dir "beim Lesen den Atem nahm", kannst Du dem Text kaum aussprechen. Die jambische Konstruktion soll den Satz an einen Windzug anlehnen und gleichzeitig hervorheben, aber dass das tatsächlich auch so funktioniert, hatte ich kaum zu hoffen gewagt.

Dass ich den Text unter "Philsosophisches" eingestellt habe, hängt zum einen mit dem Ansatz des Textes zusammen, dass der Protagonist eine Entwicklung durchmacht und zum anderen mit der "puzzleartigen" Verwendung der Bilder.

Ich bin sehr gespannt, ob der Text mir noch weitere Reaktionen einbringt!

Viele Grüße

Fitsch

 

nicht so ganz verstanden

Hallo, ich finde den text sehr gut. Er löst beim lesen die verwirrung aus, der sich auch der radfahrer gegenüber sieht. Was mir nicht so ganz einleuchtet ist:

"Vieles ist nun möglich, er kann weit sehen, sich selbst für einen Weg entscheiden. Und irgendwann führt selbst über den Strom eine Brücke. Doch noch will er an diesem Ufer weiter. Sehen, ob die neue Anonymität wirklich Einsamkeit bedeutet. Leben."

Vieles ist nun möglich, er kann weit sehen, sich selbst für einen Weg entscheiden. - Die einsicht in der stadt neue erfahrungen zu sammeln?

Und irgendwann führt selbst über den Strom eine Brücke. - Wieder zurück zu seiner Heimat?

Doch noch will er an diesem Ufer weiter. - Wieder erstmal in der Stadt bleiben?

Sehen, ob die neue Anonymität wirklich Einsamkeit bedeutet. Leben. - Was hat die ananymität plötzlich mit dem ganzen zu schaffen... Ist es die befürchtung keinen anschluss zu finden und sich vom heimatwind wieder zurücktreiben zu lassen?

Das ist mir jetzt nicht so ganz klar geworden. Dieses sprunghaft, zerrissene Hin und Her des radlers...

Freue mich auf antwort!

lg monduras

 

Hallo Monduras,

auch Dir herzlichen Dank für Deine Kritik und natürlich auch für Dein Lob, daß Du den Text sehr gut findest, obwohl er Dich verwirrt und Dir nicht verständlich ist. Mich interessiert sehr, wieso Du den Text lobst - dieser (scheinbare?) Widerspruch macht das Lob jedenfalls umso größer.

Daß Du diese Fragen stellst, empfinde ich allerdings schon wieder als ein Lob an den Text (der sie natürlich ohne meine Hilfe beantworten muß, deshalb verzeih' mir, daß nicht ich sie Dir beantworte, sondern den Text überarbeite und zwar wie folgt):

Vieles ist nun möglich, er kann weit sehen, sich selbst für einen Weg entscheiden. - Die einsicht in der stadt neue erfahrungen zu sammeln?
Ich finde, Deine Antwort legt der Text nahe - aber ob es die einzige ist...!?
Und irgendwann führt selbst über den Strom eine Brücke. - Wieder zurück zu seiner Heimat? Doch noch will er an diesem Ufer weiter. - Wieder erstmal in der Stadt bleiben?
Hier habe ich beim Schreiben auch gegrübelt, habe mich aber wohl dann doch zu weit von dem beabsichtigten Bild(-zitat) entfernt. Gestattest Du mir eine Änderung an der Stelle? Danke! Besser so?
Sehen, ob die neue Anonymität wirklich Einsamkeit bedeutet. Leben. - Was hat die Anonymität plötzlich mit dem ganzen zu schaffen... Ist es die befürchtung keinen anschluss zu finden und sich vom heimatwind wieder zurücktreiben zu lassen?
Dieses "Sehen" kommt schon mal vor - wörtlich gemeint und bezogen auf die gegensätzlichen Landschaften. Hier nun interpretierst Du dieses "Sehen" in einem übertragenen Sinnzusammenhang. Auch das zeigt mir, daß Du Dein Licht etwas unter den Scheffel stellst, wenn Du meinst, ihn nicht zu verstehen. Das Nachfolgende mit den "Wurzeln" und so kam auch schonmal vor - da war dann auch die beschreibende Rede von Verzweigen und Kindern und so...

Die erste Erwähnung der Anonymität habe ich jedenfalls nun etwas mehr betont - ich hoffe, daß diese Vorausdeutung nun einen Zusammenhang zu diesem vorletzten Absatz herstellt und vielleicht einen Entschlüsselungshinweis mehr bringt.

Woran ich allerdings noch grübele ist, wie ich die letzten drei Sätze des Textes noch positiver und entschlossener hinbekomme, ohne die Komprimierung herauszunehmen, denn den Schluß, daß der Radfahrer wieder zurückgehen würde, soll man nicht ziehen können... Sobald mir was einfällt, melde ich mich.

Herzlichen Dank!

Fitsch

 

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