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Der Rösslebrand
Neukirch im Schwarzwald, Winteranfang 1981
Ängstlich umklammerte ich meinen Vater. Meterhoch loderten die Flammen. Die rot-orangenen Feuerzungen erhellten die dunkle Winternacht.Feuerwehrleute, Polizei und Dorfbewohner rannten wild durcheinander. Die durchdringende Kälte war der Gluthitze des brennenden Wirtshauses gewichen. Das jahrhunderte alte Holzgebäude knarrte bedrohlich. Aus den zersprungenen Fenstern drang das Geräusch der gemarterten Stützbalken. Es klang wie ein Stöhnen. Ich zuckte zusammen und mein Vater legte beruhigend seinen Arm um mich. Kleine Schneeflocken schwebten auf uns nieder und verwandelten sich auf unserer dicken Winterkleidung in Wassertropfen. Durch den schwarzen Rauch konnte ich meinen besten Freund Axel erkennen. Seine Eltern hatten ihn schützen in die Mitte genommen. Beschwörend sah er mich an. Heimlich legte er seinen Zeigefinger auf die Lippen. In diesem Moment brach der gewaltige Dachfirst durch das Gebäude und riss die darunter liegenden Stockwerke mit in die Tiefe.
8 Jahre später
Meine Zimmertür wurde aufgerissen und mein Kumpel Axel stürmte herein. Außer Atem presste er heraus:”Arno, hast du schon gehört? Auf dem alten Rössleplatz soll ein neues Hotel gebaut werden!” Gelangweilt blickte ich von den Hausaufgaben auf.”Das ist toll, da kannst du in Zukunft noch mehr essen. Reicht dir der Kebap-Laden und das Eiscafe nicht mehr?” “Haha, bist du witzig”, meinte er und strich seinen Pullover glatt. “Du blickst wieder gar nichts. Die Bauarbeiter könnten unser Geheimnis entdecken. Der alte Gewölbekeller wird bestimmt abgerissen.” Endlich kapierte ich:”Scheiße, was machen wir nun?” Axel fuhr sich nervös durch die blonden Locken. “Wir müssen heute nacht in den Keller einsteigen.” Stotternd antwortete ich:”Spinnst du? Der Keller könnte jederzeit zusammenbrechen. Darum ist der ganze Platz abgesperrt.” Seine hellblauen Augen blitzten auf und sein mit Sommersprossen übersätes Gesicht nahm diesen überheblichen Ausdruck an, der mir sagen sollte:”Hallo, ich bin der Ältere. Du kommst gefälligst mit.”Ich versuchte es ein letztes Mal:”Ich habe keine Lust als 15-Jähriger lebendig begraben zu werden.”Sein Blick verfinsterte sich:”Du hast aber auch keine Lust Riesenärger zu bekommen.”
Es war weit nach Mitternacht, als wir uns vor dem ehemaligen Rössleplatz trafen. In dieser kühlen Herbstnacht hatten alle Anwohner die Fenster geschlossen. Der Vollmond und tausende Sterne beleuchteten die kleine Ortschaft. Wir waren mit schwarzen Joggingsanzügen gekleidet, mit Taschenlampen und Spaten ausgerüstet. Vorsichtig blickten wir uns um. Alles wirkte ruhig und friedlich. Langsam kletterten wir über den Zaun. Der Brand hatte nur ein spärlich bewachsenes Geröllfeld übrig gelassen. Wir konnten uns noch gut an die Treppe erinnern, die in die Tiefe führte. Am hinteren Rand des abgesperrten Feldes begannen wir zu graben. Wir erschraken fürchterlich als ein Eule über unsere Köpfe wegflog. Ihr Heulen klang unheilvoll. Wir beeilten uns und stießen schon nach kurzer Zeit auf die Abdeckplatte, die zur Sicherheit über die Treppe gelegt worden war. Axel zog sie weg und ich konnte die Stufen erkennen. Schnell stolperten wir hinunter.Fasziniert starrten wir auf das gigantische Gewölbe. Die uralten Mauern hatten dem Einsturz Stand gehalten. Der Raum war komplett leer geräumt worden. Die Holzfässer und Kisten waren ebenso verschwunden, wie die Weinregale an den Wänden.Auf dem Betonboden hatte sich eine dicke Staubschicht angesammelt. Aus den Mauerzwischenräumen rieselte Erde auf den Boden. Als das Wirthaus Ende der 70er Jahre von allen Bewohnern verlassen wurde, nahmen wir es als unser Geheimversteck in Beschlag. Durch zerbrochene Fenster waren wir eingestiegen, hatten im ganzen Gebäude Verstecken gespielt und uns im Keller Gespenstergeschichten erzählt. Diese unheimliche Gänsehautstimmung überkam uns wieder. Da hörten wir plötzlich auf der Treppe eine Stimme. Sofort löschten wir unser Licht, doch es war zu spät. Ausgerechnet Axels Opa hatte uns entdeckt. Er besass einen Schlüssel für den Absperrzaun. Ungläubig starrte er uns im Schein seiner Taschenlampe an. “Da muss man auf die Toilette, sieht durch das Schlafzimmerfenster und erblickt Einbrecher, die gerade in das Kellergewölbe einsteigen.” Humpelnd ging er auf uns zu, schnappte uns am Kragen und zog uns hintersich her. In seiner kuschlig warmen Küche angekommen blickte er uns böse an und schimpfte los:”Erklärt mir sofort, was das soll?” Axel sah mich an und nickte. Die ganze Wahrheit musste ans Licht.
Axel versuchte zu erklären:”In der Nacht vor dem Brand waren wir im Rössle. Wir haben in der ehemaligen Küche Kerzen angezündet und Spukgeschichten erfunden. Wir müssen vergessen haben, die Kerzen zu löschen. Das Rössle ist durch uns abgebrannt. Im Kellergemäuer hatten wir hinter einem Stein ein Geheimversteck. In dieser Schatulle liegen bis heute Spielzeug, Bilder, Briefe, Glitzersteine, Kerzen und Streichhölzer. Wir hatten Angst, dass alles entdeckt wird. Die Kerzen hätten uns verraten. “ Sein Opa hatte ihn kein einziges Mal unterbrochen, doch jetzt verzog sich sein faltiges Gesicht zu einem Grinsen. Verblüfft schauten wir ihn an. Laut und kehlig lachte er los:” Da habt ihr die ganzen Jahre Angst gehabt, ihr hättet das Rössle abgebrannt? Das ist der Hammer!” Vor Freude schlug er sich auf die Schenkel. “Die Polizei hat damals schon festgestellt, dass ein Blitzeinschlag Schuld war. Aber ihr hattet so viel Schiss, dass ihr den wahren Grund gar nie mitbekommen habt. Eure Kerzen waren schon lange aus, als der Brand begann.” Mein Herz schlug bis zum Hals, Freudentränen stiegen mir in die Augen und das Kniezittern lies langsam nach. “Wir waren es nicht!” schrie ich Axel an. “Gott Sei Dank.” Wir flogen uns um den Hals. Opa grinste vor sich hin. Es sollte noch eine lange Nacht werden.