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Der Punk
Der Punk ging ins Theater. Ja er zeigte kulturelles Interesse. Er schrubbte sich den Hals, legte einen Anzug und einen Mittelscheitel an und fuhr mit der Bahn ins Theater. Er bezahlte knurrend an der Kasse und setzte sich schon nach dem ersten Gong auf seinen Platz. 2. Rang 3. Reihe links. Er sah, wie die teuren Ränge sich füllten und betrachtet argwöhnig die feinen Damen, die ein Vermögen an Schmuck mit sich herumtrugen.
Das Stück begann. Der Punk saß still in seinem Sessel und verfolgte mit Interesse die Handlung. Er lachte, wenn es lustig wurde und war ergriffen, wenn auf der Bühne ein Leben ausgehaucht wurde. Einige Male pfiff er anerkennend durch die Zähne, während andere den Darstellern Szenenapplaus zukommen ließen. Mit einem Wort, er verhielt sich zurückhaltend und nahm die Kultur in sich auf, bis... ja bis in dem Stück ein Punk vorkam.
Wahrlich ein mieser Punk stand da auf der Bühne. Er kotzte und spuckte herum, er rülpste und faßte den Damen an die Brust, ohne vorher um Erlaubnis zu fragen. Und hier hielt es unser Punk nicht mehr aus.
„Leute“, schrie er herunter, vom 2. Rang 3. Reihe links, „das ist doch alles großer Mist.“
Und die Leute, die piekfeinen, drehten sich um und blickten nach oben. Sie runzelten die Stirn und tuschelten dezent mit dem Nachbarn. Vielleicht gehörte das zum Stück?
„Was machen Sie da?“, raunte ein Mann und zupfte den Punk am Ärmel. „Sie stören das Spektakel.“
„Es ist Scheiße“, gestikulierte der Punk. „Die Punks sind nicht alle so, wie der da!“
Und er deutete auf den Künstler auf der Bühne, der begann sich unwohl zu fühlen.
„Es gibt auch Punks die anders sind. Das ist alles Lüge, was hier geschieht.“
„Bleiben Sie ruhig“, sagte der Mann, auf Distanz achtend, um nicht mit dem Punk in Verbindung gebracht zu werden. „Dies ist Theater. Der Punk da unten ist ein Klischee. Für alle, die nicht wissen, wie ein Punk ist, muß er glaubhaft dargestellt werden.“
„Aber das ist nicht glaubhaft“, rief der Punk. „Es ist falsch. Ich will nicht, daß so etwas gezeigt wird. Es verdreht die Wirklichkeit auf das Fürchterlichste.“
„Setzen sie sich hin und stören sie die Vorstellung nicht!“
„Einen Scheiß werde ich!“, ereiferte sich der Punk und spuckte wütend ins Parkett. „Wir Punks lassen uns doch nicht in eine Schublade schmeißen. Wir sind Individuen. Freie Individuen.“
Von links und rechts näherten sich zwei Ordner, die das ändern wollten. Der Punk sah es und warf dem einen sein Jackett an den Kopf, während der andere einen Fußtritt an eine empfindliche Stelle empfing.
„Freiheit für die Punks!“, skandierte der Punk. „Nieder mit allen Klischees.“
Die Ordner warfen sich beherzt auf ihn und drehten ihm die Arme auf den Rücken.
„Ahh!“, schrie der Punk ein letztes Mal. „Das Theater ist voller Lügen. In Zukunft werde ich nicht mehr kommen.“
Die Leute, die ihm finster nachsahen, hofften dies auch. Sie runzelten die Stirn, fächelten sich mit den Programmheften Luft zu und flüsterten: “Die Punks sind doch alle gleich.“