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Der Prolog
Der Prolog (2. Fassung)
In das neu errichtete Miethaus, gelegen an der Hauptstraße zur größeren Stadt, zog nach einigen Wochen der neue Mieter ein. Seinen Namen verriet er zunächst nur dem Hausmeister. Damit wollte er bei möglichen Verhandlungen in einer besseren Lage sein.
Überdies bekam man ihn nicht allzu oft zu sehen. Nur ab und an begegneten andere Mieter oder der Hausmeister selbst dem Fremden. Es ließ sich eben nicht vermeiden, dass man sich zwanghaft begegnen würde, wenn man das ein oder andere Mal doch den Flur begehen mußte. Auch Fremde brauchten Nahrung, war sicherlich die allgemeine Ansicht. So wunderte es also keinen, wenn der Fremde ein paar lange Tage nicht zu blicken war, dann aber in angenehmer Höflichkeit die wenigen Stufen hinauf kletterte, um das Haus verlassen zu können. Er wohnte also im untersten Geschoß des Hauses und war vollends zufrieden, vermutete man. Denn wenn man ihn traf, dann war er stets sehr zuvorkommend und sehr angenehm in seinem ganzen Wesen, beurteilten sicher einige. Er schien das übliche Gespräch auf den Treppen, am Geländer, fliegend zwischen Tür und Flur, zu beherrschen. So war man zufrieden mit ihm.
An manchen Tagen sah man ihn also kommen oder gehen, einen Beruf hatte er wohl. Sprach man in einer der kurzen Unterhaltungen über den jeweiligen Beruf des anderen, so war er immer sehr bescheiden und machte höchstens wenige Andeutungen, die den Nachbarn ausreichten. So war er für keinen zweifelhaft.
Man sprach über ihn. Immer waren es bestimmt gute Worte. Nur waren es eben die Worte anderer Bewohner des Hauses. Solche Worte konnten wohl leicht zu verwirrenden Vermutungen führen. Sie bezogen sich darauf, dass bisher niemand sein kleines Zimmer, das er bewohnte, gesehen hatte. Natürlich war sicher der Hausmeister ein wichtiger Wissensquell, wenn es um das Zimmer des fremden Mieters ging. Doch auch er war bisher nicht in den Raum vorgedrungen. Alle anfallenden Arbeiten und Reparaturen in seinem Zimmer hatte der Fremde bisher selbst erledigt –anders konnte es nicht sein. So baten die Mieter den Hausmeister, dem Fremden einen Besuch abzustatten, von einer Ankündigung aber sollte aus bestimmten Gründen abgesehen werden. So wurde es vermutlich geplant, denn an einem Vormittag klopfte es an der Tür, die der Fremde nach kurzer Zeit schon öffnete:
Ob denn alles seine Richtigkeit habe, fragte der Hausmeister forschend. Lächelnd nickte der Fremde. Alles sei bestens, und er sei zufrieden mit der Umgebung, teilte er mit.
Beide gingen in das kleine Zimmerchen, das der Fremde scheinbar mit großer Zufriedenheit bewohnte.
In der Mitte des Raumes stapelten sich turmhoch Bücher. Der Hausmeister verstand sich wohl nicht besonders in diesen Bereichen, weswegen er keinen Blick auf die Titel warf. An der hinteren Wand stand eine große Truhe. Sie war geöffnet, darin lagen Hosen und Anzüge. Ein kleiner Herd an einer anderen Wand, daneben ein Spülbecken, daneben wenige Schränke. Vergebens versuchte der Hausmeister eine elektrische Lampe zu erkennen. Er fand auch kein Bett und keine persönlicheren Sachen als den Bücherturm, auf den er dann doch seinen nachforschenden Blick legte. Auf und ab starrte er, aber konnte scheinbar keine nützlichen Informationen auf diesem Wege einholen.
Der Fremde betrachtete den Vorgang lächelnd: Ob er ihm denn behilflich sein könne, fragte er freundlich. Dabei spitzte sich sein Mund sehr auffällig zu. Der Hausmeister, so kann man vermuten, fasste das Ganze wohl eher herausfordernd auf. Er fragte den Fremden, ob er ihn der Lächerlichkeit preisgeben wolle. Nein, das wolle er nicht, sagte dieser sofort. Er sei eben ein sehr bescheidener Mann, der seinen Beruf gern in der eigenen Wohnung ausübe, weniger im Bureau der Stadt. Der Hausmeister fragte dann unverhohlen, was denn sein Beruf sei. Der Fremde lächelte höflich, griff nach einem Buch und zeigte auf den Titel. Dies wiederholte er. Offenbar ging es hier um Reiseberichte, die er zu korrigieren und zu organisieren hatte. Es waren nur teilweise fertige Bücher, sie standen noch vor ihrem Druck, es waren Manuskripte. Der Fremde war also Lektor von Beruf.
Der Hausmeister war erleichtert, seine Aufgabe schien ihm sicherlich mehr als erfüllt, zudem der Lektor ihm noch günstig einen Reiseführer durch das südliche Gebirge überreichte. Der Besuch endete mit dem Dank des Hausmeisters, der in Erleichterung und Stolz den Nachbarn seine Ergebnisse schilderte. Von da an begann ein sehr gutes, vollkommen klares Verhältnis zur Nachbarschaft.
So war es aber vielleicht nicht geschehen:
In ein altes Miethaus, an einer alten Straße inmitten der Altstadt gelegen, zog ein neuer Mieter ein. Er wäre sicher für jeden ein stiller, aber freundlicher Nachbar gewesen. Jedoch unterließ er es, sich vorzustellen. Weder die anderen Mieter noch der Hausmeister erfuhren seinen Namen, denn selbst auf dem Klingelschild stand kein Name. Der neue Mieter hatte ein kleines Geheimnis:
Seine Stellung als Lektor hatte er vor einigen Wochen verloren, so zog er ohne die notwendigen Sicherheiten in die alte Kellerwohnung, in der bis vor kurzer Zeit noch der Hund des Hausmeisters lebte. Den Hund hatte man nach seinem Vergehen mit dem übrigen Kehricht entfernt.
Die letzten Bücher und Manuskripte konnte er noch retten, und er würde damit ein paar Wochen überleben können. So stellte er sie geordnet und mit Anmerkungen versehen aufrecht in eine Truhe. Sein weniges Hab und Gut sortierte er und stellte es ordentlich im kalten Zimmer zurecht.
Nach einigen Tagen verließ er das Zimmer, kletterte die rostigen Stiegen hinauf, damit er an seinen Postkasten gelangen konnte. Dort traf er eine Frau, sie wohnte im ersten Stock und war gerade dabei, seine Post in aller Heimlichkeit zu öffnen. Er schlich zurück und ließ sie gewähren. Sein kurz davor gefasster Plan, sich den Nachbarn vorzustellen, mißlang. War er nicht willkommen ?
So zog er sich schweigend in sein kaltes und nasses Gefängnis zurück, während man auf den knarrenden Treppen und an den morschen Geländern des baufälligen Hauses nur noch über ihn sprach.
So entsandte man den Hausmeister, um den Fremden zu vertreiben.
Endlich versuchten Bewohner eines Nachbarhauses, die Wahrheit zu finden.
Sie schlichen in das Haus und liefen eilig die Treppen hinab. Die Nachbarn entdeckten ein altes Manuskript. Offenbar hatte der junge Lektor es vergessen. Sortiert lagen die Blätter auf einem Schemel.
Schnell überflogen sie die Zeilen auf den Papieren. Sie verloren sich in den Buchstaben. Kein klarer Gedanke schien aufzugehen, keine Wahrheit, keine Lüge war zu entdecken.
Immer schneller eilten die Finger durch die Abschnitte einer kurzen Geschichte, die der Lektor überdies nicht gut bewertete. Denn auf den Papieren waren allerlei Anmerkungen und Streichungen. Um endlich ein klares Urteil fällen zu können, las einer der Nachbarn ein paar Zeilen laut vor:
"In das neu errichtete Miethaus, gelegen an der Hauptstraße zur größeren Stadt, zog nach einigen Wochen der neue Mieter ein. Seinen Namen verriet er zunächst nur dem Hausmeister."
Der andere Nachbar las weiter:
"In ein altes Miethaus, an einer alten Straße inmitten der Altstadt gelegen, zog ein neuer Mieter ein. Er wäre sicher für jeden ein stiller, aber freundlicher Nachbar gewesen. Jedoch unterließ er es, sich vorzustellen. Weder die anderen Mieter noch der Hausmeister erfuhren seinen Namen, denn selbst auf dem Klingelschild stand kein Name."
Schließlich lasen sie beide noch diesen Satz:
"Dann legten sie das Manuskript wieder auf den Schemel und liefen aufgeregt ins eigene Haus zurück."
Dann legten sie das Manuskript wieder auf den Schemel und liefen aufgeregt ins eigene Haus zurück.