Was ist neu

Der Professor

Mitglied
Beitritt
09.01.2016
Beiträge
27
Zuletzt bearbeitet:

Der Professor

In einer einst kleinen, maßlos überfüllten Kammer gleich neben der Küche, die auf Kosten jeglicher architektonischen Ästhetik, bereits mehrfach vergrößert worden war, hatte der Professor in zahlreichen Jahrzehnten eine Sammlung aufgebaut. Sie umfasste vornehmlich juristische Fachzeitschriften, aber auch internationale Tagesblätter und nicht zuletzt eine große Anzahl von allerhand, nicht eindeutig zuordbaren Publikationen wie, Essays, Pamphleten, Manifesten und ähnlichem. Sie war das Ergebnis einer sonderbaren Gepflogenheit des Professors, für die er den schlichten Namen „Katharsis“ beanspruchte. Sie bestand darin, dass er so lange mit einer akribischen Aufmerksamkeit und einer für den alten Mann bemerkenswerten Ausdauer in den Fachschriften jegliche Fehler suchte, markierte, notierte, und kommentierte, bis er einen krankhaft anmutenden Anfall erlitt, der zwar in seiner Intensität variierte, aber ihn stets in einem Zustand nahezu absoluter Teilnahmslosigkeit hinterließ. Diese Teilnahmslosigkeit war das Einzige, was ihn für einige Stunden von der Verzweiflung über die schiere Dummheit der Menschen erlöste.
In den Jahren nach dem Tod seiner ruhestiftenden Frau, hatte sich jene Gewohnheit zu einer suchtartigen Notwendigkeit emporgesteigert und war fester, wenn nicht hauptsächlicher Bestandteil seines Ruhestandes geworden.
Auf der stetigen Suche nach neuem Material, dass in der Lage sein musste, ihn in einen schrecklichen aber notwendigen Wutanfall über die Inkompetenz sich aufspielender Menschen zu versetzen und ihn schließlich den Kummer über die hoffnungslose Situation der menschlichen Spezies vergessen zu lassen, waren ihm einige Werke der niedrigsten Sorte von Boulevarderzeugnissen in die Hände geraten.
Eine Ausgabe behandelte eine aktuelle Serie von bisher ungeklärten Vergewaltigungen und ließ dabei keine Eigenschaft des unseriösen Journalismus vermissen. In einer Zeit, in der es noch Würde gegeben hatte, wäre die aufeinanderfolgende Verwendung dieser beiden Begriffe eine schwere Beleidigung, wenn nicht ein Widerspruch in sich gewesen, dachte sich der Professor mit einer nostalgischen Eingebung und einer merklichen Verengung des Rachens.
Um nicht von der Trauer übermannt zu werden begann er.
Ab Seite 4 wurde empfohlen, dass Frauen an potentiell gefährdeten Orten Sportschuhe tragen sollten um im Ernstfall besser flüchten zu können. Der Professor spürte schon wie langsam seine Schläfen anfingen zu pulsieren. Doch dann las er knapp unter den „Tipps und Tricks der Redaktion“ in den Leserkommentaren, die die Form eines zerfließenden Bluttropfens hatten, das, was ihn schlagartig in einen Zustand höchster Erregung versetzte.
Dort hatte tatsächlich Jemand etwas geschrieben, dass sinngemäß etwa so lautete: „Wenn die Polizei nicht mal in der Lage ist die verletzlichsten Bürger zu beschützen, und von uns verlangt wird, dass wir Maßnahmen ergreifen, dann hat der Staat auf ganzer Länge versagt.“
Für einen Außenstehenden mag es ein Fehler gewesen sein, dass der Professor das Terrain der Fachliteratur verlassen hatte, doch dieser selbst schöpfte sogar, nachdem der erste Schock überwunden war, gar etwas wie Hoffnung. Dieser, bedauernswerte, sogenannte „Leser“ hatte offensichtlich so wenig Kenntnis, dass er möglicherweise noch nicht vollkommen verloren war und mit ein wenig Tüchtigkeit wahre Einsicht erlangen könnte.
Aufgrund des Fehlens eines Zweckes für sein verbliebenes Dasein, entschloss sich der Professor, sich der Sache anzunehmen.
Durch einige Recherche und alte Kontakte in Staat und Wirtschaft, gelang es ihm Name und Adresse des Betroffenen ausfindig zu machen.
Nach weiteren, nicht unmaßgeblichen Mühen, stand er vor einem baufälligen Reihenhaus in der grauen Vorstadt einer entfernten Metropole. Ein dachsartiger, untersetzter Mann in Unterhemd und misstrauischer Miene öffnete ihm. Zu seinem eigenen Erstaunen erhielt er Zutritt in die übel riechende Zwei-Zimmer-Wohnung.
Nachdem er ein Glas Wasser höflich abgelehnt hatte, schoss der Professor den Mann mit einem kleinen Revolver zweimal in den Kopf.
Einmal hätte wohl gereicht, doch er musste sicher sein, dass sein Gegenüber verstand, dass in einem freien Staat, die Polizei niemals absolute Sicherheit für alle Bürger gewährleisten können wird.

 

Hallo an alle,
das ist meine erste Kurzgeschichte die ich hier einbringe. Ich möchte anmerken, dass ich alle Leser bitte, nicht zu versuchen eine etwaige politische Meinung oder Postion, die sich möglicherweise (falls sie es den überhaupt tut) aus der Geschichte extrahieren lässt, auf mich als Autor zu übertragen.
Zudem möchte ich mich für meine Zeichensetzung entschuldigen, von der ich weiß, dass sie in meiner letzten Deutschklausur, der Grund für die meisten roten Markierungen war.
Gruß, D.H.K.

 

Hallo Hermeias

Willkomen bei den Wortkriegern

Wenn ein Autor sich literarisch mit einem zeitgenössischen Thema auseinandersetzt, sind Personen und Handlung, bzw. deren Meinungen und Verhaltensweisen immer vom Autoren zu trennen, ausser er stellt den direkten Bezug durch seinen Namen her. (z.B. bei einer selbstverfassten Autobiographie)

Selbst wenn du denText in der Ich-Form erzählen würdest, also den Erzähler als literarisches Ich einsetzt, wäre der Professor und der Autor nicht ein und dieselbe Person.

Nun zum Inhalt:
Ich hatte Mühe, mich auf deine erklärende Erzählsprache einzulassen, es liest sich nicht einfach mal so runter. Dadurch musste ich mich zwingen, die Aussagen deiner Sätze wirklich zu verstehen und nicht einfach drüber zulesen.

Was ich glaube verstanden zu haben: Der Professor ist ein Psychopath, der sich nach dem Tod seiner Frau in sein masochistisches Hobby verliert, sich an den Unzulänglichkeiten der schreibenden Zunft in Wissenschaft und Boulevard aufzuregen, bis der Kreislauf kollabiert.
Das gibt ihm anscheinend eine gewisse Befriedigung und er sucht immer "schlechtere" Druckerzeugnisse, um den Kick zu erhöhen.

Dann kommt es zu einem Bruch im Verhalten des Fehlerjunkies, die körperliche Reaktion auf Verbrechen am wissenschaftlich geschulten Leser reicht ihm anscheinend nicht mehr, er macht den nächsten Schritt und greift zur Selbstjustiz.
Allerdings kann ich dem Sinneswandel deines Professors nicht folgen.

Dieser, bedauernswerte, sogenannte „Leser“ hatte offensichtlich so wenig Kenntnis, dass er möglicherweise noch nicht vollkommen verloren war und mit ein wenig Tüchtigkeit wahre Einsicht erlangen könnte.
Das verstehe ich nicht, wenn jemand relativ wenig Kenntnis hat, ist er doch näher am Verloren-Sein, als jemand mit grosser Vorkenntnis.

Aufgrund des Fehlens eines Zweckes für sein verbliebenes Dasein, entschloss sich der Professor, sich der Sache anzunehmen.
Heisst: Der ist es nicht wert, weiterzuleben.


Ein dachsartiger, untersetzter Mann in Unterhemd und misstrauischer Miene öffnete ihm.
Was ist dachsartig? In der Art eines Dachses? Komisches Bild.

Zu seinem eigenen Erstaunen erhielt er Zutritt in die übel riechende Zwei-Zimmer-Wohnung.
Da bin ich auch relativ erstaunt, warum nur?

Nachdem er ein Glas Wasser höflich abgelehnt hatte, schoss der Professor den Mann mit einem kleinen Revolver zweimal in den Kopf.Einmal hätte wohl gereicht, doch er musste sicher sein, dass sein Gegenüber verstand, dass in einem freien Staat, die Polizei niemals absolute Sicherheit für alle Bürger gewährleisten können wird.
Der einzig starke Augenblick in dieser sonst langatmigen Erzählung.

Tut mir leid, ich habe wirklich versucht, dem Text etwas abzugewinnen, aber es blieb für mich nur ein kurzes Schlaglicht auf einen Psychopathen, der zum Ende hin völlig unreflektiert ausrastet.

Trotzdem hoffe ich, du kannst mit meinen Anmerkungen etwas anfangen.

Liebe Grüsse,
dot

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo dot,
vielen Dank für die Kritik.
Mir ist das Konzept der Trennung von Autor und literarischem Werk durchaus bekannt, ich wollte es trotzdem noch einmal erwähnen.
Die Zusammenfassung von dem, was du verstanden hast, hat mir sehr gut gefallen. Auch wenn sie möglicherweise sogar besser ist, ist sie nicht genau dass, was gemeint ist.
Vor allem den Eindruck, dass der Prot. "immer "schlechtere" Druckerzeugnisse" sucht, finde ich interessant. Gemeint war eigentlich, dass er zufällig auf einen Text trifft, den er sonst nie lesen würde und dann von den populistischen, unfundierten Ansichten des "Proletariats" so überrascht ist, dass er glaubt, diesen Menschen retten zu können. Er glaubt, dass dies dadurch möglich ist, da bei einem Ungebildetem Ideen weniger fest verankert sind. Wo ich das schreibe, bemerke ich, dass es ein wenig dem widerspricht, was in der Klammer steht. (Werde ich gleich ändern)
Die Art wie er ihn schließlich "rettet", stellt ja die Pointe dar.
Den Begriff der Selbstjustiz den du gewählt hast, finde ich eher unpassend.
Zur Langatmigkeit:
Ich persönlich empfinde das, was du damit beschreibst, nicht so schlimm, allerdings bin ich auch verständlicherweise extrem befangen.
Es sollte eigentlich eine kurze Kurzgeschichte werden, bei der der erklärende Stil und das Fehlen von Spannung durch die überraschende Auflösung, verziehen werden kann.
Wäre die gesamte Geschichte eine Aneinanderreihung von Dramatik, würde der "Der einzig starke Augenblick" , auf den die ganze Erzählung ja abzielt, keiner sein.
Er ist ganz bewusst ein Einziger.

Schließlich möchte ich noch anmerken, dass ich durchaus auch auf Kosten meines Erfolges (haha) bereit bin, dem Leser ein möglichst seichtes und einfaches Leseerlebnis vorzuenthalten.
Ich schreibe Geschichten hauptsächlich für mich selbst, weshalb sie nicht jedem gefallenen müssen. Vielleicht findet sich aber doch jemand dem die Geschichte nicht ganz zuwider ist.

Aber danke nochmal für deine Anregung.

Gruß, H.D.K.

P.S.: "Heisst: Der ist es nicht wert, weiterzuleben." verstehe ich nicht

 

Hallo Hermeias,

die reale politische Situation passt zu deiner Kurzgeschichte. Allerdings weiß ich nicht genau, worauf oder auf wen die Satire zielen soll. Ich habe überlegt, ob sich die Intention der Story dadurch verändern würde, dass der Professor statt auf einen Schmuddeltyp auf einen gut situierten Bürger schießt. Auch dort findet man entsprechende Ansichten, wie sie der Mensch aus dem Prekariat hat.
Ich glaube, als Satiriker muss man eindeutig Position beziehen. Ansonsten darf Satire alles!

Gruß wieselmaus

 

Hallo Hermeias!
Mir haben bei deiner Geschichte besonders die Sprache und das Ende gut gefallen. Denn oft ist die Handlung vorhersehbar oder durchgehend langweilig. Aber beides ist bei deiner Geschichte nicht der Fall. Ich finde ebenfalls die Beschreibung "dachsartig" etwas merkwürdig. Die Idee, dass der Professor denkt den Mann erlösen zu können, indem er ihn ermordet (falls ich das richtig verstanden habe) finde ich richtig gut. Und ebenso hat mir der Schlusssatz gefallen, da er eine vorige Textstelle aufgreift.
Viele Grüße Leonie

 

Hallo Wieselmaus,

danke für die Anmerkungen.
Im Grunde soll es sich hier nicht um eine politische Satire handeln, die eine bestimmte reale Person kritisiert. Ich habe den Tag lediglich gewählt, da ich von aktuellen Ereignissen inspiriert wurde, und da ich persönlich das Ende witzig finde. Möglicherweise war die Zuordnung unpassend.
Die Idee von dem gut situierten Bürger finde ich gut. Es geht im Kern nur darum, dass er ein juristischer Laie ist und "unfundierte" Ansichten vertritt. Also könnte er aus jeglicher Schicht stammen.

Hallo Leonie,

Danke!

Gruß D.H.K.

 

Letzte Empfehlungen

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom