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Der Plan
Ich sitze mit Alex im Wohn-Schlaf-Alles-Zimmer. Wir trinken Rotwein aus Kaffeebechern und Alex, dem das Leben wieder einmal erst zu bunt und dann zu viel geworden ist, erklärt mir mit bedeutungsschwangerer Miene, er hätte jetzt DEN Plan. Seit zwanzig Jahren gibt es diese Abende zwischen uns, damals mit Dosenbier auf dem Deich, optisch noch eher Kriss-Kross, im Kopf sowieso, immer einen Liebeskummer im Gepäck, mit DEM Plan unterm Arm. Heute die Ü-30 Fassung mit Rotwein, modisch stilsicher, beruflich erfolgreich, fit und dynamisch, mit Hipster Brille auf der Nase. Geblieben ist die Sache mit DEM Plan. „So kann es einfach nicht weitergehen. Nächste Woche starte ich das Sportprogramm und dann werde ich … .“
Mein Telefon unterbricht den Plan, ich schaue auf das Display und kippe fast rücklings vom Stuhl, Christoph ruft an, blinkt es mir diabolisch entgegen. In diesem Moment bin ich mir sicher, dem Wahnsinn verfallen zu sein. Es ist soweit, ich bin irre. Mit zittriger Hand, aber erstaunlich gefasster Stimme hebe ich ab. „Christoph hier, guten Abend Anna.“, begrüßt mich seine testosterongetränkte Stimme, und ich möchte am liebsten sofort durch das Telefon auf ihn rauf springen. Man, man, man Anna, du brauchst auch einen Plan, ganz dringend.
„Was verschafft mir die Ehre?“, versuche ich mit gespielter Lässigkeit, meinen hormonellen Lambada zu vertuschen. „Ich wollte einen Termin mit dir für unser Abschlussgespräch vereinbaren.“, antwortet er schlicht. Sieben Monate haben wir uns nicht gesehen, nicht gesprochen, über zweihundert Tage habe ich auf dieses Gespräch gewartet, habe es herbeigesehnt, verflucht, immer wieder eingefordert. Und jetzt ruft mich dieser Typ mir nichts dir nichts einfach so an und tut so, als wäre es das normalste auf der Welt, sich nach so langer Zeit mit seiner Ex zu einem Abschlussgespräch zu verabreden. Ich verschaffe mir Bedenkzeit und lege auf. Was ist denn das bitte für ein scheiß Telefon, das diesem Mistkerl gestattet, mich ohne Vorwarnung anzurufen, nach all der Zeit des Kampfes. Ich reiße mein Fenster auf und schmeiße dieses verräterische Drecksteil aus meinem Turmzimmer. Alex schaut mich mit einem Mix aus Entsetzen und Bewunderung an, wobei das Entsetzen eindeutig den größeren Teil einnimmt und hat vor lauter Aufregung seinen Plan ganz vergessen. Ich stehe triumphierend am Fenster und fühle mich wie die Präsidentin der Welt. Dieses Hochgefühl gepaart mit Wahnsinn hält genau einen Schluck Wein an, als Panik in mir aufsteigt, was habe ich bloß getan, mein geliebtes Telefon. Alex, der mich in manchen Situationen besser kennt als ich mich selbst, sprintet, ganz der Machertyp, nach unten und leitet sofort erste Hilfe Reanimationsmaßnahmen ein. Zu spät, Patient tot, meine Laune auch. Keinen Plan in Sicht, Liebeskummer im Gepäck, genau wie damals auf dem Deich vor zwanzig Jahren , nur dass langsam die Hoffnung stirbt, dass DER Plan irgendwo auf einen wie uns gewartet hat ….