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Der Piraten-Opa
Mein Opa ist prima. Er ist der beste Opa auf der ganzen Welt. Er hat eine tiefe Stimme und eine lustige, rote Nase und er kann spannende Geschichten erzählen. Am liebsten sitzt er in seinem gemütlichen Lehnstuhl, raucht eine Pfeife, trinkt ein Glas Portwein und erzählt mir von den alten Zeiten. Früher war er nämlich ein tapferer Pirat. Er hatte ein schwarzes, schnelles Schiff mit purpurroten Segeln, mit dem er auf allen Meeren gesegelt ist. Opa hat mit seinen Piratenkumpanen tolle Abenteuer erlebt. Einmal musste er ganz allein mit bloßen Händen gegen einen gefährlichen Haifisch kämpfen. Die anderen Piraten standen an der Reling und zitterten vor Angst, während er sich im Meer mit dem blutrünstigen Hai prügelte und ihm eigenhändig einen Zahn nach dem anderen ausriss.
Opa hat mir nicht so richtig erklärt, wie es kam, dass er im Meer schwamm, während die restliche Mannschaft an Deck seines Piratenschiffes stand. Ich glaube, es hat irgendetwas mit einem Fass Rum zu tun, das alle Seeräuber zusammen ausgetrunken hatten. Ich habe schon oft danach gefragt, aber Opa erzählt immer nur von seinem Kampf mit dem Hai und nie von seinem Sturz ins Wasser.
Jedenfalls hat er damals den Hai besiegt, ohne auch nur den kleinsten Kratzer abzukriegen und das muss ihm erst einmal jemand nachmachen. Zur Feier von Opas Sieg über den Hai hat seine Mannschaft natürlich das Piratenlied gegrölt, mit dem Opa mich abends oft in den Schlaf singt. Ich kann es schon lange auswendig. Das Lied muss man mit ganz tiefer, gefährlicher Stimme singen und es geht so:
Potzblitz und Haifischzahn!
Lasst uns zum Südpol fahr’n.
Pottwalpo! Pistolenknall!
Piraten plündern überall.
Wenn Oma aus der Küche kommt und uns das Piratenlied singen hört, dann lächelt sie mit funkelnden Augen und sagt zu Opa: „Na, du alter Schwerenöter – spinnst du wieder mal dein Seemannsgarn?“
Ich weiß, dass Oma damit meint, dass Opa ein wenig flunkert und übertreibt, wenn er von seinen Heldentaten erzählt. Aber ich finde das nicht schlimm. Es ist doch egal, ob Opa dem Hai wirklich alle Zähne ausgerissen hat, oder nur ein paar. Hauptsache Opa hat den Hai besiegt. Und das hat er – sonst wäre er jetzt ja nicht mehr am Leben!
Am liebsten höre ich die Geschichte von Opas allerletzter Piratenheldentat. Das war damals, als das Piratenschiff im Pazifik kreuzte und plötzlich ein prächtiger Frachter in Sicht kam. Der Frachter sah so aus, als hätte er richtig tolle Schätze geladen. Es war also keine Frage. Opa und seine Mannschaft mussten den Frachter entern, die Matrosen besiegen und die Schätze auf ihr Schiff holen – denn: „Piraten plündern überall!“
Opa, der ein sehr geschickter Seemann war, pirschte sich mit seinem Kahn vorsichtig von hinten an den Frachter heran. Als er nahe genug gekommen war, konnte er schon erkennen, was für großartige Dinge der Frachter geladen hatte.
„Perlen und Pelze!“, sagt Opa und seine Augen strahlen noch heute.
„Porzellan und Portwein!“ Opa leckt sich die Lippen.
Ich nicke. Ich kenne die Geschichte nämlich schon. Deshalb sage ich:
„Und Pizza. Das habt ihr gerochen. Es duftete so lecker über das Wasser bis hin zu euch.“
Opa nickt.
„Und,“ fügt er hinzu. „Pralinen. Feinste portugiesische Pralinen. So etwas Delikates hatte ich in meinem ganzen Piratenleben noch nicht gekostet.“
Ich muss mit den Beinen zappeln und mit den Fingern auf die Armlehne von Opas Sessel trommeln, weil ich so aufgeregt bin. Jetzt kommt nämlich gleich die Stelle, die mir immer am besten gefällt.
Opa nimmt einen Schluck Portwein und erzählt:
„Als wir mit unserem Schiff nahe genug an den Frachter herangekommen waren, gab ich den Befehl zum Entern. Wir griffen alle nach unseren Waffen – du weißt ja, dass wir unsere Entermesser und Pistolen immer im Gürtel bei uns trugen. Diesmal aber war es wie verhext – meine Hand fuhr an den Gürtel, doch da war kein Entermesser und keine Pistole. Siedendheiß fiel es mir ein: Ich hatte dem Smutje in der Kombüse beim Kartoffelschälen geholfen und das Entermesser dort liegen lassen. Son Schiet aber auch!“
„Und deine Pistole?“, frage ich, obwohl ich weiß, wo die Pistole war. Wenn ich will, dass Opa weiter erzählt, dann muss ich an dieser Stelle nach der Pistole fragen. Die Frage gehört einfach dazu.
„Meine Pistole – ja, das war auch son Ding,“ fährt Opa fort. „Meine Pistole lag in meiner Koje. Ich hatte sie gerade gereinigt, als der Frachter in Sicht kam und weil ich so schnell an Deck rannte, hatte ich sie unten vergessen. Aber ein echter Pirat weiß sich natürlich immer zu helfen. Ich schnappte mir also das Paddel von unserem Rettungsboot, ergriff einen Enterhaken und schwang mich flink hinüber an Deck des Frachters. Die Mannschaft dort war gerade dabei, das Deck zu schrubben. Leider verwendeten sie dafür Schmierseife. Das bemerkte ich aber erst, als es zu spät war. Als ich mit beiden Beinen das Deck berührte, riss es mir dieselben unter dem Hintern weg und ich knallte mit lautem Gepolter auf die nassen Planken. Der Arsch tat mir ganz schön weh, das kannst du mir glauben!“ Opa grinst.
„Popo,“ sage ich kichernd und schaue, ob Oma aus der Küche kommt. „Popo, Opa!“
Jetzt kommt sie gleich – meine Lieblingsstelle.
„Erzähl weiter, Opa!“, bettle ich.
„Da saß ich nun mit dem Paddel in den Pranken auf meinem nassen – Popo und um mich herum standen die seltsamsten Gestalten, die ich je auf einem Kahn gesehen hatte. Die Mannschaft des Frachter bestand aus ...“
Ich halte es nicht mehr aus. Ich muss Opa unterbrechen.
„Aus einem Pinguin, einem Papagei, einem Polarfuchs und einem Panther!“, rufe ich aufgeregt.
„Genau, mien Jung,“ nickt Opa. „Es waren lauter Tiere – aber das war ja nicht so schlimm. Was schlimm war, war, dass sie sich alle vor Lachen die Bäuche hielten. Sie standen im Halbkreis um mich herum und lachten, dass es nur so dröhnte. Der Papagei prustete: ‚Nein, was sieht der alte Pirat putzig aus, wie er da so auf seinem nassen Popo sitzt.’ Der Panther hielt sich den Bauch vor Lachen und die anderen kicherten und glucksten vergnügt vor sich hin. Die hatten keine Ahnung, wie gefährlich ich werden konnte. Ich riss also mein Paddel in die Höhe und schrie: ‚Na wartet! Ich hau' euch gleich zu Pudding! Ihr Pinscher! Ihr Plüschzwerge! Ihr dämlichen Pantoffelhelden! Ihr Pausenclowns!’ Glaubst du, dass sie aufgehört haben, zu lachen? Nicht die Bohne. Das Gelächter schwoll immer mehr an und als ich mich umsah, entdeckte ich meine gesamte Piratenmannschaft. Dort standen sie an der Reling unseres Schiffes und lachten und lachten bis ihnen die Luft wegblieb. Sie lachten über mich. Über ihren Kapitän. Ich wollte ehrlich wütend werden, aber irgendwie klappt das nicht, wenn um dich herum die ganze Welt vor Gelächter zerplatzt. Ich konnte nicht anders – ich ließ mein Paddel fallen und lachte auch.“ Grinsend wischt Opa sich die Lachtränen aus den Augen.
„Und dann habt ihr alle zusammen eine riesige Party gefeiert!“, sage ich. Opa soll weiter erzählen. Ich weiß schließlich, dass die Geschichte noch nicht zu Ende ist.
„Genau. Der Papagei hatte die Idee mit der Party und alle waren sofort dafür. Meine Piratenmannschaft enterte den Frachter. Der Panther schleppte die Pizza und den Portwein heran. Der Pinguin und der Polarfuchs holten ihre Instrumente. Der Pinguin war nämlich ein begnadeter Jazz-Posaunist und der Polarfuchs trommelte auf seiner Pauke, dass es nur so swingte. Er hatte den Rhythmus einfach im Blut. Die Stimmung war supertoll. Wir feierten bis in die frühen Morgenstunden und sangen immer wieder das Piratenlied. Die Tiere wurden meine allerbesten Freunde. Ich gab das Piratenleben auf und habe es bis heute nicht bereut.“
Opa lehnt sich zufrieden in seinem Sessel zurück. Er trinkt einen Schluck Portwein und lässt ein paar kreisrunde Rauchkringel zur Zimmerdecke emporsteigen.
„Piraten plündern! Piraten plündern!“, kreischt Pico, der Papagei, der auf seiner Stange vor dem Fenster sitzt und die ganze Zeit aufmerksam zugehört hat.
Pico ist der Beweis dafür, dass Opas Geschichte wirklich wahr ist. Pico ist nämlich der Papagei, den Opa damals auf dem Frachter kennen lernte. Der Polarfuchs ist leider schon lange vor meiner Geburt gestorben. Opa hat ihn ausstopfen lassen und er steht jetzt auf der Anrichte hinter Opas Sessel. Ein großes Foto vom Panther hängt an der Wand. Nur von dem Pinguin gibt es kein Lebenszeichen in Opas Wohnung. Der Pinguin hatte nämlich solches Heimweh nach dem Südpol, dass Opa ihn mit einem Forschungsschiff nach Hause schickte. Aber Pico, der ausgestopfte Polarfuchs und das Foto vom Panther sind doch Beweise genug - finde ich jedenfalls!