- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 4
Der Pianist
Es war 6:00 Uhr, vielleicht auch schon später, so genau konnte M. die Zeit nicht einschätzen und doch war sie für ihn das, was ihm noch geblieben war. Also stand er auf und zog sein nicht all zu leichtes Piano erneut durch jene düstere und befremdete Gasse, in der er seine letzte Nacht verbracht hatte. Und auch wenn er hungrig und durstig war und entkräftet die letzten Meter meisterte, gelang es ihm doch, die Mauer des Alltages zu durchbrechen. Und im selben Moment, in dem er noch damit beschäftigt war, diese Mauer zum Sturz zu bringen, fand er sich an einem Ort wieder, welcher für ihn Unantastbarkeit bereitstellte. Und so stellte er seinen Becher auf und am Ende, es musste Zeit dazwischen liegen, auch sein Piano. Und er spielte. Es war für ihn ein Moment der Stille, der von lauten Tönen umgeben war. Es kamen Menschen vorbei, die ihm Geld einwarfen, aber sofort wieder verschwanden, Menschen denen er zwar unsagbar dankbar war, welche er aber nicht beachtete. Es waren die Menschen, die ihn berührten, die für ihn stehenblieben und zuhörten, und seine Welt voller Zufriedenheit teilten, bevor sie sich wieder dem Alltag widmeten. So ging auch dieser Tag zu Ende, und es wurde langsam dunkel. Für M. jedoch war es hell. Dieser Tag lief gut für ihn. Zwar war sein Becher fast leer, aber seine Welt konnten heute viele betreten. Und so machte er sich auf, sein Geld auf direktem Wege zur Bäckerei einzuteilen. Ein Brötchen und ein Wasser, für mehr reichte es heute nicht. Und dennoch hatte er seine Hand noch voller Geld. Er zog sein Piano weiter durch jene düstere Straße vom Morgen. Es sammelten sich viele Menschen hier, die keine Bleibe hatten. Für M. waren es arme Menschen, und so gab er ihnen sein Geld. Als er die Straße verlassen hatte, legte er sich in einen Park, der gegenüber dieser Straße war, zum Schlafen. Und am nächsten Tag begann er wieder zu spielen.