Hi Kathrin,
Ich bin neu im Forum und überblicke deshalb noch nicht sämtliche Funktionen und Instrumente, die mir zur Verfügung stehen. Ich arbeite bei Textanalysen eigentlich sehr gerne mit Farben, um Sätze des Autors (in Blau) von meinen Vorschlägen (Rot) besser unterscheiden zu können. Da ich bisher keinen Farbtopf entdeckt habe, behelfe ich mir eben ersatzweise mit Anführungszeichen und Kursivierung. Ich betrachte deine Geschichte zweigeteilt: stilistisch und im Anschluss inhaltlich.
Es war schon dunkel geworden. Immer weniger Menschen gingen durch die Stadt. Im Winter waren es sowieso nicht so viele. Das war die schlimmste Zeit.
Fröstelnd zog er seinen löchrigen Mantel etwas enger, doch gegen die Kälte, die nun mit jedem Tag zunahm, half es kaum. In seinen knochigen Händen hielt er den Plastikbecher. Stunde um Stunde: Und so oft sah er hinein. Als würden die wenigen Münzen davon mehr werden.
- Was war dunkelgrau geworden: der Himmel, das diffuse Licht auf der Straße? Der Einleitungssatz ist mMn zu kurz und unpräzise. Ich würde auch nicht mit einem Hilfsverb starten.
- 3x „war/ waren“ in den ersten beiden Zeilen. Das liest sich sehr unschön.
- „Es“ müsste m.E. in „das“ ausgewechselt werden
- „den Plastikbecher“ = „einen Plastikbecher“
- Besser: Und wie oft er auch in ihn hineinsehen mochte, die wenigen Münzen vermehrten sich nicht.
Den Stolz, von dem einst so viel dagewesen war, hatte er längst nicht mehr. Früher hatte er nicht im Traum daran gedacht zu betteln. Doch nun war ihm alles gleich. Er dachte nur noch daran, eine Kleinigkeit in den leeren Magen zu bekommen, auch wenn das hieß, den vorübergehenden Leuten seinen Plastikbecher hinhalten zu müssen. Er verzog sein Gesicht, als er daran dachte, was die Gruppe Jugendlicher heute zu ihm gesagt hatte. „Wenn du Geld haben willst, dann geh doch arbeiten, du Penner! Und belästige die Leute nicht.“
… von dem er einst so reichlich besessen hatte, war längst verflogen.
… wäre es ihm in seinen schlimmsten Albträumen nicht eingefallen, dass er einmal als Bettler auf der Straße landen/ enden würde.
- „vorübergehend“ bedeutet „kurzzeitig/ provisorisch“. Zumindest in der von dir gewählten Schreibweise. Um Irritationen zu vermeiden solltest du evtl. umformulieren: … den achtlos an ihm vorbeispazierenden Passanten …
- „als“ ist die falsche Konjunktion. mMn müsste hier „wenn“ stehen
- 2x Leute
Er lachte bitter auf. Es war ein Lachen, das einen erstarren ließ. Dachten die etwa, er führe gern so ein Leben? „Geh doch arbeiten!“ Dachte denn niemand für einen Moment daran, dass er arbeiten würde? Jede Arbeit würde er annehmen. Doch er konnte nicht. Nein, keiner dachte daran.
Für jeden war er nur der Penner. Der stinkende, dreckige, unrasierte Penner, der nicht mehr als einen verachtenden Blick verdiente.
- Zum 2-ten Mal “dachte”. Für dieses Verb existieren zahlreiche Synonyme
- gern = gerne
- „dachte“ zum Dritten. Das wirkt auf mich als Kommentator so, als hättest du es zum einen beim Schreiben eilig gehabt und zum anderen den Text selbst nicht probegelesen, bevor du ihn ins Forum eingestellt hast.
- „verachtenden“ = „verächtlichen“
Heute hatten noch weniger als sonst etwas in seinen Becher geworfen. Der Hunger war kaum zu ertragen. Schmerzhaft rappelte er sich auf. Vielleicht würde er ja etwas in einer der vielen Mülltonnen finden. Als er den dritten Deckel hob, wusste er, dass seine Mühe vergebens war. Er blickte in den Abendhimmel, der heute besonders klar war. Es waren unzählige Sterne am Himmel zu sehen und er verspürte den merkwürdigen Wunsch, einer von ihnen zu sein.
- “noch weniger”: wer? Menschen, Passanten? Hier fehlt ein Subjekt
- „schmerzhaft“ = „schmerzerfüllt“
- „etwas“: an dieser Stelle solltest du entweder das Pronomen um ein Substantiv ergänzen oder „Etwas“ großschreiben
- „hob“ = anhob oder liftete
Plötzlich durchfuhr ein Zucken seinen Körper. Der Deckel der Mülltonne knallte scheppernd auf den Asphalt. Einige wenige sahen sich um. Dann noch ein Knall. Ein lauterer. Den niemand hörte.
- “wenige”: hier fehlt erneut das Subjekt
- 2x knallte/ Knall
Mein Eindruck zum Stil: zu viele unnötige Hilfsverben, zahlreiche WWHen, die Aneinanderreihung der kurzen Sätze verleiht dem Text eine (zu) stakkatohafte Note.
Inhalt
Von jemandem geschrieben, der den Alltag der Obdachlosen halt nicht kennt. Natürlich muss ein Autor nicht unbedingt das Leben eines Penners geführt haben, um darüber berichten zu können; jedoch sollte er/ sie vorab ein bisschen Grundlagenrecherche betreiben. Einem Menschen ohne festen Wohnsitz (in seinen Personalausweis – falls er den noch besitzt – tragen die Behörden dann das Kürzel „OFW“ ein) stehen in Mitteleuropa eine Menge Möglichkeiten offen, um zu überleben:
( ) Sozialhilfe beantragen (entspricht vom Regelsatz her ALG2-Niveau)
( ) in einer Obdachlosenunterkunft übernachten
( ) in den „Suppenküchen“ von Caritas/ Diakonie oder einer lokalen Kirche essen (für einen Euro. Notfalls auch gratis)
( ) sich Kleidung in speziellen Läden der Wohlfahrtsverbände besorgen.
Ich weiß es deshalb, weil ich es schon getan habe.
Das heißt: ein sog. Penner kann (muss aber nicht zwangsläufig) im Winter draußen schlafen, aus Mülltonnen essen und betteln. Dieser Dreiklang bildet aber eher die Ausnahme denn die Regel. Diejenigen, die es vorziehen, solch ein elendes Leben zu führen, haben ihre Gründe dafür. Zumeist Alkoholismus und/ oder Abhängigkeit von illegalen Drogen. Da sie in den festen Unterkünften natürlich von Sozialarbeitern kontaktiert werden und die Gefahr besteht, in die Klinik zum Entzug geschickt zu werden, zieht es dieser Personenkreis – mehr im Sommer als im Winter – vor, im Freien zu leben.
Von daher haben die Jugendlichen nicht völlig unrecht, wenn sie deinem Prota empfehlen, sich nach Arbeit umzuschauen. Weshalb findet er keine, obwohl er sich redlich darum bemüht? Ist er unheilbar krank? Falls ja, dann solltest du das in deiner Story erwähnen.
So liest sich der Text eben wie eine Aneinanderreihung von Klischees. In der Art stellt sich halt der gute Bürger das Leben eines Penners vor. Es gruselt ihn ein bisschen, er spürt kurz Mitleid, tippt zu Hause in der warmen Stube einen schnellen Text herunter und wendet sich dann wieder anderen Dingen zu. Natürlich nicht einfach, Grenzsituationen realistisch zu beschreiben, die man selber nicht erlebt hat. Dann aber lieber die Finger von solch einem Thema lassen, bevor man sich mit Trivialitäten über die Zeilen rettet.
Das Ende verstehe ich nicht: sein Körper zuckt. Hört sich nach einem Herzinfarkt an. Der Deckel der Mülltonne fliegt auf den Asphalt = erster Knall. Dann ein zweites – lauteres – Geräusch. Was war das? Ein Schuss? Ist der Körper explodiert? Schlug ein Meteor neben ihm ein (denn er wünschte sich ja einige Sekunden vorher, sich in einen Stern zu verwandeln)? Sehr geheimnisvoll. Aber m.E. passt dieser kryptische Schluss eher zu einem Märchen als zu einer (Gesellschafts-) Story.
Kathrin, habe ein bisschen streng kommentiert. Geb’s zu. Völlig losgelöst vom Inhalt solltest du mMn versuchen, die Flut an Hilfszeitworten durch Vollverben zu ersetzen. Die „war“ und „hatte“ lassen sich nicht immer vermeiden; jedoch kann man sie mit Fantasie und einem Synonymwörterbuch (z.B. Duden online) häufig umschiffen. Liest sich dann angenehmer und professioneller.
Vg sinuhe