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Der Paukenschlag
„Wir werden dich wirklich vermissen. Du warst uns ein großes Vorbild!“ So etwas bekommt jeder bei uns zu hören, wenn er in der letzten Konferenz seines Lebens verabschiedet wird. Also nehme ich nicht alles für bare Münze, muss aber doch ein paar Tränchen der Rührung verdrücken. Mit dem Kollegium ist man ja oft länger verheiratet gewesen als mit einem Partner.
„Und lass dich ruhig ab und zu sehen, du weißt ja, das Café Luck ist immer offen. Irgendwer hat immer eine Freistunde.“
Das habe ich nun nicht unbedingt vor. Ganz im Gegenteil! Ich werde den Teufel tun, den Kollegen auf die Nerven zu gehen, wenn sie gerade mal Luft holen müssen. Soll ich sie mit Stories über meine Enkelkinder langweilen? Nein, Pensionierung ist Pensionierung. Basta.
Außerdem habe ich große Pläne. Die habe ich schon sehr lange.
„Nee Leute, ich will erst mal gar nichts tun. Morgens ganz lang Zeitung lesen, im Garten buddeln, vielleicht reisen... Und endlich meinen Krimi fertig schreiben.“
„Was, du schreibst einen Krimi? Das ist ja super! Erzähl mal!“
„Worüber denn? Kommen wir auch drin vor?“
„Weißt du denn schon, wann er erscheint?“
„Ich krieg doch hoffentlich ein Exemplar davon.“
Oh je, da habe ich mich ziemlich weit aus dem Fenster gelehnt und mich ordentlich unter Druck gesetzt. Andererseits weiß ich, Druck bringt meine grauen Zellen auf Hochtouren, und genau das brauche ich jetzt.
Ein halbes Jahr später steht mein Roman im Computer. Die Geburt ist zäher verlaufen, als ich gehofft hatte. Ein Griff in die Schatztruhe für die glücklichen Momente meines Lebens hat manchmal geholfen. Zum Beispiel der Kommentar des Seminarleiters für kreatives Schreiben, der mir einmal attestiert hat:
„Ihr Text, liebe Frau ..., ist wichtig und ausgesprochen gut geschrieben. Er ist verständlich und sehr anschaulich. Die Bilder, die Sie malen, prägen sich beim Leser ein. So muss man schreiben, wenn man erfolgreich sein will...“
Auch nach dem zehnten Mal Lesen verfehlt dieser Text seine positive Wirkung nicht.
Nun also die Vermarktung. Die ersten drei Absagen von renommierten Verlagen nehme ich noch mit Humor. Natürlich wäre es mir Recht, wenn ein Verlag, der eine Ingrid Noll unter Vertrag hat, meinen Roman betreut hätte. Ingrid Noll hat - wie ich - erst spät zu schreiben begonnen. Sie ist mein Vorbild in jeder Hinsicht.
„Leider lesen wir keine unaufgefordert eingesandten Manuskripte..“
„Ihr Manuskript passt leider nicht in unser Verlagsprogramm“, so oder ähnlich sehen die Reaktionen aus. Immerhin habe ich wenigstens Antworten erhalten. Allerdings nicht von allen, die ich angeschrieben habe.
„Vielleicht musst du doch einen Literaturagenten suchen, aber pass auf, da gibt es viele unsolide.“
Diesen Rat bekomme ich von meiner Freundin Thea. Sie hat einschlägige Erfahrungen, hofft aber immer noch auf ihren Durchbruch. Zusätzlich mache ich mich im Internet schlau. Ich finde eine Menge Warnungen vor sogenannten Dienstleistern, die mit tollen Erfolgen ihrer Autoren prahlen. Und sie locken mit astronomisch hohen Auflagen, sowie mit äußerst fairen Honoraren.
Auch meine Familie ist skeptisch. Ich spanne sie zum Probelesen ein. Selbstverständlich finden sie mein Werk toll, unsere Oma, die Autorin!
„Weißt du, Mama, es ist vielleicht nicht gerade Weltliteratur ... Aber es hat was ... Der Anfang ist für meinen Geschmack zu zäh, aber doch, dann nimmt es Fahrt auf ... Könntest du nicht mal eine Science fiction Geschichte schreiben?“
Mein Sohn liebt Science fiction. Die Liebe dazu habe ich ihm schon in den Schulranzen gelegt. Krimis mag er nicht so sehr.
Das Jahr rückt vor und nichts bewegt sich. Ich prüfe die Angebote der Literaturdienstleister eingehender. Sie scheinen ein Herz für junge, noch unbekannte Autoren zu haben. Aber auch für solche, denen es - wie mir - gar nicht so sehr ums Geld verdienen geht, sondern um … ja, um was eigentlich?
Etwa um eine Botschaft, die ich unbedingt der Welt verkünden muss? Bestimmt nicht! Eher will ich beweisen, dass ich in der Lage bin, einen handwerklich ordentlichen Krimi zu schreiben. Nicht alle, die derzeit den Markt überschwemmen, sind besser als meiner!
Schließlich erliege ich der Versuchung. Mein Roman findet sofort höchstes Lob, und schon flattert mir ein Vertrag ins Haus. Als ich ihn studiere, muss ich schlucken. Ein Knebelvertrag, nur akzeptabel, wenn das Buch über eine erste Auflage hinauskommt. Alle Rechte abgetreten. Und eine saftige finanzielle Vorleistung meinerseits.
Trotzdem unterschreibe ich. Warum? Die Hoffnung stirbt zuletzt! Oder ist es einfach Eitelkeit? Es gibt genügend Geschichten über zuerst verkannte Autoren. Aber jahrelanges Warten kann ich mir nicht mehr leisten.
Einige Monate später bekomme ich die Korrekturfahnen, ohne dass ein Lektor oder sonst wer auch nur ein Quäntchen Hilfe geleistet hat. Man könne mir ein Lektorat anbieten, das würde aber extra kosten. Dasselbe Spiel
bei den Druckfahnen, bei der Umschlaggestaltung, bei der Coverversion.
Dann schließlich doch die Auslieferung der mir zustehenden Autorenexemplare.
Freue ich mich?
Das eigene veröffentlichte Buch ist wie die Geburt deines Kindes. Du möchtest, dass es gut aufgenommen wird, du wünschst ihm Erfolg und langes Leben und Menschen, die es hilfreich begleiten. Und du leidest mit ihm.
Die Leidenszeit beginnt sofort. Keine Präsenz in den Buchhandlungen, immerhin hat Amazon zwei Exemplare auf Lager. Bei einer Familienfeier verteile ich meine Belegstücke und erziele so für den Moment etwas Anerkennung. Ich weiß nicht, ob jemand mein Buch gekauft hat, denn vom Dienstleister gibt es laut Vertrag für das erste Tausend keine detaillierten Auskünfte. Eine Redakteurin findet anerkennende Worte in ihrer Zeitung, nachdem ich ihr persönlich ein Exemplar zugeschickt habe.
„Du musst dich selber drum kümmern, Leute ansprechen, in den Buchhandlungen vorbeigehen. Du kennst doch so viel Leute.“
Ein weiterer Ratschlag, der mir Bauchgrimmen bereitet. Trotzdem überwinde ich mich und spreche in der Buchhandlung vor, die Schauplatz des Verbrechens in meinem Roman ist. Der Buchhändler schaut mich ob meines Ansinnens von oben bis unten an. Da ich ordentlich gekleidet bin und mich halbwegs gewandt ausdrücken kann, nimmt er mir zwei Prüfexemplare ab und gibt mir im Gegenzug eine Visitenkarte. Er verspricht mir eine Rückmeldung, wenn er das Buch gelesen hat. Ich gehe mit schlotternden Knien aus der Buchhandlung. Mir ist schlecht und mir fällt das Wort Prostitution ein. Genau das habe ich ja vermeiden wollen. Genau dieses Geschäft wollte ich an den Dienstleister delegieren.
„Du bist zu empfindlich und feige. In diesem Handwerk muss man klappern!“ Ich höre diesen Satz, den niemand zu mir sagt, aber viele bestimmt denken. Und einen weiteren: „Unter uns, so toll ist der Krimi wirklich nicht.“ Danach höre ich nichts mehr auch nicht von dem Buchhändler.
Nach einem Jahr ist mein Baby so gut wie tot, verschollen im Dschungel des Literaturbetriebs. Das Schreiben gebe ich auf. Es schmerzt zu sehr.
Kürzlich habe ich mir eine Folge von „Rote Rosen“ im Fernsehen angesehen. Es ging um Literaturforen. Zwei ältere Damen konkurrierten um den Zuspruch der User in den Foren, wo sie gerade ihre Stories posteten. Die eine konnte mit dem Triumph punkten, dass ein Verlag ihr schon nach wenigen Geschichten einen Vertrag angeboten habe.
Ich musste lachen. So einfach ist das also! Gibt es überhaupt solche Foren?
Das will ich wissen. Also wieder an den Computer. Keine Überraschung, ich werde sofort fündig.
'Wordfighter' heißt so ein Forum. Der Name gefällt mir, ebenso das Programm.
Endlich eine Adresse, wo es vor allem um den Spaß am Schreiben geht und das Vergnügen, sich mit Gleichgesinnten darüber auszutauschen. Mit ehrlichen, unbefangenen und dabei kompetenten Kommentaren. Na ja, manchmal geht es auch etwas ruppig zu. Das Ganze dafür kostenlos. Genau das, was ich für mich will. Andere mögen weitergehende Interessen haben, ich habe sie nicht mehr. Aber das Schreiben, jetzt hat es mich wieder gepackt.
Soll ich verraten, was mein bisheriger Lieblingskommentar ist?
„Du bist noch am Anfang, aber ich bin mir sicher, mit etwas mehr Übung wird dir der Paukenschlag schon gelingen.“
Ja, der Paukenschlag. An dem werde ich arbeiten.