- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 17
Der Patient
Ich öffne langsam die Augen, die Lider so schwer wie Gullideckel. Das Flackern einer Deckenleuchte direkt über mir scheint mich geweckt zu haben. Oder waren es die Kopfschmerzen, die meinen Schädel ausfüllen, als würde jemand mein Gehirn tranchieren, wie einen Truthahn zu Thanksgiving? Ich weiß es nicht.
Von irgendwo her weht mir die Stimme von Elvis wie aus einem Blecheimer ins Ohr:
Are you lonesome tonight
do you miss me tonight ...
Meine Fresse, wer hört sich denn heute noch so eine Scheiße an. Wollen die mich etwa damit betäuben, um die Kosten für die Anästhesie zu sparen? Und dieser Geruch. Ein Cocktail aus Desinfektionsmitteln, Schweiß, Kantinenessen und Pisse wabert mir in die Nase. Was ist hier los, ist deren Klimaanlage defekt? Die vorigen Male hat das doch nicht so gestunken. Sauerei.
Das Letzte, an das ich mich erinnern kann ist, dass ich in meiner Einzelsuite im San Francisco Private Medical Center gelegen habe und man mich auf die Operation vorbereitet hat. He he, stimmt, da war diese rattenscharfe Klinikhostess, Cindy oder so, die mir die Spritze verpasst hat; man was für ein Arsch ... und der Rest erst. Werde demnächst mal meinen Versicherungsagenten anrufen. Vielleicht könnte man bei einer kleinen Zuzahlung den Behandlungsumfang diesbezüglich noch etwas erweitern. Ha, all inclusive sozusagen. Wozu zahle ich schließlich jeden Monat ein Vermögen, und es ist wahrhaftig ein Vermögen, für die Zusatzpolice meiner Krankenversicherung? Da kann man schon mal ein paar Extras erwarten.
Man, was für ein geiler Arsch ...
Jedenfalls muss das ein ziemlich harter Stoff gewesen sein, den die Süße mir da gespritzt hat. War sofort weg. Habe nichts davon mitbekommen, wie sie mich hier in den OP-Vorraum gekarrt haben. Wahrscheinlich kommen von dem Zeug auch die verfluchten Kopfschmerzen.
... You know someone said that the world's a stage
And each must play a part ...
Oh Gott, ich weiß nicht, wovon ich zuerst wahnsinnig werde. Von dem Gedudel oder dem Flackern der beschissenen Lampe zwei Meter über meinem Gesicht. Und zu allem Überfluss kann ich nicht mal den Kopf richtig heben, nur ein wenig zur Seite drehen, das ist alles. Was ist das überhaupt für ein Raum? Jedenfalls nicht das Zimmer, wo ich die letzten Male gelegen habe, bevor sie mich in den OP geschoben haben.
Das war viel größer, Filme aus den Nationalparks der USA wurden da an die Decke projiziert und im Hintergrund lief Musik aus irgendeiner Oper. Überall Blumendekos, wobei die mir ehrlich gesagt scheißegal waren, was ich nicht von den beiden Klinikhostessen behaupten kann, die mir jedes Mal das Händchen gehalten haben. Die hatten auch süße Ärsche, oh Jesus ... wenn auch nicht so süß, wie der von Cindy.
Oh nein, jetzt fängt auch noch Frank Sinatra an, sein My Way zu plärren.
And now, the end is near; And so I face the final curtain.
My friend, I'll say it clear, I'll state my case, of which I'm certain ...
Das darf doch nicht wahr sein ...
Wahrscheinlich bin ich überhaupt nicht mehr in der Klinik. Nein, wahrscheinlich wurde ich von Aliens in einem UFO entführt, wo man jetzt idiotische Tests an mir durchführt, so nach dem Motto: Wie lange dauert es, bis ein Bewohner von Terra in vertrauter Umgebung den Verstand verliert, wenn man ihn unablässig mit Schlagern beschallt und gleichzeitig mit oszillierendem Licht bestrahlt. Aber ich muss gestehen, wenn es so ist, dann sind die kleinen Dreckskerle wirklich gut. Gleich haben sie mich soweit.
Frauengelächter dringt dumpf durch die Wand links von mir. Könnte auch mal einen neuen Anstrich vertragen. Und den ranzigen Tisch mit dem Stuhl rechts neben mir, sollten sie am Besten gleich verbrennen.
War eine ziemlich harte Nacht gestern, erst die Party im Coopers, wo mir diese süße, rothaarige Schnitte über den Weg gelaufen ist, wie hieß sie noch mal, ach ja Susan. Ich staune manchmal, wie viel Champagner in manche Bräute reinpasst. Na ja, konnte halt nicht genug kriegen, die Kleine. He he, ich aber auch nicht. Und nachher in meiner Strandvilla ruft die doch tatsächlich noch ihre Freundin an, weiß gar nicht mehr, wie die hieß. Blond war sie, soviel weiß ich noch, und eine super Figur hatte sie auch ... aber was spielt der Name schließlich noch für eine Rolle. Mann war das ein Ritt.
But through it all, when there was doubt, I ate it up and spit it out.
I faced it all and I stood tall; And did it my way.
Tja und heute Morgen fängt dann die Leber an, verrückt zu spielen. War ja nur eine Frage der Zeit, wenn ich ehrlich bin.
Nach der Milz und der Bauchspeicheldrüse, nun also das dritte Bauteil, das sie bei mir austauschen. Was soll’s, wer feiern kann, muss auch leiden können.
„Dr. Sullivan bitte zur Suite 34, Dr. Sullivan zur Suite 34.“
Gott, wer bitte hat die Lautsprecher in diesem Raum eingestellt. Wollen die mich umbringen, mir wäre fast die Pumpe stehen geblieben. Überhaupt, wenn das hier alles vorbei ist, werde ich die verdammte Klinikleitung verklagen. Was glauben die eigentlich mit wem Sie es zu tun haben. Ich bin Frank Wilson, Inhaber eines der größten Softwarehäuser Kaliforniens, ich besitze die Platinum Medical Insurance Card, und man stellt mich hier wie den letzten Penner in eine Abstellkammer. Verdammt, wenn ich wollte, könnte ich den ganzen verfluchten Laden hier kaufen. Aber die sollen mich kennen lernen, oder vielmehr die, die ich ihnen auf den Hals hetzen werde ... ha!
Früher, wenn es Probleme gab, haben sich die mächtigen Männer Kaliforniens ein paar Killer angeheuert, die polierte Revolver und schwarze Westen trugen. Heute tragen die Gunmen immer noch schwarze Westen, aber statt der Revolver ziehen sie ihre Samsonites, mindestens genauso schnell ... und um einiges grausamer. Das Blei der Revolver garantierte wenigstens einen schnellen, sauberen Tod, während der Inhalt der Aktentaschen heute dafür sorgt, dass der Gegner langsam und elendig in irgendeinem schäbigen Loch verrottet.
And not the words of one who kneels.
The record shows I took the blows - And did it my way!
Gott, ich schwöre, ich werde diese Wichser verklagen. Und danach komme ich höchstpersönlich mit einem Baseballschläger hier vorbei und haue diese verfluchte Lampe aus der Fassung.
„Sie können ihn jetzt in den OP Nummer fünf bringen, Larry.“
Eine Männerstimme, ganz in der Nähe.
„Ok, bin schon unterwegs.“
Noch eine Männerstimme, etwas höhenlastig für meinen Geschmack. Hoffentlich bin ich damit gemeint, bitte erlöst mich.
Aah ... die Tür geht auf.
Allmächtiger, was für ein fetter Kerl, der passt ja kaum in seine grüne OP-Kluft. Scheint ein Pfleger zu sein, den Mundschutz und die Haube hat er schon aufgesetzt. Wenigstens geht es jetzt los.
„Na dann wollen wir mal Mr. Wilson.“
Wie spricht dieser Fettsack denn meinen Namen aus, den sarkastischen Unterton kann er sich sparen.
Ich will etwas erwidern aber das Einzige was ich hervorbringe ist das Gebrabbel eines Einjährigen. Speichel läuft mir aus dem Mundwinkel und tropft auf das Laken; Gott wie erbärmlich. Was haben die mir bloß gespritzt?
Er beugt sich über mich und grinst mich blöde an.
„Schon gut Frankie, das passiert schon mal.“
Frankie?! Freundchen, dir werde ich sämtliche Seitenscheitel auf den Pelz hetzen, die ich kenne. Du wirst für den Rest deines armseligen Lebens die Klos in irgendeiner Billig-Pizzeria schrubben, darauf kannst du Gift nehmen, Larry. Er fummelt an meinem Arm herum. Seine aufgedunsenen Wurstfinger sehen so aus, als hätte ein Varietéclown aus Luftballons eine Hand modelliert. Die Unterarme scheint man ihm mit rotem Kunstrasen beklebt zu haben und sein Schweißgestank treibt mir Tränen in die Augen ... ok, Larry, kannst ruhig zugeben, dass du in einer Baumkrone auf Borneo aufgewachsen bist, bleibt ja unter uns.
„Festhalten Frankie, die Fahrt beginnt!“
Er stellt sich an das Kopfende der Transportliege und schiebt mich auf die Tür zu. Die Stahlflügel gleiten lautlos auf, wir kommen in einen hellen Korridor, noch ein kleiner Rechtsschwenk, wieder eine Tür und dahinter öffnet sich endlich der OP; schwüle Luft und der Geruch von Antiseptum schlägt mir entgegen. Larry schiebt die Transportliege direkt neben einen von zwei Operationstischen, mein OP-Team steht schon bereit, grün gekleidet und vermummt. Larrys Fleischfinger graben sich in meine Achselhöhlen, irgendjemand packt mich an den Füßen und ich werde wie ein erlegter Eber auf den Operationstisch gewuchtet.
Ich fasse es nicht. Sind die denn noch zu retten? Meine Rechtsverdreher werden jeder Menge Arbeit bekommen.
Wieder will ich etwas sagen, bekomme aber kein verständliches Wort heraus, sabbere dafür aber das Laken voll.
Ein kleiner Mann, dessen graue Haare an den Seiten seiner OP-Maske hervorquellen, setzt sich an ein Terminal mit zwei Steuerknüppeln. Aha, der Operateur.
„Ok, Herrschaften“, sagt er, ohne sich zu den anderen umzudrehen. „Dann wollen wir mal loslegen, das andere Team muss jeden Moment eintreffen. Dr. Brown, fang sie an, bitte.“
Einer der Grünkittel tritt an mich heran, schiebt mir eine Kanüle in die Vene, öffnet den Hahn an einem Tropf und setzt mir eine Maske aufs Gesicht.
Mit dem Desinfizieren haben sie es hier auch nicht mehr so, was? Egal, ich fange automatisch an zu zählen ... neunundzwanzig, dreißig, einunddreißig. Scheiße, wieso schlafe ich nicht ein? Mein Körper fühlt sich taub an, ich kann mich nicht mehr bewegen, aber ich bin immer noch bei Bewusstsein – und kriege alles mit. Hey, habt ihr nicht etwas Entscheidendes vergessen, ihr Stümper?
Ich höre, wie der OP-Roboter aus einer Ecke an den Tisch heranfährt, gesteuert vom Operateur an seinem Terminal. Niemand spricht ein Wort. Das grelle Licht der OP-Leuchte blendet mich.
Oh mein Gott, auf der polierten Metalloberfläche des Leuchtengehäuses spiegelt sich verzerrt das Geschehen an meinem Bauch wieder. Ich sehe, wie der Roboter mit seinem Laserskalpell und diversen Zangen seine Arbeit aufnimmt. Mir wird übel, mein Hals brennt wie Feuer von dem trockenen Sauerstoff, den sie in mich hineinpumpen, wie Helium in einen Fesselballon.
„Wie sieht’s aus?“ höre ich den Operateur fragen.
„Alle Werte normal und stabil.“ antwortet eine Frauenstimme.
Wo bleibt bloß das zweite Team mit meiner Ersatzleber? Seit mehreren Minuten bin ich gezwungen den Verlauf meiner Operation zu beobachten, etwas verzerrt, aber zu meinem Leidwesen deutlich genug.
Die Tür geht auf, Stimmengewirr, schnelle Schritte quietschen auf dem Fliesenboden.
„Wo bleibt ihr, denn? Was hat denn da so lange gedauert?“ fragt der Operateur.
„Es gab Komplikationen“, antwortet eine Männerstimme, hörbar außer Atem. „Die Blutwerte des Patienten haben sich in der letzten Stunde dramatisch verschlechtert, wir mussten ihn in ein künstliches Koma legen. Seid ihr soweit? Es geht um jede Minute, sieht nicht gut aus.“
Patient, hallo? Was läuft hier ab?
Ich höre, wie sie den anderen auf den OP-Tisch legen und an die Geräte anschließen. Der OP-Roboter hat die Arbeit in meinen Eingeweiden unterbrochen. Der Operateur ist mittlerweile an meinem Tisch herangetreten und beugt sich über den Krater in meinem Bauch.
„So, da haben wir sie“, sagt er. „Sehr schön, sehr schön. Ich bin beeindruckt, dieses neue Verfahren, bei dem man den Klonen wöchentlich ein neuronales Update von ihren Eigentümern aufspielt, hat sich bewährt.“
„Absolut“, sagt eine Männerstimme. „Seitdem sie das machen, kommen Abstoßungsreaktionen bei inneren Organen so gut wie nicht mehr vor. Hätte man sich auch früher denken können, dass eine parallele Schaltung der psychischen Reize eine bessere Angleichung der physiologischen Entwicklung der Klone ermöglicht.“
„Wann hat Wilson-XZ-29 sein letztes Update bekommen?“
„Vor einer Stunde. Bevor Patient Wilson ins Koma versetzt wurde, haben wir noch mal alle Informationen seines neuronalen Netzes gespeichert und in den Klon übertragen.“
Ich sehe schemenhaft, wie meine Leber in ein Metallgefäß gelegt wird.
„Ok, brauchen wir ihn noch?“ höre ich Larry fragen.
„Nein“, antwortet mein Operateur. „Eine Aufrechterhaltung seiner Vitalfunktionen ohne die Leber ist zu aufwendig. Wilson hat noch genügend Klone in Reserve ... falls er die überhaupt noch braucht.“
„Also kann ich ihn jetzt in den Kälteraum bringen?“
„Ja, ja. Übrigens, was ist da unten eigentlich los. Werden die gebrauchten Klone bald mal abgeholt?“
„Morgen kommt die Entsorgungsfirma, die haben hier vorhin angerufen und sich für die Verzögerung entschuldigt.“
Mir wird die Kanüle aus dem Arm gerissen und die Maske abgenommen. Von der anderen Seite höre ich einen anhaltenden Piepton.
„Verdammt, der macht uns schlapp. Reanimation einleiten.“ höre ich jemanden aus dem anderen OP-Team durch das Rauschen in meinen Ohren rufen.
Ich merke noch, wie Larry mich auf den Flur hinaus schiebt, sehen kann ich nichts mehr und mir ist auf einmal so kalt, als würde ich nackt in einem Gebirgsbach liegen ... und ich wünsche mir, es wäre so.
ENDE